STREIT 1/2018
S. 42-45
VG München, §§ 3 Abs. 4, 3b Abs. 1 Nr. 4, 26 Abs. 2 AsylG, Art. 2–13, 15 Abs. 2 EMRK; Art. 2, 6, 7, 8, 9, 10 Richtlinie 2011/95/EU (sog. Qualifikationsrichtlinie [QualfRL]), Art. 6 GG
Flüchtlingseigenschaft wegen geschlechtsspezifischer Verfolgung (Afghanistan)
1. Diejenigen Frauen in Afghanistan unterliegen geschlechtsspezifischer Verfolgung i.S. von § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG, die sich nicht der gegen sie gerichteten gesellschaftlichen Diskriminierung und Entrechtung sowie den archaisch-patriarchalischen Vorstellungen der Männer ihrer Familien unterwerfen bzw. anpassen. 
2. Wenn Frauen in einer nichtehelichen Beziehung mit einem Mann leben, aus der ein Kind hervorgegangen ist, drückt sich dies hierdurch aus. 
3. Die Islamische Republik Afghanistan ist nicht in der Lage, Frauen Schutz vor Zwangsverheiratung durch nichtstaatliche Akteure zu bieten. 
(Leitsätze der Redaktion)
VG München, Urteil vom 25.04.2017 – M 26 K 16.34294
Aus den Gründen:
Die Kläger zu 1 und 2 wurden im Jahr 1996 in Afghanistan geboren, sind afghanische Staatsangehörige und stammen aus der Provinz Parvan. Sie sind tadschikischer Volkszugehörigkeit und sunnitischen Glaubens. Sie reisten im Jahr 2015 in die Bundesrepublik ein und stellten am 14. April 2016 Asylanträge. […]
Bei ihrer Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gaben die Kläger zu 1 und 2 im Wesentlichen an, ihre Familien seien mit ihnen jeweils bereits im Kindesalter aus Afghanistan ausgereist, weil sie dort durch nichtstaatliche Akteure bedroht worden seien. Sie hätten die letzten neun Jahre im Iran gelebt, wo sie über ca. ein Jahr eine heimliche Beziehung geführt hätten. Die Klägerin sei in Folge schwanger geworden. Ihre Familie habe beabsichtigt, mit ihr nach Afghanistan zurückzukehren und sie dort mit ihrem Cousin zu vermählen, dem sie bereits von Kindheit an versprochen gewesen sei. Aus Angst, dass die Beziehung und die Schwangerschaft der Familie bekannt würden, seien sie nach Europa gereist. Sie suchten Schutz vor der Familie der Klägerin, durch die ihr Leben bedroht sei. Sie gingen davon aus, dass die fünf Brüder der Klägerin ihren Plänen entsprechend wieder nach Afghanistan zurückgekehrt seien. Die Familie der Klägerin sei sehr groß und über weite Teile Afghanistans verstreut. Darüber hinaus sei ihr Leben in Afghanistan weiterhin durch die früheren Verfolger bedroht.
Die Klage der Klägerin ist zulässig und im Hauptantrag begründet. […]
1. a) Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG ist. Danach ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juni 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention – GK), wenn er sich wegen begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hat und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 28 Abs. 1a kann die begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist.
§ 3b AsylG beschreibt in Übereinstimmung mit Art. 10 Richtlinie 2011/95/EU (sog. Qualifikationsrichtlinie [QualfRL]) die Verfolgungsgründe. Insbesondere kann nach § 3b Abs. 4 AsylG (Art. 10 Abs. 1 d) [QualfRL]) eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch vorliegen, wenn die Bedrohung allein an das Geschlecht anknüpft. Nach § 3c AsylG kann eine Verfolgung im vorstehenden Sinne vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen, oder von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen (vgl. auch Art. 6 QualfRL), es sei denn, es besteht eine inländische Fluchtalternative („interner Schutz“, näher § 3e AsylG/Art. 8 QualfRL). Nichtstaatliche Akteure im Sinne des § 3c Nr. 3 AsylG können Organisationen ohne Gebietsgewalt, Gruppen oder auch Einzelpersonen sein, von denen eine Verfolgung ausgeht, sofern erwiesenermaßen weder der Staat noch Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen, noch internationale Organisationen in der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten (vgl. auch Art. 7 QualfRL).
Nach § 3a Abs. 1 AsylG bzw. Art. 9 Abs. 1 QualfRL gelten als Verfolgungshandlungen im Sinne des Art. 1 A GK solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Eine einmalige Verfolgungshandlung kann bereits ausreichend sein, aber auch eine Wiederholung schwerwiegender Handlungen ebenso wie eine Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, sofern diese Verfolgung gemäß § 3a Abs. 3 AsylG (Art. 9 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 c) QualfRL) mit einem oder mehreren der Verfolgungsgründe der Genfer Flüchtlingskonvention verknüpft ist. Als Verfolgung gelten ausschließlich Handlungen, die absichtlich, fortdauernd oder systematisch ausgeführt werden. Zu den grundlegenden Menschenrechten gehören nach § 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG (Art. 9 Abs. 1 QualfRL in Verbindung mit Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) jedenfalls das Recht auf Leben (Art. 2 EMRK/GRCh), das Verbot von Folter und von unmenschlichen und erniedrigenden Strafen (Art. 3 EMRK/Art. 4 GRCh), das Verbot der Sklaverei und Leibeigenschaft (Art. 4 Abs. 1 EMRK/Art. 5 GRCh) sowie das Verbot der Strafe ohne Gesetz (Art. 7 EMRK/Art. 50 GRCh). Diese Aufzählung ist allerdings nicht abschließend. Als Schutzgüter kommen grundsätzlich alle in der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützten Rechte in Betracht, insbesondere das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5 EMRK/Art. 6 GRCh), das Recht auf ein rechtsstaatliches Verfahren (Art. 6 EMRK/Art. 47 GRCh), der Schutz von Familien- und Privatleben (Art. 8 EMRK/Art. 7 GRCh), der Schutz der Wohnung und des Briefverkehrs bzw. Kommunikation (Art. 8 EMRK/Art. 7 GRCh), die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 9 EMRK/Art. 10 GRCh), die Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 10 EMRK/Art. 11 GRCh), die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art. 11 EMRK/Art. 12 GRCh) sowie die Eheschließungsfreiheit (Art. 12 EMRK/Art. 9 GRCh).
Die Verfolgungshandlungen müssen auf den genannten Verfolgungsgründen beruhen. Bei der Beurteilung, ob eine Verfolgung im dargelegten Sinne droht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen (BVerwG, U.v. 27.4.2010 – 10 C 5/09 – BVerwGE 136, 377 ff).
b) Bei Beachtung dieser Maßstäbe hat die Klägerin zu 2 Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Die Klägerin wäre bei einer Rückkehr nach Afghanistan einer geschlechtsspezifischen Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure ausgesetzt. Sie hat in der mündlichen Verhandlung – den in der Anhörung vor dem Bundesamt gemachten Angaben entsprechend – glaubhaft dargelegt, dass und weshalb sie von ihren Brüdern gezwungen werden sollte, ihren Cousin zu heiraten, dem sie von Kind an versprochen war. Das Gericht geht weiter davon aus, das die Angst vor einer Zwangsverheiratung mit dem Cousin Ursache ihrer Flucht nach Europa war, und dass sie im Fall der Rückkehr mit schweren Repressalien bis hin zum sog. Ehrenmord rechnen müsste, weil sie sich dem Beschluss des Familienrats zu heiraten, verweigert hat, ohne Erlaubnis von zu Hause ausgezogen ist und ein nichteheliches Kind vom Kläger zu 1) hat. 
Die Geschichte ist glaubhaft, weil die Schilderung der Erlebnisse keine Widersprüchlichkeiten, Lücken oder unrealistischen Passagen aufweist und auch in Ansehung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Herkunftsregion plausibel ist. Die Aussage der Klägerin, dass ihre Familie und diejenige ihres Cousins zwar nicht mit konkreten Repressalien gedroht hätten, sie aber mit solchen hätte rechnen müssen, wenn die Familie von der Beziehung und der Schwangerschaft erfahren hätten, ist vor dem Hintergrund der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel durchaus nachvollziehbar. Dafür, dass die Geschichte der Eheanbahnung frei erfunden sein könnte, gibt es keinen Anhaltspunkt.
Das Vorbringen der Klägerin wird durch die vom Gericht eingeholten Erkenntnisquellen gestützt. Insbesondere hat die Schweizerische Flüchtlingshilfe in der im Verfahren vorgelegten Stellungnahme ausgeführt, dass Zwangsheiraten in der afghanischen Bevölkerung häufig vorkommen (Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 1.12.2015 zu Afghanistan: Verlobung und Heirat, Zwangsheirat, Sicherheitslage in Kabul). Demzufolge entscheiden Eltern oft über die Zukunft ihrer Töchter, ohne sie nach ihrer Meinung zu fragen. Gemäß der in einem Bericht des Max Planck Institute vom Juli 2012 zitierten Afghan Independent Human Rights Commission werden 60 bis 80 Prozent der Eheschließungen in Afghanistan ohne Zustimmung oder gegen den Willen der Ehegattin oder des Ehegatten geschlossen. Dies gelte unabhängig von der Gemeinschaft, Ethnie oder Region. Arrangierte Ehen in Afghanistan seien Teil eines komplexen Systems von Traditionen, Loyalitäten und Autoritäten. Laut Max Planck Institute (Juli 2012) wird die individuelle Suche nach einem Ehepartner oder einer Ehepartnerin als schändlich angesehen, besonders wenn diese Suche von einer Frau initiiert wird.
Auch der Bericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamische Republik Afghanistan (Stand September 2016) führt unter Verweis auf eine Erhebung des zuständigen Ministeriums von 2006 aus, dass über 50% der Mädchen unter 16 Jahren verheiratet wurden und dass 60-80% aller Ehen in Afghanistan unter Zwang zustande kamen. Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt sei weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen fänden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichten von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord. Viele Gewaltfälle gelangten nicht vor Gericht, sondern würden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führe oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich nicht gesetzeskonform zugesprochen würden. Darüber hinaus geschehe es immer wieder, dass Frauen, die entweder eine Straftat zur Anzeige brächten oder aber von der Familie aus Gründen der „Ehrenrettung“ angezeigt würden, wegen sog. Sittenverbrechen wie z.B. „zina“ (außerehelicher Geschlechtsverkehr) im Fall einer Vergewaltigung verhaftet oder wegen „Von-zu-Hause-Weglaufens“ (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der zina gewertet) inhaftiert würden.
Die Flucht vor einer Zwangsverheiratung kann Auslöser für einen Ehrenmord sein (vgl. BAMF, Geschlechtsspezifische Verfolgung in ausgewählten Herkunftsländern, April 2010, S. 30; Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD), Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Sanktionen gegen unverheiratetes Paar, das untertaucht (Rolle von Volkszugehörigkeit und Religion?); Sanktionen gegen Familienangehörige des Mannes, 27.12.2012).
Die Freiheit der Eheschließung ist in internationalen Konventionen garantiert (Art. 13 EMRK, Art. 9 GR-Charta, Art. 16 Abs. 2 UN-Menschenrechtserklärung). Nach einhelliger Auffassung im ausländerrechtlichen Schrifttum ist eine Nötigungshandlung zur Erzwingung einer Heirat in jedem Fall eine das Selbstbestimmungsrecht der Frau verletzende, verwerfliche Handlung (BayVGH, U.v. 17.3.2016 – 13a B 15.30241 – juris; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 37 AufenthG Rn. 43; Müller in Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 37 AufenthG Rn. 14; Kessler in Hofmann a.a.O. § 3a AsylG Rn. 19; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Januar 2016, § 37 AufenthG Rn. 32d, § 3a AsylG Rn. 35 und § 3b AsylG Rn. 35; Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 3a Rn. 48). Unabhängig davon ist aufgrund der individuellen Situation der Klägerin im vorliegenden Einzelfall eine Sachlage gegeben, bei der eine Anpassung an die Verhältnisse in Afghanistan nicht zumutbar und damit eine Rückkehr nach Afghanistan aufgrund drohender geschlechtsspezifischer Verfolgung ausgeschlossen ist (zu ähnlichen Fällen vgl. BayVGH, B.v. 23.9.2008 – 6 ZB 06.31124 – juris; VG München, U.v. 23.12.2009 – M 23 K 09.50039 – juris; VG Köln, U.v. 25.11.2008 – 14 K 4274/06.A – juris). Die Klägerin würde als verheiratete Frau und Mutter eines Kindes nach Afghanistan zurückkehren, nachdem sie sich dort einer Zwangsverheiratung entzogen hat.
Dieser Sachverhalt erfüllt auch die Merkmale geschlechtsspezifischer Verfolgung i.S.v. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Danach kann eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch vorliegen, wenn sie allein an das Geschlecht anknüpft und von nichtstaatlichen Dritten i.S.d. § 3c Nr. 3 AsylG ausgeht. Die Klägerin gehört zu der bestimmten abgrenzbaren (vgl. § 3b Abs. 4 b) AsylG) sozialen Gruppe derjenigen Frauen in Afghanistan, die sich nicht der gegen sie gerichteten gesellschaftlichen Diskriminierung und Entrechtung sowie den archaisch-patriarchalischen Vorstellungen der Männer ihrer Familien unterwerfen bzw. anpassen.
Auch ist die Islamische Republik Afghanistan erwiesenermaßen nicht in der Lage, Schutz vor der Zwangsverheiratung durch nichtstaatliche Akteure zu bieten. Dies wäre dann der Fall, wenn der Staat geeignete Schritte eingeleitet hätte, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung der Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn die Klägerin zu 2. Zugang zu diesem Schutz hätte. Nach der oben bereits dargelegten Auskunftslage sind diese Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt.
Für die Klägerin besteht schließlich auch keine inländische Fluchtalternative im Sinne des § 3e AsylVfG. Nach § 3e AsylVfG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylVfG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Diese Voraussetzungen sind hier – auch mit Blick auf Kabul – nicht erfüllt.
Für die Klägerin mag zwar eine begründete Furcht vor der geltend gemachten Verfolgung außerhalb ihrer Herkunftsprovinz – etwa in Kabul – nicht bestehen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die Familie der Klägerin auch in Kabul Zugriff auf diese haben könnte. Von der Klägerin und den Klägern kann aber nicht vernünftigerweise erwartet werden, dass sie sich in Kabul oder anderswo in Afghanistan dauerhaft aufhalten, um der geltend gemachten Bedrohung zu entfliehen. Von einem Schutzsuchenden kann nur dann vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich in dem verfolgungsfreien Landesteil aufhält, wenn er am Zufluchtsort eine ausreichende Lebensgrundlage vorfindet, d. h. dort das Existenzminimum gewährleistet ist. Dabei bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen eine wirtschaftliche Lebensgrundlage etwa dann, wenn sie dort, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem angemessenen Lebensunterhalt Erforderliche erlangen können (vgl. zum Ganzen BVerwG, B.v. 21.5.2003 – 1 B 298.02 –; U.v. 1.2.2007 – 1 C 24.06 – und vom 29.5.2008 – 10 C 11.07 –, jeweils juris). 
Zwar ist nach der Rechtsprechung vor allem für alleinstehende, aus dem europäischen Ausland zurückkehrende und arbeitsfähige Männer ohne erhebliche gesundheitliche Einschränkungen – mitunter auch ohne familiären Rückhalt – in der Regel die Möglichkeit gegeben, in Kabul als Tagelöhner wenigstens das Überleben zu sichern. Kabul stellt daher nach Ansicht der Kammer derzeit für alleinstehende, arbeitsfähige Männer ohne erhebliche gesundheitliche Einschränkungen durchaus eine interne Schutzalternative im vorstehenden Sinne dar. Dies gilt in der Gesamtschau der aktuellen Auskünfte jedoch nicht für besonders schutzbedürftige Rückkehrer wie minderjährige, Familien mit minderjährigen Kindern, alte oder behandlungsbedürftig kranke Personen, alleinstehende Frauen und Personen, die aufgrund besonderer persönlicher Merkmale zusätzlicher Diskriminierung unterliegen (zu Familien mit Minderjährigen Kindern vgl. BayVGH, B.v. 30.9.2015 – 13a ZB 15.30063 – juris Rn. 5; U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30284 – Asylmagazin 2015, 197; U.v. 21.11.2014 – 13a B 14.30285 – InfAuslR 2015, 212). 
Bei der Prüfung des § 3 e AsylVfG ist außerdem zu beachten, dass Familienangehörige wegen des Schutzes von Ehe und Familie nach Art. 6 GG nur gemeinsam mit ihren Kindern und ihrem Ehepartner nach Afghanistan zurückkehren können. Daher sind bei der Beantwortung der Frage, ob das Existenzminimum am Zufluchtsort gewährleistet sein wird, alle Familienmitglieder gemeinsam in den Blick zu nehmen.
Nach den glaubhaften Angaben der Klägerin kann sie in Afghanistan auch nicht auf den Schutz ihrer Familie zurückgreifen, da sie von dieser bedroht würde. […]