STREIT 3/2025
S. 142-144
Rechtsanwältin Claudia Burgsmüller 1950 bis 2025. Streiterin gegen Gewalt gegen Frauen und sexuellen Missbrauch
Wir trauern um Rechtsanwältin Claudia Burgsmüller, die am 22.06.2025 kurz vor Erreichen ihres 75. Lebensjahres gestorben ist. Lange Jahre war Claudia Burgsmüller Redakteurin unserer feministischen Rechtszeitschrift STREIT. 1983 hatte sie den Verein „Frauen streiten für ihr Recht e.V.“, der die STREIT herausgibt, mitgegründet.
Wie fast alle Gründerinnen war sie zu diesem Zeitpunkt bereits als Anwältin tätig, und zwar zunächst in Westberlin, wo sie unter anderem im 1. Frauenhaus Schutzsuchende rechtlich beraten und in familienrechtlichen und strafrechtlichen Verfahren vertreten hat. Von 1986 bis 1990 hatte sie am Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Wiesbaden eine Vertretungsprofessur für Familienrecht und Strafrecht inne, was sie zum Anlass nahm, ihren Wohnsitz nach Hessen und den Kanzleisitz nach Wiesbaden zu verlegen, wo sie bis zu ihrem Tode als Rechtsanwältin zugelassen war.
Rechtsanwältin war Claudia Burgsmüller mit Leib und Seele, und zwar sowohl im unmittelbaren Sinne parteilicher Interessenvertretung ihrer Mandant*innen, wie auch mittelbar im steten Kampf für die Rechte aller von Gewalt, insbesondere sexueller Gewalt betroffenen Personen. In ihrer Arbeit ließ sie sich von einem Verständnis leiten, das sexuelle Gewalt als Ausübung von Macht in einem aufgrund dieser Machtposition geschaffenen, ermöglichten und/oder aufrechterhaltenen Abhängigkeitsverhältnis begreift. In Bezug auf Frauen und weiblich gelesene Personen wird dieses Abhängigkeitsverhältnis durch patriarchale Strukturen und die kapitalistische Wirtschaftsweise bestimmt, Burgsmüller verstand es als ein strukturelles Herrschaftsverhältnis von Männern über Frauen, welches durch emotionale Überhöhung bemäntelt wird.
Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit war die Vertretung von Frauen, die durch männliche Täter sexuelle Gewalt erfahren hatten. Claudia Burgsmüller stand ihnen im Ermittlungs- und Strafverfahren als Beistand und/oder Nebenklagevertreterin zur Seite.1
Auch die Geltendmachung von zivilrechtlichen und sozialrechtlichen Ansprüchen, die den Geschädigten zustanden, sah sie als ihre selbstverständliche Aufgabe an.
Über den Charakter der Justiz als sexistische Institution machte sie sich keine Illusionen. Auch war ihr klar, dass sich die Prozessrollen in einem Strafverfahren wegen des Vorwurfs etwa der Vergewaltigung sehr schnell umkehren können. Mit einem den Machtaspekt vollständig ignorierenden Verständnis männlicher Sexualität als eine Art pawlowschem Reflex, dreh(t)en sich Befragung und Beweiserhebung oft nur noch um das sexuelle sogenannte Vorleben der geschädigten Frau.2
Dennoch sah Claudia Burgsmüller Strafanzeige, Anklageerhebung und Hauptverhandlung als eine Möglichkeit an, von sexueller Gewalt betroffenen Personen eine zumindest teilweise Verarbeitung des Geschehenen zu ermöglichen und sie (erneut) zu bemächtigen. Ungeachtet aller Beschränkungen eröffnet das staatlicherseits bereit gestellte Strafverfahren einen Raum, in dem der Täter sich in direktem Kontakt zur geschädigten Person seiner Verantwortung stellen muss. Mit dem Beitritt als Nebenklägerin stehen der Geschädigten im Strafverfahren gegen den Täter viele prozessuale Rechte zu.
Als Aufgabe der Nebenklagevertreterin sah Claudia Burgsmüller es, die Mandantin über ihre Rechte zu informieren, sie für sie durchzusetzen bzw. sie bei der Durchsetzung zu unterstützen. Es galt, gemeinsam mit ihr eine erneute Demütigung zu verhindern, die erfahrene Zerstörung nachvollziehbar zu artikulieren und den Täter, aber auch das Gericht damit zu konfrontieren. Allen Versuchen, den subjektiven Faktor aus dem Verfahren herauszuhalten, sei es über die immer mal wieder diskutierte flächendeckende Glaubwürdigkeitsbegutachtung erwachsener Geschädigter3
wie auch durch sogenannte Verständigung im Strafverfahren, vorgeblich mit dem Ziel, der Geschädigten die Konfrontation mit dem Täter „zu ersparen“, erteilte sie wiederholt eine deutliche Absage. Sie sah in diesen Praktiken vor allem einen Schutz für Täter, aber auch für die am Verfahren Beteiligten und betonte immer, dass nur eine vollständige persönliche Aussage der geschädigten Person in der Hauptverhandlung das ganze Ausmaß der erlittenen Verletzung und Zerstörung erkennbar mache und die prozessuale Wahrheitsfindung ohne sie nicht möglich ist.
Claudia Burgsmüller unterstützte nicht nur Frauen, die im vermeintlich geschützten Rahmen der Familie (sexualisierte) Gewalt erlitten hatten. Die Bemäntelung eines Abhängigkeitsverhältnisses, das Machtausübung erlaubt, findet sich nicht nur im engen persönlichen Umfeld der Geschädigten, sondern auch in vielen anderen Bereichen, etwa im Arzt-PatientInnen- oder im Psychotherapeuten-KlientInnen-Verhältnis. Hier sind es die Ausnutzung des Hilfe-Kontextes und des Autoritätsgefälles für sexualisiert daherkommende Übergriffe, die zu einem immensen Schaden an Gesundheit und Seele der Missbrauchten führen können. Genauso wirkt auch die Möglichkeit der Täter, aufgrund der über die Patientin/Klientin erlangten Informationen die Wahrnehmung der Geschädigten über die Bedeutung und den missbrauchenden Charakter der an ihr begangenen Taten zu täuschen, um sie anschließend als unglaubwürdig darstellen zu können.
Vielen im medizinisch-therapeutischen Umfeld Geschädigten ist es ein Anliegen, andere Frauen vor ähnlichen Übergriffen zu schützen. Claudia Burgsmüller hat sich als eine der ersten nicht nur dafür eingesetzt, dass die Täter überhaupt bestraft wurden, sondern dafür gekämpft, dass Berufsverbote verhängt wurden und standesrechtliche Verfahren mit einem Entzug der Betätigungsmöglichkeiten endeten.
Zu Claudia Burgsmüllers Mandantschaft gehörten immer auch Kinder, die sexuelle Übergriffe durch Männer in allen erdenklichen Schweregraden hatten hinnehmen müssen, Kinder gegen übergriffige Frauen zu vertreten, sah sie sich nicht als die richtige Person an. Kinder sind nicht nur in ihrem familiären Umfeld gefährdet, sondern letztlich überall dort, wo sie sich aufhalten, um zu spielen, zu lernen, sich ausbilden zu lassen, Sport zu treiben, ihren Hobbys nachzugehen oder soziale und spirituelle Bildung zu erfahren. Täter nutzen die im weitesten Sinne fürsorglichen Zusammenhänge, in denen Kinder sich bewegen, um den Kontakt zu ihnen aufzubauen, ihr Vertrauen zu gewinnen und beides für ihre Übergriffe zu instrumentalisieren. Der institutionelle Rahmen erlaubt und ermöglicht es ihnen oft genug, über einen langen Zeitraum einzelne Kinder und, manchmal über Jahrzehnte hinweg, immer wieder andere Kinder ihrer zerstörerischen Macht zu unterwerfen. Kommt es überhaupt – wegen der oft langen Zeit bis zur Aufdeckung der Taten – zu einem Strafverfahren gegen solche Täter, so zeigt sich schnell, dass gerade der institutionelle Rahmen, in dem die Taten ausgeübt wurden, den Tätern – nochmals – zum Vorteil gelangt i. S. einer Minderung individueller Schuld: ist es ihnen doch leicht gemacht worden, waren die Übergriffe ja nicht so deutlich erkennbar, war er doch ein guter, anerkannter Trainer, Lehrer, Pfarrer usw. und so fort.
Claudia Burgsmüller war schnell klar, dass die strafrechtliche Verfolgung von sogenanntem Missbrauch in Institutionen den enormen Unrechtsgehalt der Taten nicht abbilden, das Fehlen von institutionellen Meldestrukturen und Schutzmechanismen nicht aufheben und den Drang zum Verschleiern und Vertuschen nicht beseitigen wird. Die Erfahrung völligen Ausgeliefertseins und gleichzeitiger Schutzlosigkeit in einer Institution, die eigentlich dem Wohl von Kindern dienen soll, dürfte für viele von Claudia Burgsmüllers MandantInnen genauso gravierend gewesen sein, wie die Übergriffe als solche.
So ist es nur folgerichtig, dass Claudia Burgsmüller sich in den späteren Jahren ihres Berufslebens mit all ihrer Erfahrung, ihren Kenntnissen, ihrer Bereitschaft, genau hinzuschauen, zuzuhören und die in Erfahrung gebrachten Übergriffe klar und schonungslos beim Namen zu nennen, mehrfach mit sogenanntem sexuellem Missbrauch in Institutionen beschäftigt und an vorderer Stelle Aufklärungsarbeit geleistet hat. Da war zunächst ihr Beitrag zu den fast schon habituellen Übergriffen an der als fortschrittlich („Leuchtturm der Reformpädagogik“) und menschenfreundlich dargestellten Odenwald-Schule. Gemeinsam mit der ehemaligen Präsidentin des OLG Frankfurt, Brigitte Tilmanns, hat sie von 2010 bis 2012 die ersten Berichte und Dokumentationen zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs dort untersucht. Im Mai 2015 beauftragte das Hessische Kultusministerium Claudia Burgsmüller und Brigitte Tilmanns mit der umfassenden Aufarbeitung des jahrzehntelangen sexuellen Kindesmissbrauchs an der staatlichen Elly-Heuss-Knapp-Schule in Darmstadt, die sie mit der Vorstellung ihres Berichts im Herbst 2016 beendeten.4
Die Unabhängige Kommission (des Bundes) zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hat 2019 eine Handreichung herausgegeben, an deren Entstehen Claudia Burgsmüller mitgewirkt hat.5
In der Folge der zwischen 2014 und 2017 durchgeführten sog. MHG (Mannheim-Heidelberg-Gießen)-Studie zu sexuellem Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige in deutschen Bistümern6
hat das Bistum Limburg eine eigene Untersuchung der Limburger Fälle in Auftrag gegeben. Dabei sollte nicht nur darauf geschaut werden, was im Bistum in den vergangenen Jahrzehnten geschehen war und wo Missbrauchstäter geschützt wurden, sondern es sollten auch Vorschläge erarbeitet werden, wie systemische Faktoren künftig ausgeschlossen und Missbrauchstaten zukünftig verhindert werden können. Zugleich wurde eine Kommission eingesetzt, die 46 Fälle anhand der Originalakten neu aufgearbeitet hat. Claudia Burgsmüller wurde als Vorsitzende der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs im Bistum Limburg (UKO) eingesetzt. Das Bistum initiierte 2019 in der Folge das Projekt „Betroffene hören – Missbrauch verhindern“, in dem neun verschiedene Gruppen unterschiedliche Schwerpunkte der kirchlichen Arbeit untersuchten. Claudia Burgsmüller erhielt hier zusätzlich die Aufgabe, als externe Projektbeobachterin mit umfassenden Einsichtsrechten zu fungieren, um Fehlentwicklungen zu vermeiden.
Claudia Burgsmüller verfügte nicht nur über eine beeindruckende und umfassende juristische Expertise. Immer hat sie sich in den für ihre Arbeit notwendigen Wissenschaften umgetan und fortgebildet, Studienergebnisse ausgewertet.7
Zentral war für sie der Rekurs auf die Erkenntnisse der Frauenbewegung, der Frauenhäuser, Notrufe, Betroffenenverbände, denn die Geschichte von Frauen war ihrer Meinung nach noch immer nicht erzählt.
Ihr Kampfgeist, ihre klare Haltung und ihr Engagement gegen Gewalt gegen Frauen und für die Offenlegung sexueller Ausbeutung von Kindern haben den Diskurs in Deutschland für immer verändert.
Sabine Heinke
- Claudia Burgsmüller: Der subjektive Faktor – Ein Beitrag zur drohenden Abschaffung der Nebenklage, STREIT 3/1983, S. 8–12. ↩
- Siehe den eindrücklichen Bericht von Claudia Burgsmüller: Gerichtsbericht: Impressionen aus dem Berliner Gynäkologenprozeß, STREIT 2/1986, S. 40–47. ↩
- Claudia Burgsmüller: Vom Umgang der Strafjustiz mit der Aussagepsychologie bei sexuellem Missbrauch von Kindern seit der Grundsatzentscheidung des 1. Strafsenats des BGH vom 30.07.1999, STREIT 2/2010, S. 51–57. ↩
- Burgsmüller, Claudia; Tilmann, Brigitte unter Mitarbeit von Dr. Ute Weinmann: Institutionelles Versagen beim Umgang mit sexueller Gewalt im schulischen Kontext. Aufarbeitung der sexuellen Missbrauchsfälle an Schülern der Elly-Heuss-Knapp-Schule in Darmstadt (1965-1992), Heidelberg 2019. ↩
- UBKSM: Rechte und Pflichten: Aufarbeitungsprozesse in Institutionen. Empfehlungen zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. www.aufarbeitungskommission.de/mediathek/. ↩
- Sogenannte MHG-Studie (Mannheim-Heidelberg-Gießen). Text und nähere Informationen: https://www.uni-giessen.de/de/fbz/fb01/professuren-forschung/professuren/bannenberg/forschung/MHG. ↩
- Siehe schon die 1984 von ihr erarbeitete ca. 600 deutsche und englische Titel umfassende Bibliografie zum Thema Vergewaltigung, Beilage der Hefte 1, 2/1984. ↩