STREIT 2/2023

S. 62-69

Ein Leben als feministische Rechtsanwältin

Katharina Gruber: Liebe Susanne, vor 100 Jahren durften Frauen erstmals beide juristischen Staatsexamina ablegen und Berufe in der Rechtspflege ergreifen. Auch 50 Jahre später gab es nur wenige Frauen in juristischen Berufen. Du aber hast dich – trotz sicherlich einiger Hindernisse – für diesen Weg entschieden. Seit 45 Jahren bist du als Rechtsanwältin tätig, bist Fachanwältin für Familienrecht, Mediatorin und hast dich auch immer neben deinem Beruf für die Belange von Frauen eingesetzt. Außerdem bist du Mitbegründerin des Feministischen Juristinnentags, als Gründungsmitglied der STREIT immer noch aktive Redakteurin. Und sicherlich werden wir heute auch noch über deine weiteren ehrenamtlichen Tätigkeiten und zahlreichen Enkelkinder sprechen.
Zunächst interessiert mich, wie es dazu kam, dass du einen juristischen Beruf für dich in Betracht gezogen hast?

Susanne Pötz-Neuburger: Schon früh habe ich ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden entwickelt. Ich wurde 1951 in eine bürgerliche Familie geboren und wuchs bis zum 12. Lebensjahr in einer Industriestadt am Ruhrgebietsrand mit vier Geschwistern gut behütet auf. Bereits in der Grundschulzeit beschäftigten mich soziale Unterschiede in der Gesellschaft, wenn ich an der Eisenhütte vorbeikam, die auf dem Schulweg lag. Ich erlebte in den 50er Jahren die Ausgrenzung von Kindern, die ein anderes christliches Bekenntnis als die Ortsansässigen hatten oder deren Mutter alleinerziehend war. Ich beobachtete auch, dass nur unverheiratete Frauen einer aushäusigen Erwerbsarbeit nachgingen und das als nicht erstrebenswert galt. Ich wollte an einer gerechteren Gesellschaft mitwirken und engagierte mich schon als Schülerin entsprechend. Mein Vater war in meiner Kindheit Richter und ich hatte die Vorstellung, dass juristische Fertigkeiten dabei nützlich sein könnten und dass die juristische Sprache mit Macht zu tun hat. Ich traute mir das Jurastudium zu und wollte auf keinen Fall ein sog. Frauenfach studieren.

KG: Ein gutes Selbstvertrauen war sicherlich förderlich bei der Aufnahme eines Jurastudiums als eine von wenigen Frauen. Wie lief denn das Jurastudium damals ab und wie kam es überhaupt konkret zu deinem Entschluss, den Beruf der Rechtsanwältin zu ergreifen?

SPN: Meine Familie war in den 60er Jahren nach Bonn gezogen und nach zwei Kurzschuljahren begann ich 1969 das Jurastudium in Bonn. Ein Jahr später hatte ich mit allerlei Jobs so viel Geld zurückgelegt, dass ich zuhause ausziehen und nach Freiburg gehen konnte. Dort studierte ich mit großem Interesse an Strafrecht Kriminologie und Rechtssoziologie. Und ging zur Kapitalschulung als kleine Erweiterung des Horizonts.
Zu der Zeit gab es keine Professorinnen, und Frauen machten höchstens 5 % der Studierenden aus. Aber was für tolle Frauen studierten dort zur gleichen Zeit? Das waren die spätere Freiburger Rechtsanwältin Regina Schaaber, die 2007 den Verein ‚Anwältinnen ohne Grenzen‘ mitgegründet hat, der für seine Förderung des internationalen Schutzes der Frauenrechte und Bekämpfung von Diskriminierung mit dem Maria-Otto-Preis des DAV ausgezeichnet wurde, die Stuttgarter Familienrechtsanwältin Uta Wagner, 1983 Mitgründerin des Autonomen Frauenhauses Stuttgart und zeitweilig grüne Stadträtin dort, und Ingrid Lohstöter. Mit ihr zusammen habe ich 1973/74 intensiv für das 1. Staatsexamen gelernt. Wir wollten uns nicht Repetitoren ausliefern, die unter dem Vorwand der Einprägsamkeit ihre Beispielsfälle aufs Übelste sexistisch aufluden, wie es ja auch an der Uni geschah. Sie gründete 1977, also zeitgleich mit mir, eine Anwältinnenkanzlei in Berlin mit Alexandra Goy und schrieb 1984 mit Barbara Kavemann das bahnbrechende Buch ‚Väter als Täter‘.
Wir studierten so gut es ging gegen den Mainstream und erkannten früh, dass in den etablierten Strukturen der Justiz, Verwaltung oder Wirtschaft kein Platz für Frauen wie uns war. So entschieden wir uns später unabhängig voneinander, Rechtsanwältinnen zu werden. Wichtig ist mir: wir lernten mit großer Intensität und Disziplin für das Examen. Uns war klar, dass wir immer würden gut sein müssen, deutlich besser als Mittelmaß.
Bei gemeinsamem Engagement für Strafgefangene im Freiburger ‚Sozialpolitischer Arbeitskreis‘ lernte ich meinen späteren Ehemann kennengelernt, einen Medizinstudenten. Zusammen zogen wir 1974 für mein Referendariat nach Hamburg, weil ich sonst wegen meines ‚jugendlichen‘ Alters in die entlegene badische Provinz geschickt worden wäre. In der Wartezeit auf das Referendariat ging ich drei Monate nach Paris und verdingte ich mich dort als Verteilerin von Prospekten in den Banlieues und an Straßenkreuzungen. So lernte ich die Bedingungen von prekärer Arbeit und die prekären Lebensumstände in den menschenfeindlichen Vorstädten kennen – eine gute Vorbereitung auf meine spätere Tätigkeit in einem sog. sozialen Brennpunkt. Das brachte mich auch dazu, neben dem Referendariat in Hamburg noch ein Aufbaustudium ‚Soziale Arbeit‘ zu absolvieren. Ich fragte mich ernsthaft, ob Sozialarbeiterin vielleicht der bessere Beruf für mich sei, habe mich aber anders entschieden.

KG: Wann hast du mit deiner feministischen juristischen Arbeit begonnen?

SPN: Damit startete ich ebenfalls im Referendariat. Ich hörte Ende 1976 von einem spannenden Buchprojekt: dem „Scheidungsratgeber von Frauen für Frauen“. Ich wurde als Autorin und Mit-Herausgeberin neben zwölf anderen Juristinnen Teil dieses ersten großen juristischen Frauenprojekts in Hamburg.

KG: Was war euer Ziel mit diesem Ratgeber?

SPN: Dieses Buch war etwas ganz Neues: Wir schrieben nicht allgemein für von Scheidung betroffene Menschen, sondern wandten uns explizit nur an Ehefrauen. Diese waren damals wirtschaftlich vollständig von ihren Männern abhängig und häufig von häuslicher Gewalt betroffen. Zur Einführung des neuen Scheidungsrechts am 1.7.1977 wollten wir den Frauen ein leicht zugängliches Wissen über Trennung, Scheidung und ihre Folgen verschaffen. Wir benutzten eine Ausdrucksweise, die ganz normale Frauen verstehen sollten, eine möglichst barrierefreie Sprache. Wir orientierten uns kapitelweise an der Lebensrealität der Frauen und nicht an Dogmatik. Das Buch hat die Frauen von den Überlegungen zur Trennung bis zum Ende ihres Scheidungsverfahrens begleitet, mit rechtlichen Informationen und ausdrücklichem Rat, mit Vordrucken für notwendige Schreiben und einer Liste hilfreicher Adressen. Es war eine tolle Zusammenarbeit von vielen jungen Juristinnen, die mehr als 30 Jahre währte. Der Ratgeber erschien 1977 zunächst im Verlag Frauenpolitik, später dann als Rowohlt-Taschenbuch und zuletzt 2010 beim Orlanda Frauenverlag.

KG: Ihr habt auf diesem Weg sicherlich einen großen Beitrag für viele Frauen geleistet, die sich gegen patriarchale Beziehungsstrukturen so besser zur Wehr setzen konnten. Wie darf ich mir die Reaktionen der Männerwelt zu eurem Ratgeber vorstellen?

SPN: Im wahrsten Sinne des Wortes Aufsehen erregend. Denn wir gaben Frauen Wissen an die Hand, an das sie sonst nie gekommen wären. Was unseren Kollegen dann einfiel, war, uns mit einer Rüge wegen „standeswidrigen Verhaltens“ für bestimmte Inhalte des Buches zu überziehen. Dagegen setzen wir uns zur Wehr, was zu einem öffentlichen Verfahren vor dem Ehrengericht der Hanseatischen Rechtsanwaltskammer Hamburg führte. Es ging u.a. um die Frage, ob die Scheidung ‚mit nur einem Anwalt‘ weiterhin möglich sei. Wir hatten das bejaht – gegen die offizielle Linie der Rechtsanwaltschaft – und zugleich auf die Risiken für die wirtschaftlich unterlegenen Frauen hingewiesen. Für die Kollegen ging es um ihre Pfründe: sie fürchteten mit Recht um sicher geglaubte Einnahmequellen. Selbst die Presse kommentierte damals, die standesrechtlichen Maßnahmen richteten sich eindeutig gegen uns als Feministinnen. Und, na klar, wir gingen als Siegerinnen vom Platz. Denn: Alles, was wir in diesem Buch veröffentlichten, war dreifach geprüft.
Das hat mich noch einmal darin bestätigt, dass wir als feministische Anwältinnen gut sein mussten. Auch später habe ich auf die Qualität meiner Arbeit viel Wert gelegt und war in dieser Hinsicht ziemlich streng in der Ausbildung meiner vielen Referendarinnen. Mit Engagement allein kommt frau nicht weit, sie muss auch das Handwerkszeug beherrschen.

KG: Wie kam es dann dazu, dass du dich gleich nach dem Referendariat als Rechtsanwältin selbständig gemacht hast?

SPN: Nach all diesen Erfahrungen war ich entschieden, Rechtsanwältin zu werden. Klug wäre gewesen, ich hätte mich ein Jahr in einer konventionellen Anwaltspraxis verdingt, um die formalen Basics und die wirtschaftlichen Aspekte dieser Tätigkeit zu lernen. Ich wollte aber auch gleich mein eigenes Büro haben, und das hing mit meiner Familienplanung zusammen. Ich nahm an, dass ich nach drei Jahren anwaltlicher Tätigkeit so etabliert wäre, dass ich mit dem Kinderkriegen beginnen könne. Außerdem hatte ich in der Autorinnengruppe des Scheidungsratgebers die passende Kollegin dafür kennengelernt, Petra Ewe. Aus der linken Szene kommend hatte sie genug von den Strukturen in gemischten Anwaltskollektiven. Uns einten eine starke feministische Grundhaltung, der Wille anwaltlich für Frauen zu arbeiten und die Vorfreude auf unser Projekt, Kinder und Beruf unter einen feministischen Hut zu bekommen. Kaum jemand hielt das damals für möglich.
Wir gründeten kurz nach meinem 2. Staatsexamen im Herbst 1977 eine der drei ersten Frauenkanzleien in Deutschland, neben Berlin und Frankfurt, und wollten nach 2-3 Jahren das Kinderprojekt starten. Unser Plan ging auf: Meine Sozia bekam ihr erstes Kind im Februar und ich meines im August 1980.

KG: Danach kamen ja noch zwei weitere Kinder. Hattest du nach den Geburten immer eine längere Auszeit?

SPN: Nein, schon wirtschaftlich war das schwierig, es gab ja weder Mutterschaftsgeld noch Elterngeld, und ich wollte es auch nicht. Beim ersten Kind habe ich drei Monate pausiert, mein Mann nahm eine Auszeit und versorgte das Kind, bis es mit 8 Monaten in eine private Kindergruppe kam. Leider gab meine erste Sozia Anfang 1984 die Anwältintätigkeit auf, gerade als ich mit dem zweiten Kind schwanger wurde. Inzwischen waren aber zwei Kolleginnen dazu gekommen. Sie führten die Kanzlei weiter und mit Hilfe einer Vertretung konnte ich acht Monate zuhause bleiben. Erst beim dritten Kind 1986 habe ich mir ein gutes Jahr Zeit genommen, auch um mein Leben zu sortieren und mir einen neuen Plan zu machen. Ganz so Schlag auf Schlag hatte ich das nämlich nicht vorgehabt, nein. Für meine Sozietätskolleginnen war das eine große Herausforderung und ihre Unterstützung sehr wertvoll für mich. In den folgenden Jahren habe ich dann durchgehend etwa 80 % einer vollen Anwältintätigkeit ausgeübt.

KG: Du hast erwähnt, dass du dich während deiner Ausbildung zunächst vor allem für das Strafrecht interessiert hast. Der Schwerpunkt eurer Anwältinnenkanzlei wurde aber dann das Familienrecht?

SPN: Das lag nahe wegen des Scheidungsratgebers und des großen Beratungsbedarfs unter den Frauen. Im Familienrecht tätig zu werden, war für uns auch relativ einfach: alle waren Lernende, ob Richter*in oder Anwältin. Durch unser Buchprojekt hatten wir bessere Rechtskenntnisse als die meisten anderen und auch schnell viele Mandantinnen. Wir engagierten uns aus feministischer Überzeugung im Stadtteil, dazu in Beratungsstellen und Frauenhäusern in ganz Hamburg. Akquise war nicht weiter nötig.
Wir haben auch Strafverteidigung gemacht, führten Nebenklageverfahren für Opfer männlicher Gewalt, gerade auch in Fällen von Menschenhandel. Das habe ich zeitweise aufgegeben, als lange Verhandlungstage mit unsicherem Ende eine heftige organisatorische Herausforderung wurden. Ich hatte mich im Referendariat intensiver um Arbeits- und Mietrecht gekümmert und bin letztlich Familienrechtlerin geworden mit den Nebengebieten Arbeitsrecht für Arbeitnehmerinnen, Mietrecht für Mieterinnen und Erbrecht. Damit habe ich wesentliche Rechtsgebiete abgedeckt, die die Bevölkerung auf der Elbinsel brauchte. Für uns Kolleginnen in der Anwältinnenkanzlei war Familienrecht der gemeinsame Schwerpunkt und jede brachte noch andere Rechtsgebiete ein.
Seit etwa 2004 habe ich nach entsprechender Ausbildung auch Mediation angeboten – vorher hatte ich eine Ausbildung in Paartherapie gemacht, das passte also. Als wirtschaftlich vorteilhaft neben so viel Arbeit für oftmals wenig Vergütung erwies sich mein 1984 eher zufällig entstandenes Zusatzgebiet Gesellschaftsverträge für Arztpraxen und andere Freiberufler*innen. Das alles war also mein Angebot, und das wurde 45 Jahre lang gut genutzt.

KG: Was hat dich denn dazu bewogen trotz teilweiser eher unwirtschaftlicher Fälle deinen Schwerpunkt 45 Jahre auf das Familienrecht zu legen?

SPN: Es ergab sich, weil es das Frauenthema dieser Zeit war. Und ich bin dabeigeblieben, weil das Familienrecht zugleich juristisch anspruchsvoll ist und sehr nah am Leben. Die Sachverhalte sind mit vielen anderen Rechtsgebieten verwoben, vom Aufenthaltsrecht über Straf-, Miet-, Steuer-, Sozial- und Erbrecht bis zum Bermuda-Dreieck des Internationalen Familienrechts. Frau muss ihren Grips einsetzen und strategisch denken, was mir Freude macht. Zum anderen sind meine Mandantinnen in oft existentiellen Krisen zu mir gekommen, sahen sich nicht selten durch die Trennung ihrer Lebensgrundlagen beraubt. Viele waren erpressbar der Kinder wegen und orientierungslos, was ihr künftiges Leben anging, viele traumatisiert und aktuell noch bedroht. Ihnen in dieser Krise einen sicheren Rahmen zu geben, in dem sie ihr Selbstwertgefühl wieder aufbauen konnten und neue Lebensentwürfe Raum bekamen, sie bei der allmählichen Selbstermächtigung zu unterstützen und zu begleiten, das hat mir Freude gemacht und immer neue Kraft gegeben.
Gerade kürzlich rief mich eine frühere Mandantin an, ob ich noch für eine Freundin als Anwältin zu Verfügung stünde. Als ich mich freute, dass sie mich nach vielen Jahren immer noch in so guter Erinnerung hat, sagte sie: ‚Na klar! Damals waren Sie meine Heldin!‘

KG: Das ist eine tolle Anerkennung, aber leider ist der Berufsalltag nicht immer nur von Lob und Erfolgen geprägt. Was hat dich denn am Beruf der Rechtsanwältin fasziniert, dass dich auch Misserfolge oder undankbare Mandant*innen nicht davon abgebracht haben, weiterzumachen?

SPN: Menschen wollen irgendetwas erreichen oder sich gegen irgendetwas zur Wehr setzen und das in einem rechtsförmigen Setting, das ihnen fremd ist, das sie nicht durchblicken und dem sie sich ausgeliefert fühlen. Als Rechtsanwältin vermittle ich zwischen zwei Welten. Dieses Kommunikative hat mich immer fasziniert. Die Rechtssprache ist ja eine ganz eigene Fremdsprache, ihre Inhalte müssten transformiert werden, um Menschen zu befähigen, ihre Rechte einzufordern, durchzusetzen oder die Grenzen zu verstehen und zu verarbeiten. Das hatte ich schon als Jugendliche verstanden und beim Scheidungsratgeber ganz praktisch erlebt. Und als Rechtsanwältin ist das der hauptsächliche Inhalt der Arbeit.
Außerdem habe ich zu Beginn meiner Tätigkeit an einer professionell geleiteten Selbsterfahrungsgruppe teilgenommen und dort unter anderem gelernt, mich angemessen abzugrenzen, den Mandantinnen ihre Probleme nicht abzunehmen, sondern Wege zu ihrer Lösung zu bahnen.

KG: Knapp 40 Jahre hast du in Kollektiven gearbeitet und nur die letzten Jahre als Einzelrechtsanwältin. Welche Arbeitsform liegt dir mehr?

SPN: Mir hat das Arbeiten im Kollektiv mehr Spaß macht, vor allen Dingen wegen des kollegialen Austausches, aber auch wegen der Entlastungs- und Vertretungsmöglichkeiten und weil es wirtschaftlicher ist. Ich vermute, dass die work-life-balance in einem Kollektiv, wie auch immer es strukturiert ist, leichter erreicht werden kann und auch die Absicherung gegen Wechselfälle des Lebens besser ist. Ich hätte nicht allein arbeiten wollen – vielleicht weil ich mit vielen Geschwistern groß wurde? Meine Ein-Frau-Kanzlei ab 2016 war dem Auseinanderbrechen unserer ‚Anwältinnenkanzlei auf Wilhelmsburg‘ geschuldet. Der Anschluss an ein anderes Kollektiv bot sich nicht an, weil ich ‚meinen‘ Stadtteil nicht verlassen wollte. Außerdem wollte ich meine Tätigkeit allmählich herunterfahren, was betriebswirtschaftlich im Kollektiv ohnehin schwierig zu regeln ist. Da entsprach die unternehmerische Freiheit als Einzelanwältin mehr meiner Lebenslage.

KG: Kollektives Arbeiten hat viele Vorteile und feministische Kämpfe können so viel effizienter geführt werden, gleichzeitig gibt es nur sehr wenige Kollektive, die länger als ein paar Jahre bestehen bleiben. Was würdest du jungen Kolleginnen raten, die diesen Weg einschlagen wollen?

SPN: Auf jeden Fall sollten sie sich vorher beraten lassen, damit sie ein Bewusstsein für die absehbar entstehenden Konflikte bekommen. Eine einfache Lösung für die Fragen der Bewertung der geleisteten Arbeitszeit, der Bedeutung des Umsatzes, der Gewinnverteilung, der Vertretungsregelungen, der Ressourcennutzung und so weiter gibt es nicht. Du selbst hast ja auch schon Erfahrung mit Neugründung und Abwicklung eines Frauenbüros und verschiedenen Organisationsformen. Wir beide sollten dazu vielleicht mal eine AG auf dem FJT anbieten und eine langjährige Einzelanwältin dazu holen.

KG: Das führt gleich zu meiner nächsten Frage: Du hast einmal zu mir gesagt, dass eine Rechtsanwältin, die nicht dafür sorgt, ausreichend Geld mit ihrer Arbeit zu verdienen, keine feministische Rechtsanwältin ist. Warum glaubst du das?

SPN: Wenn wir Feministinnen dafür eintreten, dass Frauen eine existenzsichernde Tätigkeit ausüben, die auch ihre angemessene Altersversorgung umfasst, dann ist es aus meiner Sicht ein Verschulden gegen sich selbst, wenn ich meine Arbeit so wenig werthaltig präsentiere, dass ich dafür unzureichend bezahlt werde. Dann frage ich mich, warum setzen wir uns dafür ein, dass das anderen Frauen gelingt, tun es aber bei uns selbst nicht.
Im Familienrecht hatte ich weit überwiegend Mandantinnen, die für gerichtliche Verfahren Verfahrenskostenhilfe bekamen. Für die Führung dieser Verfahren braucht es im eigenen Interesse gute Kenntnisse im Gebührenrecht. Das Geld verdient frau in diesen Verfahren bei der sorgfältigen und manchmal auch zu erkämpfenden Streitwertfestsetzung, nicht bei der Arbeit. Die Mandantinnen brauchten ihre Anwältin auch schon für die Trennung und für andere Beratung, die nichts mit Gerichtsverfahren zu tun hatte. Diese Tätigkeit habe ich in Rechnung gestellt – ein Tabu? Alle Rechnungen konnten in Raten gezahlt werden, kaum eine Rechnung blieb offen. Weil meine Arbeit wertgeschätzt wurde, denke ich. Und weil ich Selbstausbeutung ablehne, jedenfalls nach einigen Jahren in diesem Beruf. Und im Übrigen: inzwischen gibt es auch viele wirtschaftlich gut gestellte Mandantinnen, die eine für Frauen engagierte Anwältin suchen.

KG: Was zeichnet denn eine feministische Rechtsanwältin noch für dich aus?

SPN: Für mich gehört dazu, die strukturelle Benachteiligung von Frauen immer mitzudenken und in die rechtlichen Auseinandersetzungen einzubringen. Und dann Frauen fördern, sich einsetzen und sich engagieren, also für mich ist Feminismus einfach auch Engagement.

KG: Engagement für was oder gegen was?

SPN: Gegen alle Strukturen, die Frauen unfrei machen, gegen Gewalt und Strukturen der Benachteiligung, für Parität in der Gesellschaft, für Chancen die eigenen Lebensentwürfe zu entwickeln und durchzusetzen.

KG: Und dafür hast du dich nicht nur hauptberuflich, sondern auch ehrenamtlich eingesetzt?

SPN: Die Anwältinnenkanzlei haben wir auf der Hamburger Elbinsel Wilhelmsburg gegründet: in Teilen sozialer Brennpunkt, ein Ankommens-Stadtteil für Arbeitsmigration seit dem frühen 20. Jahrhundert, mit Hochhaussiedlungen und heruntergekommenen Altbauten, seit den Balkankriegen bis heute ein Zufluchtsort für Kriegsflüchtlinge. Aus der anwaltlichen Tätigkeit heraus haben wir in der aufblühenden Frauenbewegung der 70er und 80er Jahre mit anderen Frauen Stadtteilarbeit gemacht, einen Frauentreff in der Hochhaussiedlung gegründet, der noch heute existiert, in kirchlichen Räumen im multiprofessionellen Team Ehe-, Trennungs-, Erziehungs- und Schwangerschaftskonfliktberatung angeboten. Aus einer Sommeruniversität in diesem bildungsfernen Stadtteil ging eine Anlaufstelle für ausländische Familien hervor, in der ich viele Jahre beraten habe. Nach der Geburt des ersten Kindes zogen mein Mann und ich auf die Elbinsel, so dass ich für dieses Engagement und auch mein Büro keine langen Wege mehr hatte.
Über die feministische Pastorin unserer ev. Kirchengemeinde kam ich mit feministischer Theologie in engeren Kontakt. Unter anderem war ich zeitweilig Mitglied im Rechtsausschuss der ‚Evangelischen Frauen in Deutschland‘ und arbeitete in der unteren Leitungsebene der Kirche mit. Dort konnte ich u.a. für Gender Budgeting werben. Für den Kirchenkreis habe ich 1993, kurz vor den ersten freien Wahlen, verschiedene Projekte in Südafrika besucht, die alle besonderen Focus auf Schutz und Entwicklung von Frauen legten. Zurück von der Reise habe ich begonnen, mich intensiv mit den Frauenrechten in der neuen Verfassung Südafrikas zu beschäftigen. Fast zufällig fand ich einen Professor, der dieses Thema unbedingt für eine Promotion vergeben wollte. Nach gut einem Jahr Arbeit daran habe ich mir eingestanden, dass dieses Projekt mich, meine Familie und meine Kolleginnen überforderte. Nebenbei: Schon vor der Familiengründung hatte ich ein wunderbares Promotionsthema: Die matriarchal geprägten Rechte von Frauen im mittelalterlichen Südwestfrankreich. Auch das hatte sich als zu ambitioniert angesichts meiner sonstigen Lebensziele herausgestellt.
Ohne Promotion war denn auch der einzige andere Beruf, den ich mir für mich hatte vorstellen können, nicht mehr realisierbar: Fachhochschulprofessorin. Ein Weg, den ja mehrere Frauen aus der STREIT-Redaktion gegangen sind. Immerhin habe ich nach der Wende einige Jahre an der Ev. Fachhochschule in Dresden in Wochenendseminaren unterrichtet und in Fachanwaltskursen zum Familienrecht mitgewirkt. Und regelmäßig habe ich Laien-Fortbildungen gegeben, zum Arbeitsrecht für Frauen, zu Frauenrechten bei Trennung und Scheidung, zu den Rechten Alleinerziehender, zu den Gründen für weibliche Altersarmut.
Ein Engagement muss ich dir noch berichten, das in die jüngere Zeit fällt: weil mir unser Stadtteil so am Herzen liegt und er immer vernachlässigter und unwirtlicher wurde, habe ich ab 2006 zusammen mit anderen Frauen die Neugründung einer Grundschule vorangetrieben. Die vorhandene Schule, auf die auch meine Kinder gegangen waren, hatte einfach keine Antworten mehr auf die Herausforderungen in diesem multiethnischen Quartier und bildungsinteressierte Eltern aus allen Schichten zogen scharenweise weg. Dafür habe ich mich mit Reformpädagogik, mit inklusivem Unterricht und jeder Menge mir sonst fernliegender Themen beschäftigt. Die Hamburger Schulbehörde erwies sich als aufgeschlossen und kooperativ. Im Ergebnis ist aus der kleinen Resteschule im sozialen Brennpunkt eine jetzt siebenzügige lebendige öffentliche Grundschule, die Elbinselschule, entstanden mit einer Pädagogik und Struktur, die die unterschiedlichen Ressourcen der Kinder achtet und fördert und den respektvollen Umgang miteinander konsequent einübt. Solche Ganztagsschulen halte ich auch für ein feministisches Projekt. Als Mutter hatte ich mich übrigens aus allen Schulangelegenheiten vollständig herausgehalten. Da war mir anderes viel wichtiger gewesen.

KG: Zum Beispiel der FJT und die STREIT? Beides hast Du mitbegründet. Wie kam es eigentlich zu diesen beiden grandiosen Ideen?

SPN: Für mich entwickelte sich das so: In Hamburg waren wir Juristinnen in mehreren Austauschformaten vernetzt, anders in der Bundesrepublik. Viele Kolleginnen waren auch in der autonomen Frauenbewegung aktiv, als Anwältinnen oder Richterinnen in ihren Städten aber isoliert. Auf einem Seminar der Humanistischen Union zum Antidiskriminierungsgesetz im Herbst 1977, an dem einige dieser Kolleginnen teilnahmen, entstand unter ihnen der Wunsch, sich ‚autonom‘, also ohne Organisation von außen und ausschließlich unter Frauen auszutauschen, uns zu vernetzen und gegenseitig zu stärken. Die Frankfurter Juristinnengruppe lud daraufhin für Januar 1978 zu einem ersten Treffen in das Frauenzentrum Bockenheim ein. Es kamen ca. 50 Kolleginnen und Bürofrauen, also Mitarbeiterinnen in Anwaltsbüros, von überall her. Es war beglückend, so viele Gleichgesinnte kennenzulernen, und alle erfasste eine mutige Aufbruchstimmung. Im gleichen Jahr trafen wir uns noch zwei Mal, erst in Berlin, dann in Hamburg. Über diese Anfänge des Feministischen Juristinnentags habe ich zusammen mit meiner damaligen Sozia im Auftaktheft der STREIT unter dem Titel ‚Wie wir wurden, was wir sind‘ berichtet und auch Thesenpapiere dokumentiert.1 Ein spannender Text aus heutiger Sicht. Ab 1979 fand das Jurafrauentreffen mehrfach in einem Tagungszentrum der SPD, Schloss Lerbach, statt, was einerseits die Organisation erleichterte, andererseits in der Folge zu heftigen Strukturdebatten führte, Stichwort unter anderem: Generationenkonflikt. Auch inhaltlich begann eine Phase der Auseinandersetzung über inhaltliche Fragen wie ‚Ist es richtig, Nebenklageverfahren zu führen?‘ oder ‚Ist es sinnvoll, als Anwältin nur Frauen zu vertreten?‘ Oder auch – hoch emotional – über Machtfragen bei der Arbeit in Frauenbüros. Denn zu den Besonderheiten zählte, dass auch die nichtjuristischen Mitarbeiterinnen unserer Büros eingeladen waren, also die Anwaltsgehilfinnen, wie die Fachangestellten damals noch hießen, Sekretärinnen oder wer auch immer sonst mit uns arbeitete. Bei den Austausch-AGs, die es bis heute für unterschiedliche Interessen gibt, gab es ursprünglich immer eine, in der die Mitarbeiterinnen sich untereinander austauschen und ihre Forderungen formulieren konnten. Über die Entwicklung dieser Jahre berichte ich im 2. Teil des Beitrags über die Geschichte des FJT.2
Für mich waren die Jurafrauentreffen ganz wichtig, sie waren so etwas Besonderes in einem ansonsten meist ablehnenden Umfeld, und lange das einzige feministische Frauenrechtsforum weit und breit. Deshalb habe ich mit wenigen Ausnahmen jedes Jahr am FJT teilgenommen, häufig auch als Referentin, und mich an der Organisation beteiligt, wenn er in Hamburg stattfand. Eine wunderbare Gelegenheit, die lokale Präsenz feministischer Juristinnen zu stärken.
Neben dem Jurafrauentreffen trafen sich die Anwältinnen im Herbst 1982 erstmals zu selbst organisierter Fortbildung und Erfahrungsaustausch und diskutierten erstmalig konkret den Plan, eine eigene Zeitschrift herauszugeben. Wir wollten uns zunächst ganz praktisch gegenseitig über für Frauen günstige Gerichtsentscheidungen informieren, dann aber auch weiter denkend ein eigenes Forum schaffen, in dem feministische Juristinnen eine Publikationsmöglichkeit finden. Darin lag sozusagen die gedankliche Keimzelle3 von STREIT – Feministische Rechtszeitschrift, die wir schon im Mai 1983, also vor 40 Jahren, aus der Taufe hoben. Aus dieser Entstehungsgeschichte erklärt sich auch, weshalb bis heute in STREIT ausschließlich für Frauen günstige Entscheidungen und keine Beiträge von Männern veröffentlicht werden.
KG: Ich bin vor einem Jahr in die STREIT-Redaktion aufgenommen worden. Du bist seit 40 Jahren dabei. Was reizt Dich an dieser Arbeit? Und welche Rolle spielst Du dort?

SPN: Ich fahre jedes Mal mit großer Vorfreude zur Redaktionssitzung. Sie findet ja jedes Vierteljahr abwechselnd an den Arbeits- und Wohnorten der STREIT-Redakteurinnen statt, zwischen Flensburg und München, Leipzig und Bochum – wenn wir nicht gelegentlich online tagen. Da ist einerseits eine teils jahrzehntelange Vertrautheit, die zugleich eine große Toleranz voraussetzt – wir sind schließlich alle sehr spezielle Charaktere mit zum Teil sehr unterschiedlichen Lebensentwürfen. Und andererseits stellen wir uns seit den 90er Jahren der Herausforderung, jüngere Kolleginnen, die wir meist schon aus dem FJT kennen, zu integrieren. Wo gibt es noch solche Arbeitsgruppen, die sich laufend mit den Gedanken, Themen, Erfahrungen von feministischen Juristinnen zwischen 30 und 70+ gegenseitig bereichern und herausfordern. Und die jedes Mal ein neues Heft einer Feministischen Rechtszeitschrift produzieren. Wobei: mehr Diversität täte uns gut. Das gilt ja auch für den FJT.
Meine Rolle in der STREIT-Redaktion? Eine meiner Fähigkeiten ist, für Struktur zu sorgen. In der Hitze der Diskussionen oder der Freude an Themen müssen wir im Auge behalten, dass wir zu einem Ergebnis kommen. Ich nehme oft einen pragmatischen Standpunkt ein, der speist sich aus meiner breiten Erfahrung mit dem realen Frauenleben. In Rechtstheorie kennen sich dafür andere viel besser aus. Inhaltlich habe ich als eine der ersten feministischen Familienrechtsanwältinnen wesentlich dieses Rechtsgebiet bearbeitet und anfänglich auch selbst Beiträge geschrieben. Heute bearbeite ich auch andere Gebiete, suche Autorinnen und redigiere Artikel, wenn mich die Themen interessieren.
Ich schätze an der Arbeit in der Redaktion das breite Spektrum unserer Themen, die intensiven Debatten und auch die Freiheit, die Intensität meines Engagements selbst zu bestimmen zu können. Die meisten Jahre war ich präsent auf den Redaktionssitzungen. Das waren – vor allem neben dem anstrengenden Leben mit drei Kindern – geistige Wellness-Wochenenden und sind es noch immer. Aber heute ist der Arbeitsdruck gerade bei jüngeren Kolleginnen sehr hoch und die digitalen Arbeitsformen sind so weit entwickelt, dass Bewegung in unser Setting gekommen ist – das ist gut. Allerdings hält uns bei Zoom-Redaktionssitzungen keine wunderbare Gastgeberin mit frisch bezogenen Betten, einem leckeren Abendessen, am nächsten Tag Obst, Süßigkeiten, Frischluft und jeder Menge Koffein bei Laune. Jede in der Redaktion trägt auf ihre Weise zu einem guten Zusammenhalt bei und schafft so Raum für spannende Diskussionen, kontroverse Debatten, mutige Aufgabenverteilung und das Abarbeiten schier nicht enden wollender Top-Listen. Am Ende fahren wir angeregt, erschöpft und oft fröhlich nach Hause und machen uns an die Arbeit, die zu tun ist, bis das Heft abschließend konzipiert ist, alle Autorinnen ihre Beiträge geliefert haben, und es frisch gedruckt auf dem Weg zu unseren Abonnent*innen ist.

KG: Neben all diesem Engagement hast du auch drei Kinder großgezogen. Berufstätigkeit, ehrenamtliches Engagement und Familie unter einen Hut zu bringen, scheint dir leicht von der Hand zu gehen, oder trügt der Schein?

SPN: Vielleicht Beides. Ich wollte das ganze Leben, unbescheiden sein. Das ging nur auf Kosten der eigenen Kräfte, zum Glück bin ich aber ziemlich stabil. Ich kann gut planen und mich organisieren. Ich hatte Netzwerke zur Entlastung: Wohnen mit Freund*innen und schließlich sechs Kindern in einem Haus, der gewählte Wohnort in Gehentfernung zu Kita und Grundschule, Familien in der Nachbarschaft, die sich solidarisch unterstützten, wenn es um Betreuung, Mittagessen, Bring- und Holdienste ging. Das Büro war auch nicht weit entfernt.
Ich hatte mich schon als Studentin mit den Fallen von Mutterschaft und Hausfrauentätigkeit beschäftigt und vermied einige: Die Kinder waren in der Kita bis in den Nachmittag gut versorgt. Als sie nach und nach in die übliche Vormittags-Schule kamen, wurde das Leben allerdings schwieriger, schon weil ein Mittagessen auf den Tisch musste. Für die Kinderbetreuung an Tagen, an denen der Vater und ich nachmittags arbeiteten, und für den Grundputz setzten wir Hilfskräfte ein. Die Arbeit dieser Frauen habe ich sehr wertgeschätzt, und das äußerte sich auch darin, dass sie ordnungsgemäß angemeldet und bezahlt wurden, wie ich das in meinen vielen Vorträgen einforderte.
Damals gab es ja kaum Kindergeld, die Kitas waren auch ziemlich teuer. Deshalb blieben die meisten Frauen in meiner Umgebung in den betreuungsintensiven Jahren zuhause und lebten das damals propagierte ‚Drei-Phasen-Modell‘. Wir hingegen investierten erhebliche Teile des Familienbudgets in Kinderbetreuung. Und das war gut so! Denn so verdiente und arbeitete ich durchgehend, während die meisten Frauen, die ihre Arbeit für diese 2. Phase des genormten Frauenlebens aufgegeben hatten, bei Null anfangen mussten und nie wieder ihr früheres Berufsniveau erreichten, vom Einkommen ganz zu schweigen.
Trotzdem blieb natürlich viel an mir hängen, vor allem der ‚mental load‘. Diesen Begriff habe ich kürzlich von meiner Tochter gelernt: die unsichtbare Belastung, die durch das Organisieren der Alltagsaufgaben entsteht, die gemeinhin nicht als der Rede wert erachtet werden. Diese Jahre waren eine sehr anstrengende Zeit, es gab zuhause viele Auseinandersetzungen über die Aufgabenverteilung. Nach knapp 20 Jahren brauchte ich eine Kur, einige Monate Arbeitspause und wir Eltern vier Jahre Paartherapie. Seither sind die Dinge in gutem Gleichgewicht. Und bei unseren jetzt sechs Enkelkindern organisieren wir die großelterlichen Einsätze gleich-verpflichtet.

KG: Es ist also auch ein Privileg arbeiten zu können, Kinder zu bekommen und sich überdies noch zu engagieren?

SPN: Auf jeden Fall! Es ist hilfreich, wenn man nicht allein damit ist und genügend Geld verdient. Alleinerziehend hätte ich das nicht schaffen können. Und natürlich bin ich Teil der Mehrheitsgesellschaft, das macht das Leben auch leichter.

KG: Gab es damals einen Aufschrei in deinen feministischen Kreisen, dass du einen Mann geheiratet hast und eine eigene Familie gründen wolltest?
SPN: Dass ich in einer Zeit einen Mann heiratete, in der andere neue Lebensformen ausprobierten, machte mich in feministischen Kreisen vermutlich suspekt. Dazu stehe ich noch heute und beobachte bei jungen Frauen mit Sorge, dass sie mit ihren Partnern Kinder bekommen und konventionelle Beziehungen führen, aber weder für paritätische Pflichtenverteilung kämpfen noch heiraten. Am Ende stehen sie mit eingeschränkten Berufsmöglichkeiten und ohne Teilhabe an der viel besseren Altersversorgung ihrer Männer da. Zum Glück beobachte ich aber, gerade auch bei meinen Kindern, partnerschaftliche Modelle, die beiden Raum für berufliche Entwicklung lassen. Mir war frühzeitig klar, dass ich mit meinem Mann keine Kinder kriegen will, ohne verheiratet zu sein, weil ich die Hauptlast würde tragen müssen. Das habe ich zwar anders erhofft, aber realistischer Weise kommen sehen. Und da bot und bietet das damals neue Scheidungsrecht eine gewisse Absicherung.

KG: Ich kenne Dich seit dem FJT 2019 in Freiburg. Seither planst du in Rente zu gehen. Nun soll es tatsächlich so weit sein. Was würdest du sagen, wenn du nun auf dein Berufsleben zurückblickst, waren die größten Erfolge, was die größten Herausforderungen?

SPN: Für mich ist der größte Erfolg in meinem Berufsleben, dass ich bis jetzt durchgehalten habe und Freude an meiner Arbeit hatte. Auch wenn man denkt oh je, 30, 40 Jahre Scheidungen machen, furchtbar! ist die Begleitung meiner Mandantinnen durch ihre Lebenskrise immer wie eine neue kleine Reise gewesen. Vielen habe ich eine gute wirtschaftliche Basis für ihr Leben oder das ihrer Kinder nach der Ehe oder Partnerschaft verschaffen können, auf unterschiedliche Weise. Der größte Erfolg ist für mich nicht dieser oder jener Prozess, den ich gewonnen habe. Da gab es auch dramatische Situationen, die ich gut gemeistert habe, von denen ich erzählen könnte. Es sind viele kleine Erfolge und auch manche Niederlagen. Auch das Arbeiten im Kollektiv ist mir nicht immer gut gelungen. Heute weiß ich besser, worauf es ankommt.
Und für mich liegt eine große Befriedigung darin, dass ich meinen Lebensunterhalt immer selbst verdient und für mein Alter selbst einigermaßen vorgesorgt habe.

KG: Das hört sich nach einem erfüllten Berufsleben an. Mit was beschäftigst du dich nun in Rente?

SPN: Erst einmal ist Entspannung angesagt, Glättung meiner steilen Stirnfalten. Diese ständige Auseinandersetzung mit widerstreitenden Interessen, Angriffen, komplizierten Rechtsfragen treibt ja den Blutdruck regelmäßig in gefährliche Höhen. Müßiggang ist mein neues Lernziel.
Die theoretische Beschäftigung mit dem Feminismus ist bei mir ziemlich auf der Strecke geblieben. Es ist ja nicht so, dass ich alles toll hingekriegt hätte, es gibt notgedrungen erhebliche Auslassungen, und diese ist mir auch ein bisschen peinlich. Vor allem, weil ich STREIT-Redakteurin bin. Aber: Es geht nicht alles gleichzeitig!
Ich liebe Musik, singe seit vielen Jahren in einer Kantorei. Das Deutsche Requiem von Brahms und das Requiem von Verdi haben mein Mann und ich auf Konzertreisen in Brasilien und Italien mitgesungen – ein Highlight in meinem Leben. Ich hoffe, meine Stimme hält noch etwas durch.
Ich liebe Gartenarbeit, schon von Kind an. Die hat für mich mal etwas Meditatives, mal fordert sie harten körperlichen Einsatz. Ich fühle mich im Garten sehr lebendig, er ist meine kreative Spielwiese. Mein Hirn hingegen halte ich mit exzessivem Zeitung-Lesen und Italienisch-Lernen in Schwung. Und seit einiger Zeit wieder mit Memory und anderen Kinderspielen. Schon die 5jährigen sind besser als ich!
Unsere sechs Enkelkinder leben derzeit alle in Hamburg, fünf Mädels ganz in der Nähe. Für mich ist es schön, sie zu begleiten, mit ihnen vertraut zu sein und die Eltern zu unterstützen, wenn sie Bedarf haben. Großeltern können eine wunderbare Ressource sein. Und meine erwachsenen Kinder sind mir eine große Freude!
Und jetzt habe ich richtig Zeit für die STREIT und genieße jedes Jahr den Feministischen Juristinnentag.

KG: Welche großen feministischen Themen müssen noch angegangen werden, bevor du dich voll und ganz zur Ruhe setzen kannst?

SPN: Eine Feministin kann sich in diesen Zeiten wohl kaum zur Ruhe setzen. Bevor ich aber zur Ruhe gelegt werde, möchte ich gerne erleben, dass das Ehegattensplitting abgeschafft ist und es für Care-Arbeit eine anständige leistungsgerechte Bezahlung und angemessene Arbeitsbedingungen gibt; dass unser Land seiner Rolle als Einwanderungsgesellschaft gerecht wird und Schulen junge Menschen zu einem in jeder Hinsicht respektvollen Umgang miteinander anleiten.
Ansonsten stehen alle großen feministischen Themen laufend in der STREIT und alle müssen aktiv angegangen werden. Es ist genug feministische Arbeit für alle da.

KG: Hast du einen Motivations-Spruch, den du deinen Mandantinnen oder vielleicht auch jungen Rechtsanwältinnen mit auf den Weg gibst?

SPN: Also, mein persönlicher Leitspruch ist „Arbeit an sich schadet nicht“. Was ich jungen Frauen mitgebe? Habe den Mut, deinen Wünschen und Träumen zu folgen. Mach dir einen Plan für dein Leben. Setze dir Ziele, die du erreichen willst. Gib bei Widerständen nicht auf.

KG: Vielen Dank für das tolle Gespräch, Susanne, ich habe viel erfahren.

  1. STREIT 1983, Heft 1, 36 ff.
  2. STREIT 1983, Heft 2, 42 ff.
  3. STREIT 1983, Heft 1, 3 (Editorial).