STREIT 3/2025

S. 145-146

Claudia Burgsmüller: Vom Mythos einer feministischen Rechtsanwältin

Aus STREIT 1/1984, S. 3-7 (Auszug)

(…) Was hat sie davon, nur noch Mandate für und von Frauen zu übernehmen, sich für diese zu engagieren und keine Männer mehr zu vertreten? Warum stürzt sie sich auf Bereiche wie Vergewaltigung, Frauenlohndiskriminierung, Eherecht und Frauenmißhandlung und klagt in Prozessen die unverändert „normale“ männliche Gewalt an? Was hat sie davon, sich nicht mit der Rolle der Rechtsanwältin zu begnügen? Warum will sie auch noch Sozialarbeiterin, Fortbildungsexpertin, Therapeutin, Wohnungsmaklerin oder gar Mutter der Mandantin sein? Was hat sie davon, das Machtverhältnis zwischen sich und der Mandantin aufzulösen zugunsten von Frauensolidarität?
Warum jagt sie nach Kanzleischluß auf die Veranstaltungen der verschiedenen Frauenbewegungsprojekte, zeigt sich auf Pressekonferenzen und Tribunalen und beklagt in Interviews die katastrophale Situation von Frauen in Recht und Justiz über den Äther. Was hat sie davon, ausschließlich mit Frauen in der Kanzlei zusammenzuarbeiten?

Sie gestattet sich einen historischen Rückblick: In den Jahren nach 1975 war sie von „unserer Gleichheit“ besessen. Von der Analyse der strukturellen Herrschaftsverhältnisse von Männern über Frauen gelangte sie schnell zu der kurzschlüssigen Annahme, daß alle Frauen nur graduell unterschieden Betroffene männlicher Gewalt seien und sich auf dieser Erkenntnis Gleichheit, Gemeinsamkeit und Solidarität aufbauen ließen.
Die strukturelle Analyse, die bis heut mangels einschneidender Veränderungen noch nicht an Aktualität verloren hat, führte sie dazu, ihre Arbeitskraft, Qualifikation und Stärken für die am meisten Unterdrückten einzusetzen: nur noch Frauen zu vertreten, ihr Wissen und Können nicht mehr in den Dienst von Männern zu stellen. Auch wollte sie den Kollegen als potentiellen Herrschaftsträgern nicht die Vertretung der Mandantinnen überlassen, zumal diese den Frauen nur die gängigen, männlich orientierten Identifikationsmuster (Beschützer, Vater, edler Verfechter von Fraueninteressen) bieten und oft in wenig latenter Identifikation mit dem gegnerischen Geschlechtsgenossen – z.B. in Ehesachen – die Interessen der Frauen zu kurz kommen lassen.
Ihren Wunsch, die eigenen Energien nur noch für andere Frauen zur Verfügung zu stellen, wollte sie auch im engsten Arbeitsbereich der Kanzlei in die Wirklichkeit umsetzen: viele Kolleginnen vertraten die Forderung nach sogenannten „reinen Frauenbüros“. Entweder waren sie nach jahrelanger Kritik an Arbeitsstil, Mandantschaft, Kleinkariertheit oder politischen Prioritäten (Frage nach der Vertretung von Vergewaltigern durch die Sozietät) an einen Endpunkt der Auseinandersetzung mit den männlichen Kollegen gekommen oder hatten aktiv in der Frauenbewegung gearbeitet und wollten nun auch in den zu schaffenden Berufszusammenhängen ihre Autonomiebestrebungen fortsetzen.
Bis heute hat sich für sie an diesen grundlegenden frauenfreundlichen Entscheidungen kaum etwas geändert. Kritisch betrachtet sie nur, daß über diesen Entscheidungen die Fiktion „unserer Gleichheit“ schwebte und diese sie in ihren alltäglichen Erfahrungen unter Druck setzte. (…) Die Schreiberin dieses Textes scheut sich nach achtjähriger Erfahrung nicht, zu betonen: Es ist eine Illusion, zu meinen, die Machtbeziehung zwischen Mandantin und Rechtsanwältin sei aufzulösen. (…)

Konfrontiert mit widersprüchlichen Haltungen, Einstellungen und Wünschen von Frauen (die eigenen nicht ausgeschlossen) gehört es auch zu ihrer Arbeit, Mandantinnen von der Durchsetzung bestimmter Ziele abzuraten, wenn diese sich in unsinnigen Kämpfen mit der Justiz und dem Gegner psychisch und finan­zielle verstricken würden. Die Kenntnis einer Fülle von ähnlich gelagerten Erfahrungen z.B. mißhandelter oder vergewaltigter Frauen, die der Rechtsanwältin eine Deutung und Analyse ermöglichen, trennen sie von der Mandantin, die eine Konflikt erlebt und lösen will. (…)
Ihre Moral und die verlockende Freiheit ihres Berufsstandes, die Übernahme von Mandaten auch abzulehnen, werden sie auch in Grenzsituationen führen, in denen sie eine Frau nicht mehr parteilich vertreten will. Die Grenzen ihrer alltäglich geübten Parteilichkeit treten zutage, wenn sie erfährt, daß ihre Mandantin den Sohn oder die Tochter mißhandelt. Sie ist zwar geübt, dieses Verhalten aus der Lebenssituation der Frau zu erklären, weiß jedoch auch, wie sehr machtlose Kinder auf Unterstützung von Dritten angewiesen sind. Sie hat die Mädchen und Jungen erlebt, die sich im Frauenhaus physisch und psychisch gegen eine Rückkehr der Mutter zum mißhandelnden Vater gewehrt haben. Sie wird sich nicht blindlings für eine Übertragung des Sorgerechts auf die Mutter einsetzen, sondern die Bestrebungen ihrer Mandantin unterstützen, ihre Beziehung zu den Kindern zu ändern oder sich von ihnen zu trennen.

Wieviel leichter kann sie sich entscheiden, wenn sie die Übernahme von Mandaten für Männer ablehnt, die sie in den meisten Fällen nicht im Sinne ihrer Berufs- und Standespflicht parteilich vertreten kann. (…) Die Schreiberin vertritt Männer auf keinen Fall in Rechtstreitigkeiten gegen Frauen (z.B. Ehescheidungsverfahren), weil sie sie nicht parteilich beraten könnte. Hier legen sie und ihre Kolleginnen ehrlich ihre Voreingenommenheit offen, beanspruchen sie moralische Eindeutigkeit auch dem Gegner gegenüber. Eine derartige Haltung suchen sie vergeblich bei ihren männlichen Kollegen, die ihre offene oder latente Identifikation mit männlichen Interessen der Gegenseite verschleiern, und trotzdem ihre Tätigkeit als eine parteiliche bezeichnen. (…)

Vor dem Hintergrund ihrer feministischen Moral, die sie die „Richtigen“ vertreten läßt, ist ihr die eine Sicherheit garantiert: sie ist nicht „durch die schmutzige Macht des Erfolgs „verführbar“, wohl aber durch die „Idealisierungen“ von Seiten „ihrer abhängigen“ Mandantinnen.
Vor der Korruption durch den finanziellen Erfolg ist sie besonders geschützt, gehören ihre Mandantinnen doch zu denen in diesem Land, die am wenigsten verdienen und sich um die kleinsten Summen streiten. Unkorrumpiert geht sie stolz von dannen, wenn sie erfährt, daß der Verteidiger des Vergewaltigers das zehnfache Honorar für „dieselbe“ Tätigkeit erhalten hat. (…) Sie lernte, daß auch für ihre mehrfach qualifizierten Beratungen, selbst wenn daraus keine Klageverfahren resultierten, die Rechtsanwaltsgebührenordnung gilt. Erst dann konnte sie den stillschweigenden oder offen vorgetragenen Erwartungen vor allem frauenbewegter Mandantinnen, sie müsse kostenlos oder billig arbeiten, entgegentreten. Seit das Persönliche politisch war, war auch das Gespräch mit der Rechtsanwältin zu deren vergnügungsreichen politischen Betätigungsfeld avanciert. (…)

Die Zusammenarbeit mit Frauen ist für sie heute kein Postulat mehr, das sie zu Gleichmachungsbestrebungen verpflichtet, sondern eine aktive individuelle Wahl, eine soziale Vorliebe. Sie zieht die Auseinandersetzung mit Frauen, die sich ernstnehmen, der entspannenden konfliktfreudigen Funktion für ihre männlichen Kollegen vor, auch wenn sie nach den ersten Konflikten in Frauenbüros weiß, daß es dort nicht unbedingt entspannter und angenehmer zugeht.