STREIT 3/2025
S. 134-136
Bericht vom 49. Feministischen Jurist*innentag vom 9. bis 11. Mai 2025 in Halle
Von Freitag, dem 9. bis Sonntag, den 11. Mai 2025 fand der 49. Feministische Jurist*innentag in Halle (Saale) statt. Nach einem FJT mit fast ca. 750 Teilnehmer*innen im letzten Jahr in Berlin, wurde er in diesem Jahr im kleineren Rahmen abgehalten. Ganz besonders war, dass der gesamte FJT in einer Jugendherberge stattfand. Das hatte den ganz wunderbaren Vorteil, dass alle 240 Teilnehmer*innen zusammen speisen, zu den AGs spazieren – und am Ende des Tages die Zimmer beziehen konnten.
Empfangen wurden wir am Freitag bei strahlendem Sonnenschein in Halle (Saale). In alter Tradition startete der FJT für Neulinge mit einem Einführungsworkshop von RAin Alina Crome und Prof. i.R. Dr. Sibylla Flügge zur Geschichte und Struktur des FJT. Währenddessen konnten jene, die schon öfter dabei waren, das Rahmenprogramm zur Stadterkundung nutzen. Die Stadtführungen boten verschiedene Einblicke in die Geschichte und Gegenwart von Halle: Vom Bauhaus-Künstler Lyonel Feininger über Frauen in der DDR bis hin zum Anschlag von Halle (2019) und einer Führung durch das Landgericht Halle. „Ich hatte hier mit lauter Frauen in Hosenanzügen gerechnet“, begrüßte uns die Vorsitzende des Zeitgeschichte e.V. überrascht, die uns auf den Spuren von Frauen in der DDR durch die Stadt führen sollte – ein Moment, der einmal mehr zeigt, dass der FJT selten in die konventionellen Bilder über Jurist*innen passt.
Zurück von den Ausflügen durch die Salzstadt vertieften am Nachmittag Neriman Orman-Demir und Prof. Dr. Nora Markard das Thema Intersektionalität im Kontext des FJT, während Selma Gather und Prof. Dr. Dana-Sophia Valentiner eine Einführung zu wiederkehrenden Kontroversen im Rahmen des FJTs gaben. Bei Letzterem ging es unter anderem um die regelmäßig auftretenden Spannungen rund um Zugang, Größe und Professionalisierung – Themen, die den FJT seit Jahren begleiten. Und auch beim diesjährigen FJT war durchaus ersichtlich, dass es ganz unterschiedliche Bedürfnisse und Vorstellungen gibt, wie offen und groß das Forum sein soll – und wie familiär es bleiben darf oder muss.
Am Abend kamen wir erstmalig alle für die Eröffnungsveranstaltung zusammen, die unter dem Titel „Feministische Juristinnen in und aus Ostdeutschland ziehen nach 35 Jahren Bilanz über die Lage der Frauen in Deutschland“ stand. Den Auftakt machte die ehemalige Justiz- und Gleichstellungsministerin Sachsen-Anhalts, Prof. Dr. Angela Kolb-Janssen, mit Impulsen zu Juristinnen in der DDR und deren Gleichstellung. In der anschließenden Podiumsdiskussion diskutierten Prof. Dr. Angela Kolb-Janssen, Gabriele Lubanda, Anne Kobes und Kira Lippmann unter der Moderation von Almuth Buschmann. Auch hier wurde über die Rolle von Juristinnen in der DDR, die Entwicklungen nach der Wiedervereinigung und die Frage gesprochen, ob die Betonung von Unterschieden zwischen Ost- und Westbiografien heute noch notwendig ist. Dabei betonte Kira Lippmann als Vertreterin der Nachwendegeneration, dass wir weniger über Klischees und vielmehr über dahinterliegende Strukturen nachdenken und sprechen sollten.
Ein gemütlicher Sektempfang bot den Raum, um die Impulse der Podiumsdiskussion nachklingen zu lassen, sich über erste Eindrücke auszutauschen und sich ost-west-übergreifend zu vernetzen. Damit fand der Tag schließlich einen gelungenen Ausklang.
Der Samstag begann mit einem vielfältigen und hochkarätig besetzten AG-Programm. Im ersten Zeitblock wurde von RAin Anke Stelkens und RAin Theresa Rasche die Reform des Medienrechts, Schutzaccounts und Sicherheiten für die mediale Teilhabe thematisiert. RAin und Notarin Dr. Laura Adamietz informierte über feministische Eheverträge (großes learning und kleiner Spoiler: immer wichtig!). Ri AG Ulla Wichmann berichtete über die Umsetzung der EU-Richtlinie gegen Gewalt aus familiengerichtlicher Perspektive und stellte verschiedene Forderungen zur Diskussion, die im Zwischenplenum als Fachstellungnahme weiterbearbeitet und verabschiedet wurden. RAin Ilka Quirling und RAin Nadine Arndt nahmen das aktuelle Aufenthaltsrecht vor dem Hintergrund von patriarchalen, heteronormativen und rassistischen Grundannahmen für eine mögliche, benachteiligungsfreie Anwendung unter die Lupe. Law and Emotions im Völkerrecht – unter diesem Titel thematisierten Bernadette Lumbela und Caroline Schaeffer den Einfluss von Emotionen auf das Völkerrecht, insbesondere hinsichtlich Staaten und Staatsgründung und der Bedrohung für die Demokratie. Schließlich widmete sich die AG von RAin Kristin Pietrzyk dem Rechtsextremismus und der Frauenfeindlichkeit am Beispiel des Anschlags in Halle.
Die anschließende Kaffeepause in der Sonne konnten alle ausgiebig zum Austausch nutzen – denn jeder als nächstes aufzusuchende Raum war in greifbarer Nähe. Auch daran zeigte sich, dass die Auswahl der Jugendherberge als Veranstaltungsraum ganz fantastisch war!
Weiter ging es im zweiten Zeitblock mit einer Diskussion zum Nutzen von Strafrecht und Entwicklungen im Bereich der Nebenklage. Dr. Daria Bayer, RAin Malin Bode, RAin Giulia Borsalino und RAin Theda Giencke – Anwältinnen aus verschiedenen Generationen – diskutierten unter der Moderation von RAin Julia Lehnfeld zunächst über die historische Entwicklung der Nebenklage und anschließend über die bestehenden Defizite des Strafrechtssystems für Betroffene von sexualisierter Gewalt. Das Publikum diskutierte fleißig mit und so gab es einen fruchtbaren Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis, insbesondere zum Spannungsverhältnis der Forderung nach einer Verschärfung des Strafrechts zum Betroffenenschutz und einer abolitionistischen Ablehnung jeglicher staatlichen Gewalt, der am Ende gar keine so große Spannung darstellte. In der AG über KI und Recht von PD Dr. Victoria Ibold wurde sich mit den technischen Grundlagen der künstlichen Intelligenz und dem vielfältigen Einsatz im Recht beschäftigt. Prof. Dr. Katja Nebe leitete die AG zu diskriminierungsfreiem Mutterschutz. In diesem Workshop wurden Beispiele erläutert, wie sich ein schonender Ausgleich zwischen Gesundheitsschutz und Teilhabeschutz bewerkstelligen lässt, so dass die Schutzgesetze volle Wirksamkeit entfalten können, ohne zugleich Frauen faktisch zu diskriminieren. Dr. Susanna Roßbach thematisierte in ihrer AG das Selbstbestimmungsgesetz mit Schwerpunkt Namensrecht. Nachdem das Selbstbestimmungsgesetz am 01.11.2024 in Kraft getreten ist, ging es vor allem um eine erste Bilanz. Dr. Ulrike Spangenberg und Julia Jirmann stellten in der AG zum Thema Chancen einer gendergerechten Steuerrechtsreform Inhalte und Chancen einer feministischen Steuerpolitik vor, die anschließend diskutiert wurden. In der AG mit Valentina Chiofalo und Louisa Hadadi wurden die feministischen Ansätze im Völkerrecht besprochen und anschließend die feministischen Potenziale, aber auch Leerstellen der internationalen Ordnung thematisiert. Last but not least moderierte Dr. Anna Hochreuter den Austausch für feministische Jurist*innen in Politik und Verwaltung.
Nach dem zweiten AG-Block am Vormittag, der noch einmal Raum für konzentrierte Diskussionen und vertiefte Auseinandersetzung bot, war es Zeit für eine wohlverdiente Mittagspause. An ein anschließendes Mittagstief war indes nicht zu denken, also wurden Kaffee und Freund*in geschnappt und auf ging es in die nächste AG-Runde. In der AG zum antifeministischen Backlash im Familienrecht, widmeten sich Dr. Dorothee Beck, RAin Lucy Chebout, Wiebke Wildvang und Britta Schlichting mit Moderation durch Theresa Otten Dionisio den aktuellen Strategien antifeministischer Akteure und beleuchteten die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf gesellschaftliche Debatten. In der AG zum „Diskriminierungsschutz durch Strafrecht? Kritische Perspektiven auf das Konzept der Hasskriminalität“, reflektierte Antonia Vehrkamp mit den Teilnehmer*innen, welche Rolle das Strafrecht bei der Bekämpfung der Hasskriminalität spielen kann bzw. sollte. In der AG zum Medizinischen Bias und seiner Fortsetzung im Recht zeigten Ana-Sophia Almeida-Dehasa, Astrid Stein und Ri SG Mahtab Khedri auf, wie sich geschlechterspezifische Vorurteile in der Medizin auf die Gesundheit von Frauen* auswirken und sie diskutierten über mögliche Lösungsansätze. Dies resultierte in der Formulierung zahlreicher Forderungen, die im Zwischenplenum weiter diskutiert und als Fachstellungnahme verabschiedet wurden. RAin Katharina Conrad, Prof. i.R. Dr. Dorothee Frings und Prof. Dr. Nora Markard referierten in ihrer AG ihre Forschungsergebnisse zu den gleichstellungspolitischen Auswirkungen des Aufenthaltsgesetzes. Auch aus dieser AG ging eine Fachstellungnahme mit Forderungen an den Gesetzgeber hervor, die im Zwischenplenum uneingeschränkte Zustimmung fand. Donja Hodaie gab einen Überblick über die Gender-Apartheid im iranischen Rechtssystem und den Kampf von Feminist*innen dagegen. In der anschließenden Diskussion war die Bestürzung groß, als klar wurde, dass das extrem patriarchale und diskriminierende Familien- und Erbrecht aus dem Iran wegen des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens aus dem Jahr 1929 Anwendung auch in Deutschland findet, wenn es um eine Rechtsstreitigkeit zwischen zwei iranischen Staatsbürger*innen geht. Die restliche Zeit der AG und die Pause wurden deshalb genutzt, um eine Fachstellungnahme zu formulieren, die die Beendigung dieser Anwendung fordert.
Im Zwischenplenum, das wie immer am späten Samstagnachmittag stattfand, wurden ganz traditionell Forderungskataloge eingebracht und zur Abstimmung gestellt. Während dies für mich immer ein zeitweise anstrengender Part des FJTs war, entpuppte sich dieses Plenum als das Flotteste, das ich in den letzten Jahren erlebt hatte. In Windeseile wurden die vier Fachstellungnahmen sowie eine ohne AG von Teilnehmer*innen eingebrachte Resolution, mit der die Rückführung der nonbinären Aktivist*in Maja aus Ungarn gefordert wurde, diskutiert, z. T. verändert und mit sehr großer Mehrheit oder einstimmig angenommen. Gab es so etwas überhaupt schon einmal?
Die anregenden Diskussionen des Zwischenplenums hallten noch nach, doch wer dachte, damit sei das Tagesprogramm erschöpft, irrte gewaltig. Denn was dann folgte, war fast schon zu schön, um wahr zu sein: Erst konnte bei bestem Wetter über die Saale gepaddelt werden – anschließend ging es nahtlos weiter zur Party in der „Station Endlos“. Was sollen wir sagen … kaum dort angekommen, wurde getanzt, gelacht und vernetzt, was das Zeug hielt. Auch wenn die „Station Endlos“ über einen wirklich spektakulären Außenbereich verfügte, der bei dem schönen Wetter zum Verweilen einlud, war dieser zur Primetime wie leergefegt – die Musik spielte nun allein auf der Tanzfläche! Auch wenn der Name der Tanzstätte eine andere Vermutung nahelegt, wurden die Stimmen um 2 Uhr langsam heiser und mit Shuttle und Bus ging es zurück in die Herberge, um Kräfte für die nächste Runde zu sammeln.
Der Sonntagmorgen startete praxisnah: RAin Britta Lehnert, RAin Anna Vorwerg, RAin Alina Crome und RAin Malena Bayer gaben einen Einblick zur Frage, wie eine Kanzlei gegründet werden kann. Jacqueline Sittig und RAin Julia Hirsch beschäftigten sich im Workshop Digitale Gewalt gegen Frauen mit der Frage, wie wir uns in einer digitalen Welt schützen und behaupten können. Den Austausch zu Wertschätzung für Jurist*innen moderierte RAin Anke Stelkens. Zudem bot Dr. Sarah Ahrens im Workshop zu der Frage, wie barrierefreie, inklusive (nicht diskriminierende) Kommunikation u.a. mit Power Point, Word und PDF funktioniert – eine praxisbezogene Einführung zur barrierefreien Gestaltung dieser Dokumente.
Nach der obligatorischen Kaffeepause startete die zweite und letzte Runde: RAin Ina Feige und RAin i.R. Susanne Pötz-Neuburger widmeten sich im Gespräch den wirtschaftlichen Aspekten der Aufrechterhaltung der Kanzlei – inklusive Altersvorsorge und Nachfolge. Henrike Kruse moderierte in einem weiteren Austausch, was die Entwicklung künstlicher Intelligenz für uns bedeutet. RAin Zümrüt Turan-Schnieders und Prof. Dr. Berit Völzmann thematisierten in einer Diskussion, wie heute eine fruchtbare Zusammenarbeit feministischer Jurist*innen in Theorie und Praxis erfolgen kann. Zudem stellten RAin Erika Lorenz-Löblein und RAin Andrea Mathes konkrete prozessrechtliche Probleme bei der Vertretung der Nebenklage zur Diskussion. Wichtige Anstöße zur Selbstreflexion gab Farnaz Victoria Nasiriamini, die insbesondere im Hinblick auf Rassismus die Rechtskommunikation im Kontext von Macht und Rassismus beleuchtete sowie deren Rolle bei der Reproduktion und Dekonstruktion von Machtverhältnissen.
Im Abschlussplenum wurde den unterschiedlichen Organisator*innen nochmal mit herzlichem Applaus gedankt. Sodann wurde nach dem Austragungsort des 50. FJT 2026 gefragt. Nachdem es im letzten Jahr große Schwierigkeiten gab, eine Stadt für den nächsten FJT zu finden, kam dieses Jahr der Paukenschlag: gleich zwei Städte haben sich bereit erklärt, den FJT fortzusetzen – Hamburg und Wien. Und ganz im Zeichen dieses harmonischen FJTs wurde einvernehmlich eine Reihenfolge gefunden. So lohnte sich – während die letzten T-Shirts, Notizen und Erinnerungen wieder in Rucksäcke und Koffer sortiert wurden – schon der Blick nach vorn: Der nächste Feministische Jurist*innentag findet in Hamburg statt – wir freuen uns riesig auf die Hansestadt mit Elbblick! Und als wäre das nicht schon aufregend genug, steht auch schon fest: Der FJT danach führt uns nach Wien! Was sollen wir sagen … Wir können es kaum erwarten.