STREIT 3/2020

S. 141-144

Buchbesprechung: Jutta Bahr-Jendges – Von Grenzgängen einer feministischen Anwältin

Ulrike Helmer Verlag, Darmstadt 2020

Mit dem Zitat von Simone de Beauvoir „Frauen, die nicht fordern, werden beim Wort genommen – sie bekommen nichts“ beginnt die fast 450 Seiten umfassende Romanbiografie von Jutta Bahr-Jendges, deren Verkörperung sich in der Romanfigur Clara entwickelt. Nach eigener Erklärung der Autorin ist dies „kein wissenschaftliches Werk“ (S. 429), obgleich sie an zahlreichen Stellen Theorie und Praxis klug verknüpft und vermittelt.

Die Autorin wurde 1943 am Niederrhein im Sternzeichen Steinbock (S. 124) geboren, lebt in Bremen und hat u. a. mehrere Jahrzehnte insbesondere als „Frauenrecht-anwältin“ im Strafrecht, Familien-, Kindschafts- und Erbrecht sowie als Notarin gewirkt. Den Leser*innen ist sie als Autorin einiger STREIT-Beiträge wohl bekannt sowie aufgrund ihrer über 35-jährigen engagierten Mitwirkung als STREIT-Redakteurin und Teilnehmerin des Feministischen Juristinnentages. Auf weitere Veröffentlichungen zur feministischen Theorie des Rechts u. a. wird auf S. 440; „Vita“ verwiesen.
Nach dem kurzen Prolog (S. 7 f.) schließt sich eine inhaltliche Kapitelaufteilung von fünf Geburten an, die unterschiedlich lang ausfallen und aufeinander aufbauen.
Insgesamt kein leichter Lesestoff, sondern ein kluges, mutiges, politisches, juristisches, sprachgewandtes, offenes – mit vielfältigem Leben – gefülltes Werk.
Es ist keine Lektüre, die frau „en passant“ durchlesen kann, denn vieles weckt auch persönliche Erinnerungen der Leserin an „die damaligen Zeit_en“ und Mitgefühl für den anstrengenden privaten wie politischen mutigen Lebensweg der Autorin, der jeweils wertend auf- und eingearbeitet wird und manchmal zu labyrinthartigen Sätzen (im Sinne eines Fadens der Ariadne) führt, ohne den Faden oder die Fäden zu verlieren.
Es ist nötig, dass die Leserin sich auf diese Erzähl- sowie Schreibweise der Autorin einlässt und mit ihr durch die Romanbiografie schreitet. Die Beschäftigung mit diesem Vermächtnis lohnt sich sehr!
Systematisch werden nachfolgend Themen aus den jeweiligen Kapiteln vorgestellt, beginnend mit der „ersten Geburt“ (S. 9–70), die im Kriegswinter 1943 stattfindet. Überraschend detailgetreu und kenntnisreich wird das Umfeld der Ursprungsfamilie im bildhaften Beschreiben der Nachkriegszeit vorgestellt.
Schonungslos der Romanfigur (und damit sich selbst) gegenüber beginnt die Vorstellung der Familiengeschichte – umrissen mit „Herkunft und Jugend“ –, in der längst Traumata eingewoben worden waren, bevor Clara `das Licht der Welt erblickte´.
„Sie lernte (früh, H.D.), was sie später gut brauchen konnte: aus Krisen zu entkommen“ (S. 41). Sie lernte insbesondere in dieser Welt die Stärken von Frauen kennen; denn Männer (bis auf den verehrten Großvater und sorgenden „Wahlvater“ – ein Bruder der Mutter) gab es dort nicht (vgl. S. 40). Die Ausführungen zu geliebten und weniger geliebten Menschen in naher wie ferner Beziehung verdeutlichen schon frühzeitig, dass Clara nicht einfach „liebt“.
Mit der ihrer Fähigkeit zu „messerscharfer“ Analyse beschreibt sie das Verhältnis oder besser „Nicht-Verhältnis“ zum faschistischen Vater, einem NS-Propagandisten, einem „Nazi-Bonzen“(S. 21), der nicht nur im Krieg sondern auch danach abwesend war, „weil er rechtzeitig zu Kriegsende mit falschem Namen im Teutoburger Wald bei einem Freund untergetaucht war“ (ebenda). Die überängstliche wie aber auch literatur- und kunstverständige Mutter war alleinerziehend und in Vollzeit berufstätig (48-Stundenwoche an sechs Tagen und einmal im Monat ein „Hausfrauentag“). Nach „der ersten bewussten und gewünschten Begegnung mit ihrem Vater“ wollte Clara den Besuch nicht wiederholen (S. 33 – hier auch Ausführungen zum Kreis der NS-Putschisten in den 50er Jahren). „Später war sie noch einmal wirklich fassungslos. Anlässlich ihres 21. Geburtstages (…) bekam sie von ihrem Vater ein großes Paket. Sie entnahm diesem einen großen Stapel der Deutschen National- und Soldatenzeitung und anderer rechter Literatur, mit einem langen Brief des Vaters, der meinte, sie nun, mit ihrer Volljährigkeit, auf den „rechten“ Weg weisen zu können (….).“ Aufgrund der Entnazifizierungsgesetze (ausführlicher: S. 34) konnte sie das Paket an eine offizielle Adresse des Vaters zurückschicken „mit klarer und bestimmter Mitteilung ihrerseits an den Vater, jeglichen Kontakt zu unterlassen“ (S. 35).
An dieser Stelle möchte ich Ausführungen zur „ersten Geburt“ abschließen, auf die Literaturhinweise (S. 430) und auf die Leistung der Autorin verweisen, so tief in Claras Familiengeschichte einzutauchen, diese transparent sowie lesbar aufzubereiten und hindurch zu schwimmen.

Im Kapitel „Die zweite Geburt“ (ca. 70 Seiten) werden das Studium und die Realität in der Nachkriegs-BRD, ihr Leben als „SDS-Studentin“ mit neuen anderen Vätern gegen die alten faschistischen Väter (Literaturhinweise auf S. 430) durchgearbeitet.
Sie beginnt das erste Semester des Studiums der Rechts- und Staatswissenschaften in Tübingen (S. 71 f.) und verbindet es alsbald mit einem Studium der Philosophie, auch erklärbar anhand der Theorien des alten „anderen Vaters“, Ernst Bloch, der mit dem „Mauerbau“ von Leipzig nach Tübingen umgezogen war und dort lehrte. Claras Lebensgeschichte ist zu der Zeit direkt verknüpft mit dem Treblinka-Prozess, um die Massenmorde in den Vernichtungslagern von Treblinka, der unter dem Vorsitz des – immer mit seiner Ehefrau verheiratet gebliebenen – Lebensgefährten der Mutter – dem Vorsitzenden Richter des Schwurgerichts Düsseldorf – stattfindet. Hinweise zum Auschwitz-Prozess in Frankfurt aufgrund der unnachgiebigen und hartnäckigen Verfolgung der Täter insbesondere durch den Generalstaatsanwalt Fritz Bauer fehlen genauso wenig (S. 76), wie Ausführungen zum „Milgram-Experiment“ – Stichwort: „Gehorsamsbereitschaft“ (ebenda) oder Hannah Arendts Konzept der Banalität des Bösen über den „Eichmann-Prozess“ in Jerusalem, mit einer Kernaussage: „Keiner hat das Recht zu gehorchen“ (S. 77). Die folgenden Seiten widmen sich der Auseinandersetzung mit „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ oder korrekt übersetzt von Hannah Arendt als „Verbrechen gegen die Menschheit“ (S. 78 ff.) sowie der Definition des Genozids in den späteren Verfahren des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag.
Getreu ihrem Motto „Ich will durchschauen“ (S. 81), folgen Beschreibungen des Studiums, vom Kennenlernen ihres Ehemannes, dem Philosophiestudenten „Hans im Glück“ (Jahre später ist er Universitätsprofessor, S. 114) – mit dem sie den „schönsten Platz Tübingens“ bewohnte und renovierte (S. 96) u.a. mit dem damals noch nicht als gefährlich erkannten Holzschutzmittel „Xylamon“, das ihren Körper bleibend kontaminierte (S. 115; zur „doppelten Kontaminierung, die sich in ihrem und der Körper vieler anderer ´Täterkinder` festsetzte“, folgen prägnante Ausführungen in späteren Kapiteln bzw. „Geburten“).
Spannend sind auch die Ausführungen zum SDS, deren Vorstand der Städtegruppe in Tübingen sie angehörte (S. 102), der Beitrag von Helke Sander auf dem SDS Kongress 1968 in Frankfurt (S. 101): „Das Private ist politisch“ (S. 106), der „Aktionsrat Befreiung der Frauen“ (S. 106) sowie der „Tomatenwurf“ der „Genossin Sigrid Rüder“ (S. 106 ff.). Die Frauen verknüpften die Frage von Marxismus und Feminismus miteinander (S. 108) und begründen die 2. deutsche Frauenbewegung. Zwar waren nicht alle „im selben Jetzt“ (mit Bezug zu Ernst Bloch, S. 111), doch die politische Auseinandersetzung schritt auf den unterschiedlichsten Ebenen voran. „Ihre eigenen Waffen“ waren und sind ihre Worte (S. 111). Krankheiten, Unfälle, materielle sowie intellektuelle Verluste werden geschildert, aber auch Claras Leidenschaft für Wagner-Opern (auch: S. 225 ff.). Dem ersten Besuch 1979 in Bayreuth (S. 113) werden im Laufe der nächsten ca. 40 Jahre weitere folgen. Sie konstruierte und dekonstruierte (S. 125) Denk- und Lebensmuster, fand sich in den Texten von Pierre Bourdieu u.a. zum „Habitus“ und Simone de Beauvoir wieder (S. 118). Die Referendarinnenzeit verbrachte Clara in Berlin, sie heiratete (S. 134 ff.) und verband den Vaternamen mit dem Nachnamen des Ehemanns, der einzigen damaligen rechtlichen Möglichkeit für Frauen, „einen Teil der Identität zu erhalten“ (S. 135). Sie zog mit dem Ehemann – wegen seines beruflichen Aufstiegs an der Universität – nach Bremen und „begann nun ein Leben aus erster Hand“ (S. 137), wo sie fortan unter ihrem Doppelnamen arbeitete und lebte.

Als vorangestellte Stichworte zur beruflichen Existenz von Clara lassen sich im Kapitel zur „Dritten Geburt (ab S. 141) nennen: politische Strafverteidigerin einer RAF-Angehörigen in Verfahren in Hamburg und Stammheim, Anwältin im Straf- und Familienrecht, Lehrbeauftragte an der Universität, und insbesondere in beiden Berufsfeldern, praktisch wie theoretisch, die Erkundung weiblicher und männlicher Tötungskriminalität, mit sämtlichen Formen körperlicher Gewalt – die heute Femizid genannt wird – sowie Ausführungen zu „Subjekt oder Objekt Frau?“, zum Rechtsbewusstsein von Frauen wie Männern, Gleichberechtigung, Gleichheit, Autonomie sowie Geschlechtergerechtigkeit in der Sprache. Ausgewählte Literaturhinweise dazu finden sich auf den S. 431ff.
Nun in Bremen lernte Clara in der linken Juristinnengruppe an der Universität eine Hochschullehrerin kennen, die noch rechtspraktisch als Anwältin arbeiten wollte. Beide entschlossen sich zur Gründung der ersten Frauenkanzlei in Bremen (S. 145). Ab März 1975 übernimmt Clara (erst einjährig in der Bremer Kanzlei) die Verteidigung im Prozess gegen das weibliche RAF-Mitglied I. Möller vor dem Landgericht in Hamburg (S. 149) und eine späteres Verfahren in Stammheim. „Der Generalbundesanwalt Buback hatte bereits 1972 erklärt, die Übernahme solcher Mandate sei standeswidrig“ (S. 157). In der Folgezeit liefen Strafverfahren und Ehrengerichtsverfahren gegen mehr als achtzig Rechtsanwältinnen (S. 158). Es folgten Sondergesetze in RAF-Verfahren: das Verbot der Mehrfachverteidigung, der Ausschluss der Angeklagten aus Verhandlungen, das Kontaktsperregesetz (02.10.1977), später die Entkleidungsordnung (1979). Vertrauliche Gespräche zwischen der Verteidigung und den Inhaftierten wurden u. a. durch das LKA in Baden-Württemberg über 2 Jahre abgehört. „Zwischenzeitlich waren auch die Telefone von Anwälten auch außerhalb der Verfahren abgehört worden“ (S. 159). „Der RAF-Terror war zu keinem Zeitpunkt, auch nicht im Deutschen Herbst staatsgefährend, wie wir heute wissen“ (S. 167 mit Verweisen). Clara erinnert auch an das „Exil“ von Heinrich Böll nach Irland in dieser bleiernen Zeit (S. 170) und an Freundschaften, die entstanden sind und auch wieder entschwanden. Gemeinsam mit der Berliner Rechtsanwältin Alex (Alexandra Goy, H.D.)(S. 173 f.) arbeiteten sie sich an hunderten Aktenordnern der Verfahrensakten ab, um die Verteidigung von I. Möller im Sinne eines Rechtsstaates zu betreiben. „Was Alex und sie zwischenzeitlich schon ahnten und nachträglich erfuhren, war, dass das Ergebnis des Verfahrens schon längst vor dem Ende feststand (…)“ (S. 175). Nach der Todesnacht in Stammheim am 18.10.1977 überlebte „ihre eigene Mandantin schwer verletzt“ (S. 187). „Clara erinnerte später am Ende wenig, dank ihrer in der Kindheit geübten Fähigkeit sich neben sich zu stellen oder gar im Zustand tiefer Kühle ihren Kopf auszuschalten (…)“ (S. 187).
Ihre realistischen Schilderungen der RAF-Prozesse sind auch für kenntnisreiche Lesende „schwer zu ertragen“, wenn auch Claras Erlebnisse als Beschattete oder Beobachtete durch Ausführungen der Autorin manchmal erheiternd wirken, was dem Moment zur teilweisen Erträglichkeit des Geschilderten verhilft.
Mit einem Zitat, das in dieser Besprechung der Romanbiografie im Zusammenhang nicht fehlen sollte, schließe ich diesen Teil der RAF-Strafverteidigung ab: „Clara hatte sich entschieden, bei Aufnahme der Verteidigung in Stammheim, jeder Identifizierung mit der Angeklagten und der Kennzeichnung als Komplizin und vermuteter Rechtsbrecherin entgegenzusetzen, dass sie als Rechtsanwältin in einem Rechtsstaat das Recht und die Pflicht habe die zu Verteidigenden zu vertreten, und gleichzeitig ihre eigene Rolle zu vertreten, ohne sich zu unterwerfen“ (S. 198). Sie war von Beruf Rechtsanwältin, die ihrer Aufgabe als politische Strafverteidigerin konsequent nachkam (S. 202).
1979 wurde Clara von „Hans im Unglück“ schwanger, „dem Partner der realen Kriegsgeneration“ (S. 223) und dem Partner aus der „Riege der politischen Strafverteidiger“ und bekam die Tochter Anna. Beruflich folgte sie nun ihrer Freundin Alex (Alexandra Goy, H.D.), „die ebenfalls nach Aufgabe der (gescheiterten) politischen Strafverteidigung in Berlin die erste reine Frauenrechtskanzlei von Frauen für Frauen eröffnete und auch das erste Frauenhaus in Berlin mitgründete“ (S. 213). Vorher nahm sie im Herbst 1978 am ersten „Jurafrauentreffen“ in Frankfurt teil, daraus wurde alsbald der Feministische Juristinnentag (FJT; S. 215). „Clara hatte 10 Wochen nach Annas Geburt wieder angefangen außerhäuslich in ihrer Kanzlei oder eben im Gericht zu arbeiten. Sie war sich selbst Arbeitgeberin, es gab weder ein Beschäftigungsverbot nach Mutterschutz noch gar Mutterschaftsgeld für sie und sie musste für sich und das Kind sorgen, abgesehen davon, dass sie ihren Beruf sobald wie möglich wieder ausüben wollte. Das schaffte sie“ (S. 240) wie auch die Scheidung von „Hans im Glück“ und die Trennung von „Hans im Unglück“ (S. 241).
Die Themen im Kapitel „Die vierte Geburt“ sind auf ca. 180 Seiten Claras berufliche Tätigkeiten als Vertreterin von Frauen und Mädchen, Rechtsanwältin, Notarin, Publizistin und Rechtspolitikerin. Elterliche Sorge, Vater durch Gesetz, Mutter durch Geburt?, den Vätern das Recht, den Müttern die Sorge, das Wechselmodell, Kindeswohl, Subjekt/Objekt, Körper als Ware – insbesondere die Leihmutterschaft –, die globale Moderne werden aus rechtswissenschaftlicher wie teilweise soziologischer Sicht behandelt. Die Literaturhinweise finden sich auf den S. 434 ff. und Rechtsprechungsangaben ab S. 437.
Clara lebte nun in Bremen in einem Haus direkt an der Weser, in dem ihre Tochter aufwuchs und die Kanzlei sich im Hochparterre befand, die private Wohnung darüber. „Clara fragte sich später oft, welche Wirkung es eigentlich auf Anna gehabt hatte, die Probleme von Frauen und Kindern so nah mitzubekommen“ (S. 245). Das Arbeiten und Leben im Haus ermöglichte es Clara sichtbar Privates und Politisches zu vereinen. Sie pendelte zwischen der Kanzlei, dem Gericht, der Universität, dem Frauenhaus, den vierteljährlichen STREIT-Redaktionssitzungen, dem Feministischen Juristinnentag und weiterer Tagungen sowie Kongresse. Dabei bemerkte sie zuweilen, dass sich Männer und Frauen, vorwiegend letztere in sie „verguckten“ (S. 248). Es folgen nach 10 Jahren „zölibatärem“ (S. 247) Leben, nun Jahre mit weiblichen Gefährtinnen – „drei Frauen folgten einander im Zeitraum von 20 Jahren“ (S. 251). Mutter und Tochter zerstritten sich, nahmen den Faden (der Ariadne) wieder auf, nachdem auch Anna Mutter geworden war. Die junge Alia hatte nun 2 Großmütter, denn ihre damalige Gefährtin wurde für fast ein Jahrzehnt zur weiteren Großmutter (S. 255).
In der Romanbiografie folgen nun spannende rechtstheoretische Auseinandersetzungen mit den oben genannten Themen (u. a. auch „bestückt“ mit realistischen „Fällen“, die Mord und Totschlag, §§ 211 und 212 StGB in geschlechterdifferenzierter Besonderheit betreffen (S. 286 ff. sowie S. 396 ff.) – hier noch der Hinweis auf Ausführungen zur aktuellen Statistik von Prof. Dr. Kristina Wolff (S. 264), dass nicht jeden dritten Tag in Deutschland eine Frau getötet wird, sondern mit Stand von 2/2020 konnte sie ermitteln, dass es mehr Frauen als an jedem zweiten Tag sind).
„Es war gut, immer kluge mutige Frauen hinter sich zu wissen oder vor sich (…)“, wie z. B. die Professorinnen Tove Stang Dahl, Catherine MacKinnon, Rossana Rossanda, Ute Gerhard, Jutta Limbach, Andrea Maihofer und viele andere, die feministische Rechtstheorie sowie Rechtsgeschichte vermittelten und maßgeblich zur Weiterentwicklung des Rechts beitrugen.
„Aus dem Umstand, dass den Frauen eine eigenständige parteiliche Prüfung und Beratung vorher nicht angeraten wurde, ergab sich für Clara und die Kolleginnen des Feministischen Juristinnentages und in der STREIT, dass sie sich schließlich entschlossen hatten, auch Notarinnen zu werden und das Heft für die Frauen anders in die Hand zu nehmen. (…) Es galt zunächst die Lebenswirklichkeit der Paare und der Familien aufzuklären und dann in rechtlichen Gleichklang und gute Richtung zu bringen, wenn möglich“ (S. 336 f.), in dem auch die Sprachregelungen verändert wurden, um Frauen Sichtbarkeit als Erblasserinnen, Erbin, etc. zu geben (S. 339 f.). Wie gesetzlich geregelt, endet das Amt der Notarin mit Vollendung des 70. Lebensjahres. In den Jahren zwischen ihrem siebzigsten und fünfundsiebzigsten Lebensjahr erlitt Clara diverse Unfälle „die sie immer an der Fortbewegung hinderten, zumal immer dann geschehen, wenn sie beruflich unterwegs gewesen war (…)“ (S. 399). Sie sah ein, dass der Altersruhestand nötig war. Auch mit Inhalten der „neuen Bewegungen“ (wie sonstigen politischen Themen) setzt sich Clara nach wie vor auseinander. Zu nennen sind hier: #Me Too, Women´s march, Friday for Future, Leihmutterschaft, §§ 218, 219a StGB (S. 400 ff.), auch mit dem erkenntnisleitenden Hinweis, dass Frankreich bereits seit 1972 den Schwangerschaftsabbruch ganz aus dem Strafrecht herausgenommen hat (S. 405). Das Kapitel schließt mit der Beschreibung der Verwirklichung dieses Buchprojektes und der Frage, ob eine Grenzgängerin ungebunden und frei sei, da sie keine nationale Heimat, keinen Ort, keine universelle Theorie habe?
„Die fünfte Geburt“ (S. 427 f.) schließt damit ab, dass ihre Tochter den Faden wieder aufgenommen hat und es diesen weiterhin „mit Geduld und Liebe“ für Clara und Anna zu entwirren gilt. Es gilt, das Leben „in Würde zu Ende bringen“, doch… vielleicht folgen ja noch weitere „Leben“ (schließlich hat eine Katze ja angeblich auch sieben) – wer weiß.
Nach den Quellenangaben dieses Werkes, dessen Autorin nicht den Anspruch hegt, wissenschaftlich zu schreiben, sondern sich als Roman an einer Biografie orientiert (S. 429) folgt eine Danksagung (S. 438 f.) an ihre Mit-STREITerinnen und Helfer*innen.
Hoffentlich weckt diese Besprechung die Neugierde der Leser*innen, um sich ausführlich dem Buch der klugen Autorin zu widmen – dieser Grenzgängerin zwischen den Zeiten und – auch gesellschaftlichen – Welten.
Insgesamt führt ein roter Faden in und durch diesen Roman, durch ein Leben samt feministischer Rechtsgeschichte mit rechtstheoretischen Ausführungen, der zum bewussten Aufnehmen und Weitertragen einlädt und in diesem Sinne zu einem interaktiven Miteinander leiten kann.
Ich wünsche mir engagierte sowie interessierte Leser*innen dieser klug verfassten Romanbiografie.
Mein Dank richtet sich an den Ulrike Helmer Verlag und die Autorin für die Veröffentlichung dieses gelungenen gesellschaftlichen Ausschnitts eines persönlichen Vermächtnisses, nach dem – immer noch – gültigen Motto: „Das Private ist politisch“.