STREIT 3/2018
S. 141-143
Buchbesprechung: Hedwig Richter / Kerstin Wolff (Hg.): Frauenwahlrecht – Demokratisierung der Demokratie in Deutschland und Europa
Hamburger Edition, Hamburg 2018
Hedwig Richter vom Hamburger Institut für Sozialforschung und Kerstin Wolff, Forschungsleiterin im Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel, haben sich mit dem vorliegenden Band das Ziel gesetzt, die bisher vorherrschende Geschichtsschreibung zur Entstehung von Demokratien zu hinterfragen, wonach Demokratien jeweils durch revolutionäre Bewegungen und also vorwiegend durch Männer erkämpft worden seien. Dementsprechend werde der Eindruck erweckt, dass das Frauenwahlrecht im Zuge der Umstürze nach dem Ende des 1. Weltkriegs den Frauen quasi in den Schoß gefallen sei. Diesem Narrativ werden in elf Beiträgen Einzelstudien entgegengehalten, die am Beispiel verschiedener deutscher und europäischer Länder (vor allem Österreich, England und Niederlande) ein differenziertes Bild der Jahrzehnte währenden Kämpfe von Frauenorganisationen zur Erlangung der vollen staatsbürgerlichen Rechte erkennen lassen, sowie Vorstufen dieser Rechte in Kommunen, Kirchengemeinden und in der Zulassung zu Ämtern in der Sozialverwaltung.
Entscheidend für diesen Ansatz ist, wie die Herausgeberinnen in der Einleitung ausführen, die Abkehr von einer in der Demokratiegeschichte traditionell vollzogenen Abspaltung des öffentlichen, staatspolitischen Raums vom Privatleben, d.h. von der rechtlichen und sozialen Organisation von Familie, Sexualität, Bildung und Erwerbstätigkeit. Dieser Bereich des Privaten war Ausgangspunkt der Selbstorganisation von Frauen, ihrer Forderungen und vielfältigen Projekte und Engagements. Die Forderung nach dem Frauenwahlrecht wurde wahlweise als Ergebnis der Selbstermächtigung von Frauen oder als deren Voraussetzung diskutiert. Widerstände gegen das Frauenwahlrecht wurden lange Zeit und in vieler Herren Länder damit begründet, dass Staatlichkeit, insbesondere Nationalstaatlichkeit, identisch sei mit dem für Männer bestimmten öffentlichen Raum. Akteurinnen der Frauenbewegung kämpften gleichermaßen für die Gleichberechtigung im Staat wie auch in der Familie und im Erwerbsleben, Bereiche, die sie als voneinander abhängig verstanden.
Die Herausgeberinnen untergliedern die Aufsätze in drei Teile, die den Fokus auf Raum, Körper bzw. Sprache legen, wobei mit „Raum“ die Handlungsmöglichkeiten im öffentlichen Raum gemeint sind. Der Fokus „Körper“ hebt ab auf inhaltliche Forderungen der Frauenbewegungen, die sich oft auf die Lebensbedingungen bezogen. Die Bedeutung der „Sprache“ ist evident in einer Tradition, die geprägt war von dem Bibelwort: „Das Weib schweige in der Gemeinde“.
Im ersten Teil setzt sich Kerstin Wolff zunächst mit dem schon in der alten Frauenbewegung entstandenen Narrativ auseinander, dass die konservative Strömung der bürgerlichen Frauenbewegung, hier repräsentiert durch Helene Lange, sich wegen ihrer Betonung auf Geschlechterdifferenzen erst sehr spät und wenig entschlossen für das Frauenwahlrecht eingesetzt habe. Dem wird der Einsatz der „Radikalen“, die die prinzipielle Gleichheit von Frauen und Männern postulierten, entgegengesetzt, hier repräsentiert durch Minna Cauer. Kerstin Wolff kommt anhand der (im Archiv der deutschen Frauenbewegung vorhandenen) Quellen zu dem Ergebnis, dass beide Richtungen der bürgerlichen Frauenbewegung das Frauenwahlrecht schon früh forderten, sich aber in der Strategie deutlich unterschieden. 
Barbara von Hindenburg erläutert am Beispiel der bürgerlichen Reformerinnen in Schlesien, wie diese sich durch Gründung diverser Vereine, durch eigene Zeitschriften und Bibliotheken Räume für politische Diskussion und Agitation schufen. Als 1908 in Preußen das Verbot der Mitgliedschaft von Frauen in politischen Parteien aufgehoben wurde, war die Nationalliberale Partei am ehesten gewillt, Frauen die volle Mitgliedschaft zu ermöglichen. Allerdings war das nicht verbunden mit einer vollen Unterstützung der Forderung nach dem Frauenwahlrecht. Zuvor hatten Frauen vereinzelt an Parteiversammlungen teilgenommen, allerdings ohne Rederecht und in abgegrenzten Raumteilen.
Brigitte Bader-Zaar beschreibt „das kommunale und regionale Wahlrecht in Deutschland und Österreich im langen 19. Jahrhundert“. Lokale kommunale Wahlrechte waren vielerorts am Anfang des 19. Jahrhunderts noch geprägt durch Landrechte, die Landbesitzern – und wenn ein männlicher Besitzer fehlte, zuweilen auch Landbesitzerinnen – Mitbestimmungsrechte in lokalen Angelegenheiten einräumten. Wo Frauen diese Rechte hatten, mussten sie sich bei deren Ausübung zum Teil durch Männer vertreten lassen. Der Beitrag verdeutlicht, dass damals jede „demokratische“ Wahlrechtsreform „etwa im Kontext des nation building, mit der Vorstellung verknüpft war, dass nur Männer dieses Recht ausüben sollten“ (S. 79). Während die „gemäßigten“ Frauen vorrangig das Wahlrecht auf kommunaler Ebene anstrebten, weil dort in erster Linie die mit „Mütterlichkeit“ konnotierten sozialen Fragen thematisiert wurden, erkannten die Sozialdemokratinnen, wie Bader-Zaar schreibt, die Bedeutung des Gemeindewahlrechts und des sozialen Engagements von Frauen in den Kommunen erst ab ca. 1911.
Marion Röwekamp analysiert die „Interdependenzen des Frauenwahlrechts und des Familienrechts vor und nach 1918“. Sie wendet sich in ihrem Beitrag gegen die Neigung, „bei der Unterscheidung von Citizenship-Rechten diese in politische, bürgerliche und soziale Rechte zu unterteilen“ (S. 99). Wie sie an Hand der Quellen belegt, war es den Vertreterinnen der Frauenbewegung immer klar, dass der Ausschluss der Frauen vom Wahlrecht mit dem Ausschluss der Frauen von bürgerlichen Rechten insbesondere in der Ehe verbunden war. Klar war auch, dass es kaum möglich sein würde, die Gleichberechtigung in der Ehe durchzusetzen, wenn und solange Frauen von der politischen Gleichberechtigung ausgeschlossen waren. Schon deshalb richteten sich die Forderungen der Frauenbewegung sowohl gegen die Kodifikation patriarchaler Rechte im BGB wie auch gegen den Ausschluss von staatsbürgerlichen Rechten. Röwekamp beschreibt aber auch die Enttäuschung darüber, dass das Frauenwahlrecht ab 1918 keinesfalls die Gleichberechtigung in der Ehe zur Folge hatte. Die Weimarer Reichsverfassung garantierte eine Gleichberechtigung nur in Bezug auf die staatsbürgerlichen Rechte. Im Reichstag hatten Frauen nur wenige Stimmen, die sie allerdings wie Röwekamp beschreibt, beherzt und nachdrücklich für die Reform des Familienrechts einsetzten. Allerdings konnten sie sich gegen die national-konservativen und kirchlichen Kräfte, die in hohem Maße auch von Frauen unterstützt wurden, nicht durchsetzen. Ihre Reformvorschläge wurden in der BRD erst in den 1970er Jahren realisiert.
Im zweiten Teil schildert zunächst Tobias Kaiser, wie in England ab 1903 die radikalen Suffragetten, sich in die Tradition des „Peterloo-Massakers“ stellend (einer großen, blutig niedergeschlagenen Wahlrechtsdemonstration von 1819), die Straße vor dem Parlament besetzten. Ihre Aktionen brachten allerdings ebenso wenig politische Erfolge wie die mehr als 16.000 Petitionen, die zwischen 1866 und 1918 an das Parlament gerichtet worden waren. 
Relativ früh erfolgreich hinsichtlich der Einführung des vollen Wahlrechts war hingegen die deutsche Frauenbewegung, obwohl sie – anders als die englischen Suffragetten – auf radikale Aktionen verzichtet hatte. Hedwig Richter führt den Erfolg auf die kulturellen Reformbewegungen zurück, die in Deutschland wie auch in vielen anderen Ländern um die Jahrhundertwende starke Veränderungen im Hinblick auf Kleidung, Freizeit- und Sexualverhalten aber z.B. auch im Wohnungsbau, in der Pädagogik und allgemein im Verhältnis zur Menschenwürde hervorbrachten. Viele dieser Reformen wurden, wie Hedwig Richter ausführt, stark von Frauen getragen und trugen dazu bei, dass Frauen sich als Akteurinnen im politischen Raum wahrnehmen konnten. Auch die Einführung geheimer Wahlen in Wahlkabinen gehört nach Richter in den Kontext dieser auf den Körper bezogenen Reformära.
Die Wechselwirkung zwischen der Forderung nach dem Frauenwahlrecht und dem Abolitionismus, der Forderung nach der Abschaffung frauenverachtender Regulierungen von Prostitution, erläutert Malte König an den Beispielen Deutschland, Frankreich und Italien. Vertreterinnen der Frauenbewegung wiesen darauf hin, dass die Gesetzgebung gegen Prostituierte ausschließlich den Interessen der Männer diente, weil diese die Gesetze ohne Beteiligung von Frauen erdacht hatten und durchsetzen konnten.
Im dritten Teil wird an einzelnen Beispielen untersucht, wie Frauen ihre Stimme erhoben, als Rednerinnen, Herausgeberinnen von Schriften und Zeitschriften und seit Anfang des 20. Jahrhunderts auch als Parteimitglieder und schließlich als Abgeordnete. 
Susanne Schötz skizziert die Entwicklung des Kampfes für das Frauenwahlrecht am Beispiel der Schriften von Louise Otto-Peters, die konkrete Erfahrungen mit Gemeindewahlrechten für Frauen in deutsch-katholischen bzw. freireligiösen Gemeinden gesammelt hatte. Prägend für ihre Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Sozialreformen wurde die Zeit der Revolution von 1848. Nach den Jahren der Reaktion erhielt die demokratische und nationalstaatliche Bewegung in den 1860er Jahren einen neuen Aufwind. In dieser Zeit setzte sie sich für die Gründung einer, die vielen deutschen Staatsgrenzen überschreitenden, nationalen Frauenorganisation ein. 1865 wurde sie die Gründungsvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF).
Wie der ADF zur Politisierung von Frauen beitrug, verdeutlicht Birte Förster am Beispiel des Großherzogtums und späteren Volksstaats Hessen. Diverse Vereine ermöglichten es bürgerlichen Frauen, sich politisch und beruflich zu professionalisieren und sich in Bereichen, die mit Mütterlichkeit in Verbindung gebracht werden konnten, zu engagieren. Mit dem Wahlrecht war allerdings zunächst noch wenig erreicht, wie Förster ausführlich schildert. Die fünf Frauen, die im Januar 1919 in die Hessische Volkskammer gewählt worden waren, nutzten ihre Erfahrungen aus der Frauenbewegung, um in mühsamen Kämpfen die Zulassung von Frauen zu staatlichen Ämtern zu erreichen.
Die Benachteiligung von Frauen bei der Aufstellung von Wahllisten in der Zeit der Weimarer Republik verdeutlicht Lutz Vogel am Beispiel des Landes Sachsen. Mit welchen Überlegungen die verschiedenen Parteien um die Wählerinnenstimmen geworben haben, beschreibt Harm Karl am Beispiel der Niederlande. Dabei verdeutlicht er insbesondere den Einfluss der katholischen und der orthodox-protestantischen Parteien auf die Wählerinnen. Gerade weil diese Parteien das Frauenwahlrecht als Ausdruck der Gleichberechtigung der Geschlechter prinzipiell ablehnten, versuchten sie die Frauen davon zu überzeugen, dass es ihre religiöse Pflicht sei, diese Parteien zu wählen.
In der Gesamtsicht bietet der Band einen differenzierten Einblick in die Geschichte und Bedeutung des Frauenwahlrechts. Deutlich wird, dass die Forderung nach dem Wahlrecht nicht losgelöst werden konnte von Forderungen nach einer allgemeinen Gleichberechtigung und Chancengleichheit von Frauen und Männern insbesondere in der Familie, aber auch in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen. Deutlich wird auch, dass es den Frauen der alten Frauenbewegung nicht nur um eine formale Gleichstellung ging, sondern immer auch um den Schutz vor individueller und kriegerischer Gewalt und um soziale Reformen. Darin unterschied sich die sozialistische Frauenbewegung, die nur in einzelnen Beiträgen und nur am Rande erwähnt wird, nicht grundlegend von der bürgerlichen Frauenbewegung. 
Deprimierend für die Akteurinnen der alten Frauenbewegung wie auch für die Leserin heute ist die Einsicht, dass Frauen, wenn sie das Wahlrecht ausüben, oftmals konservative, frauenfeindliche Parteien stärken. Dadurch blieben und bleiben bis heute die Parlamente männerdominiert und die Durchsetzung von vielen Forderungen der Frauenbewegung war und ist langwierig bis unmöglich.