STREIT 2/2018
S. 92-94
Bericht vom 44. Feministischen Juristinnentag in Frankfurt (Oder)
Die Entscheidung, den FJT – obschon im Wesentlichen von Berlinerinnen organisiert – nicht in Berlin, sondern in Frankfurt (Oder) abzuhalten, hatte viele Gründe: Inspiriert vom 41. FJT in Landshut, wollten die Organisatorinnen* wieder einen Tagungsort finden, an dem der FJT gebündelt stattfinden kann und sich nicht verläuft (weil alle nach den AGs noch Freunde und Clubs in Berlin besuchen). So hat das Orga-Team kurzerhand das halbe Studierendenwohnheim in Słubice reservieren lassen und somit einen gemeinsamen Übernachtungsort inklusive veganem Frühstück aus dem Hut gezaubert – denn nach den letzten FJTs war auch klar, wir brauchen mehr Platz, um nicht die Hälfte der Frauen zuhause vor dem PC an einer geschlossenen Anmeldemaske verzweifeln zu lassen. Dank der Dekanin des juristischen Fachbereichs der Universität Viadrina, Eva Kocher, waren auch die Räumlichkeiten für die Tagung schnell gefunden – ein riesiges Dankeschön noch einmal an dieser Stelle für die Ermöglichung des FJTs an der Viadrina. Dies alles ermöglichte dem aus allen Nähten platzenden FJT, den Teilnehmerinnen*zahlen gerecht zu werden, die auch in Frankfurt 350 Frauen* erreichten – wie toll zu sehen, dass wir so viele sind.
Das Rahmenprogramm am Freitag lud zu zahlreichen Erkundungen der Stadt ein. Gewählt werden konnte zwischen einer Stolpersteinführung, zwei Stadtführungen zu ‚Frauenorten‘ in Frankfurt (Oder) und einer Bootsfahrt. Zudem gab es den traditionellen Einführungsvortrag für Neueinsteigerinnen* von Sibylla Flügge und einen Vortrag zu aktuellen Entwicklungen in der feministischen Rechtswissenschaft von Ulrike Lembke.
Der Eröffnungsvortrag am Abend fand im Collegium Polonicum in Słubice statt.
Als vier der Gründerinnen des Feministischen Juristinnentages bzw. vormals Jurafrauentreffen, die Rechtsanwältinnen Malin Bode, Susanne Poetz-Neuburger, Barbara Schoen und Charlotte Spieler, kurzzeitig die Bühne „stürmten“, um zu verkünden, dass der FJT – auch wenn es der 44. ist – seinen 40. Jahrestag feiert, als sie hervorhoben, dass viele der aktuellen Themen schon vor 40 Jahren und seither immer wieder beim FJT diskutiert und in die Rechtspolitik eingebracht wurden, und dass der FJT für sie, die schon 1978 dabei waren, bis heute ein Ort der Kraft und Inspiration ist, war der Jubel groß. Nicht weniger euphorisch wurden der Inhalts- und der Orgagruppe für ihre großartige Vorbereitung gedankt.
Der Freitagabend war reichlich gefüllt, zunächst inhaltlich von Monika Platek, die als Wissenschaftlerin und feministische Aktivistin der ersten Stunde befragt von Eva Kocher über ‚Entwicklungen in der polnischen Frauenbewegung‘ berichtete. Sie führte uns anschaulich vor Augen, welches Engagement und welch langen Atem es brauchte, feministische Ansätze und Forderungen in die Rechtswissenschaft und Rechtspolitik – nicht nur in Polen – einzubringen. Danach konnten wir unsere Mägen mit Sekt, wie immer gesponsert von der STREIT, und reichlich veganem polnischen Essen füllen. Was für ein Auftakt!
Der Samstag startete mit dem Arbeitsgruppenblock I, bei dem sechs Veranstaltungen zur Auswahl standen: In der AG 1.1 ‚Opferdiskurs – zwischen Anerkennung und Instrumentalisierung‘ von Petra Ladenburger und Martina Lörsch wurde hinterfragt, ob die Verwendung des Opferbegriffs zur Verdeutlichung struktureller Gewalt gegen Frauen* und Betroffene verhindern kann, sich von negativen Zuschreibungen zu lösen oder empowernd ‚nutzbar‘ gemacht werden kann. Die AG 1.2 ‚Abtreibung in Deutschland und Polen‘ von Ulrike Lembke und Barbara Namyslowska Gabrysiak setzte sich anhand der aktuellen Debatten in Deutschland und Polen mit dem grundsätzlichen Recht auf Abtreibung und mit den notwendigen Änderungen der §§ 218 ff. StGB auseinander. AG 1.3 ‚Datenschutz als Handlungskonzept in Frauenberatungsstellen‘ von Dr. Bärbel Heide Uhl fragte, wie das Recht der Betroffenen (von Menschenhandel, häuslicher Gewalt, sexualisierter Gewalt etc.) als Datensubjekt gestärkt werden kann und wie eine zunehmende sicherheitspolitische Strategie, die bei als „gefährdet“ eingestuften Betroffenen von Menschenhandel und häuslicher Gewalt greift, mit deren Rechten als Datensubjekt ausbalanciert werden kann. AG 1.4 ‚Lesbendiskriminierung – kein Recht auf Erinnerung?‘ von Barbara Degen und der polnischen Historikerin Iwona Dadej stellte sich der Frage, wie Lesbendiskriminierung rechtstheoretisch zu fassen ist, obwohl in Deutschland kein ausdrückliches Verbot weiblicher Homosexualität existierte. Dies wurde anhand eines aktuellen Konflikts in der Gedenkstätte Ravensbrück diskutiert. Die kurzfristig hinzugefügte AG von Sabine Rechmann ‚Reform des Mutterschutzgesetzes – Änderungen und verpasste Chancen‘ stellte die alten und neuen Regelungen des Mutterschutzes synoptisch gegenüber und ging zudem auf die relevanten Änderungen im Detail ein. Die AG 1.6 ‚Wanderarbeiterinnen* in Privathaushalten‘ von Sylwia Timm spiegelte in einem Input, die Erfahrungen aus der Praxis der DGB-Beratungsstelle wieder und diskutiere, wie die Pflegearrangements geändert werden müssten, damit Pflegebedürftige und ihre Angehörigen auf ausbeuterische Arbeitsverhältnisse verzichten können.
Nach einer kurzen Kaffeepause ging es weiter im Programm mit dem Arbeitsgruppenblock II. Auch hier konnte zwischen sechs Veranstaltungen gewählt werden: Die AG 2.1 ‚Das SGB XIII: Verbesserungen für gewaltbetroffene Frauen* und Kinder?‘ von Daniela Schweigler fragte danach, inwiefern die Schwierigkeiten, denen Betroffene von häuslicher/geschlechtsspezifischer Gewalt begegnen, durch das geplante SGB XIII beseitigt werden und welche Aussichten für eine gesetzliche Verankerung eines Schutz- und Hilfeanspruchs und eine solide Finanzierung von Frauenhäusern bestehen. Diskutiert wurde im Speziellen der Entwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die AG 2.2 ‚Nebenklage im Völkerstrafrecht mit besonderem Fokus auf Sexualstraftaten – Herausforderungen und Besonderheiten‘ von Silke Studzinsky beleuchtete die Schwierigkeiten und Herausforderungen, vor denen die Nebenklage in völkerstrafrechtlichen Verfahren steht, da die Straftaten im Ausland und oft in Gebieten, in denen weiterhin Krieg herrscht, begangen wurden und sich die Verletzten häufig nicht in Deutschland befinden. In den Fokus gestellt wurde die Frage nach der Rechtswahrnehmung und einem effektiven Schutz für die Verletzten. In der AG 2.3 ‚Geschlechternormen und der gerichtliche Blick auf Kinder und Familien bei Transgeschlechtlichkeit‘ von Laura Adamietz wurde aus der gerichtlichen Praxis berichtet und diskutiert, wie die Normalvorstellungen der Gerichte von Geschlecht/Geschlechtlichkeit erschüttert werden können, um den Interessen möglichst aller Beteiligten gerecht zu werden. Der doch recht frustrierende Einblick in die gerichtliche Praxis spornte uns an, noch über die AG hinaus an einer Fachstellungnahme zu den Themen ‚dritte Option‘ und Transgeschlechtlichkeit zu feilen und eine Stellungnahme inklusive Forderungen zu Papier zu bringen. Die AG 2.4 ‚(Über-)Gewichtsdiskriminierung‘ von Stephanie von Liebenstein führte in die ‚Fat Studies‘ ein und gab einen Überblick über den rechtlichen Schutz vor Gewichtsdiskriminierung. Zudem wurde die Frage diskutiert, wie der rechtliche Diskriminierungsschutz für dicke Menschen, speziell dicker Frauen*, verbessert werden kann. AG 2.5 ‚Hate Speech – Chancen und Risiken von Content Regulierung 2017‘ von Julia Krüger beschäftigte sich, in Fortsetzung des Forums zu Hate Speech des FJT 2017, mit konkreten Hate Speech-Bekämpfungsstrategien und ihren Problemen. Zudem wurde das im Juli verabschiedete Netzwerkdurchsetzungsgesetz kritisch analysiert. Die AG 2.6 ‚Homophobe Straftaten‘ von Ines Karl zeigte auf, dass innerhalb der LSBTTIQ*-Communities nur eine geringe Bereitschaft besteht, Straftaten anzuzeigen, und befasste sich mit den Gründen und Lösungsansätzen dafür.
In der Mittagspause konnte erneut vegan geschlemmt werden und es gab auch Zeit für einen Spaziergang auf der wunderschönen Oderinsel neben dem Universitätsgebäude. Am Nachmittag konnte dann zwischen drei Veranstaltungen gewählt werden. Das Forum 1 ‚Rassismus in der Justiz‘ fragte, wie Rassismus von verschiedenen Positionen aus (als Anwältin, Richterin, Partei, Aktivistin oder Wissenschaftlerin) thematisiert werden kann und welche institutionellen Veränderungsmöglichkeiten es gibt, um einen Wandel anzustoßen. Das zweite Forum zum Thema ‚Feministische strategische Prozessführung gegen Wirtschaftsunternehmen‘ fragte, wie strategische Prozessführung als juristisches Mittel im feministischen Sinne in Bezug auf die Themen Entgeltgleichheit, Gender Pricing und im Bereich globaler Arbeits- und Menschenrechte fruchtbar gemacht werden kann. Das dritte Forum unter dem Titel ‚finanzielle Lebenssituation nach Trennung und Scheidung – Trennungsunterhalt, Kindesunterhalt, SGB II‘ ging der Frage nach, wie sich Betreuungsregelungen auf die Höhe des Trennungs- bzw. nachehelichen Unterhalt, des Kindesunterhaltes und gegebenenfalls auf Sozialleistungen auswirken.
Bevor es im Zwischenplenum (ganz in FJT-Tradition) ‚ans Eingemachte ging‘, konnte Frau* sich noch mit Kaffee und Kuchen stärken. Im Zwischenplenum zeigte sich dann die Themenvielfalt des FJTs und wie produktiv wir bereits waren. Zahlreiche Fachstellungnahmen und Resolutionen, die zuvor in den einzelnen AGs und Foren erarbeitet worden waren, wurden vorgestellt und als Resolutionen des gesamten FJT oder als Fachstellungnahmen von mindestens 40 Unterzeichner*innen verabschiedet (in dieser Ausgabe nachstehend abgedruckt). Nachdem einige hitzige inhaltliche und strukturelle Debatten entbrannten, wurde erneut klar, wie wichtig das Zwischenplenum für den Austausch auf dem FJT ist – wie immer mussten aus Zeitmangel viele Diskussionen aufs Abschlussplenum und Privatgespräche nach dem Plenum vertagt werden.
Gelegenheit, im Freien bei warmem Sommerwetter ausgelassen zu debattieren, sich auszutauschen, sich über das reichhaltige vegane Buffet zu freuen und einfach mal abzutanzen, gab es dann bei der Abendveranstaltung im ‚Frosch‘. Neu war, dass Professorinnen auflegten – unvergesslich dabei vor allem die Referentin des Eröffnungsvortrags Monika Platek – bevor eine professionelle DJane übernahm.
Am Sonntag standen Workshops und Foren zum Austausch auf dem Plan. Gewählt werden konnte zwischen sechs Themen: Unter dem Titel ‚feministisch Bloggen‘ wurde sich darüber ausgetauscht, wie man im Netz sein feministisches Gesicht zeigen kann, auf was geachtet werden sollte, und wie Frau* sich das Netz in Form von Blogbeiträgen aneignen kann. Beim Workshop ‚feministisch Lehren‘ wurden Möglichkeiten feministisch und diskriminierungskritisch zu lehren aufgezeigt. In der Austausch-AG ‚Anwältinnen* im Wirtschaftsrecht‘ wurde diskutiert, wie es sich als feministische Anwältin im Wirtschaftsrecht arbeitet und wie Selbstverständnis und beruflicher Alltag in Einklang gebracht werden können. In dem Workshop 4 ‚Wie gründe ich ein feministisches Anwältinnen*kollektiv?‘ wurde ein Einblick in die Voraussetzungen der Gründung eines Anwältinnen*büros in Form eines Kollektivs gegeben. Im der Austausch-AG ‚How to… mit Jura emanzipativen Aktivismus selber machen?!‘ stand die Frage im Mittelpunkt, wie mit juristischer Fachkompetenz politischer Aktivismus mitgestaltet werden kann. Es wurden Strategien, Möglichkeiten und Grenzen diskutiert. Der Workshop 6 ‚Machtstrukturen in Organisationen‘ informierte zum Thema Machtquellen ‚Person‘ und ‚Position‘ und lud die Teilnehmerinnen* ein zu reflektieren, was geschieht, wenn Macht nicht ausgefüllt wird.
Ich entschied mich für Workshop 5 zu politischem Aktivismus und für mich zeigte sich wieder einmal, wie wichtig der Austausch mit anderen Frauen* ist und vor allem, wie empowernd es sich anfühlt, mit anderen Frauen über Erfahrungen und Ideen zu sprechen.
Am Sonntagmittag kamen dann alle Frauen zum Abschlussplenum im Auditorium Maximum zusammen. Diskutiert wurde, ob die steigende Teilnehmerinnen*zahl nach strukturellen Veränderungen im Hinblick auf das Abstimmungssystem verlangt. Zudem wurden die Fragen, ‚wie weiß der FJT ist‘ und wie ‚blind der FJT für sein weiß-sein ist‘, debattiert. Dies ist wohl keine neue Debatte, aber eine, der sich auf dem FJT erneut zugewandt werden muss. Diese ernstzunehmenden Fragen als Herausforderung anzunehmen, sie nicht als Niederlage, sondern als Chance zu sehen, wird die große Aufgabe des FJT 2019 sein.
Der Blick auf 2019 brachte uns abschließend zur alles entscheidenden Frage: Wohin geht es im nächsten Jahr?! – Die anwesenden Freiburgerinnen* nahmen die Herausforderung für 2019 ohne Zögern an und somit steht fest: wir sehen uns im Mai 2019 in Freiburg wieder. Ich persönlich freue mich schon darauf, für hitzige Debatten, informativen Austausch und empowernde Workshops in den Süden zu fahren!
Lena Mobers, Berlin