STREIT 4/2020

S. 189

Gemeinsames Rundschreiben des BMI und des BMFSFJ zur Wohnsitzregelung nach § 12a des Aufenthaltsgesetzes in Gewaltschutzfällen vom 14. Februar 2020 (Auszug)

(Az. BMI M3-20010/22#11)1

[…]
II. Aufhebung der Wohnsitzbindung in Gewaltschutzfällen

1. Hinreichend dargelegte und nachgewiesene Gewaltschutzfälle sind Härtefälle im Sinne des Gesetzes und daher immer ein Aufhebungsgrund
Gemäß § 12a Absatz 5 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe c) des Aufenthaltsgesetzes ist eine Wohnsitzverpflichtung oder -zuweisung zur Vermeidung einer Härte aufzuheben [...]. [...] Danach besteht eine unzumutbare Einschränkung durch eine Wohnortbindung, wenn die Verpflichtung oder Zuweisung eine gewalttätige oder gewaltbetroffene Person an den bisherigen Wohnsitz bindet oder einer Schutzanordnung nach dem Gewaltschutzgesetz oder sonstigen erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Gewalt (insbesondere häuslicher oder geschlechtsspezifischer Gewalt) entgegensteht. Hinreichend dargelegte und nachgewiesene Gewaltschutzfälle (vgl. zum grundsätzlichen Nachweiserfordernis die Ausführungen unter Punkt II. 2.) stellen immer einen Härtefall im Sinne des § 12a Absatz 5 Satz 2 Nummer 2 Buchstabe c) des Aufenthaltsgesetzes dar – mit der Folge, dass in diesen Fällen eine bestehende Wohnsitzverpflichtung oder -zuweisung aufzuheben ist.

2. Antrags- und Nachweiserfordernis
Die Aufhebung der Wohnsitzverpflichtung bzw. Wohnsitzzuweisung ist bei der zuständigen Ausländerbehörde zu beantragen.
Die betroffene Person hat zur Begründung des Aufhebungsantrags auf geeignete Weise glaubhaft zu machen, dass sie Opfer von häuslicher oder geschlechtsspezifischer Gewalt geworden ist und ihr derartige Gewalt auch zukünftig drohen würde, wenn sie ihren Wohnsitz nicht verlegen dürfte. Die betroffene Person hat im Rahmen des Aufhebungsantrags eine Mitwirkungspflicht (§ 81 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes) – d.h. sie ist verpflichtet, ihre Belange und die für sie günstigen Umstände beizubringen. [...]
Insgesamt ist zu berücksichtigen, dass Opfer von Gewalt oft traumatische Erfahrungen gemacht haben und nachvollziehbare Hemmungen bestehen können, über das Erlebte zu berichten. Zudem können Traumatisierungen und Ängste dazu führen, dass Opfer von Gewalt Erlebtes nicht immer widerspruchsfrei und lückenlos schildern können. Deshalb sollten Ausländerbehörden den betroffenen Personen die Möglichkeit bieten, bei Terminen Vertrauenspersonen hinzuzuziehen. Die Ausländerbehörden sollten zudem der Bitte einer Antragstellerin nachkommen, ihren Fall einer weiblichen Mitarbeiterin schildern zu dürfen.
Zusätzlich zur Schilderung des Sachverhalts durch die betroffene Person sollte ein geeigneter Nachweis vorgelegt werden. Dieser kann auf verschiedenen Wegen erbracht werden: Dazu zählen etwa ärztliche Atteste oder Krankenhausberichte über physische oder psychische Verletzungen. Ausreichend ist es zudem, wenn für die betroffene Frau eine Aufnahmebestätigung eines Frauenhauses vorliegt. [...]
Als Nachweis geeignet sind ebenfalls gerichtliche Schutzanordnungen oder gerichtliche Wohnungszuweisungen nach dem Gewaltschutzgesetz sowie entsprechende Anträge nach dem Gewaltschutzgesetz. [...]
In besonderen Ausnahmesituationen, in denen eine dringende Schutzbedürftigkeit offensichtlich ist, soll von der Vorlage eines Nachweises abgesehen werden.

3. Vorübergehender Aufenthalt an einem anderen Ort ist keine Ordnungswidrigkeit
Nach § 98 Absatz 3 Nummer 2a des Aufenthaltsgesetzes handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 12a Absatz 1 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes den Wohnsitz nicht oder nicht für die vorgeschriebene Dauer in dem Land nimmt, in dem er zu wohnen verpflichtet ist. Nach § 98 Absatz 3 Nummer 2b des Aufenthaltsgesetzes handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig einer vollziehbaren Anordnung nach § 12a Absatz 2, 3 oder 4 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder § 61 Absatz 1c des Aufenthaltsgesetzes zuwiderhandelt.
In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass kein Verstoß gegen die Wohnsitzverpflichtung des § 12a des Aufenthaltsgesetzes und damit auch keine Ordnungswidrigkeit vorliegt, wenn sich eine schutzberechtigte Person vorübergehend außerhalb der Zuweisungskommune oder außerhalb des zugewiesenen Bundeslandes aufhält. [...]

4. Notwendige prioritäre und zügige Bearbeitung der Gewaltschutzfälle durch die Ausländerbehörden
Zuständig für die Bearbeitung eines Antrags auf Aufhebung einer Wohnsitzverpflichtung oder -zuweisung ist die Ausländerbehörde, die für den Ort zuständig ist, an dem die schutzberechtigte Ausländerin bzw. der schutzberechtigte Ausländer zu wohnen verpflichtet ist. [...]