STREIT 2/2018
S. 81
Angelika Cortese, Annegret Feldmann: Leihmutterschaft – die neue Heimarbeit?
Aus: STREIT 4/1985, S. 123-130 (123 f.), Auszug
(…) Fragt man sich, welche Frauen sich zu einer Leihmutterschaft entschließen, so werden es solche sein, für die das versprochene Entgelt eine finanzielle Entlastung mit sich bringt, die allein oder mit Kindern und/oder Mann am Rande des Existenzminimums leben, und denen deshalb die Bezahlung als Rettung aus einer unerträglichen Situation erscheint. Berufstätigkeit als Merkmal wird bei den wenigsten Leihmüttern anzutreffen sein.
Auch männliche Phantasien rechnen bereits mit der bedürftigen Frau, die sich zu Leihmutterschaft und anderen Experimenten bereitfinden wird. Ein amerikanischer Bioethiker: „Es sind sicher genügend Frauen vorhanden, um eine Kaste von Kindergebärerinnen zu bilden, besonders bei guter Bezahlung.“1
 Aber die sich zunehmend verschlechternde wirtschaftliche Lage von Frauen und ihre geringen Chancen auf dem Arbeitsmarkt werden auch hier zunehmendes „Interesse“ von Frauen garantieren: das Motiv für die Bereitschaft der Frauen liegt klar auf der Hand und wird auch von männlichen Befürwortern richtig eingeschätzt (s.o.): es ist nicht der individuelle Genuß der Schwangerschaft, der die Frauen verlockt, sondern Armut und existenzielle Not. 
Die Glorifizierung von Schwangerschaft auch unter Frauen, die sich aus diesem Grund positiv zur Leihmutterschaft äußern, läßt außer acht, daß Schwangerschaft und Mutterschaft seit jeher als gesellschaftspolitische und biologistische Rechtfertigung gebraucht wird, um Frauen von der Ausübung anderer Tätigkeiten und Fähigkeiten abzuhalten.
Schwangerschaft und Gebären kann zwar auch die Erfahrung der eigenen und unabhängigen Potenz und Stärke bedeuten, in der Diskussion um die Leihmutterschaft erscheinen uns die Hinweise auf den Selbsterfahrungswert der Schwangerschaft jedoch kurzsichtig und unangebracht: welche Frau kann Lust an der Schwangerschaft empfinden, wenn sie gleichzeitig darauf angewiesen ist, sich schwängern zu lassen, um existieren zu können?
Leihmutterschaft ist auch ein Mittel zur Herrschaftssicherung. Im konkreten Fall unterwerfen sich Leihmütter folgenden Bedingungen:2
 U.a. soll sich die Frau allen routinemäßigen medizinischen Untersuchungen unterziehen und allen zusätzlichen Maßnahmen und Anweisungen des Arztes nachkommen. Darunter fallen neben Maßregeln für ihr Verhalten und ihre Lebensgestaltung auch „vorsorgende“ Eingriffe in ihre körperliche Integrität wie Abtreibung, Amniozentese und Kaiserschnitt. 
Bislang ist es noch die freie Entscheidung einer Schwangeren, sich den angebotenen ärztlichen Vorsorgeuntersuchungen zu unterziehen. Eine Leihmutter wird jedoch im Interesse der Vertragserfüllung jegliche angebotene „Vorsorge“ und darüber hinausgehende ärztliche Kontrollen auf sich nehmen müssen. Dabei geht es ausschließlich um die Entwicklung des Fötus: was zukünftig als Fehler oder als Gesundheit angesehen wird, hängt vom Stand der Genforschung ab mit dem Ergebnis, daß die Anzahl der angeblich defekten Föten steigt und die der „brauchbaren“ abnimmt.
Für die Anwendung von technischer „Vorsorge“ sorgt ein Appell an das weibliche Verantwortungsbewußtsein und der dahinterstehenden, unverhohlenen Drohung mit sozialer Ächtung und Isolation für Mutter und Kind.3
 Auch die Leihschwangere wird sich aufgrund ihrer Rolle als bloße Funktionsträgerin nicht für berechtigt halten, Eingriffe an ihrem Körper zur Kontrolle „ihres“ Fötus zu verweigern.
Die medizinische Enteignung, getarnt als Sorge um den Fötus, findet ihre juristische Parallele in dem Beschluß des Vormundschaftsgerichts Köln vom 15.03.84 (FamRZ 85, 519), das dem Ehemann einer zur Abtreibung entschlossenen Frau die rechtlichen Mittel in die Hand gab, um eine Fortsetzung ihrer (?) Schwangerschaft zu erzwingen. Mag diese Entscheidung auch im Nachhinein unhaltbar sein, so zeigt sich doch in aller Deutlichkeit die allgemeine Tendenz, über den Fötus als Rechtssubjekt die Bevormundung der Frau bis hin zur Zwangsmutterschaft zu legitimieren. 
(…)
Eine zweite Form der Herrschaftssicherung ergibt sich schon aus der unterschiedlichen Schichtenzugehörigkeit der Beteiligten. Die Zielgruppe der potentiellen Leihmütter findet sich dort, wo die Not am größten ist: erwerbslose Frauen, wahrscheinlich schon mit eigenem, gesundem Nachwuchs als Anschauungsmaterial für die Bestelleltern. Die Frau aus gehobenen Gesellschaftskreisen wird sich nicht zu einer Leihmutterschaft bereitfinden; andererseits wird sich eine Frau/ein Ehepaar mit durchschnittlichem Einkommen kaum den Luxus, eine Leihmutter zu nehmen, leisten können oder wollen. (…) Nicht nur die Nachkommenschaft einer tonangebenden Klasse wird reproduziert, sondern auch bestehende und zukünftige Herrschaftsverhältnisse gesichert; darunter fällt auch die Beherrschung der andern, eigenen Kinder der „freien Gebärarbeiterin“.4
 (…)
- 5 Zitiert nach Gena Corea: Wie durch die neuen Reproduktionstechnologien das Bordell-Modell auf die menschliche Reproduktion angewandt werden kann, in: Materialsammlung zum Kongreß „Frauen gegen Gentechnik und Reproduktionstechnik“, Teil 2, o.S. ↩
- 7 Nachzulesen bei S. Ince: Wie werde ich Leihmutter? In: Rita Arditti u.a.: Retortenmütter, Reinbek 1985, S. 76 ff. ↩
- 8 Vgl. dazu Hubbard: Kinderkriegen in den achtziger Jahren, in: Arditti u.a., a.a.O., S. 153 ff. ↩
- 9 Vgl. dazu Rowland,: Die Endlösung der Frauenfrage, in: Arditti u.a., a.a.O., S.133, 138. ↩