STREIT 2/2019
S. 56-59
BAG, § 241 Abs. 2 BGB
Aufhebungsvertrag – Widerruf wegen Missachtung des Gebots fairen Verhandelns
1. Die Einwilligung zum Abschluss eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags kann nicht gemäß § 355 BGB widerrufen werden.
2. Ein Aufhebungsvertrag ist jedoch unwirksam, wenn er unter Missachtung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen ist.
Urteil des BAG vom 07.02.2019, 6 AZR 75/18
Aus dem Sachverhalt:
Die Parteien streiten über den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses.
Die Klägerin war seit dem 1. Juli 2014 bei der Beklagten als Reinigungshilfe beschäftigt. Mit Schreiben vom 18. Mai 2015 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 22. Juni 2015, hilfsweise zum nächstzulässigen Termin. In einem an die Klägerin gerichteten Schreiben vom 20. Juni 2015, dessen Zugang zwischen den Parteien streitig ist, teilte sie mit, dass der Arbeitsvertrag bis zum 29. Februar 2016 „verlängert“ werde. Die Klägerin setzte ihre Arbeit über den 22. Juni 2015 hinaus fort.
Am 15. Februar 2016 suchte der Lebenspartner der Beklagten, welcher tatsächlich deren Geschäfte führt, die Klägerin gegen 17:00 Uhr in ihrer Wohnung auf und legte ihr einen Aufhebungsvertrag vor. Die Klägerin unterschrieb diesen Vertrag. Danach wird das Arbeitsverhältnis einvernehmlich zum 15. Februar 2016 ohne Zahlung einer Abfindung beendet. Die Klägerin erhält ihre Arbeitspapiere und bis spätestens 15. März 2016 ein wohlwollendes qualifiziertes Zeugnis. Im Übrigen sollen mit Erfüllung dieses Vertrags keine Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gegen die andere Partei mehr bestehen. Davon unberührt bleiben „zu viel bezahlte Arbeitsstunden“.
Mit Schreiben vom 17. Februar 2016 erklärte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Anfechtung des Aufhebungsvertrags wegen Irrtums, arglistiger Täuschung und Drohung. Hilfsweise werde die Zustimmung zum Vertragsschluss widerrufen. Die Beklagte hält dennoch an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Aufhebungsvertrag fest.
Hiergegen hat sich die Klägerin mit ihrer Klage gewendet. […] Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageziele weiter. […]
Aus den Gründen:
Die Revision ist begründet. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts hält zwar einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand, soweit es eine Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit des Aufhebungsvertrags verneint hat. Das Landesarbeitsgericht hat auch zutreffend erkannt, dass die Klägerin ihre auf den Abschluss des Aufhebungsvertrags gerichtete Willenserklärung nicht widerrufen konnte. Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass ein Aufhebungsvertrag unwirksam sein kann, falls er unter Missachtung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen ist. […]
1. Der Aufhebungsvertrag vom 15. Februar 2016 ist nicht deswegen unwirksam, weil die Klägerin die Annahme des entsprechenden Vertragsangebots in einem Zustand vorübergehender Störung ihrer Geistestätigkeit i.S.d. § 105 Abs. 2 Alt. 2 BGB erklärt hat und ihre Willenserklärung deshalb nichtig ist. Das Landesarbeitsgericht hat unter Berücksichtigung des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums (vgl. hierzu BAG 21. September 2017 – 2 AZR 57/17 – Rn. 38, BAGE 160, 221) rechtsfehlerfrei angenommen, der Vortrag der Klägerin sei für eine solche Annahme nicht ausreichend. Die Revision greift dies nicht an.
2. Gleiches gilt für die Ansicht des Landesarbeitsgerichts, es bestehe kein Anfechtungsgrund i.S.d. §§ 119 ff. BGB. Das Landesarbeitsgericht hat ohne revisiblen Rechtsfehler die Schilderung des Gesprächsverlaufs am 15. Februar 2016 durch die Klägerin in der mündlichen Verhandlung gewürdigt. Die Revision erhebt diesbezüglich auch keine Rügen.
3. Die hier streitbefangene Beendigungsvereinbarung ist nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB wegen unangemessener Benachteiligung der Klägerin unwirksam. Formularmäßige Abreden, die Art und Umfang der vertraglichen Hauptleistung und der hierfür zu zahlenden Vergütung unmittelbar bestimmen, sind aus Gründen der Vertragsfreiheit gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB regelmäßig von der gesetzlichen Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgenommen. Darum unterliegt in einem Aufhebungsvertrag die Beendigungsvereinbarung als solche ebenso wenig einer Angemessenheitskontrolle (BAG 8. Mai 2008 – 6 AZR 517/07 – Rn. 22) wie eine als Gegenleistung für die Zustimmung des Arbeitnehmers zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses etwaig gezahlte Abfindung (BAG 12. März 2015 – 6 AZR 82/14 – Rn. 23 mwN, BAGE 151, 108).
4. Der Klägerin steht kein Widerrufsrecht gemäß § 355 i.V.m. § 312g Abs. 1, § 312b BGB zu. Der Anwendungsbereich für diese Vorschriften ist gemäß § 312 Abs. 1 BGB nicht eröffnet. Ein Aufhebungsvertrag kann darum vom Arbeitnehmer auch dann nicht widerrufen werden, wenn er, wie vorliegend, in der Wohnung des Arbeitnehmers geschlossen worden ist. […]
5. Das Landesarbeitsgericht hat jedoch nicht geprüft, ob der streitgegenständliche Aufhebungsvertrag unter Verstoß gegen das sog. Gebot fairen Verhandelns zustande gekommen und deshalb unwirksam ist. Hierfür sind Anhaltspunkte im festgestellten Sachverhalt erkennbar. Die Feststellungen reichen jedoch nicht aus, um eine Entscheidung durch den Senat selbst zu ermöglichen. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Gefahr einer möglichen Überrumpelung des Arbeitnehmers bei Vertragsverhandlungen, z.B. weil diese zu ungewöhnlichen Zeiten oder an ungewöhnlichen Orten stattfinden, mit dem Gebot fairen Verhandelns begegnet werden (BAG 15. März 2005 – 9 AZR 502/03 – zu II 3 c der Gründe, BAGE 114, 97; 3. Juni 2004 – 2 AZR 427/03 – zu B II 3 b cc (5) der Gründe; 22. April 2004 – 2 AZR 281/03 – zu B I 2 b aa (5) der Gründe; 27. November 2003 – 2 AZR 135/03 – zu B II 3 b cc (5) der Gründe, BAGE 109, 22; vgl. bereits Däubler NZA 2001, 1329, 1334; Henssler RdA 2002, 129, 135).
Bei dem Gebot fairen Verhandelns handelt es sich im Zusammenhang mit der Verhandlung eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags um eine durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründete Nebenpflicht i.S.d. § 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB, weil der Aufhebungsvertrag ein eigenständiges Rechtsgeschäft ist (vgl. Bauer/Krieger/Arnold Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge 9. Aufl. Teil A Rn. 231 f.; Thüsing RdA 2005, 257, 269; zur culpa in contrahendo Lorenz JZ 1997, 277, 280 f.). Bei der Bestimmung der Pflichten nach § 241 Abs. 2 BGB ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich die Parteien eines Aufhebungsvertrags zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen bereits in einem Schuldverhältnis, nämlich ihrem Arbeitsverhältnis, befinden (vgl. Giesing Inhaltskontrolle und Abschlusskontrolle arbeitsrechtlicher Aufhebungsverträge S. 215). Die aus dem Arbeitsverhältnis stammenden Verpflichtungen zur wechselseitigen Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB strahlen auf die Verhandlungen bzgl. der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus (vgl. Krause Anm. EzA BGB 2002 § 312 Nr. 1 zu II 4; vgl. zu einer Anwendbarkeit von § 241 Abs. 2 BGB auch Lembke NJW 2004, 2941, 2944; Reinecke Sonderbeilage zu NZA Heft 18/2004, 27, 37).
b) Das Gebot fairen Verhandelns schützt unterhalb der Schwelle der von §§ 105, 119 ff. BGB erfassten Willensmängel die Entscheidungsfreiheit bei Vertragsverhandlungen.
aa) Nach § 241 Abs. 2 BGB kann das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten. Der Inhalt der Rücksichtnahmepflichten kann nicht in einem abschließenden Katalog benannt werden, sondern ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen (vgl. z.B. BAG 24. Oktober 2018 – 10 AZR 69/18 – Rn. 24 ff.; 27. Juni 2017 – 9 AZR 576/15 – Rn. 16; BGH 14. März 2013 – III ZR 296/11 – Rn. 25, BGHZ 196, 340). Dies gilt auch bei Vertragsverhandlungen, bei denen die Parteien durchaus gegenläufige Interessen haben können.
§ 241 Abs. 2 BGB zwingt nicht zu einer Verleugnung der eigenen Interessen, sondern zu einer angemessenen Berücksichtigung der Interessen der Gegenseite. So obliegt dem Arbeitgeber beispielsweise zwar keine allgemeine Pflicht, die Vermögensinteressen des Arbeitnehmers wahrzunehmen. Nach § 241 Abs. 2 BGB kann der Arbeitgeber aber verpflichtet sein, von sich aus geeignete Hinweise zu geben bzw. entsprechende Aufklärung zu leisten (BAG 21. Dezember 2017 – 8 AZR 853/16 – Rn. 32, BAGE 161, 245). Erteilt er Auskünfte, müssen diese richtig, eindeutig und vollständig sein (vgl. BAG 15. Dezember 2016 – 6 AZR 578/15 – Rn. 20).
bb) Bei Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags kann eine Seite gegen ihre Verpflichtungen aus § 241 Abs. 2 BGB verstoßen, wenn sie eine Verhandlungssituation herbeiführt oder ausnutzt, die eine unfaire Behandlung des Vertragspartners darstellt (vgl. Giesing Inhaltskontrolle und Abschlusskontrolle arbeitsrechtlicher Aufhebungsverträge S. 229; Kuby AiB 12/2018, 40, 41; Reinecke Sonderbeilage zu NZA Heft 18/2004 S. 27, 37). § 241 Abs. 2 BGB schützt mit den „Interessen“ nach dem Willen des Gesetzgebers ausdrücklich auch die Entscheidungsfreiheit des anderen Vertragspartners (BT-Drs. 14/6040 S. 126; Giesing Inhaltskontrolle und Abschlusskontrolle arbeitsrechtlicher Aufhebungsverträge S. 214). Die Bestimmung trägt so dem Gebot Rechnung, unzulässiger Fremdbestimmung bei der Willensbildung in der vorkonsensualen Phase wirksam zu begegnen (vgl. BVerfG 19. Oktober 1993 – 1 BvR 567/89, 1 BvR 1044/89 – Rn. 51 ff., BVerfGE 89, 214; Lorenz JZ 1997, 277, 281). Das Gebot fairen Verhandelns wird missachtet, wenn die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners in zu missbilligender Weise beeinflusst wird (vgl. Lorenz JZ 1997, 277, 281 f. und Thüsing RdA 2005, 257, 268 f., welche an die Rechtsfigur der „undue influence“ des anglo-amerikanischen Rechts anknüpfen; Krause Anm. EzA BGB 2002 § 312 Nr. 1 zu II 4). Es geht dabei nicht um ein Erfordernis der Schaffung einer für den Vertragspartner besonders angenehmen Verhandlungssituation, sondern um das Gebot eines Mindestmaßes an Fairness im Vorfeld des Vertragsschlusses (so Reinecke FS Düwell 2011 S. 410). Eine rechtlich zu missbilligende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit ist noch nicht gegeben, nur weil der eine Auflösungsvereinbarung anstrebende Arbeitgeber dem Arbeitnehmer weder eine Bedenkzeit noch ein Rücktritts- oder Widerrufsrecht einräumt (vgl. BAG 14. Februar 1996 – 2 AZR 234/95 – zu II 2 der Gründe). Auch eine Ankündigung des Unterbreitens einer Aufhebungsvereinbarung ist nicht erforderlich (vgl. BAG 30. September 1993 – 2 AZR 268/93 – zu II 8 der Gründe, BAGE 74, 281).
Eine Verhandlungssituation ist vielmehr erst dann als unfair zu bewerten, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht (vgl. Becker Die unzulässige Einflussnahme des Arbeitgebers auf die Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers am Beispiel des arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrages S. 392 ff.; Lorenz JZ 1997, 277, 282). Dies kann durch die Schaffung besonders unangenehmer Rahmenbedingungen, die erheblich ablenken oder sogar den Fluchtinstinkt wecken, geschehen (vgl. die Konstellation bei Thüringer LAG 10. September 1998 – 5 Sa 104/97 -). Denkbar ist auch die Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichender Sprachkenntnisse. Die Nutzung eines Überraschungsmoments kann ebenfalls die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners beeinträchtigen (Überrumpelung). Letztlich ist die konkrete Situation im jeweiligen Einzelfall am Maßstab des § 241 Abs. 2 BGB zu bewerten und von einer bloßen Vertragsreue abzugrenzen.
c) Liegt ein schuldhafter Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns im Sinne einer Nebenpflichtverletzung gemäß § 241 Abs. 2 BGB vor, ist der Aufhebungsvertrag im Regelfall unwirksam.
aa) Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die nach § 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB geschuldeten Rücksichts- oder Aufklärungspflichten ergeben sich aus § 280 Abs. 1 i.V.m. §§ 249 bis 253 BGB. Der Bundesgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ein Vertragspartner, der durch ein Verhandlungsverschulden geschädigt ist, regelmäßig den Ersatz des negativen Interesses verlangen kann. Er ist also so zu stellen, wie er ohne das Zustandekommen des Vertrags stünde, was grundsätzlich zu einem Anspruch auf Befreiung von dem abgeschlossenen Vertrag und damit im Ergebnis dazu führt, dass der Vertrag gemäß § 249 Abs. 1 BGB rückgängig gemacht wird (vgl. BGH 4. Dezember 2015 – V ZR 142/14 – Rn. 18; 11. Februar 1999 – IX ZR 352/97 – zu III der Gründe; 14. Januar 1993 – IX ZR 206/91 – zu II 2 b aa der Gründe; zu Leistungsverweigerungsrechten vgl. BGH 28. April 2015 – XI ZR 378/13 – Rn. 48, BGHZ 205, 117). Dies gilt wegen des Erfordernisses eines Vermögensschadens allerdings nur bei wirtschaftlich nachteiligen Verträgen (vgl. BGH 28. Juni 2017 – IV ZR 440/14 – Rn. 37, BGHZ 215, 126; zum Streitstand in der Literatur vgl.: MüKoBGB/Oetker 8. Aufl. § 249 Rn. 355; Hk-BGB/Schulze 10. Aufl. § 311 Rn. 26; BeckOGK/Rehberg Stand 1. Oktober 2018 BGB § 123 Rn. 108.1). Hierfür genügt jeder wirtschaftliche Nachteil, der für den Gläubiger mit dem aufgrund der Pflichtverletzung eingegangenen Vertrag verbunden ist (BGH 13. Dezember 2017 – IV ZR 353/15 – Rn. 14).
bb) Hat der Arbeitgeber bei den Verhandlungen über den Abschluss eines Aufhebungsvertrags das Gebot fairen Verhandelns schuldhaft verletzt, bewirkt dies keinen Anspruch des Arbeitnehmers auf Neuabschluss des Arbeitsvertrags zu den bisherigen Konditionen (aA: Burkardt Der arbeitsrechtliche Aufhebungsvertrag S. 118; Franz Der Abschluss eines Aufhebungsvertrags S. 520). Vielmehr führt der Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers wegen einer Missachtung des Gebots fairen Verhandelns unmittelbar zu einem Entfall der Rechtswirkungen des Aufhebungsvertrags und damit zu einer Fortsetzung des ursprünglichen Arbeitsverhältnisses zu unveränderten Bedingungen (vgl. Däubler/Bonin/Deinert/Däubler AGB-Kontrolle im Arbeitsrecht 4. Aufl. Einleitung Rn. 155a).
(1) Der Aufhebungsvertrag lässt den Arbeitsplatz und die damit verbundenen Verdienstmöglichkeiten entfallen. Im Regelfall bewirkt ein unfair ausgehandelter Aufhebungsvertrag für den Arbeitnehmer einen wirtschaftlichen Schaden. Vergleichbar der Vermutung aufklärungsgemäßen Verhaltens bei Verletzung von Hinweis- und Aufklärungspflichten (vgl. hierzu BAG 21. Februar 2017 – 3 AZR 542/15 – Rn. 45; MüKoBGB/Emmerich 8. Aufl. § 311 Rn. 207 ff.) kann bezogen auf die Kausalität zwischen Verhandlungsverschulden und Schaden davon ausgegangen werden, dass ein Arbeitnehmer ohne die unfaire Behandlung seine Eigeninteressen in vernünftiger Weise gewahrt und den Aufhebungsvertrag nicht abgeschlossen hätte (vgl. BAG 17. Oktober 2000 – 3 AZR 605/99 – zu II 4 e der Gründe).
(2) Zur Beseitigung des Aufhebungsvertrags im Wege des Schadensersatzes bedarf es keines Neuabschlusses des Arbeitsvertrags (vgl. BAG 18. Januar 2000 – 9 AZR 932/98 – zu I 4 b cc (1) der Gründe, BAGE 93, 179). Damit wird dem Zweck der Naturalrestitution Rechnung getragen (vgl. BGH 28. Januar 2014 – XI ZR 495/12 – Rn. 13, BGHZ 200, 110). Diese ist hier auf den Entfall der Rechtswirkung des Vertragsschlusses gerichtet. Der entgegenstehende Wille des schadensersatzpflichten Vertragspartners wird gebrochen. Folglich leuchtet es nicht ein, weshalb die Naturalrestitution ggf. erst durch Abgabe einer nach § 894 ZPO fingierten Willenserklärung erreicht werden sollte. Eine Vertragsaufhebung als Schadensersatz ist jedenfalls bei arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträgen letztlich wirkungsgleich mit einer Anfechtung (in diesem Sinne bereits BGH 24. Oktober 1996 – IX ZR 4/96 – zu 2 der Gründe). Dem steht keine Spezialität des Anfechtungsrechts entgegen. Anfechtungs- und Schadensersatzrecht sind strikt zu unterscheiden (vgl. BAG 24. Februar 2011 – 6 AZR 626/09 – Rn. 53; BGH 18. September 2001 – X ZR 107/00 – zu II 2 c aa der Gründe). Gleiches gilt im Verhältnis zu gesetzlichen Widerrufsrechten. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass sich ein Schaden in einem formal gültigen Vertragsschluss realisieren und der Geschädigte unter Anwendung von §§ 280, 249 BGB die Lösung von dem Vertrag als Naturalrestitution verlangen kann (vgl. BT-Drs. 14/6040 S. 162).
(3) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Schadensersatz bei Aufklärungspflichtverletzungen ist bezogen auf eine Verletzung des Gebots fairen Verhandelns nicht einschlägig. […]
d) Die Beweislast für einen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns und die Kausalität dieses Verstoßes für den Abschluss des Aufhebungsvertrags – unter Beachtung der in Rn. 38 dargelegten Vermutungswirkung – trägt derjenige, der sich auf eine Verletzung des § 311 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB beruft (vgl. Reinecke Sonderbeilage zu NZA Heft 18/2004, 27, 37).
e) Im vorliegenden Fall scheint es danach nicht ausgeschlossen, dass die Beklagte durch ein ihr zurechenbares Verhalten ihres Lebensgefährten am 15. Februar 2016 das Gebot fairen Verhandelns verletzt und damit die Entscheidungsfreiheit der Klägerin bzgl. des Vertragsschlusses schuldhaft beeinträchtigt hat.
aa) Träfe es zu, dass die Klägerin entgegen dem Vortrag der Beklagten nicht am Vormittag des 15. Februar 2016 um den Abschluss eines Aufhebungsvertrags gebeten hat, könnte das unangekündigte Aufsuchen der Klägerin in ihrer Wohnung zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags einer Überrumpelung gleichkommen. Hinzu käme nach dem Vortrag der Klägerin ihre an diesem Tag bestehende Erkrankung. Das Gebot fairen Verhandelns wäre schon für sich genommen – aber erst Recht in Verbindung mit einer Überrumpelung – verletzt, wenn sich die Klägerin bei den Vertragsverhandlungen erkennbar in einem körperlich geschwächten Zustand befunden und der Lebensgefährte der Beklagten diese Situation ausgenutzt hätte.
bb) Dies gilt umso mehr, wenn keine triftigen Gründe für Verhandlungen mit der Klägerin noch während ihrer Erkrankung vorgelegen hätten. Regelmäßig wird es einem Arbeitgeber bei einer Kurzerkrankung des Arbeitnehmers zumutbar sein, dessen Genesung vor der Aufnahme von Beendigungsverhandlungen abzuwarten und ihn nicht unaufgefordert in der Wohnung mit einem Aufhebungsvertragsentwurf zu konfrontieren. Diese Wertung deckt sich mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bzgl. der Ausübung des Direktionsrechts gegenüber erkrankten Arbeitnehmern. Ist ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, hat der Arbeitgeber bei der Ausübung der ihm verbleibenden Weisungsrechte wegen der latenten Gefahr einer Beeinträchtigung des Genesungsprozesses die Erteilung von Weisungen auf dringende betriebliche Anlässe zu beschränken und sich bzgl. der Art und Weise, der Häufigkeit und der Dauer der Inanspruchnahme (z.B. für Personalgespräche) am wohlverstandenen Interesse des Arbeitnehmers zu orientieren (vgl. BAG 2. November 2016 – 10 AZR 596/15 – Rn. 32 ff., BAGE 157, 153).
cc) Ob das Gebot fairen Verhandelns hier missachtet wurde, kann der Senat nicht selbst entscheiden. Hierzu fehlt es an den erforderlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts. Der Vortrag der Klägerin lässt einen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns zwar als möglich erscheinen. Da die Beklagte den Verhandlungsverlauf jedoch anders dargestellt hat, bleibt es Aufgabe des Landesarbeitsgerichts, den Parteien Gelegenheit zu abschließendem Sachvortrag zu den Bedingungen des Vertragsschlusses zu geben und diesen anschließend unter Berücksichtigung des Gebots fairen Verhandelns gemäß § 286 Abs. 1 ZPO zu würdigen.