STREIT 1/2024

S. 46-47

Bericht zur Umsetzung der Istanbul- Konvention in Deutschland (Auszug)

1. Psychische Gewalt (Artikel 33)

237. Im deutschen Recht gibt es keinen spezifischen Straftatbestand, der den Tatbestand psychischer Gewalt erfasst. Diese, in Situationen häuslicher Gewalt häufig vorkommende Form der Gewalt, kann unter die Straftatbestände Nötigung, Bedrohung, Körperverletzung, Stalking (§§ 240, 241, 223, 238 StGB), und/oder unter § 4 Abs. 1 Gewaltschutzgesetz subsumiert werden.
238. (…) Der Straftatbestand der „Bedrohung“ erfordert die Androhung einer strafbaren Handlung, eine Schwelle, die zu hoch ist, um die Art andauernder psychischer Gewalt zu erfassen, die Opfer häuslicher Gewalt erfahren. In Bezug auf den Straftatbestand der „Körperverletzung“ stellt GREVIO fest, dass der Wortlaut des Straftatbestands es zwar ermöglichen würde, psychische Schäden unter diese Bestimmung zu subsumieren, dass aber in der Praxis die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs diese Möglichkeit weitgehend auszuschließen scheint. Darüber hinaus erfasst keiner der genannten Straftatbestände Verhaltensweisen, die aus mehreren Vorfällen mit geringer Intensität bestehen, wie sie häufig einem Missbrauchsmuster in Situationen häuslicher Gewalt entsprechen und die Artikel 33 der Istanbul-Konvention erfassen will. Schließlich findet § 4 Abs. 1 des Gewaltschutzgesetzes nur Anwendung, wenn das Opfer zuvor eine Schutzanordnung erwirkt hat und der Täter dagegen verstoßen hat. Nach Hinweisen aus der Zivilgesellschaft und von auf diesem Gebiet spezialisierten Rechtsanwältinnen betrachten Richter psychische Gewalt nicht systematisch als Bestandteil häuslicher Gewalt. Die Einführung eines eigenen Straftatbestands der psychischen Gewalt würde wahrscheinlich zu mehr Rechtsklarheit und Kohärenz führen, auch im Hinblick auf die Reform des sozialen Entschädigungsrechts, das ab dem 1. Januar 2024 die Möglichkeit der Entschädigung für psychische Gewalt beinhalten wird (§ 4 Abs. 4, § 13 Abs. 1 Ziff. 2 SGB XIV).
(…)
240. In Bezug auf Hassreden im Internet, Verleumdungen und andere Formen des Missbrauchs mittels Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), die enorme psychologische Auswirkungen auf die Opfer haben können und immer häufiger vorkommen, verweist GREVIO auf ihre Allgemeine Empfehlung Nr. 1 zur digitalen Dimension der Gewalt gegen Frauen (General Recommendation No. 1 on the digital dimension of violence against women, 20.10.2021). Sie betrachtet Gewalt gegen Frauen im Internet und durch Technologien als Fortsetzung der offline verübten Gewalt. Untersuchungen haben gezeigt, dass fast die Hälfte der Opfer häuslicher Gewalt berichtet hat, dass sie während einer Beziehung und/oder nach deren Beendigung in irgendeiner Form online missbraucht wurden (ebd.).
Die Agentur für Grundrechte hat in ihrer Umfrage aus dem Jahr 2014 festgestellt, dass eine von zehn Frauen in der EU seit ihrem Alter von 15 Jahren entweder unerwünschte sexuell eindeutige Nachrichten oder unangemessene Annäherungsversuche in sozialen Netzwerken erlebt hat (Fundamental Rights Agency, Violence against women: an EU-wide survey. 03.03.2014). Es ist davon auszugehen, dass diese Zahlen seit 2014 gestiegen sind.
In diesem Zusammenhang begrüßt GREVIO ausdrücklich die Kriminalisierung verschiedener Formen des technologiegestützten Missbrauchs nach deutschem Recht, wie z.B. Cyberstalking, unerlaubte Aufnahmen von Bildern intimer Körperteile, Weitergabe von Bildern im Internet und die Verwendung von Stalker-Software. Andere Formen, wie z. B. bildgestützter sexueller Missbrauch (so genannte „Rache-Pornos“, Deepfakes usw.) können eventuell unter eine oder mehrere andere strafrechtliche Bestimmungen fallen (z. B. Beleidigung, Verleumdung oder üble Nachrede, Stalking, Verletzung von Persönlichkeitsrechten oder Urheberrechten).
(…)
243. GREVIO fordert die deutschen Behörden nachdrücklich auf, Handlungen psychischer Gewalt online und offline zu untersuchen, strafrechtlich zu verfolgen und wirksam zu bestrafen, indem sie die verfügbaren Bestimmungen des deutschen Strafgesetzbuches voll ausschöpfen. Um alle Handlungen, die die psychische Integrität einer Person ernsthaft beeinträchtigen, wie in Artikel 33 der Istanbul-Konvention gefordert, effektiv unter Strafe zu stellen, fordert GREVIO die deutschen Behörden nachdrücklich auf, die Schaffung eines separaten Straftatbestandes zu erwägen, der alle in der Konvention geforderten Tatbestandsmerkmale berücksichtigt.
Bericht vom 24.06.2022, Straßburg 07.10.2022
https://rm.coe.int/report-on-germany-for-publication/1680a86937
Übersetzt unter Zuhilfenahme von DeepL.com

Hinweise der Redaktion:

Siehe dazu Anke Stelkens, Buchbesprechung zu: Nivedita Prasad: Geschlechtsspezifische Gewalt in Zeiten der Digitalisierung, hrsg. vom bff: Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, transcript Verlag, Bielefeld 2021 in STREIT 4/2022, S. 184-188; Anke Stelkens: Smarte Gewalt – Zur Digitalisierung häuslicher Gewalt im Internet of Things, STREIT 1/2019, S. 3-9.

Das im GREVIO-Bericht unter Rdnr. 241-242 näher beschriebene Netzdurchsetzungsgesetz (NetzDG), wird zum 17.2.2024 durch das Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) ersetzt, wodurch der Digital Services Act der EU (DSA) für Deutschland umgesetzt wird. Der DSA und das DDG regeln die bei GREVIO für die Reform des NetzDG geforderten Aspekte neu. Weil es keinen Katalog von Straftaten mehr gibt, können alle Rechtsverstöße im Internet, auch Urheberrechtsverstöße und alle Straftatbestände mit den Mitteln des DSA bzw. des DDG verfolgt werden.
Allerdings fehlen im DSA/DDG die strikten Löschfristen des NetzDG und nach wie vor gibt es Strafbarkeitslücken im Recht bei der Verfolgung digitaler Gewalt. Siehe zu Letzteren das djb-Policy Paper 23-17 „Bekämpfung bildbasierter sexualisierter Gewalt“ (www.djb.de/presse/stellungnahmen/detail/st23-17) und zur Problematik von radikalisierender aber meist (noch) nicht strafbewehrter HateSpeech die djb-Stellungnahme 23-23 „Targeting“ in diesem Heft mit weiteren Nachweisen.