STREIT 2/2017
S. 94-95
filia.die frauenstiftung
Das ist mein gutes Recht: Ohne die Arbeit von Frauenorganisationen stünde in vielen Ländern Rechtssicherheit nur auf dem Papier
filia.die frauenstiftung fördert Rechtssicherheit: drei Beispiele und ein Angebot.
19. April 2016: „Das Amtsgericht Kosice 2, Slowakei, hat das Universitätskrankenhaus der Stadt dazu verurteilt, sich bei einer Frau für begangenes Unrecht zu entschuldigen und ihr eine Entschädigung in Höhe von 17.000 € zu zahlen.“
An diesem Satz aus der Presseerklärung der Organisation Poradna, Slowakei sind zwei Fakten bemerkenswert: 1. Zum ersten Mal hat ein lokales Gericht in der Slowakei so ein Urteil gefällt. Und 2. wäre ohne die Arbeit der kleinen Nichtregierungsorganisation Poradna das Unrecht der Zwangssterilisation der jungen Frau (damals 24 Jahre alt) während der Entbindung ihres zweiten Kindes weder bekannt noch geahndet worden. Poradna sammelt die Fakten und unterstützt die Frauen dabei, ihre Unrechts-Geschichten zu erzählen.
Diesem Urteil ging ein zähes Ringen um Recht und Gerechtigkeit voraus. Die Zwangssterilisation an V.C. geschah 1999 (!) und ist kein Einzelfall. Denn V.C. gehört der ethnischen Minderheit der Roma an. Die Gerichtsbarkeiten auf den unterschiedlichsten Ebenen schoben sich den Fall hin und her, bis dann in Straßburg der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte am 13. November 2012 unter dem Aktenzeichen 15966/04 zu Gunsten von V.C. entschied und die Slowakei zum Handeln verurteilte.
Ein Beispiel von vielen, wo Frauen um etwas kämpfen müssen, das ihnen eigentlich und per Gesetz zusteht: Schutz und Rechtssicherheit. 
2016 brachten die Wahlen in der Slowakei die neofaschistische Partei L‘SNS (Volkspartei Unsere Slowakei) mit an die Macht, die mit offen rassistischen Parolen und der Verunglimpfung von Minderheiten – und hier besonders gegen Roma – über 8 % der Stimmen errungen haben. Seitdem ist die Arbeit von Poradna nicht leichter geworden.
filia.die frauenstiftung hat sich die Förderung von strukturellem Wandel auf die Fahnen geschrieben – im Interesse von Frauen und Mädchen. Und es erfüllt uns mit Stolz, dass die Stiftung die Menschenrechtsorganisation Poradna seit vielen Jahren finanziell und auch mit Öffentlichkeitsarbeit fördern konnte – erst durch Impulsförderungen und seit 2014 strategisch mit einer verbindlichen Zusage über mehrere Jahre.
In vielen Ländern erleben Frauenorganisationen in den letzten Jahren massive Rückschläge gegen ihre Arbeit für mehr Rechte für Frauen und Mädchen – so auch Frauenrechtsgruppen in Armenien. „Seit am 20. Mai 2013 das Parlament ein Gleichstellungsgesetz verabschiedet hat (wozu die Regierung im Rahmen des CEDAW-Abkommens verpflichtet ist), ist eine ‚Gender-Hysterie‘ ausgebrochen“, schrieb unsere Partnerin Anna Nikogoshyan von Society without Violence. „Gender“ wurde mit dem Zerfall der traditionellen Werte, Pädophilie und der Bedrohung der armenischen Kultur gleichgesetzt. Frauenrechtsaktivistinnen erhielten Drohungen und wurden öffentlich, auch im Fernsehen, diffamiert. Society Without Violence leistete mit Fernsehspots Aufklärungsarbeit und versuchte zu verhindern, dass das neue Gesetz zurückgenommen wurde, leider erfolglos. Der Begriff „Gender“ wurde aus dem Gesetz gestrichen, es heißt jetzt „Gleiche Rechte und gleiche Möglichkeiten für Männer und Frauen“. Die Forderung nach einer verbesserten Gesetzgebung ist jetzt Teil jeder öffentlichen Protestaktion.
Die Aktivistinnen von Society Without Violence aus Armenien planen Kampagnen und stellen sich vor die Gerichtsgebäude. Sie prangern individuelle Fälle an, um Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt als gesellschaftliches Thema öffentlich zu diskutieren. Frauen in der patriarchalisch geprägten armenischen Gesellschaft sollen verstehen, dass sie Rechte haben – und dass sie ihre Rechte auch durchsetzen können, weil sie von anderen Frauen unterstützt werden!
Der Bewusstseinswandel vollzieht sich langsam. Viele kleine Schritte sind notwendig, um Öffentlichkeit für die Fälle von Gewalt gegen Frauen zu schaffen. So stellten sie bei einer eindrucksvollen Straßenaktion Paare getragener Schuhe auf einem großen Platz in der Hauptstadt Jerewan aus. Jedes Paar Schuhe gehört einer Frau, die Gewalterfahrungen erlitten hat und ein kurzer Text erzählt ihre Geschichte.
„Unsere Botschaft ist, dass Gewalt gegen Frauen KEIN Teil der traditionellen armenischen Kultur ist, und dass der Schutz der Menschenrechte von Frauen kein importierter westlicher Wert ist, sondern ein universelles Prinzip“, so Anna Nikogoshyan.
Noch einen strukturellen Schritt weiter ist der South Asia Women’s Fund gegangen:
Fälle sexueller Gewalt werden in Indien zuerst vor den örtlichen Gerichten verhandelt, und zwar unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dies bedeutet, dass eine Frau alleine, höchstens von einer weiblichen Verwandten begleitet, dem Täter, mehreren männlichen Anwälten der Verteidigung und dem Gericht gegenübersteht. Das macht es ihr schwer, eine klare Aussage zu machen. „Secure Access to Justice for Women in South Asia“ nennt der South Asian Women’s Fund ein Programm, das in Südasien unter anderem Stipendien an Anwältinnen vergibt. 
Es hat drei Ziele: 1. Anwältinnen in Menschenrechtsfragen weiterzubilden und ihre Fähigkeiten zu stärken, sich für Frauen mit Gewalterfahrungen erfolgreich vor Gericht einzusetzen. 2. Den Frauen, die sexuelle und häusliche Gewalt erfahren haben, Zugang zu der kostenlosen Vertretung durch eine dieser Anwältinnen zu verschaffen. Und 3. Transparenz und Vertrauen in die Gerichtsbarkeit zu verbessern. So ist es ein langfristiges Ziel, Fälle sexueller Gewalt auch auf internationaler Ebene bekannt zu machen und bei CEDAW einzureichen.
Innerhalb von drei Jahren (2013 – 2015) konnten 13 Anwältinnen in 4 Ländern 235 Fälle kostenfrei vertreten. filia ermöglichte die Förderung einer konkreten Anwältin und unterstützt das Gesamtprogramm.
filia hat gute Kontakte zu diesen und weiteren Basisfrauenorganisationen (zum Beispiel der Coalition of African Lesbians CAL in Südafrika), die Rechtsbewusstsein stärken und Rechtspolitik von unten betreiben. Sie sammeln systematisch Fälle, machen auf Missstände laut und deutlich aufmerksam, bilden Anwältinnen in Menschenrechtsfragen weiter – und erreichen mit knappen Ressourcen viel.
Für angehende Juristinnen vielleicht ein unbekanntes Feld und eine gute Chance, ein Auslandsreferendariat zu absolvieren. Sie können dort quasi an der Basis die Probleme kennen lernen und ihr Wissen für die Aktivistinnen nutzbar machen. Gerne vermitteln wir Kontakte zu Personen und Organisationen. 
Kontakt: Programmmanagerin Claudia Bollwinkel, c.bollwinkel@filia-frauenstiftung.de, Tel. 040-380 381 99-3 oder Katrin Wolf, k.wolf@filia-frauenstiftung.de, Tel 040-380 381 99-2.
Die Stiftung – gegründet 2001 von 9 Frauen – ist zur größten Gemeinschaftsstiftung in Deutschland angewachsen, die weltweit Frauen- und Mädchenprojekte fördert. „Erst zusammen sind wir reich – 15 Jahre filia.die frauenstiftung“ kann bei uns bestellt werden und steht als Download auf der Website. „Partizipation“ und „Freiheit von Gewalt“: Zu diesen Förderschwerpunkten hat die Stiftung seit Gründung 2.501.300 Euro an 379 Projekte in 39 Ländern vergeben (Stand Mai 2017). Das Kapital besteht ausschließlich aus privaten Zustiftungen von Frauen für Frauen, die filia nachhaltig anlegt. Jede Spende – ab 120,00 € sind Sie Förder_in – ist ebenfalls willkommen.
Weitere Informationen unter: www.filia-frauenstiftung.de.