STREIT 4/2019
S. 161-163
BGH, §§ 1671, 1696 Abs.1, 1697a BGB
Keine Abänderung der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts
Die Abänderung einer Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf einen Elternteil ist trotz eines auf den Wechsel in den Haushalt des anderen Elternteils gerichteten Kindeswillens nicht gerechtfertigt, wenn der Kindeswille nicht autonom gebildet ist und sonstige Belange des Kindeswohls entgegenstehen.
Beschluss des BGH vom 27.11.2019 – XII ZB 511/18
Aus den Gründen:
I. Die beteiligten Eltern streiten über das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihre drei gemeinsamen Kinder.
Die Eltern schlossen im Januar 2005 die Ehe. Aus der Ehe stammen der 2008 geborene Sohn K-D. sowie die 2009 geborenen Zwillinge M.D. und L-M. Der 1960 geborene Kindesvater ist Bürokaufmann. Er hat aus einer früheren Beziehung ein weiteres, bereits erwachsenes Kind. Die 1987 geborene Kindesmutter stammt aus der Dominikanischen Republik und hat inzwischen eine Ausbildung zur Krankenpflegerin absolviert. Die Eltern trennten sich 2013. Durch Beschluss vom 7. April 2014 übertrug das Amtsgericht der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die drei gemeinsamen Kinder. Diese zog sodann mit den Kindern aus dem gemeinsamen Haus in eine Wohnung in einem nahe gelegenen Ort.
Im vorliegenden Verfahren hat der Kindesvater – unter Abänderung der getroffenen Regelung – die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich beantragt, hilfsweise eine Umgangsregelung im Sinn eines Wechselmodells. Das Amtsgericht hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens den Antrag zum Sorgerecht zurückgewiesen. Wegen des Hilfsantrags hat es ein gesondertes Umgangsverfahren eingeleitet, das vor dem Senat unter dem Aktenzeichen XII ZB 512/18 anhängig ist.
Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde des Kindesvaters zurückgewiesen. Dagegen richtet sich dessen zugelassene Rechtsbeschwerde, mit welcher er seinen Antrag auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für die drei Kinder weiterverfolgt.
II. Die Rechtsbeschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts liegen keine triftigen, das Wohl der Kinder nachhaltig berührenden Gründe nach § 1696 Abs. 1 Satz 1 BGB für eine Abänderung der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Kindesmutter vor. […]
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
a) Gemäß § 1696 Abs. 1 S. 1 BGB ist eine Entscheidung zum Sorge- oder Umgangsrecht oder ein gerichtlich gebilligter Vergleich zu ändern, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist. Abänderungsgründe in diesem Sinne liegen nach den vom Oberlandesgericht in nicht zu beanstandender Weise getroffenen Feststellungen nicht vor. Vielmehr ist sogar davon auszugehen, dass die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Kindesmutter nach wie vor dem Wohl der drei gemeinsamen Kinder am besten entspricht.
aa) Die Beurteilung des Kindeswohls liegt in der Verantwortung der Tatsachengerichte. Dem Rechtsbeschwerdegericht obliegt lediglich die Kontrolle auf Rechtsfehler, insbesondere die Prüfung, ob die Tatsachengerichte alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Betracht gezogen haben und die Würdigung auf einer ausreichenden Sachaufklärung beruht (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 29 m.w.N.).
Der Senat hat bereits in seiner bisherigen Rechtsprechung als gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls die Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens angeführt. Die einzelnen Kriterien stehen aber letztlich nicht wie Tatbestandsmerkmale kumulativ nebeneinander. Jedes von ihnen kann im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam für die Beurteilung sein, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht (Senatsbeschlüsse BGHZ 211, 22 = FamRZ 2016, 1439 Rn. 20; BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 19 m.w.N.).
Nach § 159 Abs. 1 FamFG ist ein Kind, das das 14. Lebensjahr vollendet hat, persönlich anzuhören. Auch ein jüngeres Kind ist gemäß § 159 Abs. 2 FamFG persönlich anzuhören, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn eine persönliche Anhörung aus sonstigen Gründen angezeigt ist (Senatsbeschluss vom 31. Oktober 2018 – XII ZB 411/18 – FamRZ 2019, 115 Rn. 12). Die Neigungen, Bindungen und der Kindeswille sind gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls (Senatsbeschlüsse BGHZ 211, 22 = FamRZ 2016, 1439 Rn. 44 und BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 19).
bb) Der vom Kind geäußerte Wille hat bei kleineren Kindern vornehmlich Erkenntniswert hinsichtlich seiner persönlichen Bindungen (vgl. BVerfG FamRZ 2007, 1078 Rn. 12, 18; FamRZ 2008, 1737, 1738; Senatsbeschluss vom 6. Dezember 1989 – IVb ZB 66/88 – FamRZ 1990, 392, 393), ist mit zunehmendem Alter jedoch auch als Ausdruck der Entwicklung des Kindes zu einer eigenständigen Persönlichkeit bedeutsam (§ 1626 Abs. 2 Satz 2 BGB; vgl. BVerfG FamRZ 2008, 1737, 1738). Der Kindeswille ist aber nur insoweit zu berücksichtigen, als er dem Kindeswohl entspricht (Senatsbeschluss BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 31; BVerfG FamRZ 1981, 124, 126 f. und FamRZ 2008, 1737, 1738).
Zur Berücksichtigung des Willens des Kindes und seiner Interessen sieht das Gesetz die Bestellung eines Verfahrensbeistands vor (§ 158 FamFG; vgl. Senatsbeschluss vom 31. Oktober 2018 – XII ZB 411/18 – FamRZ 2019, 115 Rn. 16). Die Einrichtung der Verfahrensbeistandschaft ist übereinstimmend mit der ihr vorausgegangenen – inhaltsgleichen – Verfahrenspflegschaft Ausdruck der Subjektstellung des Kindes in seiner Individualität als Grundrechtsträger (vgl. BVerfG FamRZ 2007, 1078 Rn. 10 m.w.N.; vgl. auch BVerfG FamRZ 2004, 86; Senatsbeschluss BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 32). Sie soll in Fällen eines Interessenkonflikts zwischen Kind und Eltern insbesondere die einseitige Vertretung der Interessen des Kindes ermöglichen und unterscheidet sich insofern vom Aufgabenkreis des Familiengerichts und der weiteren Beteiligten (BT-Drucks. 13/4899 S. 129 f. – zur Verfahrenspflegschaft). Die Verfahrensbeistandschaft trägt auch dem Umstand Rechnung, dass Scheidungskinder sich oftmals in einer verunsicherten psychischen Situation befinden und ein Verfahrensbeistand das Kind durch die Vertretung seiner Interessen gegenüber dem Familiengericht entlasten kann (Senatsbeschluss BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 32 – zum Verfahrenspfleger).
b) Die angefochtene Entscheidung weist nach diesen Maßstäben keine materiell-rechtlichen Fehler auf und ist auch verfahrensfehlerfrei ergangen.
aa) Das sachverständig beratene Oberlandesgericht hat eine Abänderung der im Vorverfahren ergangenen Sorgerechtsregelung vor allem wegen der gegenüber dem Kindesvater nach wie vor besseren Erziehungskompetenz der Kindesmutter abgelehnt.
Das Oberlandesgericht hat den auf einen Wechsel in den Haushalt des Kindesvaters gerichteten Willen der Kinder, den diese im vorliegenden wie zum Teil auch bereits im Ausgangsverfahren geäußert haben, berücksichtigt. Es hat dem Kindeswillen im Ergebnis aber zu Recht keine ausschlaggebende Bedeutung zugemessen, weil dem weitere, gewichtigere Gründe des Kindeswohls entgegenstehen. Zwar haben die Kinder nach den vom Oberlandesgericht getroffenen Feststellungen eine intakte Bindung zum Kindesvater. Dieser bietet ihnen insbesondere im früheren Familienwohnheim gute Spielgelegenheiten und beschäftigt sich intensiv mit den Kindern.
Demgegenüber fällt jedoch erheblich ins Gewicht, dass hinsichtlich der Erziehungsfähigkeit des Kindesvaters, insbesondere seiner Bindungstoleranz, deutliche Abstriche zu machen sind. Das Oberlandesgericht hat insoweit in rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, der Kindesvater vermöge es nach wie vor weniger als die Kindesmutter, den Kindern zu ihrer Entwicklung Freiräume zu gewähren und dabei eigene Bedürfnisse hintanzustellen. In diesem Zusammenhang sei auch das über Jahre hinweg wiederholte und drängende Einwirken auf die Kinder negativ zu gewichten. Wenn der Kindesvater insbesondere in den Übergabesituationen, in denen es den Kindern und vor allem K-D. schwergefallen sei, sich von ihm zu lösen und zur Mutter zu gehen, diese Situationen filme, anstatt den Kindern als Vater stärkend zur Seite zu stehen, zeige dies, dass er sich in für die Kinder wichtigen Situationen weniger empathisch auf die Bedürfnisse der Kinder einstellen könne. Erzieherische Defizite des Kindesvaters betreffen vor allem auch die Vermittlung von Regeln und Grenzen. Zudem lässt er es an der notwendigen Loyalität zur Kindesmutter als dem anderen Elternteil fehlen. Es wirkt sich nachteilig auf die Kinder aus, wenn sie von einem Elternteil – bewusst oder unbewusst – unter „Koalitionsdruck“ gesetzt und sie dadurch in Loyalitätskonflikte gebracht werden (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 214, 31 = FamRZ 2017, 532 Rn. 31).
Beide Vorinstanzen befinden sich in ihrer Einschätzung im Einklang mit dem ausführlichen Sachverständigengutachten und dem Jugendamt. Insbesondere hat sich auch der Verfahrensbeistand eindeutig für eine Beibehaltung der bestehenden Sorgerechtsregelung ausgesprochen. Dieser hat dabei entsprechend seiner gesetzlichen Aufgabenzuweisung auch den gegenläufig geäußerten Willen der drei betroffenen Kinder berücksichtigt, diesen aber übereinstimmend mit der Sachverständigen und dem Jugendamt als vom Vater beeinflusst und im Widerspruch zu weiteren, gewichtigen Belangen des Kindeswohls angesehen.
bb) Die von der Rechtsbeschwerde erhobenen Verfahrensrügen sind unbegründet.
Die von der Rechtsbeschwerde gerügte Widersprüchlichkeit der angefochtenen Entscheidung sowie der von der Sachverständigen im Gutachten und in der mündlichen Anhörung gemachten Angaben besteht nicht. Hierfür kann dahinstehen, inwiefern es sich beim Willen der Kinder um einen nicht autonomen oder einen teilweise autonomen Willen handelt. Denn für die vom Oberlandesgericht gezogene Schlussfolgerung reicht es aus, dass der Wille der Kinder beeinflusst ist, was von den Vorinstanzen beanstandungsfrei festgestellt worden ist. Überdies hat das Oberlandesgericht maßgeblich auf die mit dem Willen der Kinder insoweit nicht zu vereinbarenden weiteren Belange des Kindeswohls abgestellt, die im vorliegenden Fall den von den Kindern geäußerten, aber nicht völlig autonom gebildeten Willen als nicht ausschlaggebend erscheinen lassen.
Auch die Rüge der Rechtsbeschwerde, dass das Oberlandesgericht die Kinder habe erneut anhören müssen, ist unbegründet. Die Kinder sind vor dem Amtsgericht in beiden Parallelverfahren insgesamt dreimal angehört worden. Sowohl das Jugendamt als auch der Verfahrensbeistand haben darauf hingewiesen, dass die Kinder durch den in beiden Verfahren ausgetragenen Elternkonflikt erheblich belastet sind. Der Verfahrensbeistand hat es dementsprechend als berufener Interessenvertreter der Kinder ausdrücklich für richtig gehalten, dass die Kinder in der Beschwerdeinstanz nicht erneut angehört worden sind (vgl. Senatsbeschluss vom 31. Oktober 2018 – XII ZB 411/18 – FamRZ 2019, 115 Rn. 16). Da der Wille der Kinder und ihre Motivation aufgrund der erstinstanzlichen Anhörungen und des eingeholten Sachverständigengutachtens ausführlich untersucht worden sind, bedurfte es vor dem Oberlandesgericht keiner erneuten Anhörung der Kinder. […]
Mitgeteilt von RAin Gudrun Kerntke, Wuppertal