STREIT 3/2025
S. 137-139
49. FJT vom 9. bis 11. Mai 2025 in Halle: Resolution und Fachstellungnahmen
Resolution des 49. FJT zur Auslieferung der nicht-binären Aktivist*in Maja nach Ungarn
Der FJT verurteilt die Auslieferung der nicht-binären Aktivist*in Maja nach Ungarn. Wir kritisieren, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht abgewartet wurde. Die Haftbedingungen in Ungarn widersprechen menschenrechtlichen Standards, der Schutz insbesondere queerer Personen ist unter diesen Umständen nicht gewährleistet. Wir fordern die Bundesregierung dazu auf, diplomatische Lösungen zu finden, um Maja nach Deutschland zurückzuholen und ein rechtsstaatliches Verfahren zu ermöglichen!
Fachstellungnahme des 49. FJT zur Richtlinie 2024/1385 zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (AG 3)
Die Verabschiedung der EU-Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt wird seitens des 49. FJT grundsätzlich begrüßt:
Nach den dort verankerten Mindeststandards sind die Mitgliedstaaten fortan verpflichtet, allgemeine und spezielle Hilfsdienste zur medizinischen Versorgung, rechtlichen und psychologischen Beratung, finanziellen Unterstützung und zur Bereitstellung von Unterkünften für Betroffene einzurichten.
Der individuelle Schutzbedarf von Opfern ist unter Berücksichtigung der konkret vom Täter ausgehenden Gefahr zu ermitteln.
Die Staaten haben für Vernetzung und Fortbildung zu sorgen.
Die Ahndung weiblicher Genitalverstümmelung und der Zwangsehe durch die Mitgliedsstaaten ist ebenso wie online begangene Straftaten verpflichtend zu regeln, der Zugang von Opfern zu Justiz und Hilfesystemen zu verbessern.
Das Miterleben von Gewalt als selbsterlebte Gewalt fällt unter den in der Richtlinie verwendeten Gewaltbegriff.
Die Verpflichtung zum besseren Schutz kindlicher Zeugen (Schutzräume/Schutzprogramme) und die Verpflichtung der Berücksichtigung besonderer Bedarfe kindlicher Opfer wird festgeschrieben.
Der Zugang zu einstweiligem Rechtsschutz soll verbessert und eine adäquate Strafbarkeit und Strafverfolgung bei Verstößen gegen Kontaktverbote sichergestellt werden.
Allerdings stellen sich für Gewaltbetroffene noch zahlreiche weitere Probleme, die bei der Umsetzung der Gewaltschutzrichtlinie, auch vor dem Hintergrund der Istanbul-Konvention, mit berücksichtigt werden sollten.
Der FJT fordert daher konkrete gesetzliche Normierungen im FamFG und im BGB für kindschaftsrechtliche Verfahren bei Vorliegen von häuslicher Gewalt und/oder Partnerschaftsgewalt:
Vorrang von Schutz und Sicherheit gewaltbetroffener Personen vor dem Umgangsrecht des gewaltausübenden Elternteils,
Umgehende Prüfung der Notwendigkeit eines Umgangsausschlusses von Amts wegen nach einer Gewaltschutzanordnung,
Häusliche Gewalt wird Regelbeispiel für Sorgerechtsübertragungen und Umgangseinschränkungen,
Verpflichtung aller am Familienverfahren beteiligten Fachkräfte – auch der Richter*innen – zur Fortbildung zu häuslicher Gewalt und den daraus resultierenden Gefahren für das Kindeswohl,
Sicherheit durch Änderungen der Zuständigkeit: besonderer Gerichtsstand bei bestehender Gewaltschutzanordnung/Aufenthalt im Frauenhaus.
Fachstellungnahme des 49. FJT zu Medizinischer Bias & Fortführung im Recht (AG 17)
Beim Medical Bias handelt es sich um eine systematische Verzerrung oder Voreingenommenheit in der Wahrnehmung, Interpretation oder Beurteilung von medizinischen Informationen.
Vor allem Frauen sind hiervon betroffen. Dieser geschlechtsspezifische Bias kann zu Fehldiagnosen, unzureichender Behandlung oder einer Ungleichverteilung medizinischer Ressourcen führen. Dies setzt sich auch in der Rechtsanwendung, insbesondere in sozialrechtlichen Verfahren fort. Wir fordern daher vom Gesetzgeber und dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA):
1. Die Sicherstellung der Berücksichtigung von Stellungnahmen durch nahestehende Ärzt:innen in sozialrechtlichen Verfahren (z. B. Hausärzt:innen),
2. Gendersensible Gestaltung der GKV-Leistungen; Anerkennung geschlechtsspezifischer Beschwerden & Diagnosen als Kassenleistung und Aufnahme gendersensibler Versorgung in den Leistungskatalog der GKV (inkl. psychischer Gesundheit, Traumatherapie, Stillberatung, reproduktiver Maßnahmen),
3. Pflicht zur Geschlechterdifferenzierung bei Medikamentenzulassung, Kennzeichnungspflicht bei Medikamenten mit bekannter geschlechtsspezifischer Wirkung, Aufklärungskampagnen zu unterschiedlichen Wirkweisen und Dosierungen bei Frauen*,
4. Anerkennung von Care-Arbeit und psychischer Belastung als Sozialrisiken (Erwerbsminderungsrente, Behinderungsgrade, etc.),
5. Gleichberechtigter Zugang zu Prävention und Gesundheitsförderung für marginalisierte Gruppen (§ 20 ff. SGB V erweitern),
6. Sicherstellung des Vollzuges der vorhandenen Rechtsnormen zum Schutz vor Medical Bias durch Aufsichtsbehörden (z. B. bei der Medikamentenzulassung durch das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte),
7. Förderung von juristischer bzw. rechtssoziologischer Forschung zur Fortsetzung des Medical Bias im Recht, insb. für Sozialrecht.
8. Verpflichtende Aufnahme des Themas Medical Bias in der medizinischen und juristischen Ausbildung (z. B. Fortbildungen).
Fachstellungnahme des 49. FJT: Gleichstellung im Aufenthaltsgesetz durchsetzen (AG 19)
Das geltende Aufenthaltsrecht benachteiligt Frauen. Aus Sicht einer feministischen Rechtspolitik ist es daher zwingend geboten, diesen intersektionalen Benachteiligungen durch Änderungen im Aufenthaltsgesetz entgegenzuwirken. Wir fordern als vorrangige Maßnahmen:
1) Entgegen allen internationalen, europäischen und verfassungsrechtlichen Konzepten der Gleichstellung der Geschlechter werden schwangere Personen, Elternteile und Pflegende in ihrem Aufenthaltsrecht bedroht, wenn sie ihren Lebensunterhalt wegen der Geburt von Kindern oder der Übernahme von Care-Aufgaben nicht mehr (vollständig) sichern können. Dies betrifft vor allem Frauen und TIN-Personen. Deshalb bedarf es Ausnahmen von der Anforderung in § 5 AufenthG, wonach für die Einreise oder das Aufenthaltsrecht der Lebensunterhalt gesichert sein muss, wenn diese Anforderung beispielsweise wegen Schwangerschaft, Mutterschutz, Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen nicht erfüllt werden kann. Dies soll auch für die Erteilung der (unbefristeten) Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG gelten.
2) Aufgrund des Gender Pay Gaps können Frauen die Anforderungen für die Sicherung des Lebensunterhalts in § 2 Abs. 3 AufenthG oft nicht erfüllen. Alleinerziehende müssen zusätzlich zu den Bedarfssätzen und den Unterkunftskosten auch den Mehrbedarfszuschlag erwirtschaften. Alleinerziehende und Familien mit Kindern sind besonders auf Wohngeld angewiesen, gefährden mit dessen Bezug jedoch ihren Aufenthalt. Bei der Berechnung des für die Lebensunterhaltssicherung erforderlichen Mindesteinkommens sind daher nur die Regelbedarfe nach SGB II/SGB XII zugrunde zu legen. Nicht zu berücksichtigen sind dagegen die sozialrechtlichen Mehrbedarfszuschläge für Alleinerziehende oder Freibeträge, die bei der Berechnung von Sozialleistungen vom berücksichtigten Einkommen abgezogen würden. Auch das Wohngeld muss ohne Aufenthaltsgefährdung in Anspruch genommen werden dürfen.
3) Nach der derzeitigen Regelung in § 31 AufenthG sind nachziehende Ehepartner:innen – zu 70% Frauen – für drei Jahre vollständig von dem Aufenthaltsrecht des:r Ehepartner:in abhängig. Um das Recht auf Selbstbestimmung zu gewährleisten, sollte dieser Zeitraum deutlich verkürzt werden und nicht von der Art des Aufenthaltstitels abhängen. Außerdem kann die Härtefallregelung in § 31 Abs. 2 AufenthG insbesondere bei häuslicher Gewalt keine effektive Wirkung entfalten, weil die Verwaltungs- und Gerichtspraxis von einem sehr engen (physischen) Gewaltbegriff ausgeht und die Beweisanforderungen zu hoch sind. Das eigenständige Aufenthaltsrecht für Ehepartner:innen in § 31 AufenthG ist daher bereits nach einem Jahr Aufenthalt in Deutschland und unabhängig von der Art des Aufenthaltstitels und der Bleibeperspektive der Partnerperson zu ermöglichen. Für die Berücksichtigung eines Härtefalls bei häuslicher Gewalt ist der Gewaltbegriff der Istanbul-Konvention zu übernehmen und sind die Anforderungen an die Glaubhaftmachung praxisnah zu gestalten.
4) Die Istanbul-Konvention verlangt in Artikel 59 eine aufenthaltsrechtliche Regelung für Betroffene von häuslicher oder geschlechtsspezifischer Gewalt. Wir fordern eine entsprechende Regelung im AufenthG, die nicht nur die Mitwirkung der Betroffenen bei der Strafverfolgung, sondern auch die besondere Betroffenheit von Gewalt berücksichtigt.
5) In einem neu einzufügenden § 25 Abs. 4c AufenthG ist entsprechend den Vorgaben des Art. 59 Istanbul-Konvention ein humanitärer Aufenthaltstitel für Betroffene von häuslicher oder geschlechtsspezifischer Gewalt zu schaffen, der nicht nur ihre Mitwirkung in einem Verfahren gegen die Täter:innen, sondern alternativ auch die besondere persönliche oder humanitäre Situation der Betroffenen erfasst.
Fachstellungnahme des 49. FJT:
Anwendung iranischen frauenfeindlichen Rechts in Deutschland verhindern! (AG 20)
Nach Art. 8 Abs. 3 des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens vom 17.02.1929 bleiben „in Bezug auf das Personen-, Familien- und Erbrecht (…) die Angehörigen jedes der vertragsschließenden Staaten im Gebiete des anderen Staates (…) den Vorschriften ihrer heimischen Gesetze unterworfen.“ Im Schlussprotokoll wird diese Vorschrift ergänzt: „Die vertragsschließenden Staaten sind sich darüber einig, dass das Personen-, Familien- und Erbrecht, d. h. das Personalstatut die folgenden Angelegenheiten umfasst: Ehe, eheliches Güterrecht, Scheidung, Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft, Mitgift, Vaterschaft, Abstammung, Annahme an Kindes statt, Geschäftsfähigkeit, Volljährigkeit, Vormundschaft und Pflegschaft, Entmündigung, testamentarische und gesetzliche Erbfolge, Nachlassabwickelungen und Erbauseinandersetzungen, ferner alle anderen Angelegenheiten des Familienrechts unter Einschluss aller den Personenstand betreffenden Fragen. “
Aufgrund des genannten Art. 8 Abs. 3 findet iranisches Recht in personen-, familien- und erbrechtlichen Angelegenheiten für Rechtsverhältnisse zwischen iranischen Staatsangehörigen in Deutschland zwingend Anwendung. Die Bundesregierung wird aufgefordert, die Anwendung iranischen frauenfeindlichen Rechts in Deutschland zu verhindern, beispielsweise durch die Hinwirkung auf ein nationales Gesetz, welches die Anwendung von Art. 8 Abs. 3 des genannten Abkommens ausschließt (sog. Treaty Override).