STREIT 4/2017

S. 186-188

Buchbesprechung: Anja Schmidt (Hrsg.): Pornographie Nomos Verlag, Baden-Baden 2016

Nomos Verlag, Baden-Baden 2016

Mit einer interdisziplinären Herangehensweise nähert sich die Herausgeberin dem titelgebenden Begriff, um eine alte emotional aufgeladene feministische Debatte – die sog. „Feminist Sex Wars“ der 1980er Jahre zwischen PorNO- und PorYES-Bewegung – aktuell zu diskutieren und die momentane strafrechtliche Regulierung von Pornographie kritisch zu hinterfragen. Pornographie betrachtet „im Blickwinkel der feministischen Bewegungen, der Porn Studies, der Medienforschung und des Rechts“ verspricht der Buchuntertitel. Das sexuell explizite bildersprachliche Narrativ sei nicht nur pornographischer Schund, sondern auch emanzipatorisch im Sinne sexueller Selbstbestimmung. Und – spannend – es gebe auch eine Pornographie jenseits von Pornographie.

Im ersten Kapitel „PorNo! Radikalfeministische Positionen gegen Pornographie“ stellt Michael Bader diese Bewegung vor. Ein Schwerpunkt liegt auf den sehr guten Erläuterungen der rechtlichen Argumentationen sowohl vor dem Hintergrund des amerikanischen als auch des deutschen Rechts. Die Historie spannt sich von Robin Morgans berühmtem Satz „Pornographie ist die Theorie und Vergewaltigung die Praxis“ über die US-amerikanische Bewegung um Catherine McKinnon und Andrea Dworkin mit dem nordamerikanischen Gesetzentwurf gegen Pornographie bis zu den drei bundesrepublikanischen Kampagnen von EMMA. Der bundesdeutsche Gesetzentwurf gegen Pornographie von Susanne Baer und Vera Slupik konnte sich in den 1980erJahren nicht durchsetzen und auch in Amerika scheiterten die Feministinnen vor dem Supreme Court. Das Ziel dieser Gesetzentwürfe, den „Begriff der Pornographie klar und „realitätsgetreu“ jenseits moralisierender und vager strafrechtlicher Definitionen als frauenfeindliche Praxis rechtlich zu fassen“ wurde nicht erreicht. In Deutschland blieb es seither bei den Regelungen von 1973, die Pornographie als solche strafrechtlich sanktionieren, ohne sie im einzelnen auszudefinieren. Im Fazit sieht der Verfasser das Verdienst der radikalfeministischen Pornographie-Definitionen darin, problematische mediale Darstellungen von Frauen zu benennen sowie Hierarchien zwischen Mann und Frau und entsprechende Gleichheitsrechtsverletzungen sichtbar zu machen. Allerdings lassen sich seines Erachtens die verschiedenen Thesen der Radikalfeministinnen zur Wirkmacht bzw. den unmittelbar rechtsverletzenden Wirkungen von Pornographie nicht halten. Er beendet das Kapitel mit einem Appell, sich mit den Darsteller*innen zu solidarisieren und das Milieu des Mediums Pornograpie umzugestalten.

Im zweiten Kapitel „PorYES! Strömungen der sexpositiven Frauenbewegung“ beschreibt Ekatarina Nazarova die Gegenposition. Diese Contra-Bewegung schwappte fast zeitgleich ebenfalls aus den USA herüber mit der Hauptthese, Pornographie als reine Inszenierung könne gerade die sexuellen Phantasien abbilden, die nicht gelebt werden. Und Sexualität sei als ein Weg zur Lust und nicht primär als Gefährdung von Frauen zu betrachten. Ellen Willis konterte Robin Morgan mit dem Satz „Die Frau, die Pornographie genießt, ist eine Rebellin“. Der PorNO-Bewegung wurde vorgeworfen, Pornographie mit Gewalt gleichzusetzen und zum Problem für alle Frauen zu erklären. Dadurch werde das Verbrechen Vergewaltigung verharmlost. Auch der sexpositive Feminismus distanziere sich von der Verharmlosung sexueller Gewalt sowie der Verobjektivierung und Degradierung der Frau durch sexistische Darstellungen. Er wehre sich nur gegen die Gleichsetzung der Darstellung von sexuellen Praktiken, die wie Sado/Maso zwingend mit der Darstellung von Gewalt einhergehen, und tatsächlicher Gewalt gegen Frauen bzw. gegen Darsteller*innen. Denn so würden Menschen mit „kontroverser“ Sicht auf Sexualität und deren Sexualität als nicht-feministisch und moralisch inakzeptabel stigmatisiert. Pornographieverbote werden als staatliche Zensur und Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung grundsätzlich abgelehnt. Der Begriff Pornographie enthalte noch keine inhaltliche oder ästhetische Aussage über die Qualität der Darstellung, vielmehr sei er als reine Gattungsbezeichnung für das sexuell Explizite zu betrachten. Dieses weite sexpositive Verständnis von Pornographie ist nach Ansicht der Autorin auch aktuell das überzeugendere Begriffsverständnis. Momentan existiert ein Filmpreis für „gute“ Pornographie, der PorYES-Award in Berlin, und eine Art „FairPorn“-Bewegung bei der Herstellung von Sex- und Erotikprodukten. Diese im Hinblick auf unsere gewaltaffine Gesellschaft sicher verdienstvolle Kulturszene, die eine Art „einverständliche Aufarbeitung“ sexueller Phantasien bis zu Sado/Maso-Szenarien ermöglichen möchte, ist angesichts der Mainstream-Pornoproduktion allerdings wohl auch heute nicht breit und repräsentativ. Im Fazit stellt die Autorin Kommunikationsprobleme innerhalb des feministischen Diskurses und die faktisch bis heute andauernde „Unmöglichkeit einer sachlichen gemeinsamen Diskussion“ fest.

Im dritten Kapitel zu den „Porn Studies“ nimmt Nina Schumacher eine kulturwissenschaftliche Perspektive ein. Sie stellt diese junge Wissenschaft vor und analysiert aktuelle Medieninhalte auf ihren pornographischen Gehalt auch jenseits des Sexuell-Expliziten. Dabei verstehen die Porn Studies Pornographie grundsätzlich sexpositiv als legitimes Kulturgut, dessen Merkmale Lüsternheit, Authentizität, Intensität und Grenzüberschreitung sich aber durchaus verallgemeinern ließen. War es zunächst das Anliegen, für die Vielfältigkeiten sexueller Ausdrucksmöglichkeiten zu sensibilisieren, so wird der Begriff nunmehr radikal erweitert. Im Blick sind Formate wie Food-Porn (extreme Nahaufnahme z.B. eines Schoko-Brownies), Sozial-Porno (Filmformate wie Frauentausch oder Erziehungs-Reality-TV auf RTL) bis hin zum Torture-Porno (Gewaltdarstellung ohne sexuelle Inhalte). Sensationslüsternheit in extremster Form, Obszönitäten ganz ohne Sex werden so sichtbar. Durch diese Begriffserweiterung werden gesellschaftlich viel weitergehende „Pornographien“ jenseits von Pornographie erkennbar und das sexuell-moralisierende Moment verschwindet.

„Nichts genaues weiß man nicht“ könnte das Kapitel zur Erforschung der Wirkungsmacht von Pornographie – hier wieder als explizit sexuell verstanden – in der empirischen Sozialforschung auch überschrieben sein. Richard Lemke und Mathias Weber führen darin aus, was auch der PorNO-Bewegung schon vorgeworfen wurde. Ob und wie sich das Konsumieren von oder die Mitwirkung bei Pornographie im weitesten Sinne auf das eigene Handeln und Erleben auswirkt, kann bisher keine Studie beantworten. Nach einer Einführung in die Sozialwissenschaften allgemein beschreiben und diskutieren die Autoren alle Studien, die seit 2000 – also seit der digitalen Allverfügbarkeit sexueller Materialien – zur Wirkung von Pornographie durchgeführt wurden. Versehen ist das Kapitel auch mit einem umfänglichen Tabellenanhang. Verbindliche Aussagen, etwa dazu, ob durch Pornographie sexuelle Aggressivität zunimmt, ließen sich nicht treffen.

Aus medienpädagogischer Sicht kommentiert Ralf Vollbrecht im nächsten Kapitel speziell Untersuchungen zur Pornographienutzung im Jugendalter. Dabei kreist auch der Jugendschutz stets um die „Wirkungsfrage“, denn je stärker die Vorstellung von negativen Effekten gewisser Medien, desto stärker sei das Bedürfnis nach Jugendschutz in diesem Bereich. Es soll sich kein negativer Effekt von Pornographiekonsum auf Jugendliche nachweisen lassen. Im Bezug auf Kinder sei ein negativer Effekt dagegen zu bejahen. Fakt ist, dass der bisherige Jugendschutz nicht dazu geführt hat, dass Jugendliche vor der pornographischen Bilderflut geschützt werden. Insgesamt plädiert der Autor für mehr Förderung von Medienkompetenzen anstatt für Indizierungen, was sicher unbestreitbar ist. Trotzdem muten seine Ausführungen teilweise ärgerlich an. So werden heute zunehmend Mädchen sexuell initiativ, was sie früher nicht waren. Dies möchte der Autor nicht auf die Wirkung von Pornographie zurückführen, sondern auf sexuelle Selbstbestimmung. Dagegen dann Zitat: „Jungen halten nicht viel von sogenannten „Schlampen“, wie sie sexuell besonders aktive Frauen bezeichnen. Diese haben für sie zwar eine gewisse sexuelle Faszination, kommen als Partnerin in einer Beziehung jedoch eher nicht in Frage“. Dass hier von den Jungen ein in den Mainstream-Pornographieskripten gefeiertes doppelmoralines Frauenbild von verführerischer „Lolita“ bzw. „Eva“ draußen, im Gegensatz zur natürlich keuschen „Maria“ daheim, im schlechtesten Sinne und entgegen allen emanzipatorischen Bemühungen der Frauenbewegung nachgeahmt wird, scheint sich dem Autor nicht zu erschließen. Wie schon beim „Pornoleistungsschema“ der Mädchen sieht er auch bei den Jungen keine Wirkungsmacht. Er plädiert dafür, Jugendlichen sexualitätsbezogene Informationen in „attraktiver und sachlich angemessener“ Form zugänglich zu machen, wobei eine Art „Pornographie-Kompetenz“ als ein Aspekt von Medienkompetenz verstanden werden könne. Dies liest sich im Zusammenhang mit seinen inhaltlichen Aussagen schwierig.

Insgesamt zeichnen sich die Kapitel 1-4 dadurch aus, dass sich jede Autorin und jeder Autor eines eigenen Pornographiebegriffs bedient und sie so haarscharf aneinander vorbei formulieren. Das ist Effekt des interdisziplinären Ansatzes.

Im Abschlusskapitel unternimmt die Herausgeberin eine rechtswissenschaftliche Analyse des Begriffs Pornographie vor dem Hintergrund der Begriffshistorie und der neu aufgeworfenen Argumente. Sie gibt einen Überblick über die geltende deutsche Rechtslage zu einfacher und harter Pornographie in den §§ 184, 184a-e StGB und den dazu von der Rechtsprechung entwickelten Begriffsmerkmalen. Dabei kommt sie in einer verfassungsrechtlichen Überprüfung zum Ergebnis, dass das geltende Strafrecht in dieser Form gegen das Gebot gesetzlicher Bestimmtheit gem. Art. 103 II GG verstößt. Der Begriff Pornographie sei nicht ausreichend im Gesetz definiert. Hinzukomme, dass der Begriff Pornographie, wie die vorhergehenden Kapitel gezeigt hätten, zunehmend uneindeutiger, vielfältiger und auch in einem emanzipatorischen Sinne mit Inhalt gefüllt worden sei. Eine strafrechtliche Norm erfordere dagegen, dass klar benannt sei, ob und warum sexuell explizite Materialien als Verletzung von Rechtsgütern verbotswürdig seien. Ein Verbot solcher Materialien sei dabei durchaus angebracht, auch wenn die Thesen der Radikalfeministinnen zur Wirkmacht von Pornographie sich empirisch nicht nachweisen ließen. Ein zeitgemäßes Verbot könne an einer Verletzung der Menschenwürde festgemacht und als Verletzung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts konkretisiert werden. Wesentliches Kriterium für eine Strafbarkeit könne die Darstellung nicht einvernehmlicher sexueller Handlungen sein. Neben der Sanktionierung von entsprechender Gewalt- und Kinderpornographie ließe sich so auch eine durchaus weitergehende Verbots- und Strafbarkeitspolitik realisieren. So sei ein Schutz vor ungewollter Konfrontation mit einfacher Pornographie als Schutz vor Belästigungen ordnungsrechtlich ausgestaltbar. Und Jugendschutz sei strafrechtlich definierbar, ohne dass Jugendlichen dabei der Zugang zu sexuell expliziten Materialien generell verboten werden müsse. Der Begriff Pornographie selbst solle in einer rechtlichen Regelung aber nicht mehr verwendet werden.
Die Argumentationen von Anja Schmidt überzeugen und lesen sich wohltuend präzise. Bleibt zu erinnern an eine Rede von Jutta Bahr-Jendges beim 28. Feministischen Juristinnentag, sozusagen auf halber Strecke im Hinblick auf diese Debatte, nämlich im Jahr 2002: „Die theoretische und praktische Aufarbeitung der weiblichen Opferrolle in der Frauenbewegung der 80er Jahre ... hat uns keinen sichtbaren gesellschaftlichen Subjekt-Status verliehen und uns aus dem historischen Nebel der weiblichen Unterworfenheit nicht „gerettet“... Zuweilen hat die Bearbeitung der „Opfer-Rolle“ diese nur noch verstärkt. ... Was nun für uns bleibt, ... ist ... Recht und Gesetz als äußere Regel zu gestalten und zu benutzen, auch ungenutzt zu lassen, wo es sinnvoll ist und eine weibliche Ethik ... in dieses zu transformieren“. (Siehe STREIT 2/2003, S. 63 ff.)

In diesem Sinne ließe es sich mit einer neu definierten Begrifflichkeit besser in die Zeiten der Virtual-Reality-Pornographie gehen. Denn die Pornobranche wird es sein, die dieser neuen Technologie zum Durchbruch verhilft. Leider wird im Buch die spezifische digitale Wirkmacht von Pornographie und entsprechender Gewaltdarstellungen nicht angesprochen. Sexualisierte Bildersprache ist seit den Zeiten der Feminist Sex Wars immer noch übermächtiger, noch gewalt(tät)iger, noch emotionsbeherrschender und wohl auch suchtgefährlicher geworden. Kleidung, Werbung, Fotos, Filme springen uns überall an. Und mit VR-Technologien wird Phantasiesex in Richtung Echtheitserlebnis rücken. Love-Dolls als Sexroboter mit Künstlicher-Intelligenz-Funktionen sind entwickelt. Und wann ist eine digitale Dienstleistung dieser Art es wert, dass wir unsere höchstpersönlichen Daten dafür preisgeben? Was machen wir mit Sexroboter-Bordellen (siehe dazu die „campaign against sex robots“ www.campaignagainstsexrobots.org)? In der Sexualtherapie denkt man darüber nach, ob Pornos in virtueller Qualität jetzt Jugendlichen die Angst „vor dem ersten Mal“ nehmen könnten und eine „realistische Ahnung von dem geben, was beim Sex auf sie zukommt“ (siehe Artikel „Näher dran“ in DIE ZEIT, Nr. 42/2017, S. 33).
Wann dies gesellschaftlich als Zeichen sexpositiver selbstbestimmter sexueller Freiheit oder als entwürdigende Pornographisierung im übelsten Sinne zu deuten ist, wird weiterhin eine Gratwanderung bleiben. Wieweit präzisierte juristische Begriffsbestimmungen in den Verbotsnormen eine Art „bessere“ gesellschaftliche Ächtung von „weiblicher Ethik“ widersprechenden sexuellen Narrativen erzeugen können, als sie die momentane Sittenordnung mit ihrer gefühlten Obszönität und mehr oder weniger strikten Bewahrpädagogik nie wirklich erzeugt hat, bliebe abzuwarten.
Das Buch ist ein gutes informatives und schlicht notwendiges Zwischenupdate in der Pornographiedebatte mit umfänglichen weiterführenden Literaturangaben. In Zeiten des rasenden digitalen Fortschritts der Pornoindustrie mutet es nur fast schon wieder veraltet an. Das Thema wird uns bleiben.