STREIT 3/2025
S. 133
Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten, Bundeslagebild 2023 des BKA
Geschlechtsspezifische Gewalt in Deutschland bleibt ein drängendes gesellschaftliches Problem. Der am 19.11.2024 vorgestellte Lagebericht des Bundeskriminalamts 2023,1 der in dieser Form erstmals veröffentlicht wurde, zeichnet ein verheerendes Bild über weiter zunehmende Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Die Bundesrepublik Deutschland ist als Vertragsstaat des Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) gem. Art. 11 zu entsprechender Datensammlung und Forschung verpflichtet.
Zahlen, Fakten, Entwicklungen
Der Bericht will einen Gesamtüberlick zu „geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete[n] Straftaten“ liefern (S. 2), räumt aber selbst ein, dass dieser wegen statistischer Schwierigkeiten sowie (insbesondere bei häuslicher Gewalt) einer erheblichen Dunkelziffer Defiziten unterliegt (S. 44 f.). Das Lagebild beruht auf einer zweidimensionalen Betrachtung. Zum einen umfasst sind Delikte der Hasskriminalität, die auf ein „frauenfeindliches Vorurteil als Tatmotivation“ zurückgehen (S. 1). Zum anderen erfasst werden spezifische Delikte, die überwiegend zum Nachteil von Frauen begangen werden oder in ihrer Ausprägung primär Frauen betreffen (S. 1). Darunter fallen körperliche, sexualisierte, psychische und digitale, aber auch ökonomische Gewalt, sowie Stalking und Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung. Insgesamt ist in jeder Fallgruppe im Vergleich zum Vorjahr die Anzahl der weiblichen Opfer gestiegen (S. 44). Zu befürworten ist, dass für die Einordnung als geschlechtsspezifische Gewalt der Betroffenenperspektive eine besondere Bedeutung zukommt (S. 1). Allerdings wird auch deutlich, dass die juristischen Mittel zur Verhinderung von Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen aufgrund der zwangsläufigen begrifflichen Fixierung eines weit verbreiteten und vielschichtigen Phänomens begrenzt sind. Dies zeigt sich etwa dadurch, dass die Einordnung eines Tötungsdelikts als Femizid aufgrund begrifflicher Unklarheiten weiterer Forschung sowie Abgrenzung bedürfe, wie der Bericht konstatiert (S. 37). Bis dato existiert nach wie vor keine zuverlässige sowie stichhaltige juristische Definition hierfür. Dieser Umstand sowie die vorbezeichneten Entwicklungen werfen grundlegende Fragen zur Wirksamkeit staatlicher Schutzmaßnahmen, zur Sinnhaftigkeit von Strafverfolgung und zum gesellschaftlichen Umgang mit Frauenfeindlichkeit auf.
Staatliche Reaktionen, politische Versäumnisse
Reaktive Maßnahmen werden dem Ausmaß und der strukturellen Dimension geschlechtsspezifischer Gewalt nicht gerecht. Vielmehr trifft die Bundesrepublik Deutschland eine staatliche Schutzpflicht. Diese ergibt sich grundlegend aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 GG und den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Istanbul-Konvention und umfasst insbesondere auch Aufklärung und Prävention. Noch zu oft beschränken sich die Reaktionen überwiegend jedoch auf die Forderung nach schwereren Strafen oder „mehr Härte gegen die Täter“, so etwa die damalige Bundesinnenministerin Nancy Faeser bei Veröffentlichung des Lageberichts.2
Ob etwa der geforderte Einsatz elektronischer Fußfesseln zweckmäßig ist, bleibt fraglich – jedenfalls verkennt ein solcher individualisierender Aktionismus die gesellschaftlichen Ursachen geschlechtsspezifischer Gewalt. Immerhin aber bekommen Betroffene patriarchaler Gewalt mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung etwa durch niedrigschwelligere Zugänge zu Schutz- und Hilfsangeboten zugesprochen. Am 06.03.2025 wurde als Reaktion auf das Bundeslagebild zu geschlechtsspezifischer Gewalt sowie das Bundeslagebild 2023 zu häuslicher Gewalt durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine Broschüre mit einer umfassenden Gewaltschutzstrategie nach der Istanbul-Konvention 2025–2030 veröffentlicht.3
Nachdem die Bundesrepublik Deutschland ihren verfassungs- wie völkerrechtlichen Verpflichtungen seit Jahren nicht hinreichend nachkommt – wie etwa bei der Zurverfügungstellung ausreichender und flächendeckender Frauenhausplätze – bleibt abzuwarten, inwieweit nun eine solche Umsetzung erfolgen wird.
- BKA: Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten, Bundeslagebild 2023, www.bka.de. ↩
- Straftaten gegen Frauen und Mädchen steigen in allen Bereichen – Fast jeden Tag ein Femizid in Deutschland, Pressemitteilung des BKA vom 19.11.2024, www.bka.de. ↩
- BMFSFJ: Gewaltschutzstrategie nach der Istanbul-Konvention 2025-2030, Berlin Januar 2025, www.bmfsfj.de. ↩