STREIT 2/2017

S. 92-93

Resolution und Fachstellungnahmen vom 43. FJT in Hamburg

Resolution des 43. FJT in Hamburg vom 14.05.2017

Tatsächlicher und ungehinderter Zugang zu legalem Schwangerschaftsabbruch

Bezugnehmend auf die Fachstellungnahme des 42. FJT zu „Reproduktiven Rechten“ („Wir fordern, dass der von Schwangeren gewünschte Schwangerschaftsabbruch nicht strafbar ist.“) fordert der 43. FJT:

  1. Die Garantie des tatsächlichen Zugangs zu sicherem und legalem Schwangerschaftsabbruch, insbesondere die Umsetzung der Verpflichtung zur Bereitstellung eines ausreichenden Angebots nach § 13 Abs. 2 SchKG.

  2. Rechtliche Maßnahmen gegen religiös oder weltanschaulich motivierte Gehsteigbelästigungen.

  3. Schutz von Ärzt*innen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen.

  4. Ausbildung von Gynäkolog*innen auch in Hinblick auf den Schwangerschaftsabbruch nach ärztlichen Standards.

  5. Finanzierung von legalen Schwangerschaftsabbrüchen als medizinische Dienstleistung durch die gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen bzw. Beihilfe.

Fachstellungnahmen in Hamburg vom 13.05.2017

Fachstellungnahme zur Sexualstrafrechts­reform

Es muss sichergestellt werden, dass die Sexualstrafrechtsreform – und der damit verbundene Paradigmenwechsel – in der strafrechtlichen Praxis und im gesellschaftlichen Umgang mit sexualisierter Gewalt wirksam umgesetzt wird.
Dafür ist insbesondere eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit zur Sexualstrafrechtsreform, auch durch staatliche Stellen, notwendig. Diese sollte u.a. durch öffentliche Kampagnen, Aufklärung, qualifizierte sexualpädagogische Angebote in Schulen sowie der Kinder- und Jugendarbeit und durch die Unterstützung entsprechender Projekte erfolgen.
Erforderlich ist ferner eine flächendeckende Bereitstellung verpflichtender Fortbildungsmaßnahmen für Justiz, Staatsanwaltschaften und Polizei, welche die Angehörigen der Strafverfolgungsorgane befähigt, Geschlechterstereotype und Vergewaltigungsmythen zu reflektieren und professionell mit Tatverdächtigen wie Opferzeug*innen umzugehen. Ferner sind die notwendigen personellen Ressourcen in der Strafverfolgung bereit zu stellen.
Voraussetzung der Begutachtung von sexualisierter Gewalt Betroffener muss sein, dass die begutach­tende Person professionelle Kompetenzen im Umgang mit traumatisierten Personen aufweist.
Nebenklagerechte wie bspw. das Akteneinsichtsrecht werden zunehmend durch die Rechtsprechung beschnitten, vielerorts hat sich (angesichts der mangelnden Revisionsfähigkeit entsprechender Rechtsbrüche) insoweit eine bundesgesetzwidrige Praxis eingeschlichen, die unverzüglich zu unterbinden ist.
Der Anspruch auf psychosoziale Prozessbegleitung ist auch erwachsenen Betroffenen von Sexualdelikten vorbehaltlos zu gewähren. Eine psychosoziale Prozessbegleitung ersetzt keine unbehinderte Nebenklage.
Damit die Sexualstrafrechtsreform Rechtswirklichkeit wird, bedarf es ferner der finanziellen und personellen Unterstützung von derzeit völlig überlasteten Hilfesystemen sowie zusätzlicher Angebote in der Täterarbeit und vor allem im Bereich der Prävention.
Die Istanbul-Konvention ist vollständig umzusetzen.

Fachstellungnahme zur Bekämpfung von Hassrede im Netz und Cyber Harassment

Hassrede und Cyber Harassment sind Formen digitaler Gewalt, die vielfach genutzt werden, um unliebsame Stimmen oder Angehörige marginalisierter Gruppen aus dem digitalen öffentlichen Raum zu verdrängen. Es handelt sich um strukturelle Diskriminierung und Gewalt, welche nicht nur Einzelne, sondern auch die Demokratie gefährden. Daher bedarf es vor allem entsprechender Fortbildungen für Justiz, Staatsanwaltschaften und Polizei in Bezug auf alle betroffenen Rechtsgebiete.

Strafrechtliche Maßnahmen
Grundsätzlich enthält das Strafgesetzbuch hinreichende Tatbestände zur Bekämpfung digitaler Gewalt (Volksverhetzung, Aufruf zu Straftaten, Bedrohung, Nachstellung, Beleidigung, Verleumdung, Verbreitung von Gewaltpornographie, Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs etc.). Diese werden aber kaum angewendet. Strafverfolgungsorgane dürfen Hassrede und Cyber Harassment nicht verharmlosen. Um wirkungsvoll gegen digitale Gewalt vorzugehen, müssen sie auch die diskriminierende Dimension erkennen und dementsprechend handeln. Die Verfolgung von Hate Speech oder Cyber Harassment liegt regelmäßig im öffentlichen Interesse.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 5. April 2017
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken vom 5. April 2017 will die Betreiber*innen sozialer Netzwerke durch sehr hohe Bußgeldandrohungen bewegen, strafbare Inhalte unverzüglich zu löschen. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung, deckt aber nur einen Bruchteil der Problematik ab.

Zivilrechtliche/medienrechtliche Ansprüche
Staatlich durchzusetzendes Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht sind nur ein mögliches rechtliches Mittel. Zusätzlich braucht es Recht, welches von den Betroffenen selbst mobilisiert werden kann. Das aktuelle Medienrecht fokussiert auf Fake News und Verletzungen des Persönlichkeitsrechts, strukturelle Diskriminierung wird nicht adressiert. Betroffene brauchen effektive Ansprüche auf Sperrung, Löschung, Unterlassen, Richtigstellung, Schadensersatz und Schmerzensgeld. Sowohl die Personen, die digitale Gewalt verbreiten, als auch diese tolerierende Betreiber*innen muss eine Nachverfolgungspflicht bezüglich rechtswidriger Angriffe und Fotos treffen. Zu denken wäre ferner an einen antidiskriminierungsrechtlichen Anspruch, der auch verschuldensunabhängige Ansprüche („bezweckt oder bewirkt“) umfassen würde.

Rechtsdurchsetzung bzw. Rechtsmobilisierung
Die Haftungsprivilegien für Betreiber*innen und Intermediäre sind auf ein sinnvolles Maß zu reduzieren, welches garantiert, dass das Internet ein Freiraum für alle bleibt.
Der im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 5. April 2017 vorgesehene Auskunftsanspruch hilft Betroffenen, ihre Ansprüche durchzusetzen. Er ist aber nur unter einem effektiven Gerichtsvorbehalt verfassungsgemäß und vor Missbrauch geschützt.
Hassrede und Cyber Harassment sind weit überwiegend Formen struktureller Diskriminierung. Die Rechtsdurchsetzung kann daher nicht allein den betroffenen Individuen aufgebürdet werden. Es braucht verschiedene Formen der Verbandsklagemöglichkeiten für Antidiskriminierungsverbände wie gewillkürte Prozessstandschaft, Einziehungsklage, objektive Rechtsdurchsetzung etc. Diese können sich an bestehenden kollektiven Prozessrechten von Verbraucherschutzverbänden orientieren.
Es braucht einen feministischen Rechtshilfefonds, der u.a. durch Bußgelder aus einschlägigen Ordnungswidrigkeitenverfahren finanziert wird.

Jenseits des Rechts
Rechtliche Maßnahmen gegen Hassrede und Cyber Harassment sowie tatsächliche Rechtsdurchsetzung sind weiter zu verbessern. Staatliche Organe müssen dieses Problem ernst nehmen; aber auch die zivilgesellschaftliche Rechtsmobilisierung ist zu stärken. Trotzdem bleiben nicht-rechtliche, zivilgesellschaftliche Strategien und Methoden unabdingbar. Wer sich für weniger Diskriminierung im Netz einsetzt, braucht Unterstützung und Anerkennung.