STREIT 3/2023
S. 137-139
Bericht zum 47. Feministischen Juristinnen*tag 2023 in Frankfurt a.M.
Der Tagungsort des 47. Feministischen Juristinnentags im Jahr des Jubiläums zum 40-jährigen Bestehen der STREIT hätte mit Frankfurt am Main, dem Gründungs- und Verlagsort der Zeitschrift, nicht besser gewählt werden können. Die Frankfurt University of Applied Sciences öffnete ihre Türen für die rund 330 Teilnehmerinnen, denen ein spannendes Programm geboten wurde. Ich war zum ersten Mal dabei und freute mich auf den Input und den spannenden Austausch mit anderen feministischen Juristinnen. Dass dies wohl auch vielen Anderen so ging, zeigt sich schon an den Anmeldezahlen. Knapp 500 Personen hatten sich angemeldet – ein fantastisches Zeichen für die feministische Rechtswissenschaft. Aus Kapazitätsgründen musste die Anzahl der Teilnehmerinnen jedoch leider begrenzt werden.
Den Auftakt des FJT bildeten die Einführungs-AGs und alternativ ein Kulturprogramm mit Führungen durch die Stadt und Ausstellungen. Für Neulinge wie mich wurde die Einführung in den FJT für Neueinsteigerinnen angeboten, bei der RAin Heike von Malottki und RAin Sabine Rechmann die Geschichte und Struktur des FJT vorstellten und von ihren eigenen Erfahrungen der letzten Jahre berichteten. Der Hörsaal war mit über 60 Neueinsteigerinnen komplett gefüllt. Als eine kurze Diskussion um den Adressatinnenkreis aufkam, erwies sich die selbstorganisierte Struktur des FJT als praktisch. Die Anmerkungen wurden konstruktiv aufgenommen und auf das Plenum des FJT verwiesen, in das jede Teilnehmerin Themen zur Diskussion und Abstimmung einbringen kann.
Im Anschluss folgte die Einführungs-AG: Kontroverse feministische Debatten mit Prof. Dr. Lena Foljanty und Prof. Dr. Ulrike Lembke. Nach einem Input zu den unterschiedlichen feministischen Strömungen fanden sich die Teilnehmerinnen* in Themengruppen zusammen und tauschten sich über die Bedeutung der Feminismen für ihren Themenbereich aus.
In großer Runde kamen wir erstmals bei der Eröffnungsveranstaltung am Freitagabend zusammen, die in diesem Jahr auch Anlass sein sollte, das 40-jährige Bestehen der Feministischen Rechtszeitschrift STREIT zu feiern. Der Abend, der von RAin und Notarin Dr. Laura Adamietz moderiert wurde, wurde musikalisch begleitet von Helen Hofmann, die das volle Audimax mit wunderschönen Klängen aus ihrem Saxophon beschwingte.
Festrednerin Dr. Birgit Schweikert vom BMFSFJ trat zu Ehren der feministischen Rechtszeitschrift stilsicher mit blauem Hosenanzug und silbernem Pailettentop auf die Bühne – blau und silber, die Farben des Titelblatts der STREIT. Sie erinnerte sich noch gut an die Zeiten zu Beginn der STREIT: „Man las NJW und war wahnsinnig objektiv und staatstragend.“ Die STREIT war anders, vergrößerte den Denkraum und begleitete gesellschaftliche Themen wie Schwangerschaftsabbruch und Schutz vor geschlechtsbezogener Gewalt auf allen Ebenen. Das tut sie auch heute noch und stellt dabei auch die tatsächliche Rechtsdurchsetzung in den Fokus. Die Rede endete mit großem Applaus und der Bitte, die Redakteurinnen der STREIT mögen so weitermachen. Eine Bitte, die ich an dieser Stelle ausdrücklich bestärken möchte.
Das Inhaltsteam hatte sich als Geschenk etwas besonders Kreatives ausgedacht. Den anwesenden Gründerinnen und Redakteurinnen der STREIT und dem Organisationsteam des FJT wurde eine Tomatenpflanze überreicht in Erinnerung an den Tomatenwurf von 1968 bei der Delegiertenkonferenz des SDS in Frankfurt. Der Tomatenwurf von Sigrid Damm-Rüger in Richtung des Vorstandstischs war eine Reaktion auf die Weigerung der SDS-Männer, die Diskriminierung von Frauen, wie in der Rede von Helke Sander aufgeworfen, zu diskutieren und gilt als Startpunkt für die zweite Welle der Frauenbewegung in Westdeutschland.
Einen weiteren Höhepunkt des Abends bildete die Live-Aufzeichnung des DJB-Podcasts „Justitias Töchter“ mit Selma Gather und Prof. Dr. Dana-Sophia Valentiner. Im Gespräch mit den STREIT-Redakteurinnen Rechtsanwältinnen Malin Bode, Susette Jörk und Zümrüt Turan-Schnieders wurde nicht nur die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Zeitschrift umrissen, sondern auch die Praxis feministischer Rechtswissenschaft. Auf die aktivistischen Anfänge der Zeitschrift spielte auch die vonseiten des diesjährigen Inhaltsteams organisierte „Liebeserklärung“ an die STREIT-Redaktion an, die mit einer „Erstürmung“ des Audimax mit Bannern und Flyern eingeleitet wurde und schon bald ins gemeinsame Singen des (u.a.) in der Frauenbewegung bekannten Liedes „Unter dem Pflaster liegt der Strand“ von der Gruppe „Schneewittchen“ mündete. Seinen Ausklang fand der fulminante Abend mit einem Champagnerempfang auf Einladung der STREIT, bei dem eine passend zum 40. Geburtstag der STREIT dekorierte Torte angeschnitten wurde.
Der Samstag startete mit AG Schiene 1, in der sieben verschiedene Themenbereiche angeboten wurden.
In der ersten AG mit dem Thema Entgeltgleichheitsgesetz berichtete die Prozessvertreterin der Klägerin RAin Susette Jörk von dem aktuellen und viel beachteten Verfahren vor dem BAG zur Entgeltgleichheit, bei dem das BAG entschied, dass Equal Pay keine Verhandlungssache ist. Dabei ging es auch um einen Ausblick auf künftige Fallgestaltungen und anstehende gesetzliche Regelungen. Ganz aktuelle Fragestellungen wurden auch bei Algorithmic Bias – Diskriminierung durch intelligente Systeme mit Prof. Dr. Elisabeth Greif behandelt. Die Teilnehmerinnen diskutierten, wie ein Bias durch KI und Algorithmen entsteht und welche Möglichkeiten bestehen, Biases und Diskriminierungen entgegenzuwirken. Nach einem ersten Input von Dr. Sué Gonzáles Hauck zu Materialistischer Rassismuskritik im deutschen Recht reflektierten die Teilnehmerinnen der AG, inwiefern sich in ihren eigenen Arbeiten Wechselwirkungen zwischen Recht und Ressourcenverteilung ergeben und kamen im Anschluss darüber ins Gespräch. Prof. Dr. Marei Pelzer und RAin Lena Ronte zeigten in ihrer AG zur Nichtanerkennung frauenspezifischer Verfolgung im Asylverfahren auf, dass frauenspezifische Gewalt als Verfolgungsgrund im Asylgesetz bislang nicht anerkannt ist und es hier dringend einer Änderung bedarf. Nina Fraeser, RA*in Ronska Grimm und Janika Kepser warfen spannende Fragen zu Transformative Justice auf: Welchen Zweck verfolgt Strafe eigentlich? Wie kann die Hilfe für Betroffene von Sexualdelikten aussehen? Wo setzt Transformative Justice strukturell an? Mit der Neuregelung des Abtreibungsrechts beschäftigte sich die AG mit Prof. Dr. Susanne Dern, Céline Feldmann und Prof. Dr. Maria Wersig, in der zunächst auf die aktuelle Rechtslage eingegangen wurde, bevor Alternativen zur Strafbarkeit aufgezeigt wurden. RiAG a.D. Sabine Heinke und RAin Barbara Steiner aus Wien zeigten zunächst rechtsvergleichend die Rechtslage zu Gewaltschutzanordnungen in Deutschland und Österreich auf. Im Anschluss wurden Probleme bei der Vollstreckung von Gewaltschutzanordnungen und verschiedene Vorschläge dazu diskutiert.
Nach einer Stärkung mit Kaffee und Gebäck ging es weiter mit den Foren. Auch hier konnte aus verschiedenen Bereichen ausgewählt werden.
In Forum I berichteten unter Moderation von Prof. Dr. Marei Pelzer die nach der Machtübernahme der Taliban evakuierten und nun in Deutschland lebenden afghanischen Juristinnen Dr. Alema Alema, Sajia Behgam und Arezu Rezae über ihre Erlebnisse und die Rechte von Frauen und Mädchen in Afghanistan. Das Thema feministische Perspektiven auf das europäische und deutsche Digitalrecht beschäftigte Forum II und wurde von Victoria Guijarro Santos, Francesca Schmidt und RAin Anke Stelkens geleitet und von Nina Grasse moderiert. In Forum III gingen Sué González Hauck, Prof. Dr. Anna Katharina Mangold, RAin Zümrüt Turan-Schnieders, Pia Storf und andere Teilnehmerinnen des FJT im Fishbowl-Format der Frage nach, was Identitätspolitik bedeutet und wie mit Ausschlüssen – auch in Zusammenhang mit feministischen Räumen wie dem FJT – umgegangen werden kann. Damit hat das Forum Kernfragen aufgeworfen, die den FJT und alle Feministinnen aktuell und wohl auch zukünftig beschäftigen (werden). In Forum IV, moderiert von Aranka Vanessa Benazha, mit RAin Velislava Firova, Agnieszka Skwarek und Dr. Maria Sagmeister aus Wien haben sich die Teilnehmerinnen mit Problemen der Live-In-Betreuung durch Arbeitsmigrantinnen auseinandergesetzt.
In der Mittagspause konnten die Teilnehmerinnen* bei gutem Wetter und mit veganem Chili ins Gespräch kommen, bevor es in der zweiten AG-Schiene mit spannenden Vorträgen weiterging. Auch hier konnte wieder zwischen sieben Themen gewählt werden.
Lena Markart-Bahreini und Anosha Wahidi stellten in ihrer AG den Inhalt und die Hintergründe des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes dar. In der AG mit Ronja Heß und RAin Inken Stern beschäftigten sich die Teilnehmerinnen mit der Entwicklung und dem aktuellen Gesetzesentwurf des Selbstbestimmungsgesetzes. In der AG Jin, Jiyan, Azadî! — Feministische Proteste in Iran mit Mariam Claren wurde die Geschichte der iranischen Frauenbewegung bis hin zu den aktuellen Protesten beleuchtet. In einer im Anschluss abgestimmten Resolution solidarisiert sich der FJT mit der feministischen Revolution in Iran. Auf besonders großen Andrang stieß die AG Feminist Judgements mit Prof. Dr. Susanne Baer, Dr. Petra Sußner und Ida Westphal, die ich ebenfalls besuchte. Den Teilnehmerinnen wurden Feminist Judgement Projekte verschiedener Länder vorgestellt. Im Gegensatz zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Gerichtsentscheidungen in Form von Artikeln über die Entscheidungen, werden die Gerichtsentscheidungen selbst aus anderen Perspektiven (z.B. feministisch, antirassistisch) innerhalb des geltenden Rechtsrahmens umgeschrieben. Mit Hilfe einer performativen Einlage und Entscheidungsverlesung durch Prof. Dr. Susanne Baer wurde das Verfahren an einem Beispiel verdeutlicht. Mit „RE:LAW“ startet an der HU Berlin nun ein deutsches Projekt, an dem sich viele Teilnehmerinnen gerne beteiligen möchten. Eine weitere AG beschäftigte sich mit Gewaltschutz in besonderen Wohnformen für Frauen mit Behinderungen. RAin Ronska Grimm und Prof. Dr. Julia Zinsmeister schilderten dabei Praxisbeispiele, um die schwerwiegenden Problemlagen deutlich zu machen. Mit Glaubhaftigkeitsgutachten vor Gericht setzen sich die Diplompsychologinnen Catalina Körner und Anne Roth in ihrer AG auseinander.
Es folgte eine weitere Kaffeepause vor dem folgenden kurzen Zwischenplenum. Im Zwischenplenum wurden Fachstellungnahmen vorgestellt, die sich aus den AGen und Foren entwickelt haben. Es wurden Fachstellungnahmen zur Vollstreckung von Gewaltschutzanordnungen, Gewaltschutz in besonderen Wohnformen für Frauen mit Behinderung, dem Selbstbestimmungsgesetz und zur häuslichen Rund-um-die-Uhr-Betreuung vorgestellt. Darüber hinaus wurden Resolutionen zu den bundes- und europarechtlichen Vorhaben im Digitalrecht, zur feministischen Revolution in Iran und zu den Forderungen der afghanischen Frauen verabschiedet.
Nach einer Verschnaufpause fand der zweite Tagungstag seinen Abschluss mit einer Party im „Café Kotz“, der Studierendenbar an der Goethe-Universität Frankfurt. Leider konnte ich krankheitsbedingt nicht teilnehmen, habe mir aber berichten lassen, dass das gemeinsame Feiern im Studierendenhaus auf dem früheren Uni-Campus – „wie immer“ – sehr viel Spaß gemacht hat. Nachdem sich alle am Buffet gestärkt hatten, spielte zunächst das Jazz Sisters Quartett zum Tanz auf und Katharina Kellermann aus der Gruppe Swosh-Lieu sorgte als DJane bis weit nach Mitternacht für Stimmung. Auch hier hatte sich die Inhaltsgruppe nochmals ein Geschenk für die Redaktion der STREIT ausgedacht: die Redakteurinnen wurden aufgefordert, mit Pappschwertern einen Drachen zu köpfen, aus dem sich dann eine Flut von Bonbons und „Liebeserklärungen“ von Teilnehmerinnen* ergoss.
Der letzte Tag des FJT wurde mit den Workshops eingeleitet. Auch hier bestand die Auswahl aus vier verschiedenen Bereichen. Mit dem Empowerment-Workshop von Shivā Amiri wurde ein exklusiver und sicherer Raum für Menschen mit Rassismuserfahrungen kreiert – es zeigte sich, dass die Teilnehmerinnen sich solche Rückzugsräume während des gesamten FJT wünschen. Eine rassismuskritische Perspektive auf Hochschule als weiße Ausbildungsinstitution der Rechtswissenschaften lieferte Tủ Quynh-Nhu Nguyển im zweiten Workshop. Im dritten Workshop berichteten die feministischen Anwältinnen Lucy Chebout, Christina Clemm, Ina Feige und Waltraut Verleih über die Herausforderungen der Selbstständigkeit, pro bono Mandate und ihre feministischen Überzeugungen im Rahmen ihrer Tätigkeit. Laura Ablondi, Fiona Behle und Sophia Stelzhammer gingen in ihrem Workshop „Bildet Banden“ auf die feministische Arbeit an juristischen Fakultäten und die häufig fehlende Repräsentation ein und zeigten dabei bestehende Programme und weitere Perspektiven auf. Der Workshop zur Lebensrealität von Juristinnen mit Behinderungen wurde von den daran Interessierten durchgeführt, obwohl Ri Nancy Faser leider kurzfristig hatte absagen müssen. Die Teilnehmenden äußerten den Wunsch, dass die künftigen Feministischen Juristinnentage ihre Themen und die Möglichkeit der Vernetzung weiterführen.
Seinen Abschluss fand der 47. FJT schließlich am Sonntag mit dem Abschlussplenum. In diesem Rahmen wurde noch einmal deutlich die Frage nach der Zugänglichkeit des FJT gestellt und die Notwendigkeit erkannt, sich hiermit für künftige Veranstaltungen noch einmal intensiv zu befassen – ein Thema, das an verschiedenen Punkten während des FJT eine Rolle spielte und auch diskutiert wurde. Es wurde beschlossen, dass für das folgende Jahr eine „Strukturgruppe“ gebildet werden soll, die sich mit verschiedenen Aspekten der Zugänglichkeit des FJT beschäftigt und Vorschläge ausarbeitet, wie der FJT in dieser Hinsicht verbessert werden kann. Außerdem sollen Empowerment-Workshops den nächsten FJT begleiten, der 2024 in Berlin stattfinden wird.
Ein Aspekt, den die Strukturgruppe aus meiner Sicht ebenfalls aufgreifen könnte, wäre die Frage, wie Veranstaltungen gestaltet werden können, die einerseits eine wissenschaftliche Fundierung haben, andererseits aber auch praxisorientiertere Fragestellungen aufgreifen, um Praktikerinnen, Wissenschaftlerinnen sowie Studierenden die Inhalte nahe zu bringen. Insgesamt war das Wochenende für mich eine sehr positive Erfahrung mit spannenden Anregungen und tollem Austausch mit ganz wundervollen Kolleginnen*. Ich bin gespannt auf den FJT 2024 in Berlin und hoffe sehr, dass ich erneut teilnehmen kann.