STREIT 1/2023
S. 37-38
OLG Saarbrücken, §§ 137, 140 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 FamFG
Keine Abtrennung einer Folgesache vom Scheidungsverbund
1. Die Vorschriften über den Scheidungsverbund dienen dem Schutz des wirtschaftlich schwächeren Ehegatten, § 140 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 FamFG ist deshalb eng auszulegen.
2. Der Umstand allein, dass ein Ehegatte, wenn die Ehe nicht vorab geschieden wird, für die Trennungszeit erheblich mehr Unterhalt zahlen müsste als nach der Scheidung, begründet keine unzumutbare Härte i.S.d. § 140 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 FamFG.
(Leitsätze der Redaktion)
Beschluss des OLG Saarbrücken vom 16.11.2021 – 6 UF 139/21
Aus den Gründen:
[…] In dem – nach vorangegangenem Richterwechsel – unter dem 7. Juni 2021 angeordneten schriftlichen Verfahren nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 128 Abs. 2 ZPO hat das Familiengericht – ohne zuvor den Abtrennungsantrag des Ehemannes der Ehefrau bekannt zu geben – mit am 21. Juli 2021 verkündeten gesonderten Beschlüssen, auf die Bezug genommen wird, zum einen die Folgesache nachehelicher Unterhalt gestützt auf § 140 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 FamFG abgetrennt und zum anderen die Ehe der Beteiligten geschieden (Ziffer 1 der Beschlussformel) und den Versorgungsausgleich geregelt (Ziffer 2). […]
II. Die Beschwerde der Ehefrau ist nach §§ 117, 58 ff. FamFG zulässig, insbesondere ist die Ehefrau durch das angefochtene Erkenntnis – unbeschadet ihres eigenen erstinstanzlichen Scheidungsbegehrens – beschwert. Denn wird einem Scheidungsantrag zu Unrecht vor der Entscheidung über eine Folgesache stattgegeben, so liegt darin eine selbständige, durch Rechtsmittel gegen den Scheidungsausspruch – und nicht gegen den separat erfolgten, nach § 140 Abs. 6 i.V.m. § 58 Abs. 2 FamFG jedoch nicht selbständig anfechtbaren Abtrennungsbeschluss – rügbare Beschwer (Senatsbeschluss vom 31. März 2011 – 6 UF 128/10 – FamRZ 2011, 1890, m.z.w.N., auch zum alten Recht; Senatsurteile vom 3. März 2011 – 6 UF 117/10 – und vom 10. September 2009 – 6 UF 40/09 -, juris m.w.N.; OLG Bremen, FamRZ 2014,232 sowie Beschluss vom 22. November 2010 – 4 WF 151/10 -, juris; […]).
Das Rechtsmittel der Ehefrau hat in der Sache nach Maßgabe der Entscheidungsformel einen vorläufigen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung hält der beschwerderechtlichen Überprüfung nicht stand.
Das Familiengericht hat eine unzulässige Teilentscheidung erlassen. Diese verfällt wegen § 117 Abs. 2 S. 1 FamFG i.V.m. § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 7, S. 3 i.V.m. § 301 ZPO unabhängig von dem – allerdings auch ausdrücklich gestellten – Antrag der Ehefrau mitsamt des ihm zu Grunde liegenden Verfahrens der Aufhebung und der Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Familiengericht über den Scheidungsantrag und die Folgesachen Versorgungsausgleich und nachehelicher Unterhalt (BGH FamRZ 2013, 1300; 2012, 863). Denn das Familiengericht hat unter Verstoß gegen das in § 137 Abs. 1 FamFG niedergelegte Verbundprinzip die Ehe der Beteiligten geschieden, ohne zugleich in der Folgesache nachehelicher Unterhalt zu entscheiden.
Nach der Bestimmung des § 137 Abs. 1 FamFG ist über Scheidung und Folgesachen zusammen zu verhandeln und zu entscheiden, wobei § 142 Abs. 1 Satz 1 FamFG klarstellt, dass im Fall der Scheidung über sämtliche im Verbund stehenden Familiensachen durch einheitlichen Beschluss zu entscheiden ist (BGH, Beschluss vom 21. Juli 2021 – XII ZB 21/21 -, FamRZ 2021, 1521). Folgesachen sind gemäß § 137 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 FamFG u.a. Unterhaltssachen, welche die durch die Ehe begründete gesetzliche Unterhaltspflicht betreffen, wenn eine Entscheidung für den Fall der Scheidung zu treffen ist und die Familiensache spätestens zwei Wochen vor der mündlichen Verhandlung im ersten Rechtszug in der Scheidungssache von einem Ehegatten anhängig gemacht wird. […]
Die – einzig in Betracht kommenden – Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 S. 1, S. 2 Nr. 5 FamFG, unter denen die Folgesache betreffend den nachehelichen Unterhalt vom Scheidungsverbund abgetrennt werden kann, liegen nicht vor. Danach sind Folgesachen vom Scheidungsverbund abzutrennen, wenn die gleichzeitige Entscheidung über die Folgesache den Scheidungsausspruch so außergewöhnlich verzögern würde, dass ein weiterer Aufschub unter Berücksichtigung der Bedeutung der Folgesache eine unzumutbare Härte darstellen würde. Jene Vorschrift verpflichtet das Familiengericht auf Antrag eines Ehegatten zur Ausübung seines ihm hinsichtlich dieser Fragen eingeräumten Ermessens (BGH FamRZ 1991, 1043). Die genannten Voraussetzungen der Abtrennung sind im Streitfall nicht erfüllt.
Zwar hat das Familiengericht zu Recht angenommen, dass sich vorliegend durch die gleichzeitige Entscheidung über den Scheidungsantrag und alle Folgesachen der Scheidungsausspruch außergewöhnlich verzögern würde. […]
Indes vermag der Senat der weiteren Annahme des Familiengerichts, diese Verzögerung bedeute eine unzumutbare Härte für den – sich allein hierauf berufenden – Ehemann, nach der gebotenen Abwägung der Umstände des Einzelfalls (BGH FamRZ 1986, 898; Senatsbeschlüsse vom 7. März 2013 – 6 UF 428/12 – und vom 31. März 2011, a.a.O.) nicht beizutreten.
Da die Vorschriften über den Verbund dem Schutz des wirtschaftlich schwächeren Ehegatten dienen und dieser Zweck nicht vereitelt werden darf, ist § 140 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 FamFG eng auszulegen. Der Einführung des Scheidungsverbundes liegen nämlich Erwägungen zugrunde, die eine umfassende Regelung der persönlichen und wirtschaftlichen Folgen zusammen mit der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft im Interesse der Ehegatten betreffen. Danach ist Sinn und Zweck des Verbundes die Vermeidung der Rechtslage, die dadurch eintreten kann, dass ein Beteiligter seinen Status als Ehegatte durch die Rechtskraft des Scheidungsausspruchs verliert, ohne dass eine Regelung über die Folgen getroffen ist (vgl. bereits zu § 628 S. 1 Nr. 4 ZPO a.F: Senatsentscheidungen vom 10. September 2009 – 6 UF 40/09 -, juris, und vom 31. März 2011, a.a.O.; zu den gesetzgeberischen Motiven der Einführung des Scheidungsverbundes zuletzt: BGH FamRZ 2021, 1521).
Soweit sich der Ehemann zur Rechtfertigung seines Interesses an einer möglichst raschen Scheidung darauf beruft, dass er seine Lebensgefährtin ehelichen möchte, die ernsthaft erkrankt sei und der Absicherung bedürfe, und das Familiengericht diesem Bedürfnis – zuvörderst der Verlobten – Vorrang vor den Interessen der Ehefrau, mit der den Ehemann immerhin eine gut 29-jährige Ehedauer verbindet, eingeräumt hat, vermag dies unter den gegebenen Umständen nicht eine vorzeitige Auflösung der Ehe zu rechtfertigen, ohne dass die wirtschaftliche Lage der Ehefrau nach Rechtskraft der Scheidung in Gestalt des nachehelichen Unterhalts – worauf diese seit März 2019 wiederholt hingewiesen hat und ersichtlich Wert legt – einer gerichtlichen Klärung zugeführt worden ist. […]
Der Umstand allein, dass ein Ehegatte, wenn die Ehe nicht vorab geschieden wird, für die Trennungszeit erheblich mehr Unterhalt zahlen müsste als nach der Scheidung, begründet ebenfalls keine unzumutbare Härte i.S.d. § 140 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 FamFG (vgl. zu § 628 S. 1 Nr. 4 ZPO a.F.: OLG Brandenburg, Urteil vom 18. November 2010 – 9 UF 26/10 -, juris; OLG Hamm, FamRZ, 651; OLG Koblenz, FamRZ 1990, 769). Dafür, dass die Ehefrau vorliegend die Verbundentscheidung verzögert, um sich möglichst lange den Genuss der mit der Scheidung wegfallenden Trennungsunterhaltszahlungen des Ehemannes zu erhalten (BGH FamRZ 1991, 2491; OLG Brandenburg, a.a.O.; OLG Hamm, a.a.O.), finden sich hingegen in den Akten weder der Ehesache noch der Folgesachen Versorgungsausgleich oder nachehelicher Unterhalt greifbare Anhaltspunkte. Diese hat vielmehr insbesondere im Unterhaltsverfahren in aller Regel zeitnah auf die wiederholten Hinweis- und Auflagenverfügungen des Familiengerichts reagiert und diesbezüglichen Vortrag gehalten. […]
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer auf Grund der langjährigen Ehedauer zu erwartenden Fortdauer der Unterhaltspflicht über den Zeitpunkt der Rechtskraft der Scheidung hinaus und eingedenk dessen, dass der Ehemann selbst rechnerisch einen mit 1.177 EUR (Schriftsatz vom 7. Juni 2019, Bl. 126 d.A. UE) zumindest nicht erheblich unter dem derzeit titulierten Trennungsunterhalt der Ehefrau liegenden nachehelichen Unterhaltsanspruch ermittelt hat, erscheint die Annahme einer gegenüber dem Ehemann als treuwidrig einzustufenden Verzögerungshaltung der Ehefrau nachgerade fernliegend.
Im Zusammenhang damit ist auch zu wägen, dass die Ehefrau derzeit über keinen gesicherten Unterhaltstitel für die Zeit nach Rechtskraft der Scheidung verfügt. Mit dem Vergleich über den Trennungsunterhalt ist keine Titulierung von Unterhalt für die Zeit nach Rechtskraft der Scheidung erfolgt. Die Vorabscheidung der Ehe würde hier daher für die Ehefrau zu einem insoweit ungeregelten Zustand führen. Eben diese Situation soll durch die gesetzliche Regelung des § 137 Abs. 1 FamFG, der eine gleichzeitige Entscheidung von Scheidungs- und Folgesachen vorschreibt, vermieden werden (OLG Hamm, FamRZ 2009, 710). […]
Auch wenn sich schließlich die – ebenfalls abwägungsrelevante (OLG Köln, FamRZ 2000, 1294) – absolute Zeitdauer des Scheidungsverfahrens hier auch aufgrund eines stattgefundenen Richterwechsels und wegen der vom Ehemann – nachvollziehbar – gerügten Verfahrensverzögerungen mit derzeit knapp dreieinhalb Jahren deutlich oberhalb desjenigen bewegt, ab dem von einer außergewöhnlich langen Verfahrensdauer gesprochen werden kann, vermag der Senat bei nochmaliger zusammenfassender Würdigung der Gesamtumstände nicht zu erkennen, dass eine gleichzeitige Entscheidung in der Ehe- und den Folgesachen nicht zuletzt auch unter Berücksichtigung ihrer Bedeutung für die Ehefrau den Ehemann unzumutbar hart treffe. […]
Nach alldem ist das angefochtene Erkenntnis mitsamt des ihm zugrundeliegenden Verfahrens aufzuheben und die Sache an das Familiengericht zurückzuverweisen. […]