STREIT 4/2017
S. 164-168
OVG Lüneburg, Art. 33 GG, § 28 BGleiG, § 22 GleichberG ND
Dienstliche Beurteilung durch fiktive Nachzeichnung der beruflichen Entwicklung einer Gleichstellungsbeauftragten
Eine in der niedersächsischen Landesverwaltung tätige Beamtin, die zur Gleichstellungsbeauftragten bestellt und vollständig von ihrer sonstigen dienstlichen Tätigkeit entlastet worden ist, ist anlässlich einer Bewerbung um ein höherwertiges Amt nicht dienstlich zu beurteilen. In einem solchen Fall ist vielmehr die letzte dienstliche Beurteilung der Beamtin durch eine fiktive Nachzeichnung der beruflichen Entwicklung der Beamtin fortzuschreiben.
Beschluss des OVG Lüneburg vom 13.10.2017 – 5 ME 153/17
Aus den Gründen:
I.
Die Antragstellerin verfolgt mit der vorliegenden Beschwerde ihr Ziel weiter, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, die Stelle eines … des Antragsgegners mit dem Beigeladenen zu besetzen.
Die … geborene Antragstellerin war von ... bis … als ... tätig. Nach ihrer Abordnung an den Antragsgegner im Jahr … wurde sie mit Wirkung vom … zur … (Besoldungsgruppe ...) ernannt und zum Antragsgegner versetzt. Sie war von … bis … Frauenbeauftragte und führte ab dem … bis zum … das Amt als Gleichstellungsbeauftragte fort. Vom … bis zum … war ihr der Dienstposten der … übertragen. Mit Urkunde vom … wurde ihr das Amt einer … der Besoldungsgruppe ... verliehen. Mit Verfügung vom ... wurde die Antragstellerin für die Zeit vom ... bis zum ... zur Gleichstellungsbeauftragten – unter vollständiger Entlastung von sonstigen dienstlichen Tätigkeiten – bestellt. […]
Der Antragsgegner schrieb […] hausintern die Stelle einer ... (Besoldungsgruppe ...) verbunden mit dem Dienstposten der ... aus. Einziger Bewerber auf diese Ausschreibung war der Beigeladene. Aufgrund einer Intervention der Antragstellerin in ihrer Eigenschaft als Gleichstellungsbeauftragte brach der Antragsgegner das Stellenbesetzungsverfahren ab und schrieb die Stelle am ... erneut aus. Nunmehr bewarb sich neben dem Beigeladenen auch die Antragstellerin.
Aus Anlass einer Bewerbung um die Stelle einer ... (Besoldungsgruppe ...) wurde die Antragstellerin am ... dienstlich beurteilt (Beurteilungszeitraum ... bis ...). Die Beurteilung erfolgte auf der Grundlage der „Richtlinien für die dienstliche Beurteilung von Beamtinnen und Beamten im Niedersächsischen ... durch die ... des Antragsgegners. Die Antragstellerin erhielt für das ausgeübte Amt […] das Gesamturteil „übertrifft erheblich die Anforderungen“ (zweitbeste von fünf Rangstufen) und für das angestrebte Amt die Eignungsprognose „entspricht voll den Anforderungen“ (drittbeste von fünf Rangstufen) mit der Zwischenstufe „oberer Bereich“ (beste von drei Zwischenstufen innerhalb dieser Rangstufe). Aus Anlass der Bewerbung der Antragstellerin auf die ausgeschriebene Stelle […] ergänzte die Beurteilerin am ... die Eignungsprognose dahingehend, dass zu erwarten sei, dass die Leistungen der Antragstellerin in dem angestrebten Statusamt verbunden mit dem Dienstposten der … „voll den Anforderungen – oberer Bereich –“ entsprechen werden.
Der Beigeladene wurde aus Anlass seiner Bewerbung […] auf der Grundlage der AV „Dienstliche Beurteilung der ... durch die ... des Antragsgegners beurteilt (Beurteilungszeitraum ... bis ...). Er erhielt […] das Gesamturteil „vorzüglich geeignet“ (beste von sieben Noten). Auch für das angestrebte Amt […] erhielt der Beigeladene die Note „vorzüglich geeignet“. […]
Der Antragsgegner entschied, dem Beigeladenen die ausgeschriebene Stelle zu übertragen. In seinem Auswahlvermerk vom ... legte der Antragsgegner dar, dass die Beurteilungen der Antragstellerin und des Beigeladenen, die nach verschiedenen Beurteilungsrichtlinien gefertigt worden seien, inhaltlich vergleichbar seien. Die Gesamtnote „übertrifft erheblich die Anforderungen“ bei der Leistungsbeurteilung von Beamtinnen und Beamten sei mit der Gesamtnote „besser als sehr gut geeignet“ bei der Leistungsbeurteilung […] vergleichbar. Die Antragstellerin sei in einem höheren Statusamt als der Beigeladene beurteilt worden. Die Eignungsprognose des Beigeladenen für das angestrebte Amt sei auch unter Berücksichtigung des höheren Statusamtes der Antragstellerin deutlich besser. Er habe die Spitzeneinschätzung „vorzüglich geeignet“ erhalten, die Antragstellerin aber nur die dritthöchste Einstufung im Beurteilungssystem der Beamtinnen und Beamten, die der dritthöchsten („gut geeignet“) oder vierthöchsten Stufe („geeignet“) der Eignungsprognose […] entspreche.
Die stellvertretende Gleichstellungsbeauftragte wandte sich in ihrer Stellungnahme vom ... gegen diesen Auswahlvorschlag mit der Begründung, für die Antragstellerin als Gleichstellungsbeauftragte hätte – wie bei einem freigestellten Personalratsmitglied und entsprechend der Regelung des § 28 des Bundesgleichstellungsgesetzes (BGleiG) – eine Beurteilung nachgezeichnet werden müssen.
[…] Der Antragsgegner teilte der Antragstellerin mit Schreiben vom ... mit, ihre Bewerbung bleibe ohne Erfolg, weil die Eignungsprognose des Beigeladenen besser sei.
Die Antragstellerin hat daraufhin am ... bei dem Verwaltungsgericht Hannover um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht. Ihren Antrag, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu untersagen, die streitige Stelle mit dem Beigeladenen zu besetzen, hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 27. Juni 2017 abgelehnt.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde. […]
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat Erfolg.
Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen eine Änderung der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung.
Der unterlegene Bewerber kann – wenn das subjektive Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG durch eine fehlerhafte Auswahlentscheidung des Dienstherrn verletzt wird – eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung beanspruchen, wenn seine Aussichten, beim zweiten Mal ausgewählt zu werden, zumindest offen sind, das heißt, wenn seine Auswahl möglich erscheint. Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung der realistischen, nicht nur entfernten Möglichkeit, dass der unterlegene Bewerber bei Vermeidung des Fehlers einem der ausgewählten Mitbewerber vorgezogen wird, dürfen nicht überspannt werden (BVerfG, Beschluss vom 24.9.2002 – 2 BvR 857/02 –, juris Rn. 10 ff.).
Gemessen hieran hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch gemäß § 123 Abs. 1, Abs. 3 VwGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO hinreichend glaubhaft gemacht.
1. Die Antragstellerin wendet zu Recht ein, sie habe als vollständig von ihrer sonstigen dienstlichen Tätigkeit entlastete Gleichstellungsbeauftragte nicht beurteilt werden dürfen, sondern es hätte einer fiktiven Nachzeichnung ihrer beruflichen Entwicklung bedurft.
Nach Art. 33 Abs. 2 GG sollen dienstliche Beurteilungen Grundlage für künftige Auswahlentscheidungen sein und daher eine möglichst lückenlose Leistungsnachzeichnung gewährleisten. Werden während des Beurteilungszeitraums keine dienstlichen Leistungen erbracht, die Grundlage einer Beurteilung sein könnten, so kann der Dienstherr Benachteiligungen der betroffenen Beamten dadurch ausschließen, dass er die Fortschreibung vergangener Beurteilungen durch eine fiktive Nachzeichnung des beruflichen Werdegangs des freigestellten Beamten vorsieht; hierbei kann er auch dem Gesichtspunkt einer zu erwartenden Leistungssteigerung im Rahmen des Vertretbaren Rechnung tragen (BVerwG, Urteil vom 16.12.2010 – BVerwG 2 C 11.09 –, juris Rn. 9 m. w. N.). Hiervon ausgehend ist das – nunmehr auch in § 33 Abs. 3 der Bundeslaufbahnverordnung (BLV) geregelte – Rechtsinstitut einer fiktiven Fortschreibung dienstlicher Beurteilungen durch Verwaltung und Gerichte weiter entwickelt worden. Die fiktive Fortschreibung fingiert nicht nur eine tatsächlich im Beurteilungszeitraum nicht erbrachte Dienstleistung, sie unterstellt auch eine Fortentwicklung der Leistungen des Beamten entsprechend dem durchschnittlichen beruflichen Werdegang einer Gruppe vergleichbarer Beamter. Damit prognostiziert sie, wie der Beamte voraussichtlich zu beurteilen wäre, wäre er im Beurteilungszeitraum nicht freigestellt gewesen und hätte er seine Leistungen wie vergleichbare Kollegen fortentwickelt (BVerwG, Urteil vom 16.12.2010, a. a. O., Rn. 9).
Die Dienststellen des Bundes haben die berufliche Entwicklung ihrer Gleichstellungsbeauftragten gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 BGleiG von Amts wegen fiktiv nachzuzeichnen. Diese Pflicht gilt dabei ungeachtet des Entlastungsumfangs der Gleichstellungsbeauftragten (§ 28 Abs. 3 Satz 2 BGleiG). Nach § 33 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BLV ist die letzte regelmäßige dienstliche Beurteilung einer (teilweise) freigestellten Gleichstellungsbeauftragten fortzuschreiben, wenn ihre dienstliche Tätigkeit weniger als 25 Prozent der Arbeitszeit beansprucht. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass diese bundesgesetzlichen Regelungen auf die Antragstellerin als Beamtin des Landes Niedersachsen nicht anwendbar sind […].
Weder das Niedersächsische Gleichberechtigungsgesetz (NGG) noch das Niedersächsische Beamtengesetz (NBG) noch die Niedersächsische Laufbahnverordnung (NLVO) enthalten Regelungen, wonach die Dienststellen die berufliche Entwicklung der niedersächsischen Gleichstellungsbeauftragten von Amts wegen fiktiv nachzuzeichnen haben.
Die für die Antragstellerin maßgeblichen „Richtlinien für die dienstliche Beurteilung von Beamtinnen und Beamten im Niedersächsischen ... (a. a. O., im Folgenden: Richtlinien) sehen ebenfalls keine fiktive Beurteilungsnachzeichnung für Gleichstellungsbeauftragte vor. In Ziffer II. 2 Abs. 2 der Richtlinien ist zwar eine Beurteilungsnachzeichnung an Stelle einer Regelbeurteilung zur Verhinderung einer Benachteiligung im persönlichen Fortkommen geregelt. Die Richtlinien beschränken eine solche Beurteilungsnachzeichnung jedoch auf die Fälle einer Freistellung von dienstlichen Tätigkeiten wegen einer Mitgliedschaft im Personalrat oder als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen, wenn die dienstliche Tätigkeit weniger als 25 Prozent der regelmäßigen Arbeitszeit beansprucht, sowie auf eine familienbedingte Beurlaubung oder eine Elternzeit; sie erfassen nicht Gleichstellungsbeauftragte. Stattdessen ist in Ziffer IV. 8 Satz 1 der Richtlinien vorgesehen, dass bei der Beurteilung von Gleichstellungsbeauftragten in besonderer Weise Rücksicht auf den weisungsfreien Anteil der Tätigkeiten der Beamtin oder des Beamten zu nehmen ist. Nach Ziffer IV. 8 Satz 1 der Richtlinien dürfen durch die Beurteilung keine Behinderung in der Wahrnehmung der Aufgaben und kein Nachteil im persönlichen Fortkommen eintreten.
Der Senat ist mit dem Verwaltungsgericht […] auch der Auffassung, dass das aus §§ 39 Abs. 5 Satz 1, 41 Abs. 1 NPersVG herzuleitende Verbot, freigestellte Personalratsmitglieder dienstlich zu beurteilen, auf niedersächsische Gleichstellungsbeauftragte keine Anwendung findet.
Jedoch ergibt sich aus dem oben dargelegten und aus Art. 33 Abs. 2 GG herzuleitenden Grundsatz, dass dienstliche Beurteilungen Grundlage für künftige Auswahlentscheidungen sein und daher eine möglichst lückenlose Leistungsnachzeichnung gewährleisten sollen, dass die berufliche Entwicklung einer Gleichstellungsbeauftragten, die – wie hier – gemäß § 22 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 NGG zu 100 Prozent von ihrer sonstigen dienstlichen Tätigkeit entlastet ist, fiktiv nachzuzeichnen ist. Denn bei einer Gleichstellungsbeauftragten, die vollständig von ihren sonstigen dienstlichen Tätigkeiten entlastet ist, fehlt es an einer belastbaren Tatsachengrundlage, die beurteilt werden kann.
Eine konkrete Leistungsbewertung der Gleichstellungsbeauftragten – hier der Antragstellerin – kann in einem solchen Fall nicht vorgenommen werden. Denn die Antragstellerin hat im gesamten Beurteilungszeitraum keine sonstige dienstliche Tätigkeit ausgeübt. Anders als das Verwaltungsgericht vermag der Senat jedenfalls faktisch einen Unterschied zwischen einer 100-prozentigen Freistellung eines Personalratsmitglieds und einer 100-prozentigen Entlastung der Gleichstellungsbeauftragten nicht festzustellen (a. A. VGH Ba.-Wü., Beschluss vom 7.8.2008 – 4 S 437/08 -, juris Rn. 6, 8). In beiden Fällen fehlt es an sonstigen dienstlichen Leistungen, die einer Beurteilung als Tatsachengrundlage dienen könnten.
Es ist nach der Überzeugung des beschließenden Senats auch nicht mit dem Aufgabenbereich einer Gleichstellungsbeauftragten vereinbar, dass ihre Tätigkeit als Gleichstellungsbeauftragte beurteilt wird. Denn die Gleichstellungsbeauftragte ist in einem Spannungsverhältnis tätig, das demjenigen freigestellter Personalratsmitglieder gleicht (a. A. OVG NRW, Beschluss vom 30.10.2006 – 6 B 1894/06 -, juris Rn. 5; VGH Ba.-Wü., Beschluss vom 7.8.2008. a. a. O., juris Rn. 5 ff.). Allerdings nimmt die Gleichstellungsbeauftragte ihre Aufgabe als Angehörige der Verwaltung der Dienststelle wahr und ist Teil der Dienststelle. Sie ist der Leitung der Dienststelle unmittelbar unterstellt (§ 22 Abs. 1 Satz 1 NGG). Zudem ist sie demselben Ziel verpflichtet wie die Dienststellenleitung. Ein uneingeschränktes Kooperationsverhältnis zwischen der Gleichstellungsbeauftragten und dem Dienstherrn besteht jedoch nicht (a. A. VGH Ba.-Wü., Beschluss vom 7.8.2008, a. a. O., Rn. 5 ff.). Denn der Gleichstellungsbeauftragten steht gemäß § 21 NGG ein Beanstandungsrecht zu, wenn sie eine beabsichtigte Maßnahme nach § 20 Abs. 1 Satz 2 NGG für unvereinbar mit diesem Gesetz hält. Das Beanstandungsrecht bringt sie wie ein Personalratsmitglied in eine Gegenposition zur Dienststellenleitung. Zudem ist die Gleichstellungsbeauftragte – im Gegensatz zu anderen Bediensteten – gemäß § 23 Abs. 1 NGG bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben an Weisungen nicht gebunden. Die Freistellung von Weisungen dient der sachlichen Unabhängigkeit der Gleichstellungsbeauftragten und gewährleistet eine kritische Reflexion der Belange der beruflichen Gleichberechtigung (vgl. auch VGH Ba.-Wü., Beschluss vom 7.8.2008, a. a. O., Rn. 12). Die von der Gleichstellungsbeauftragten vertretenen Belange werden von dieser zwar nicht als eigene Rechte ausgeübt. Gleichwohl soll die Weisungsfreiheit eine objektive, unabhängige Ausübung des Amtes der Gleichstellungsbeauftragten frei von Loyalitätskonflikten gewährleisten. Schließlich sind Gleichstellungsbeauftragte gegenüber der Dienststellenleitung weder berichts- noch rechenschaftspflichtig. Insbesondere haben sie gemäß § 22 Abs. 7 NGG nicht nur die ihnen bekannt gewordenen persönlichen Verhältnisse von Beschäftigten, sondern auch die sonstigen Angelegenheiten vertraulich zu behandeln. Dies gilt auch, soweit Gleichstellungsbeauftragten Teilaufgaben bei der Bearbeitung von Personalangelegenheiten obliegen (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 2 und 3, Abs. 4 NGG).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war im hier maßgeblichen Zeitraum für die Antragstellerin keine hinreichende Tatsachengrundlage erkennbar, die beurteilt werden konnte. Die Antragstellerin war als vollständig von ihrer sonstigen dienstlichen Tätigkeit entlastete Gleichstellungsbeauftragte ihrer Beurteilerin im gesamten Beurteilungszeitraum nicht berichts- und rechenschaftspflichtig. Bereits aufgrund der der Antragstellerin gemäß § 22 Abs. 7 NGG obliegenden Vertraulichkeits- und Verschwiegenheitspflicht ist nicht ersichtlich, dass aus ihrer Tätigkeit als Gleichstellungsbeauftragte Erkenntnisse hätten gewonnen werden können. […]
Auch aus dem Benachteiligungsverbot gemäß § 22 Abs. 6 NGG folgt, dass für die Antragstellerin – als vollständig von sonstigen Diensttätigkeiten entlastete Gleichstellungsbeauftragte – eine fiktive Beurteilungsnachzeichnung zu erstellen ist. In § 22 Abs. 6 NGG – wie auch in Ziffer IV. 8 Satz 3 der Richtlinien – ist geregelt, dass die Gleichstellungsbeauftragte bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben nicht behindert und wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt werden darf. Aufgrund der oben dargelegten Konfrontationsstellung zwischen der Gleichstellungsbeauftragten und der Dienststelle ist zu befürchten, dass sich diese nachteilig auf die dienstliche Beurteilung einer Gleichstellungsbeauftragten auswirkt. Entsprechend hat der Antragsgegner in seinem Schriftsatz vom 15. August 2017 eingeräumt, dass die Antragstellerin in dem von ihr ausgeübten Amt der Gleichstellungsbeauftragten nur eingeschränkt Führungserfahrung sammeln und Führungskompetenz unter Beweis stellen konnte. Der Dienstposten der Gleichstellungsbeauftragten sei – wie die Referentendienstposten – mit den Besoldungsgruppen A 14 bis A 16 bewertet. Entsprechend dieser Dienstpostenbewertung umfasse das Amt keine echte Leitungserfahrung mit (Personal-)Führung. Hat die Antragstellerin aufgrund ihrer Tätigkeit als Gleichstellungsbeauftragte keine ihrem Statusamt ... entsprechende Tätigkeit ausgeübt, gerät ihr die hierauf beruhende dienstliche Beurteilung aus Anlass der Bewerbung um ein Statusamt in Führungsposition zum Nachteil.
Da die Antragstellerin während des Beurteilungszeitraums keine dienstlichen Leistungen erbracht hat, die Grundlage einer Beurteilung hätten sein können, und die über die Antragstellerin gefertigte dienstliche Beurteilung gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen hat, hat der Antragsgegner eine Beurteilungsnachzeichnung vorzunehmen. Dieses Institut ist dem Antragsgegner nicht fremd, denn er wendet es gemäß Ziffer II. 2 Abs. 2 der Richtlinien u. a. bei Personalratsmitgliedern und Schwerbehindertenvertretern an, wenn die dienstliche Tätigkeit weniger als 25 Prozent der regelmäßigen Arbeitszeit beansprucht. Die Antragstellerin hat außerdem durch Vorlage von E-Mails belegt, dass eine Beamtin, die bei der ... als Gleichstellungsbeauftragte bestellt ist, nicht dienstlich beurteilt wird, um Interessenkonflikte zu vermeiden und eine objektive Amtsausübung zu gewährleisten.
2. Die Antragstellerin hat darüber hinaus auch deshalb einen Anordnungsanspruch, weil die dienstliche Beurteilung des Beigeladenen, die der Auswahlentscheidung zugrunde liegt, rechtlichen Bedenken begegnet. […]
3. Die Aussichten der Antragstellerin, in einem fehlerfreien Auswahlverfahren ausgewählt zu werden, sind angesichts des Umstands, dass sie ein höheres Statusamt als der Beigeladene innehat, zumindest offen. […]
Anmerkung
Dienstliche Beurteilung durch fiktive Nachzeichnung der beruflichen Entwicklung einer Gleichstellungsbeauftragten
Die vorstehend abgedruckte Entscheidung des OVG Lüneburg erging im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen eine Stellenbesetzung nach niedersächsischem Beamtenrecht, ist aber keine niedersächsische Spezialität, sondern auch für andere Bundesländer bedeutsam.
Hintergrund war die für die Bewerbung um ein höherwertiges Amt erfolgte Beurteilung der Landesbeamtin, die zur Gleichstellungsbeauftragten bestellt und vollständig von ihrer sonstigen dienstlichen Tätigkeit entlastet worden war. Da sie im maßgeblichen Beurteilungszeitraum keine anderen dienstlichen Leistungen erbracht hat, die Grundlage der Beurteilung hätten sein können, zog die Dienststelle die Beurteilung im zuletzt ausgeübten Amt heran. Die Beamtin konnte erfolgreich durchsetzen, dass ihre letzte dienstliche Beurteilung hätte fiktiv nachgezeichnet werden müssen, so dass sie ihre Chancen im Stellenbesetzungsverfahren, das bekanntlich durch das Prinzip der Bestenauslese geprägt ist, verbessern konnte, denn die fiktive Fortschreibung dienstlicher Beurteilungen fingiert nicht nur eine tatsächlich im Beurteilungszeitraum nicht erbrachte Dienstleistung, sie unterstellt auch eine Fortentwicklung der individuellen Leistungen entsprechend dem durchschnittlichen beruflichen Werdegang einer Gruppe vergleichbarer Beamtinnen/Beamter.
Das Rechtsinstitut der fiktiven Fortschreibung dienstlicher Beurteilungen wird aus Art. 33 Abs. 2 GG (respektive den entsprechenden landesverfassungsrechtlichen Regelungen) abgeleitet und hat – auf Bundesebene – seinen Niederschlag in § 33 Abs. 3 der Bundeslaufbahnverordnung gefunden. Auf Bundesebene ist gesetzlich geregelt, dass die Dienststellen des Bundes die berufliche Entwicklung ihrer Gleichstellungsbeauftragten von Amts wegen fiktiv nachzuzeichnen haben (§ 28 Abs. 3 Satz 1 BGleiG), mithin die letzte regelmäßige dienstliche Beurteilung einer (teilweise) freigestellten Gleichstellungsbeauftragten fortzuschreiben ist (§ 33 Abs. 3 Bundeslaufbahnverordnung).
In Niedersachsen gibt es vergleichbare Regelungen zur fiktiven Fortschreibung dienstlicher Beurteilungen (nur) für freigestellte Personalräte und für freigestellte Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen. Gleichstellungsbeauftragte sind nicht erwähnt. Für sie fehlt eine gesetzliche Regelung. Die Beamtin kann sich weder auf die für sie nicht einschlägigen gesetzlichen Regelungen für Gleichstellungsbeauftragte im Bundesbeamtenverhältnis berufen noch auf die für sie nicht einschlägigen niedersächsischen Regelungen für andere freigestellte Landesbeamte.
Das OVG Lüneburg leitet das Erfordernis der fiktiven Nachzeichnung der dienstlichen Beurteilung aus Art. 33 Abs. 2 GG und aus dem Benachteiligungsverbot gemäß § 22 Abs. 6 des Niedersächsischen Gleichberechtigungsgesetzes her.
Die Benachteiligung durch den Verzicht auf die fiktive Fortschreibung dienstlicher Beurteilungen liegt auf der Hand. Wer würde vernünftigerweise das wichtige Amt der Gleichstellungsbeauftragten ausüben, wenn damit die Chancen auf Beförderung sinken, weil während der Freistellung nicht unter Beweis gestellt werden kann, dass die dienstliche Entwicklung positiv verlaufen wäre und nach einiger Zeit und entsprechenden Erfahrungen auch die dienstlichen Beurteilungen sich verbessern würden?
Eine Beurteilung der Tätigkeit als Gleichstellungsbeauftragte scheidet aus, auch insoweit ist die vorstehend abgedruckte Entscheidung des OVG Lüneburg lesenswert. Zwar ist die Gleichstellungsbeauftragte demselben Ziel wie die Dienststellenleitung verpflichtet, dennoch besteht kein uneingeschränktes Kooperationsverhältnis zwischen ihr und dem Dienstherrn. Damit grenzt sich die Entscheidung des OVG Lüneburg deutlich von entgegenstehender Rechtsprechung des OVG Nordrhein-Westfalen ab, das im Ergebnis das Amt der Gleichstellungsbeauftragten auf eine reguläre Verwaltungstätigkeit reduziert, die anderen mit Personalangelegenheiten betrauten Beamtinnen und Beamten vergleichbar sei, bei denen auch gelegentliche Meinungsverschiedenheiten mit der Dienststellenleitung auftreten können. Bei solchem Verständnis würde sich wohl kaum eine Gleichstellungsbeauftragte ernsthaft ihrem Amt widmen, will sie sich ihre Laufbahn nicht verbauen. Das erkennt das OVG Lüneburg und findet klare Worte dazu, dass die Gleichstellungsbeauftragte in einem Spannungsverhältnis tätig ist, das demjenigen freigestellter Personalratsmitglieder gleicht.
Susette Jörk