STREIT 2/2022

S. 79-80

OLG Düsseldorf, § 1628 BGB, § 22 KunstUrhG

Entscheidungsbefugnis der Mutter bei Veröffentlichung von Kinderfotos in sozialen Netzwerken

Die Veröffentlichung von Kinderfotos in sozialen Netzwerken erfordert die Einwilligung beider sorgeberechtigter Elternteile.
Es entspricht regelmäßig dem Kindeswohl am besten, die Entscheidung über das rechtliche Vorgehen gegen eine unberechtigte Veröffentlichung eines Fotos des Kindes im Internet demjenigen Elternteil zu übertragen, der die Gewähr für eine Verhinderung der weiteren Bildverbreitung bietet.
(Leitsätze der Redaktion)

Beschluss des OLG Düsseldorf vom 20.07.2021 – 1 UF 74/21

Aus den Gründen:
I. Die Kindeseltern sind getrennt lebende Eheleute. Die elterliche Sorge für ihre Töchter L. und N. steht ihnen gemeinsam zu. Die Mädchen leben bei der Kindesmutter und haben mit dem Kindesvater regelmäßig Umgang. Die Lebensgefährtin des Kindesvaters, Frau K. S., geborene B., die den Friseursalon „Salon B.“ betreibt, hat Fotos der Kinder aufgenommen. Diese hat sie in ihren Facebook-Account und bei Instagram eingestellt und zur Werbung für ihr Friseurgewerbe verbreitet. Die Kindesmutter war davon nicht in Kenntnis gesetzt worden. Der Kindesvater hat der Verbreitung der Bilder in den sozialen Medien zugestimmt. Mit Schreiben und E-Mail vom 18.03.2021 hat die Kindesmutter Frau S. aufgefordert, die Fotos unverzüglich, spätestens bis zum 21.03.2021, von allen Plattformen zu entfernen und eine beigefügte Unterlassungserklärung bis zum 25.03.2021 unterzeichnet an die Kindesmutter zurückzusenden. Die Fotos wurden zunächst nicht entfernt. Vielmehr stellte Frau S. weitere Fotos der Kinder in ihre Social-Media-Accounts ein. Die Kindesmutter forderte den Kindesvater auf, dem Vorgehen gegen Frau S. zuzustimmen, was dieser mit Schreiben vom 24.03.2021 ablehnte.
Das Amtsgericht hat der Kindesmutter auf deren Antrag nach mündlicher Erörterung mit der Kindesmutter und deren Verfahrensbevollmächtigten sowie der bestellten Verfahrensbeiständin mit der angefochtenen einstweiligen Anordnung vom 28.04.2021 das Sorgerecht für die beiden Kinder für die außergerichtliche und gerichtliche Auseinandersetzung mit Frau S. wegen der unerlaubten Veröffentlichung und gewerblichen Verbreitung von Bildern der Kinder im Internet und in den sozialen Netzwerken übertragen und zur Begründung auf §§ 1628 BGB, 22 ­KunstUrhG verwiesen. Die Veröffentlichung der Fotos sei ohne die erforderliche Zustimmung der Kindesmutter erfolgt. Eine etwaige Zustimmung der Kinder könne die gebotene Zustimmung der beiden sorgeberechtigten Kindeseltern nicht ersetzen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Kindesvaters, mit der er die Aufhebung des Beschlusses und die Zurückweisung des Antrags der Kindesmutter begehrt. […]

II. Die zulässige, insbesondere gemäß § 57 Satz 2 Nr. 1 FamFG statthafte Beschwerde des Kindesvaters ist unbegründet. Das Amtsgericht hat auf der Grundlage eines nicht zu beanstandenden Verfahrens zutreffend gemäß §§ 1628 BGB, 49 Abs. 1 FamFG im Wege der einstweiligen Anordnung die Entscheidung über die außergerichtliche und gerichtliche Auseinandersetzung mit Frau S. wegen der Verbreitung von Bildern der Kinder im Internet und in den sozialen Netzwerken der Kindesmutter übertragen. Das Beschwerdevorbringen des Kindesvaters gibt keinen Anlass zu einer abweichenden Entscheidung.
1. Das Amtsgericht hat die angefochtene einstweilige Anordnung zu Recht auf § 1628 BGB gestützt. Denn die Entscheidung über das rechtliche Vorgehen gegen eine unberechtigte Veröffentlichung von Fotos des Kindes im Internet betrifft eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind (vgl. OLG Oldenburg, FamRZ 2018, 1517; AG Stolzenau, FamRZ 2018, 35; Johannsen/Henrich/Althammer/Rake, Familienrecht, 7. Auflage, § 1687 Rn. 13 m.w.N.).
Das öffentliche Teilen der Bilder bei Facebook und bei Instagram und ihre Einstellung auf der Webseite, um deren rechtliche Abwehr es geht, hat schwer abzuändernde Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder (zu dieser Voraussetzung für die Anwendung des § 1628 BGB: BGH, FamRZ 2017, 1057, Rn. 20). Das ergibt sich aus der Tragweite der Verbreitung von Fotos in digitalen sozialen Medien unter Berücksichtigung der hiervon betroffenen Privatsphäre der Kinder und des gebotenen Schutzes ihrer Persönlichkeit. Der Personenkreis, dem die Fotos auf diese Weise zugänglich gemacht werden, ist unbegrenzt. Ihre Weiterverbreitung ist kaum kontrollierbar. Eine verlässliche Löschung der Bilder ist nicht möglich (vgl. DIJuF-Rechtsgutachten vom 02.11.2016, JAmt 2017, 27, 30). Die Kinder werden mit diesen Abbildungen aus ihrer Kindheitszeit potenziell für immer seitens eines unbeschränkten Personenkreises konfrontiert sein. Das tangiert spürbar die Integrität ihrer Persönlichkeit und ihrer Privatsphäre. Damit ist die Erheblichkeitsschwelle des § 1628 BGB erreicht.

2. Die Entscheidung ist gemäß §§ 1628, 1697a BGB der Kindesmutter zu übertragen.
a) Entscheidungsmaßstab im Rahmen des § 1628 BGB ist allein das Kindeswohl. Die Entscheidungsbefugnis ist demjenigen Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Kindeswohl am besten entspricht (Amend-Traut in: Beck OGK/BGB, Stand: 01.05.2021, § 1628 Rn. 59).
b) Unter Gesichtspunkten des Kindeswohls gibt den Ausschlag für die Kindesmutter, dass diese im Gegensatz zum Kindesvater die Gewähr für eine Verhinderung der weiteren Verbreitung von Fotos durch Frau S. und damit – bezogen auf diese konkrete Angelegenheit – für eine dem Gesetz entsprechende Wahrnehmung der Belange der Kinder bietet. Denn dem Kindeswohl entspricht ein Umgang mit der Verbreitung von Kinderbildern in digitalen sozialen Medien, der die insoweit einschlägigen – vornehmlich den Schutz der Persönlichkeit des Kindes bezweckenden – gesetzlichen Einwilligungserfordernisse respektiert. Daran hat es der Kindesvater fehlen lassen, indem er es ausdrücklich abgelehnt hat, an der Unterbindung der ohne die erforderliche Einwilligung auch der Kindesmutter ins Werk gesetzten Verbreitung der Kinderfotos durch Frau S. mitzuwirken. Die Kindesmutter hat rechtliche Schritte gegen Frau S. veranlasst, ist jedoch an ihrer Durchsetzung ohne Mitwirkung des Kindesvaters rechtlich gehindert, wenn ihr nicht die Entscheidungsbefugnis übertragen wird.
Das Erfordernis einer Einwilligung auch der Kindesmutter in die Veröffentlichung der Fotos ergibt sich zum einen aus der Norm des § 22 KunstUrhG. Diese knüpft die Rechtmäßigkeit der Verbreitung eines Bildes des Kindes jedenfalls an die Einwilligung beider sorgeberechtigter Elternteile (vgl. BGH, NJW 2005, 56, 57; Dreyer in: Dreyer/Kotthoff/Meckel/Hentsch, Urheberrecht, 4. Auflage, § 22 KunstUrhG Rn. 18).
Zum anderen folgt das Einwilligungserfordernis aus Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. a) DSGVO. Die Verwendung von Fotografien unterfällt den Gewährleistungen der DSGVO (MünchKommBGB/Rixecker, BGB, 8. Auflage, Anhang zu § 12 Rn. 156). Der Rechtfertigungsgrund der Einwilligung gemäß Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. a) DSGVO erfordert die Einwilligung der sorgeberechtigten Eltern als Träger der elterlichen Verantwortung (vgl. Kühling/Buchner, DSGVO BDSG, 3. Auflage, Art. 8 DSGVO Rn. 20). […]
Nur durch die Entscheidungsübertragung auf den Elternteil, dessen Einwilligungsrecht in concreto missachtet worden ist, kann nämlich im Sinne der Kinder sichergestellt werden, dass diese Missachtung rechtliche Konsequenzen hat und eine Fortsetzung der rechtswidrigen Verwendung der Kinderfotos unterbleibt. […]
4. Insoweit besteht auch ein dringendes Regelungsbedürfnis im Sinne des § 49 Abs. 1 FamFG. Es bedarf der sofortigen Einräumung einer Handlungsbefugnis der Kindesmutter, da es jederzeit zu einer wiederholten Verbreitung der Bilder kommen kann. […]