STREIT 1/2021

S. 35-37

Buchbesprechung: Annelie Bauer: Rechtliche Maßgaben für geschlechtergerechte Sprache. Eine Analyse unter besonderer Berücksichtigung des Landes Niedersachsen

Duncker & Humblot, Berlin 2020

Ein Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz sorgte im Oktober 2020 für Empörung: Er war ausschließlich unter Verwendung weiblicher Formen, also im generischen Femininum formuliert. Nach erhitzten Diskussionen in Politik und Medien wurde der Gesetzentwurf schließlich vom generischen Femininum ins generische Maskulinum übertragen. Diese Episode macht offensichtlich: Weder über das „Ob“ noch über das „Wie“ der Verwendung geschlechtergerechter Sprache besteht in Deutschland Einigkeit. Die zahlreichen offenen Fragen betreffen dabei nicht nur die Rechts- und Amtssprache. Ob in Zeitungsartikeln oder Radiobeiträgen, in wissenschaftlichen Veröffentlichungen oder universitärer Lehre, in Gerichtsentscheidungen oder im Gespräch unter Freund*innen: Wer sich äußert, kommt an einer Entscheidung über Ob und Wie geschlechtergerechter Sprache nicht mehr vorbei. Während im öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer häufiger der sog. glottale Verschlusslaut zwischen „Bürger“ und „Innen“ zu hören ist, dominiert in großen Tages- und Wochenzeitungen weiterhin das generische Maskulinum. Neuere Landes- und Bundesgesetze richten sich häufig an „Bürgerinnen und Bürger“, das Grundgesetz dagegen kennt nur den „Bundeskanzler“. Dieser Befund gibt Anlass zu den von Annelie Bauer in ihrer von Prof. Dr. Brosius-Gersdorf betreuten Dissertation untersuchten Fragen: „Was darf der Staat, was muss er eventuell sogar tun in Bezug auf geschlechtergerechte Sprache? Was müssen bzw. dürfen Private?“ (S. 13; Herv. i. O.).

Angesichts der zahlreichen unterschiedlichen Möglichkeiten, auszudrücken, dass Frauen und Männer oder – in neueren Sprachformen – Angehörige aller Geschlechter gemeint sind, liegt die Vorfrage auf der Hand: Was versteht Bauer unter geschlechtergerechter Sprache? Sie unterscheidet zwei Ziele geschlechtergerechter Sprache: das der sprachlichen Symmetrie und das der sprachlichen Sichtbarmachung. Geschlechtergerecht sei Sprache dann, wenn sie beide Ziele nicht nur hinsichtlich Frauen, sondern hinsichtlich aller Geschlechter verwirkliche (S. 17). Vor diesem Hintergrund sei insbesondere die Verwendung des generischen Maskulinums problematisch (S. 18 ff.). Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Dritten Option aus dem Jahr 2017 (BVerfGE 147, 1) sei aber auch zweifelhaft, ob voll ausgeschriebene Paarformen („Bürgerinnen und Bürger“) den Ansprüchen an geschlechtergerechte Sprache gerecht würden (S. 277). Bauer selbst verwendet in ihrer Arbeit das Gender-Gap („Bürger_innen“) (S. 15), setzt sich daneben aber auch mit den Vor- und Nachteilen zahlreicher weiterer Versuche, Sprache geschlechtergerecht zu verwenden, auseinander (S. 40 ff.).

Bauer gibt in ihrer im Rahmen des interdisziplinären Drittmittelprojekts „Geschlechtergerechte Sprache in Theorie und Praxis“ entstandenen Arbeit zunächst einen konzisen Abriss über die historische Entwicklung geschlechtergerechter Sprache in der Vorschriften- und Amtssprache der Bundesrepublik seit den 1970er Jahren. Anschließend untersucht sie unter Rückgriff auf den etablierten Kanon juristischer Auslegungsmethoden einschlägige Normen des Europa-, Völker-, Bundes- und Landesrechts daraufhin, ob und wenn ja welche Vorgaben sie einerseits dem Staat, andererseits Privaten hinsichtlich der Verwendung geschlechtergerechter Sprache machen. Dieses sehr umfangreiche Vorhaben hat die Verfasserin gut im Griff. Sicher steuert sie ihre Leser*innen durch die einschlägigen Normen, von der EU-Grundrechtecharta über die CEDAW und das Grundgesetz bis hin zu Vorgaben des als Beispiel für landesrechtliche Regelungen herangezogenen Landes Niedersachsen. Damit gelingt der Autorin – zunächst ganz unabhängig von den im Einzelnen herausgearbeiteten Antworten der vielfältigen Regelungen auf die Forschungsfrage – ein umfassender und strukturierter Überblick über einschlägige Vorgaben, der hervorragend als Grundlage weiterer Forschung zum Thema dienen kann. Die von ihr zahlreich zitierten Studien aus Linguistik und Psychologie zu den Auswirkungen (nicht) geschlechtergerechter Sprache (etwa S. 49 f., Fn. 234 f.) sind nicht nur unabdingbare empirische Grundlage für die Beantwortung juristischer Fragen etwa nach einer geschlechtsbezogenen Ungleichbehandlung, sie bieten auch einen breiten Fundus für eine vertiefte Auseinandersetzung mit Möglichkeiten und Grenzen geschlechtergerechter Sprache.

Die Untersuchung widmet sich zunächst dem Unionsrecht. Dabei macht Bauer einen brisanten Konflikt deutlich: Unionale Vorgaben zu geschlechtergerechter Sprache müssten sich an der Vorgabe des Art. 22 EU-Grundrechtecharte (GRCh), „Die Union achtet die Vielfalt der (…) Sprachen“, messen lassen (S. 91). Was geschlechtergerechte Sprache ausmacht, unterscheide sich von Sprache zu Sprache (S. 90). Dies wird schon bei einer Betrachtung unterschiedlicher Sprachfassungen der Grundrechtecharta deutlich. So heißt es auf Deutsch etwa in Art. 15 Abs. 2 GRCh „Alle Unionsbürgerinnen und Unionsbürger“, auf Französisch dagegen nur „Tout citoyen“ als generisches Maskulinum. Unterschiedliche Vorgaben hinsichtlich des „Wie“ seien der Union daher wohl nicht möglich, bezüglich des „Ob“ hingegen schon (S. 92).
Auch aus einfachem Unionsrecht ließen sich bindende Vorgaben nicht schließen, etwa aus Art. 29 RL 54/2006/EU (S. 105 f.). Angesichts dessen Wortlauts – „Die Mitgliedstaaten berücksichtigen aktiv das Ziel der Gleichstellung von Männern und Frauen bei der Formulierung (…) von Rechts- und Verwaltungsvorschriften, Politiken und Tätigkeiten in den in dieser Richtlinie genannten Bereichen“ – bleibt Bauers Begründung dieser Ansicht allerdings etwas knapp.
Die unterschiedlichen Praxen hinsichtlich geschlechtergerechter Sprache in Europa stehen auch der Ermittlung konkreter Vorgaben aus der EMRK entgegen: Mangels eines gemeinsamen Standards komme den EMRK-Mitgliedsstaaten bei der Auslegung und Anwendung von Art. 14 EMRK ein weiter Beurteilungsspielraum zu (S. 117).
Anknüpfungspunkte für eine völkerrechtliche Pflicht zur Verwendung geschlechtergerechter Sprache bietet die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW). Dort heißt es: „Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, (…) um einen Wandel in den sozialen und kulturellen Verhaltensmustern von Mann und Frau zu bewirken, um so zur Beseitigung von Vorurteilen sowie von herkömmlichen und allen sonstigen auf der Vorstellung von der Unterlegenheit oder Überlegenheit des einen oder anderen Geschlechts oder der stereotypen Rollenverteilung von Mann und Frau beruhenden Praktiken zu gelangen (…).“ Zwar ist die Verwendung geschlechtergerechter Sprache laut Bauer ein geeignetes Mittel zur Erreichung dieses Ziels (S. 130), eine Verpflichtung zur Förderung geschlechtergerechter Sprache folge daraus aber nicht (S. 150).

Die anschließende Untersuchung grundgesetzlicher Vorgaben für geschlechtergerechte Sprache bildet einen Schwerpunkt der Arbeit. Bauer legt zunächst plausibel dar, dass abstrakt-generelle Rechtsvorschriften, die im generischen Maskulinum verfasst sind, hinsichtlich ihres sachlichen Regelungsgehalts nicht gegen Art. 3 II 1, III 1 GG verstoßen, denn eine verfassungskonforme Auslegung komme zu dem Ergebnis, dass alle Geschlechter adressiert seien (S. 163). Eine unzulässige Ungleichbehandlung der Geschlechter liege auch nicht in der Sprachformwahl „generisches Maskulinum“ als solcher. Denn es sei zwar inzwischen hinreichend gesichert, dass als Folge der sprachlichen Asymmetrie ungleiche Chancen von Frauen bei der Wahrnehmung von Rechten festgestellt werden können (S. 171 f.). Aus der gebotenen Einheit der Verfassung ergebe sich aber, dass die Verwendung des generischen Maskulinums nicht verfassungswidrig sein könne, solange das Grundgesetz selbst im generischen Maskulinum formuliert sei: Schließlich impliziere dies insoweit einen Fall verfassungswidrigen Verfassungsrechts, der jedoch nur bei offenkundigen Verstößen gegen fundamentales überpositives Recht in Betracht komme (S. 176 f.). Hier ließe sich fragen, ob angesichts des Bewusstseins- und Konventionswandels der letzten Jahrzehnte insoweit nicht zwischen bereits existierenden und neu zu schaffenden Normen zu differenzieren wäre.
Der verfassungsrechtliche Maßstab für Amtssprache, d.h. individuelle Anreden, sei dagegen ein anderer: Die Verwendung des generischen Maskulinums zur Anrede und zur konkreten Bezeichnung von Frauen verstoße gegen Art. 3 II 1, III 1 GG (S. 181). Hier scheint die Vorgabe einheitlicher Auslegung der Verfassung laut Bauer also nicht einschlägig, wobei nicht ganz deutlich wird, warum. Jedenfalls für die Ansprache von Frauen sei dies in der Praxis aber meist unproblematisch, weil die Verwendung weiblicher Anreden sich weitgehend durchgesetzt habe (S. 181 f.). Wie Personen weiterer Geschlechter richtig anzureden sind, sei dagegen noch ungeklärt (S. 182).
Hier wird paradigmatisch eine Erkenntnis deutlich, die sich wie ein roter Faden durch das Buch zieht: Weder die von Bauer untersuchten, bereits geltenden Rechtsnormen noch etwaig zu schaffende neue rechtliche Regelungen können konkrete Vorgaben machen, solange noch unklar ist, wie eine alle Geschlechter inkludierende geschlechtergerechte Sprache in concreto überhaupt aussieht. Das bedeutet aber nicht, dass im Umkehrschluss aus den untersuchten Regelungen keinerlei Maßstäbe gewonnen werden können. So argumentiert Bauer prägnant gegen die vielbeachtete Sparkassenformular-Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2018 (BGHZ 218, 96): Formulare und Vordrucke, die das generische Maskulinum verwenden, verletzten Frauen, die diese Formulare nutzen (müssen), in deren Recht aus Art. 3 II 1, III 1 GG (S. 187 f.).

Anschließend prüft Bauer, ob sich aus Art. 3 II 2 GG eine Pflicht des Staates zur Verwendung geschlechtergerechter Sprache ergibt (S. 188 ff.). Sie stellt dar, dass insoweit der Gestaltungsspielraum des Staates verengt sei, weil sich die aus nicht geschlechtergerechter (Vorschriften-)Sprache resultierenden Nachteile nur durch die Förderung geschlechtergerechter Sprache seitens des Staates beseitigen ließen (S. 207). Ein stufenweises Vorgehen sei aber vom staatlichen Gestaltungsspielraum gedeckt (S. 209). Diese Pflicht zur Verwendung geschlechtergerechter Sprache sei außerdem mit entgegenstehenden verfassungsrechtlichen Belangen in praktische Konkordanz zu bringen. Einen solchen, geschlechtergerechter Sprache entgegenstehenden Belang sieht Bauer insbesondere im Gebot der Normenklarheit und -verständlichkeit. Unter Verweis auf psychologische Studien kommt sie zu dem Schluss, dass dieses eine geschlechtergerechte Formulierung nicht pauschal ausschließe, sondern lediglich im Einzelfall Grenzen setze (S. 214).
Die Frage nach der juristischen Bewertung und der etwaigen verfassungsrechtlichen Verankerung sprachästhetischer Argumente, die von Verteidiger*innen des generischen Maskulinums bekanntlich häufig ins Feld geführt werden, streift Bauer dagegen nur am Rande (S. 218 f.). Grenzen der Rechtssicherheit seien jedenfalls erreicht, wo die Funktion von Sprache als zuverlässiges Transportmedium des Rechts gefährdet sei. Dies treffe etwa auf die ausschließliche Verwendung des generischen Femininums zu (S. 221). An Stellen wie diesen wird deutlich, dass Bauer selbst in dem teils ideologisch aufgeladenen Streit um geschlechtergerechte Sprache eine gemäßigte Position – in diesem Falle gemäßigter als das Justizministerium, wie sich mit dem eingangs erwähnten Gesetzentwurf zeigte – vertritt. Davon profitiert die Arbeit, die Argumente des Für und Wider ausgewogen berücksichtigt.
Aus freiheitsrechtlicher Perspektive verortet Bauer ein Recht auf geschlechtergerechte Anrede in der Amtssprache überzeugend nicht in der Menschenwürde, sondern im Allgemeinen Persönlichkeitsrecht (S. 251, 253). Dieses sei auch hinsichtlich der Sprachfassung von Formularen und Vordrucken einschlägig, was der BGH in seiner von Bauer kritisierten Sparkassen-Entscheidung verkannt habe (S. 255). Nicht geschlechtergerechte Vorschriftensprache tangiere das APR dagegen nicht, weil keine konkrete Referenz auf bestimmte bzw. bestimmbare Personen vorliege (S. 253).

Die Untersuchung schließt mit der Prüfung einfach- und untergesetzlicher bundes- und niedersächsischer landesrechtlicher Vorgaben. Zwar heißt es in § 4 III 1 des Bundesgleichstellungsgesetzes: „Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Bundes sollen die Gleichstellung von Frauen und Männern auch sprachlich zum Ausdruck bringen.“ Bauer zeigt jedoch die Schwächen dieser schwammig formulierten Regelung als bloße „Soll“-Vorschrift ohne klar definierte Rechtsfolgen auf (S. 276 ff.). Auch aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) lassen sich laut Bauer keine konkreten Vorgaben ermitteln: Zwar stellt die Verwendung des generischen Maskulinums eine unmittelbare Benachteiligung i. S. d. §§ 19 I Nr. 1, 3 I 1 AGG dar. Hinsichtlich der Rechtfertigung dieser Benachteiligung sei es jedoch „schwierig, eine sachgerechte Abwägungsentscheidung zu treffen“. Hier sei im Interesse der Rechtssicherheit der Gesetzgeber gefragt (S. 318).

Die breite Anlage der Arbeit garantiert einen umfassenden, informativen Überblick. Sie bringt aber notwendigerweise auch Leerstellen mit sich: Der Fokus der Arbeit liegt deutlich auf der Frage nach geschlechtergerechter Rechts- und Amtssprache und damit auf einem Bereich möglicher rechtlicher Verpflichtungen des Staates. Welche Vorgaben sich für Private ergeben, untersucht Bauer insbesondere im Hinblick auf Stellenausschreibungen Privater (S. 282 ff., 298 ff.) und für die Bereiche Universität (S. 229 ff.) und Schule (S. 237 ff.). Dagegen bleibt die Frage nach Vorgaben für Medien, die aufgrund ihrer in der Summe immer noch sehr großen Reichweite den sprachlichen Ausdruck der Bevölkerung entscheidend prägen dürften, offen. Insbesondere Hinweise dazu, welchen Maßgaben staatliche Rundfunkanstalten angesichts gebotener Staatsferne unterliegen könnten, wären eine spannende Ergänzung. Die Frage nach Vorgaben für die staatliche Selbstverwaltung wird auch virulent, wenn, wie mir kürzlich eine Freundin berichtete, eine Rechtsanwaltskammer ihre Einführungsveranstaltung mit „Der junge Anwalt im freien Beruf“ betitelt.
Während der Lektüre zeigt sich: Solange es keinen Konsens hinsichtlich einer Form geschlechtergerechter Sprache gibt, die alle Geschlechter gleichermaßen repräsentiert, können aus rechtlichen Vorgaben – sei es de lege lata oder de lege ferenda – kaum konkrete Maßgaben gewonnen werden. Das Recht kann zwar Treiber gesellschaftlicher Prozesse sein, dafür muss aber Klarheit über das Ziel der Reise bestehen. Dies darf jedoch für die Rechtswissenschaft kein Anlass sein, sich auf der Verwendung des generischen Maskulinums auszuruhen. Auch sie muss sich mit innovativen Lösungsvorschlägen am interdisziplinären und gesamtgesellschaftlichen Diskurs über geschlechtergerechte Sprache beteiligen. Bauers informative Arbeit bietet das notwendige Fundament, hier visionär weiterzudenken.