STREIT 1/2021

S. 38-40

VG Berlin, §§ 24, 25, 27 BGleiG

Rechte der Gleichstellungsbeauftragten: Einladung zu einer Leitungsklausur des Ministeriums

1.) Gleichstellungsbeauftragte sind grundsätzlich an Dienstbesprechungen zu beteiligen, die auf der Führungsebene der Dienststelle erfolgen, bei der die Gleichstellungsbeauftragte bestellt ist. (Rn. 22)
2.) Der Dienststelle obliegt im Regelfall die aktive Einbeziehung der Gleichstellungsbeauftragten in alle Entscheidungsprozesse. Dazu gehören Dienstbesprechungen von Führungskräften bereits bei Beginn eines Entscheidungsprozesses, insbesondere im Stadium noch generell-​steuernder Entscheidungen. (Rn. 23)
3.) An einer Leitungsklausur, die die mobile Arbeit in der Dienststelle zum Gegenstand hat, ist die Gleichstellungsbeauftragte zu beteiligen. (Rn. 24)
(Leitsätze der Redaktion)

Urteil des VG Berlin vom 27. April 2020 – 5 K 50.17

Aus dem Sachverhalt:
1) Die Klägerin, die Gleichstellungsbeauftragte in dem von der Beklagten geführten Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (nachfolgend: das Ministerium), rügt im Wege der Organklage die Verletzung ihrer Rechte, weil die Beklagte sie zu der Leitungsklausur des Ministeriums im Jahr 2016 nicht eingeladen hatte.
2) Zu der Leitungsklausur traten die Führungskräfte des Hauses (unter anderem Ministerin, Staatssekretäre, Abteilungsleiter) am 20./21. Januar 2016 zusammen. Mit Schreiben vom 1. Februar 2016 legte die Klägerin Einspruch dagegen ein, zu dieser Klausur nicht eingeladen worden zu sein. Sie habe in der Klausur der Abteilung 1 am 28. Januar 2016 erfahren, dass in der Leitungsklausur Aspekte besprochen worden seien, die sich direkt und konkret auf die Ausgestaltung des Mobilen Arbeitens im Hause bezögen. […]
3) Mit Schreiben vom 11. Februar 2016 wies der Staatssekretär des Ministeriums den Einspruch zurück. In der Leitungsklausur habe eine Steuerung von Entscheidungsprozessen zu gleichstellungsrelevanten Themen nicht stattgefunden. Dort sei lediglich der der Klägerin bereits bekannte Stand zur Weiterentwicklung der Mobilen Arbeit im Hause vorgestellt worden. Eine darüber hinausgehende Erörterung der Thematik habe nicht stattgefunden. Insbesondere seien keine neuen Vorgaben der Ministerin mitgeteilt worden. Auch einen Schub in Sachen Fortschreiten des Entscheidungsprozesses habe es nicht gegeben.[…] Die Teilnahme der Klägerin an der Leitungsklausur sei darum nicht erforderlich gewesen. Dass die Klägerin zur Leitungsklausur nicht eingeladen worden sei, sei Folge der Zuständigkeitsverteilung im Haus und nicht der Geringschätzung ihrer Aufgaben. […]

Aus den Gründen:
[…]
14) Die organschaftliche Feststellungsklage ist gemäß § 34 Abs. 2 des Gesetzes für die Gleichstellung von Frauen und Männern in der Bundesverwaltung und in den Unternehmen und Gerichten des Bundes (Bundesgleichstellungsgesetz – BGleiG –) statthaft. Danach kann die Anrufung des Gerichts unter anderem darauf gestützt werden, dass die Dienststelle Rechte der Gleichstellungsbeauftragten verletzt hat. Es handelt sich dabei um einen gesetzlich besonders ausgeformten Organstreit. Sein Gegenstand ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang mit den Regelungen über das anlassbezogene Einspruchsrecht (§ 33 Abs. 1 BGleiG), das dadurch angestoßene Einspruchsverfahren (§ 33 Abs. 2 bis 5 BGleiG) und den nachfolgenden außergerichtlichen Einigungsversuch (§ 34 Abs. 1 BGleiG): Die Gleichstellungsbeauftragte kann (allein) die Feststellung eines konkreten Rechtsverstoßes durch ein bestimmtes Handeln oder Unterlassen der Dienststellenleitung begehren (siehe grundlegend BVerwG, Urteil vom 8. April 2010 – 6 C 3.09 – juris Rn. 12 zur Rechtslage nach dem früheren BGleiG).
15) Die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Der Klägerin fehlt insbesondere nicht das erforderliche Feststellungsinteresse. Zwar hat die Beklagte der Klägerin schon in der Vergangenheit zugesichert, sie werde an Leitungsklausuren, soweit diese die Steuerung von Entscheidungsprozessen der Verwaltung in organisatorischen und sozialen Angelegenheiten zum Gegenstand hätten, während der Behandlung (nur) dieser Themen teilnehmen können. Zwischen den Beteiligten sind jedoch insbesondere die tatsächlichen Voraussetzungen streitig, unter denen diese Zusicherung greift. Die Klägerin darf nach dem Verlauf des Verfahrens auch begründete Zweifel daran haben, dass die Beklagte sie über den für ihre Beteiligungspflicht zu beurteilenden Inhalt der Leitungsklausur verlässlich unterrichtet. […]

16) Die Klage hat in der Sache Erfolg. Die Beklagte hat die Rechte der Klägerin verletzt, indem sie sie zur Leitungsklausur des Ministeriums am 20./21. Januar 2016 (überhaupt) nicht eingeladen hat, obwohl dort Angelegenheiten der Dienststelle besprochen wurden, an denen die Klägerin zu beteiligen gewesen wäre.
17) Den rechtlichen Rahmen für die Einbeziehung der Gleichstellungsbeauftragten in Angelegenheiten der Dienststelle geben die Regelungen über ihre Stellung in § 24 BGleiG, ihre Aufgaben, Rechte und Pflichten in § 25 BGleiG, ihre Beteiligung in § 27 BGleiG und die Zusammenarbeit und Information in § 30 Abs. 2 BGleiG vor.
18) Die Gleichstellungbeauftragte gehört – wie § 24 Abs. 1 Satz 1 BGleiG regelt – der Personalverwaltung an und wird unmittelbar der Dienststellenleitung zugeordnet. Bei obersten Bundesbehörden ist auch eine Zuordnung zur Leitung der Zentralabteilung möglich (§ 24 Abs. 1 Satz 2 BGleiG).
19) § 25 Abs. 1 Satz 1 BGleiG bestimmt: Die Gleichstellungsbeauftragte hat die Aufgabe, den Vollzug dieses Gesetzes sowie des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes im Hinblick auf den Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligungen wegen ihres Geschlechts, insbesondere bei Benachteiligungen von Frauen, zu fördern und zu überwachen. Gemäß § 25 Abs. 2 Nr. 2 BGleiG zählt zu ihren Aufgaben insbesondere, bei allen personellen, organisatorischen und sozialen Maßnahmen der Dienststelle mitzuwirken, die die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Beseitigung von Unterrepräsentanzen, die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Berufstätigkeit sowie den Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betreffen.
20) Nach § 27 Abs. 1 BGleiG beteiligt die Dienststelle die Gleichstellungsbeauftragte frühzeitig, unter anderem insbesondere bei personellen Angelegenheiten (Nr. 1) sowie organisatorischen und sozialen Angelegenheiten (Nr. 2). In § 27 Abs. 2 BGleiG heißt es: Eine frühzeitige Beteiligung nach Absatz 1 liegt vor, wenn die Gleichstellungsbeauftragte mit Beginn des Entscheidungsprozesses auf Seiten der Dienststelle beteiligt wird und die jeweilige Entscheidung oder Maßnahme noch gestaltungsfähig ist.
21) § 30 Abs. 2 BGleiG ordnet schließlich an: Die Dienststellenleitung unterstützt die Gleichstellungsbeauftragte bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben und der Ausübung ihrer Mitwirkungsrechte, indem sie die Gleichstellungsbeauftragte insbesondere unverzüglich und umfassend informiert (Satz 1). Die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlichen Unterlagen, insbesondere Bewerbungsunterlagen, vergleichende Übersichten und Auswahlvermerke, sind ihr frühestmöglich vorzulegen und die erbetenen Auskünfte zu erteilen (Satz 2). Die Dienststellenleitung soll der Gleichstellungsbeauftragten Gelegenheit zur aktiven Teilnahme an allen Entscheidungsprozessen zu personellen, organisatorischen und sozialen Angelegenheiten geben und den Informations- und Erfahrungsaustausch der Gleichstellungsbeauftragten mit anderen Gleichstellungsbeauftragten unterstützen (Satz 3).

22) Auf dieser rechtlichen Grundlage ist die Gleichstellungsbeauftragte grundsätzlich auch an Dienstbesprechungen zu beteiligen, die auf der Führungsebene der Dienststelle erfolgen, bei der die Gleichstellungsbeauftragte bestellt ist. Bereits zur früheren Rechtslage unter dem am 1. Mai 2015 außer Kraft getretenen Bundesgleichstellungsgesetz alter Fassung, hinter der die Neufassung des Gesetzes insoweit sachlich nicht zurückbleibt, hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass der Gleichstellungsbeauftragten nach dem Zweck der gleichstellungsrechtlichen Maßgaben die Beteiligung an Dienstbesprechungen jedenfalls gebührt, soweit diese den Entscheidungsprozess in personellen, organisatorischen oder sozialen Angelegenheiten – und sei es in der Phase der Planung oder Vorbereitung, insbesondere auch im Rahmen eines Teilverfahrens – wesentlich steuern, also nicht noch im Vorfeld eines derartigen Entscheidungsprozesses verharren oder lediglich die Entscheidung über Fachaufgaben der Behörde betreffen (BVerwG, a.a.O. Rn. 19 ff., insbesondere Rn. 23). Dieses weitreichende Beteiligungsrecht der Gleichstellungsbeauftragten gründet im Ausgangspunkt auf ihrer doppelten Rechtsstellung als unabhängiges und weisungsfreies Wahlorgan einerseits und als Teil der Personalverwaltung andererseits; an die Wahrnehmung der eigenen Angelegenheiten durch die Dienststelle tritt sie damit nicht von außen, sondern als deren Teil von innen heran. Gleichstellungsfreie Räume innerhalb der Dienststelle, die der Einbeziehung der Gleichstellungsbeauftragten trotz bestehender Zuständigkeit entzogen wären, kommen aus diesem Grunde von vorneherein nicht in Betracht. Insbesondere stehen ihrer Einbeziehung keine Gründe behördeninterner Hierarchie bei einem auf Führungskräfte beschränkten Teilnehmerkreis entgegen. Die Gleichstellungsbeauftragte ist bei der Dienststellenleitung angesiedelt und als Organ verselbstständigt; sie ist nicht in die Hierarchie eingegliedert.
23) Die mit ihrer Teilnahme auch an Dienstbesprechungen von Führungskräften verbundene frühzeitige Einbeziehung der Gleichstellungsbeauftragten bereits bei Beginn eines Entscheidungsprozesses, insbesondere im Stadium noch generell-​steuernder Entscheidungen, entspricht der Beteiligungsarchitektur des Bundesgleichstellungsgesetzes. Das gleichstellungsrechtliche Verfahren kennzeichnet die Besonderheit, dass die Gleichstellungsbeauftragte grundsätzlich zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beteiligen ist (vgl. § 27 Abs. 1 und 2 BGleiG). Diese frühzeitige Beteiligung wird nicht mehr erreicht, wenn die Gleichstellungsbeauftragte erst zu einem Zeitpunkt einbezogen wird, an dem durch Führungskräfte eine wesentliche Weichenstellung bereits getroffen worden ist, und sie damit zwar noch an der weiteren Ausgestaltung der getroffenen Grundlagenentscheidung, nicht mehr jedoch an dieser selbst beteiligt werden kann. Die Gleichstellungsbeauftragte ist auch nicht darauf verwiesen, sich zu möglicherweise beabsichtigten Entscheidungen allein im Vorfeld deren Erörterung zu verhalten. Der Dienststelle obliegt vielmehr – im Regelfall („soll“) – die aktive Einbeziehung der Gleichstellungsbeauftragten in alle Entscheidungsprozesse (§ 30 Abs. 2 Satz 3 BGleiG). Dies setzt aber voraus, dass sie an einem innerhalb solcher Entscheidungsprozesse erfolgenden mündlichen Austausch auch selbst teilnehmen kann. Denn erst die Teilnahme daran eröffnet ihr die Möglichkeit, Argumente und Gegenargumente unmittelbar zu erfahren und selbst zur Sprache zu bringen und damit auf den Entscheidungsprozess unvermittelt und „aktiv“ Einfluss zu nehmen (BVerwG, a. a. O., Rn. 23).

24) An diesen Maßstäben gemessen, hatte die Beklagte die Klägerin zu der Leitungsklausur 2016 einzuladen. Gegenstand der Leitungsklausur war (jedenfalls auch) die Mobile Arbeit im Ministerium. Dieser Gegenstand unterlag der Beteiligung der Klägerin.
25) Die Ausgestaltung und Entwicklung der Mobilen Arbeit innerhalb einer Dienststelle, wie hier des Ministeriums, ist eine organisatorische und abstrakt-​personelle Angelegenheit mit sozialen Bezügen. Sie liegt im Kernbereich der der Gleichstellungsbeauftragten (jedenfalls) eingeräumten Zuständigkeiten und Befugnisse. Die Beklagte hat die Klägerin daher zu Recht an der Projektgruppe, die die Mobile Arbeit innerhalb der Abteilung 1 vorbereitete, beteiligt. Sie durfte davon auch für die Erörterung dieses Themas auf der Leitungsklausur keine Ausnahme machen. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es nicht darauf an, ob und in welchem Umfang die Leitungsklausur tatsächlich eine Richtung für die weitere Behandlung des Themas Mobile Arbeit vorgegeben hat. Die die Beteiligungspflicht begründenden Umstände sind im Vorfeld (ex ante) zu bestimmen. Für die Beteiligung der Gleichstellungsbeauftragten an einer Besprechung der Führungskräfte ist nicht entscheidend, ob diese Besprechung Steuerungswirkung entfaltet hat, sondern ob im Vorfeld der Besprechung die Möglichkeit bestand, dass sie Steuerungswirkung entfalten werde. Diese Möglichkeit bestand hier. Wird ein Thema, das die inneren Angelegenheiten des Ministeriums betrifft, für so wichtig erachtet, dass es auf der jährlichen Leitungsklausur in einem Vortrag vorgestellt werden kann, so kommt auch ernstlich in Betracht, dass von dieser Leitungsklausur steuernde Impulse für den weiteren Fortgang ausgehen. Verfahrenssteuernd ist nicht die Vorstellung solcher Überlegungen, sondern die Reaktion des Leitungskreises darauf. Die in den Blick genommenen Maßnahmen werden mit Vorstellung auf der Leitungsklausur jedenfalls möglicherweise der Zustimmung oder Skepsis der Leitungsebene des Hauses, insbesondere den Hinweisen und Einwendungen der anderen Führungskräfte, ausgesetzt werden. Der Eindruck der Führungskräfte, die ihre Überlegungen an die Leitungsklausur herantragen, von der Reaktion der anderen Teilnehmer auf das Vorgebrachte kann richtungsweisend für den weiteren Entscheidungsverlauf sein, ohne dass es zu einer Entscheidung gekommen ist. Ist die Gleichstellungsbeauftragte nicht zugegen, vermag sie die durch den Umgang der auf der Leitungsklausur versammelten Führungskräfte mit dem Beteiligungsgegenstand gesetzten Impulse nicht einzuordnen. Eine nachträgliche Unterrichtung ist unzureichend. Die Rechte der Gleichstellungsbeauftragten beschränken sich nach den Maßgaben der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gerade nicht darauf, mit einer abgeschlossenen (wenn auch nur allgemeinen) Willensbildung konfrontiert zu werden; sie hat vielmehr das Recht, an der Vorbereitung des Abschlusses dieser Willensbildung teilzunehmen.

26) Aus dem von der Beklagten eingewandten politischen Charakter der Leitungsklausur, mit der das Ministerium zu Beginn des Kalenderjahres die Schwerpunkte seiner Tätigkeit festlege, ergibt sich nicht der vollständige Ausschluss der Klägerin, sondern nur die Begrenzung ihres Teilnahmerechts. Die Aufgaben und Rechte der Gleichstellungsbeauftragten beziehen sich allein auf das Ministerium als Dienststelle. Die nach außen wirkende politische Tätigkeit, darunter Gesetzes­initiativen, Themensetzungen und Öffentlichkeitsarbeit, und das Handeln als oberste Bundesbehörde unterliegen nicht ihrer Beteiligung. Soweit sie Gegenstand der Leitungsklausur sind, bleibt die Gleichstellungsbeauftragte grundsätzlich außen vor. Einzubeziehen ist sie nur, soweit und sobald politische Leitungsentscheidungen zugleich binnenorganisatorische, d.h. auch personelle Maßnahmen, bedingen. Die Entscheidung, etwa einen neuen fachlichen Schwerpunkt zu setzen, kann mit organisatorischen Überlegungen – wie der Schaffung eines neuen Referats – untrennbar verbunden sein. Sind aber organisationsrechtliche Maßnahmen nach innen schon Teil, nicht erst Folge der die Tätigkeit des Ministeriums nach außen betreffenden politischen Entscheidung, kann die Einbeziehung der Gleichstellungsbeauftragten (ausnahmsweise) schon in diese Entscheidung erforderlich sein. Ob eine solche Mitbetroffenheit die Beteiligung bzw. Unterrichtung auslösender Angelegenheiten zu erwarten ist, hat die Dienststelle im Voraus objektiv zu würdigen.