STREIT 2/2017

S. 74-75

AG Leipzig, § 27 VersAusglG

Grobe Unbilligkeit des Versorgungsausgleichs bei sexuellem Missbrauch der Stiefkinder

Sexueller Missbrauch der Kinder durch den Stiefvater (Ehemann) stellt nicht nur eine schwere Straftat dar, sondern macht die Durchführung des Versorgungsausgleiches zu Lasten der Ehefrau, welche ausgleichsverpflichtet wäre, unerträglich.
(Leitsatz der Redaktion)

Beschluss des AG Leipzig, FamG, vom 12.05.2017, 336 F 1090/15 VA

Aus den Gründen:
I.
Die Ehegatten haben […] 1999 […] die Ehe miteinander geschlossen. Aus der Ehe sind die jetzt noch minderjährigen Kinder […] hervorgegangen. Die Antragstellerin hat aus ihrer vorangegangenen Ehe zwei weitere Kinder, […] geboren […] 1988 und S., geboren […] 1991, mit in die Ehe gebracht. Am 2012 gebar S. ihren Sohn, dessen Vater der Antragsgegner ist. Von dessen Geburt und der Vaterschaft des Antragsgegners erfuhr die zum damaligen Zeitpunkt in Pakistan lebende Antragstellerin zunächst nichts. Im März 2014 trennten sich die Eheleute; das Ehescheidungsverfahren wurde durch die Antragstellerin im März 2015 anhängig gemacht.
Seit dem 02.06.2015 befindet sich der Antragsgegner ununterbrochen in Haft aufgrund von Anzeigen durch die Töchter der Antragstellerin von Mai bzw. Juni 2015. Diese legten dem Antragsgegner mehrfachen sexuellen Missbrauch beginnend mit dem Jahr 1999 zur Last.
Die Ehe der Antragstellerin und des Antragsgegners wurde mit Beschluss vom 18.3.2016 rechtskräftig […] geschieden und der Versorgungsausgleich mit gesondertem Beschluss rechtskräftig abgetrennt.
Mit seit 8.12.2016 rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Leipzig […] wurde der Antragsgegner wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in zwei tatmehrheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Jahren verurteilt. Diese Straftaten beging der Antragsgegner zum Nachteil der zum Zeitpunkt der Taten noch minderjährigen Töchter der Antragstellerin […].
In der Ehezeit […] haben die Eheleute folgende Anrechte erworben: […] Nach Kapitalwerten hat der Ausgleich in Höhe von 27.635,94 Euro zu Lasten der Antragstellerin zu erfolgen. Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass die Durchführung des Versorgungsausgleiches aufgrund des schweren Fehlverhaltens des Antragsgegners zum Nachteil ihrer Töchter aus erster Ehe grob unbillig sei. Sie beantragt daher, den Versorgungsausgleich gemäß § 27 VersAusglG nicht durchzuführen. […]

II.
Der Antrag der Antragstellerin ist zulässig und begründet.
Nach § 1 VersAusglG sind zum Versorgungsausgleich die in der Ehezeit erworbenen Anteile von Anrechten jeweils zur Hälfte zwischen den geschiedenen Ehegatten zu teilen […]. Die Gesamtumstände rechtfertigen es indes, vorliegend von der grundsätzlich gebotenen Halbteilung der in der Ehezeit erworbenen Rentenanwartschaften abzusehen. Die Durchführung des Versorgungsausgleiches wäre grob unbillig im Sinne des § 27 VersAusglG.
§ 27 VersAusglG setzt voraus, dass die nach den übrigen Vorschriften vorgesehene Durchführung des Versorgungsausgleiches grob unbillig wäre. Für diese Wertung müssen die gesamten Umstände des Einzelfalles herangezogen werden, Satz 2. Der Begriff der groben Unbilligkeit umschreibt einen strengeren Maßstab als denjenigen, der für eine Anwendung des § 242 BGB angelegt wird. Der Versorgungsausgleich soll den gerechten (hälftigen) Ausgleich einer gemeinsam erbrachten Lebensleistung herbeiführen, wobei insbesondere die Haushaltsführung und die Kinderbetreuung den gleichen Wert haben wie eine Erwerbsarbeit (BVerfG 66, 324). Durch die Bezugnahme auf die Ehezeit geht es – vergleichbar dem Zugewinnausgleichsverfahren – um einen Vermögensausgleich für einen abgeschlossenen Zeitraum. Der gemeinsame Erwerb dieses (Altersvorsorge-)Vermögens erfordert aus verfassungsrechtlichen Gründen grundsätzlich die Halbteilung des erworbenen Vermögens (vgl. BVerfG FamRZ 2006, 1000 ff.; 2003, 1173 ff.). Vom Halbteilungsgrundsatz soll deshalb nur aus schwerwiegenden Gründen abgewichen werden.
Eine Abweichung ist möglich, soweit die rein schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs dem Gerechtigkeits- und Billigkeitsempfinden in unerträglicher Weise widerspricht (so zum alten Recht BT-Drucks 7/650, 162; BGH FamRZ 2005, 1238, 1239; 2052, 2053; 2007, 996, 1000, weitere Nachw. bei Borth, VersA Rn. 769). Auch ein persönliches Fehlverhalten des Ausgleichsberechtigten, das ohne wirtschaftliche Relevanz ist, kann zur Beschränkung des Versorgungsausgleichs führen. Es ist jedoch nur dann geeignet, die Herabsetzung oder den Ausschluss des Versorgungsausgleichs zu begründen, wenn es wegen seiner Auswirkungen auf den Ehepartner ganz besonders ins Gewicht fällt; es muss für den anderen Ehegatten so belastend gewesen sein, dass die ungekürzte Durchführung des Versorgungsausgleichs deshalb unerträglich erscheint. In Betracht kommt dies insbesondere bei Straftaten zulasten des anderen Ehegatten. Auch der sexuelle Missbrauch einer gemeinsamen Tochter der Ehegatten kann die Annahme grober Unbilligkeit begründen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 27. Januar 2015 – 10 UF 261/13 – m.w.N.)

In Anwendung dieser Grundsätze ist die Durchführung des Versorgungsausgleiches grob unbillig. Der Antragsgegner hat während der Ehezeit mit der Antragstellerin deren minderjährige Töchter beginnend mit dem Jahr 1999 wiederholt sexuell missbraucht und ist deswegen durch das Landgericht Leipzig wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in zwei tatmehrheitlichen Fällen […] verurteilt worden. Von diesen Taten zum Nachteil ihrer minderjährigen Töchter sowie dem Umstand, dass ihr Enkelkind […] zugleich das Kind des nunmehr geschiedenen Ehemannes ist, erfuhr die Antragstellerin erst im laufenden Ehescheidungsverfahren. Das Verhalten des Antragsgegners während der Ehezeit mit der Antragstellerin stellen nicht nur schwere Straftaten dar, sondern machen die Durchführung des Versorgungsausgleiches zu Lasten der Antragstellerin, welche ausgleichsverpflichtet wäre, unerträglich.