STREIT 2/2018
S. 94-96
Resolutionen und Fachstellungnahmen des 44. FJT in Frankfurt (Oder)
Resolutionen
Forum 3: Finanzielle Lebenssituation nach Trennung und Scheidung – Trennungsunterhalt, Kindesunterhalt, SGB II
Abschaffung der temporären Bedarfsgemeinschaft im SBG II / Forderung nach einem Umgangsmehrbedarf im SGB II
Wir fordern die Abschaffung der sogenannten temporären Bedarfsgemeinschaft, das heißt das dem Kind zustehende Sozialgeld soll vollständig an die Bedarfsgemeinschaft des Elternteils gezahlt werden, bei dem das Kind sich überwiegend aufhält. Die tageweisen Abzüge beim überwiegend betreuenden Elternteil gehen nicht mit entsprechenden Einsparungen bei den Lebensunterhaltskosten einher, denn Kosten für Bekleidung, Wäsche waschen, Einrichtung, Spielzeug und andere laufende Kosten fallen weiterhin an. Erhöhte Lebensunterhaltskosten beim Umgangselternteil sollen über einen pauschalen Anspruch auf einen Umgangsmehrbedarf im SGB II geregelt werden.
AG 1.4: Lesbendiskriminerung: Kein Recht auf Erinnerung?
Der 44. Feministische Juristinnentag in Frankfurt (Oder) vom 11. bis 13.05.2018 stellt fest, dass verfolgte lesbische Frauen und Mädchen im Konzentrationslager Ravensbrück und Uckermark interniert wurden. Die Gründe der Verfolgung waren vielschichtig.
Der FJT fordert den Stiftungsbeirat der Brandenburgischen Gedenkstätten auf, der in 2015 erstmals aufgestellten und inzwischen entfernten Gedenkkugel für lesbische Frauen und Mädchen wieder einen würdigen Platz am Gedenkort in Ravensbrück zu geben.
AG 1.5: Das neue Mutterschutzgesetz
Bußgeld für Arbeitgeber*innen
Der 44. FJT fordert den „Ausschuss für Mutterschutz“ beim BMFSFJ (§ 30 MuSchG n.F.) auf, gemäß § 30 Abs. 3 Nr. 3 MuSchG dafür Sorge zu tragen, dass der Verstoß gegen das Kündigungsverbot nach § 17 MuSchG in den Bußgeldkatalog des § 32 MuSchG aufgenommen wird.
Begründung:
Die Kündigung durch die Arbeitgeber*innen einer Schwangeren ist unwirksam. Sie wird aber leider oftmals dadurch wirksam, dass sich die Schwangeren aufgrund von finanziellen oder sozialen Barrieren nicht in der Lage sehen, gerichtlich gegen die Kündigung vorzugehen.
In der anwaltlichen Praxis zeigt sich zudem oft ein strukturelles und zielgerichtetes Vorgehen der Arbeitgeber*innen, sich trotz klarer gesetzlicher Regelungen der schwangeren Arbeitnehmer*innen zu „entledigen“ (unwirksame Kündigung, Aufhebungsverträge, gerichtliche Vergleiche, insg. zielgerichtetes Mürbemachen der Schwangeren, etc.).
Wir fordern daher eine vom persönlichen Tätigwerden der Schwangeren abgekoppelte und im Gesetz verankerte Sanktionsmöglichkeit im Bußgeldkatalog des § 32 MuSchG.
AG 2.1: Soziales Entschädigungsrecht – Das geplante SGB XIII: Verbesserungen für gewaltbetroffene Frauen* und Kinder?
Forderungen zum Entwurf eines SGB XIII
I. Gewaltbegriff
Die geplante Neuregelung zu mittelbar Gewaltbetroffenen (§ 14 SGB XIII-E) muss weiter gefasst werden, das Merkmal des „Mitansehens“ muss zumindest zum „Miterleben“ erweitert werden.
Der Begriff der psychischen Gewalttat (§ 13 SGB XIII-E) muss auch Formen psychischer Gewalt umfassen, die nicht „unmittelbar gegen die freie Willensentscheidung“ gerichtet sind. Insbesondere neuere digitale Formen geschlechtsbezogener Gewalt („Cyber Harassment“ / „Revenge Porn“) sollten vom Sozialen Entschädigungsrecht umfasst sein.
II. Beweisprobleme
Die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG – im Arbeitsentwurf § 89 SGB XIII-E – sollte gestärkt werden. Aussagepsychologische Gutachten, wie sie in Strafverfahren verwendet werden, dürfen im Sozialen Entschädigungsrecht nicht zur Abwehr plausibler und schlüssiger Schilderungen gewaltbetroffener Frauen* eingesetzt werden.
III. Leistungsausschlüsse
Leistungsausschlüsse, die Frauen* Leistungen versagen, weil sie in einer gewalttätigen Beziehung ausharren oder keine Strafanzeige erstatten, müssen abgeschafft werden. Der geplante neue Leistungsausschluss für Fälle, in denen die Leistung an das Opfer dem Schädiger wirtschaftlich zu Gute käme, ist abzulehnen.
IV. Leistungen an ausländische Staatsangehörige
Opfer von Frauenhandel und Zwangsprostitution müssen auch bei unrechtmäßigem Aufenthalt einen gesicherten Entschädigungsanspruch haben. Die Härtefallregelung im Arbeitsentwurf ist in diesen Fällen als Ermessensregelung unzureichend.
V. Finanzierung von Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen
Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen brauchen eine solide Objektfinanzierung unabhängig von individuellen Rechtsansprüchen der betroffenen Frauen* im SGB II und im SGB XII. Das SGB XIII ist der richtige Ort zur Regelung eines Anspruchs auf niedrigschwelligen kostenlosen Zugang zu Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen, wie ihn die Istanbul-Konvention verlangt.
VI. Unabhängige Beratung
Das Fallmanagement (§ 26 SGB XIII-E) darf kein Ersatz für kompetente unabhängige Beratung sein. Das SGB XIII sollte – ähnlich wie das Bundesteilhabegesetz – unabhängige Beratung für gewaltbetroffene Frauen* fördern.
Fachstellungnahmen
AG 2.3: Geschlechternormen und der gerichtliche Blick auf Kinder und Familien bei Transgeschlechtlichkeit
Der 44. FJT fordert ein Gesetz zu einem selbstbestimmten Geschlechtseintrag
Im Anschluss an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 2017 zur Dritten Option fordert der 44. FJT vom Gesetzgeber, bis zum Jahresende 2018 ein Gesetz zu schaffen, das die selbstbestimmte Eintragung und Änderung der Geschlechtsangabe im Personenstandsrecht ermöglicht.
Um eine möglichst selbstbestimmte Entwicklung der Geschlechtsidentität für alle Menschen zu gewährleisten, empfiehlt der 44. FJT, den Geschlechtseintrag nach der Geburt für alle Menschen offen zu lassen. Im Laufe des Lebens besteht entsprechend der Geschlechtergrundrechte aus Art. 1, 2 und 3 GG die Möglichkeit, nach dem neu einzuführenden Gesetz eine Geschlechtsangabe eintragen und auch wieder ändern zu lassen.
Bei der Eintragung sind neben einem weiblichen und männlichen Geschlechtseintrag weitere Optionen zu ermöglichen. Der FJT befürwortet eine Regelung, die Raum lässt für selbst gewählte positive Bezeichnungen. In jedem Fall ist eine Sammelbezeichnung, die sprachlich eine Normabweichung reproduziert, wie zum Beispiel „anderes“, zu vermeiden.
Die spätere Eintragung oder Änderung des Geschlechtseintrags muss allein aufgrund der Selbstidentifikation möglich sein. Sie darf weder von Gutachten, Gerichtsverfahren oder Nachweisen noch der körperlichen Konstitution abhängig gemacht werden.
Außerdem muss sichergestellt werden, dass alle Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben, unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft ihr Grundrecht auf eine selbstbestimmte Geschlechtsidentität wahrnehmen können.
Darüber hinaus sind altersspezifische Zugänge zu schaffen, die eine Selbstbestimmung in jedem Alter ermöglichen. Die volle Geschlechtsmündigkeit hat vergleichbar mit der Regelung zur Religionsmündigkeit spätestens mit 14 Jahren einzutreten. Auch vorher schon sind Regelungen zu finden, die Einschränkungen der geschlechtlichen Selbstbestimmung der Kinder durch die Eltern und das Umfeld strukturell begegnen.
Der 44. FJT fordert einen umfassenden Diskriminierungsschutz, um die neuen Eintragungsmöglichkeiten schützend zu flankieren. Insbesondere sind datenschutzrechtliche Belange zu regeln (strafbewährtes Offenbarungsverbot, Änderung von geschlechtsspezifischen Nummern im Sozialrecht). Zur Implementierung dieser Rechte bedeutet Diskriminierungsschutz auch, dass alle an den Verfahren beteiligten staatlichen Stellen und darüber hinausgehend Akteure wie Beratungsstellen etc. themenspezifische Fortbildungen erhalten. Wir fordern darüber hinaus Peer-to-Peer-Beratungen zu stärken und sehen den Staat in der Verpflichtung, deren ausreichende Finanzierung sicherzustellen.
Geschlechtervielfalt braucht zugleich mehr als passende Papiere. Das Recht auf körperliche Integrität ist durch das Verbot geschlechternormierender Operationen, insbesondere an Kindern zu wahren. Gleichzeitig muss der kostenfreie Zugang zu gewünschten körperlichen Modifikationen garantiert werden.
Schließlich müssen Fragen, die mit dem Geschlechtseintrag zusammenhängen, derart umgestaltet werden, dass die Regelungen – nicht nur sprachlich, sondern auch strukturell – geschlechtsneutral werden. Für das Elternrecht bedeutet dies beispielsweise, dass die Eintragung grundsätzlich als „Elternteil“ erfolgen soll.
Das eindeutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts bietet aktuell einen guten Anlass, durch eine solide Neuregelung des Geschlechtseintrags und seiner Folgen weitere Rechtsunsicherheit zu beenden und den verbrieften Grundrechten Rechnung zu tragen. Andernfalls ist bereits jetzt absehbar, dass eine unzureichende Teilregelung einen Flickenteppich von Folgerechtsprechungen provozieren wird.
Eine Neuregelung ist also nicht nur verfassungsrechtlich geboten, sondern schlicht zwingend notwendig, um gesellschaftlichen Realitäten zu ihrem Recht zu verhelfen.
AG 2.4: (Über-)Gewichtsdiskriminierung
Der 44. FJT vom 11.-13. Mai 2018 in Frankfurt (Oder) fordert:
„Gewicht“ ist als Benachteiligungsmerkmal ins Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) aufzunehmen.
Begründung:
Frauen sind in besonderem Maße betroffen von normativen Geschlechterrollenerwartungen. Über 75 % der Deutschen haben stigmatisierende Vorurteile gegenüber dicken Menschen. Gewichtsdiskriminierung ist eine Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, wird aber juristisch bislang nicht adressiert. Auch wird das Merkmal „Gewicht“ von keinem anderen bislang bestehenden Benachteiligungsmerkmal im AGG erfasst.