STREIT 3/2017
S. 127-131
LAG Mecklenburg-Vorpommern, § 1 KSchG
Krankheitsbedingte Kündigung – keine negative Gesundheitsprognose bei scheidungsbedingter Lebenskrise
Lebenskrisen wie beispielsweise eine Scheidung können zu einem vorübergehenden Verlust des Lebensmuts führen, der sich in krankheitsbedingten Ausfallzeiten niederschlägt. Es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, dass der angesichts solcher Lebenskrisen verlorene Lebensmut mit dem zeitlichen Abstand zu dem auslösenden Ereigniskomplex wiederkehrt, weil sich im Regelfall herausstellt, dass es trotz der erlebten Krise möglich ist, das Leben auch unter den veränderten Bedingungen fortzuführen. Ohne Hinzutreten weiterer Umstände kann man daher nicht davon ausgehen, dass eine noch nicht ausgestandene Lebenskrise zukünftig notwendig zu Ausfallzeiten führen wird, die es erforderlich machen, das Arbeitsverhältnis durch Kündigung aufzulösen.
Urteil des LAG Mecklenburg-Vorpommern vom 07.03.2017 – 2 Sa 158/16
Aus dem Sachverhalt:
Die Parteien streiten um die soziale Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung.
Die Beklagte betreibt einen industriellen Produktionsbetrieb mit mehreren Hundert Beschäftigten. […] Die 1977 geborene Klägerin ist seit 2003 bei der Beklagten tätig. […] Seit der Trennung und späteren Scheidung – der Scheidungsbeschluss stammt aus Mai 2015 – von ihrem Ehemann lebt sie allein mit ihrem noch schulpflichtigen Kind zusammen in ihrem Haushalt.
Im Arbeitsverhältnis der Parteien ist es jedenfalls ab August 2011 zu erheblichen krankheitsbedingten Ausfallzeiten der Klägerin gekommen. […] 
Die Klägerin wurde von der Beklagten mehrfach zu Gesprächen und zur Teilnahme am betrieblichen Eingliederungsmanagement (bEM) eingeladen. […]
Auch nach Ablauf der Kündigungsfrist ist die Klägerin aufgrund eines Prozessarbeitsverhältnisses durchgehend weiter im Betrieb der Beklagten beschäftigt worden. Nach den gleichlautenden Angaben der Parteien sind die Ausfallzeiten der Klägerin in der Zeit von März 2016 bis zum Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht unauffällig gering geblieben.
Das Arbeitsgericht Schwerin hat der Klage mit Urteil vom 29. Juni 2016 stattgegeben (4 Ca 2111/15). […]
Mit der rechtzeitig eingelegten und gleichzeitig begründeten Berufung verfolgt die Beklagte ihr Begehren der Klageabweisung unverändert fort. […]
Aus den Gründen:
Die Berufung ist nicht begründet. Der streitgegenständlichen krankheitsbedingten Kündigung vom 30. Oktober 2015 fehlt die soziale Rechtfertigung im Sinne von § 1 KSchG.
I.
Die Kernbegründung des Arbeitsgerichts, es gäbe keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine negative Zukunftsprognose bezüglich der Ausfallzeiten der Klägerin, ist angesichts der vorgetragenen Tatsachen zutreffend und hält den Angriffen der Berufung stand.
Zutreffend hat das Arbeitsgericht ausführlich geprüft, ob sich aus den Ausfallzeiten der Klägerin in der Vergangenheit gegebenenfalls verbunden mit weiteren Umständen Hinweise darauf ergeben, dass auch zukünftig mit ähnlich hohen Ausfallzeiten im Arbeitsverhältnis der Parteien zu rechnen ist (Negativprognose oder Fehlzeitenprognose) und hat dies zutreffend verneint.
1.) Die Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung verläuft unterschiedlich, je nach dem, ob es sich um eine langanhaltende Krankheit handelt oder ob mehrere (Kurz-)Erkrankungen die betrieblichen Probleme verursacht haben. Vorliegend ist der Prüfungsmaßstab für häufige (Kurz-)Erkrankungen anzulegen, denn der ist auch dann anzulegen, wenn sich – wie hier – unter den medizinischen Ausfallursachen Krankheiten befinden, die zu längeren Ausfallzeiten geführt haben (BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = DB 2015, 1290 = NZA 2015, 612).
Bei häufigen (Kurz-)Erkrankungen ist, damit sie eine Kündigung sozial rechtfertigen können, zunächst eine negative Gesundheitsprognose erforderlich (Fehlzeitenprognose). Es müssen im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen – erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes – zweite Stufe – festzustellen ist. Diese Beeinträchtigungen können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen übersteigen. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung – dritte Stufe – ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG 20. November 2014 aaO; BAG 10. Dezember 2009 – 2 AZR 400/08 – AP Nr. 48 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = NZA 2010, 398; BAG 1. März 2007 – 2 AZR 217/06 – AP Nr. 2 zu § 90 SGB IX = NZA 2008, 302 = DB 2007, 1702). – Zusätzlich wird inzwischen in der Rechtsprechung recht intensiv geprüft, ob die Kündigung durch andere Maßnahmen, die geeignet sind, das Problem des Arbeitgebers zu beheben, hätte vermieden werden können (Verhältnismäßigkeitsprüfung), so dass man heutzutage besser von einem vierstufigen Prüfungsraster sprechen sollte. Die Intensität der Prüfung dieses Schritts durch das Gericht hängt insbesondere davon ab, ob der Arbeitgeber seinen Pflichten aus § 84 Absatz 2 SGB IX (Betriebliches Eingliederungsmanagement – bEM) ausreichend nachgekommen ist.
2.) Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt (BAG 1. März 2007 aaO; BAG 10. November 2005 – 2 AZR 44/05 – AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = NZA 2005, 655). Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten (BAG 10. November 2005 aaO).
Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Absatz 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung bzw. Verbesserung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (BAG 10. November 2005 aaO).
3.) Gemessen an diesem Maßstab hat sich das Arbeitsgericht zutreffend außer Stande gesehen, die notwendige Fehlzeitenprognose zu treffen.
a) Der Beklagten ist zuzugestehen, dass bei pauschaler undifferenzierter Betrachtung der Ausfallzeiten der Klägerin in der Zeit von August 2011 bis zur Kündigung Ende Oktober 2015 aufgrund der Anzahl der Ausfalltage und der Häufigkeit der Ausfallereignisse die Schlussfolgerung gerechtfertigt scheint, auch zukünftig würde die Klägerin wegen weiterer Krankheiten in vergleichbarem Umfang arbeitsunfähig ausfallen.
Die Klägerin war 2011 insgesamt 139 Kalendertage arbeitsunfähig erkrankt, wobei dem ein einzelnes Ausfallereignis zu Grunde liegt. Im Jahre 2012 hatte die Klägerin 5 Ausfallzeiträume und war insgesamt 84 Kalendertage arbeitsunfähig erkrankt. Im Jahre 2013 hatte die Klägerin 4 Ausfallzeiträume und war insgesamt 26 Kalendertage arbeitsunfähig erkrankt. Im Jahre 2014 hatte die Klägerin 5 Ausfallzeiträume und war insgesamt 81 Kalendertage arbeitsunfähig erkrankt. Im Jahre 2015 hatte die Klägerin bis zum Ausspruch der Kündigung Ende Oktober 6 Ausfallzeiträume und war insgesamt 70 Kalendertage arbeitsunfähig erkrankt.
Allein schon das Überschreiten der 42 Kalendertage Ausfallzeit in den Jahren 2014 und 2015 dürfte ausreichen, um daraus bei einer rein statistischen Betrachtungsweise den Schluss zu ziehen, die Klägerin werde auch zukünftig ähnlich hohe Ausfallzeiten verursachen. Zur Bestätigung dieses skeptischen Blicks in die Zukunft kann auf die durchschnittliche Ausfallzeit in den fünf Jahren 2011 bis 2015 abgestellt werden, die mit 80 Kalendertagen deutlich oberhalb von 42 Kalendertagen liegt. […]
b) Bezieht man bei dem Blick in die Zukunft jedoch die Krankheitsbilder mit ein, die die Ausfallzeiten verursacht haben, müssen mindestens die Ausfallzeiten wegen des eingeklemmten Nervs im linken Ellenbogen (139 Kalendertage 2011 und weitere 48 Kalendertage in 2012) und die Ausfallzeiten zur Ausheilung der Folgen des Sturzes im häuslichen Bereich (71 Kalendertage in 2014 sowie gegebenenfalls weitere 5 Kalendertage in 2015) als Prognosebasis ausgeschieden werden. Denn diese Krankheiten müssen als ausgeheilt betrachtet werden und Ausfallzeiten wegen ausgeheilter Krankheiten können – mit einer unten noch behandelten Ausnahme – nicht zur Abschätzung zukünftiger Ausfallzeiten herangezogen werden.
aa) Die Probleme mit dem eingeklemmten Nerv im Ellenbogen des linken Arms der Klägerin, die zu der langen Ausfallzeit von Mitte August 2011 bis Mitte Februar 2012 geführt haben, müssen als ausgeheilt betrachtet werden. […]
Für eine chronische Erkrankung des Nervs im linken Ellenbogen der Klägerin gibt es keine ausreichenden Indizien. Von einer chronischen Erkrankung kann man nur sprechen, wenn sich aus derselben Krankheitsanlage (demselben Grundleiden) immer wieder akute Krankheitsepisoden mit Ausfallzeiten ergeben. Dafür gibt es vorliegend keine Anzeichen. Selbst wenn man zu Gunsten der Beklagten beide Erkrankungen am linken Arm, also auch die Sehnenscheidenentzündung Anfang 2013, als auf ein einziges Grundleiden zurückführbar ansehen würde, könnte man lediglich von einem einmalig wiederholten Aufbrechen des Grundleidens sprechen. Das reicht für die Feststellung einer chronischen Krankheit nicht aus. Im Grunde sagt die Beklagte zu diesem Punkt auch lediglich, Ausfallzeiten wegen eines eingeklemmten Nervs im Ellenbogen könnten immer wieder auftreten, und zieht daraus die Schlussfolgerung, die Krankheit müsse chronisch sein. Dieser Schluss ist nicht gerechtfertigt, denn der für die krankheitsbedingte Kündigung notwendige Blick in die Zukunft muss notwendig immer beide Komponenten (Ausfallzeiten und deren medizinische Ursachen) im Blick haben, um sich nicht im Spekulativen zu verlieren. […]
bb) Die Rückenprobleme der Klägerin, die als eine Folge des Unfallereignisses Mitte März 2014 angesehen werden müssen, müssen als ausgeheilt betrachtet werden. […] Verletzungen des Skeletts oder des Gewebes, die man sich bei einem Unfall zuzieht, heilen im Regelfall aus. Die Ausfallzeiten, die auf derartigen Heilungsprozesse zurückzuführen sind, fallen daher als Prognosegrundlage für zukünftige Fehlzeiten im Regelfall weg. Darauf hat das Arbeitsgericht seine Entscheidung in diesem Punkt gestützt. Für einen vom Regelfall abweichenden Krankheitsverlauf in Folge des vorliegenden Unfallereignisses liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte vor. […]
Damit kann lediglich festgestellt werden, dass die Klägerin im Bereich der unteren Lendenwirbelsäule ein Problem hat, das theoretisch geeignet ist, zukünftig Leiden zu verursachen. Es ist aber weder klar, wann diese Probleme auftreten werden, noch gibt es Anhaltspunkte dafür, dass das beim MRT festgestellte Problem notwendig oder mit ausreichender Wahrscheinlichkeit zu weiteren Ausfallzeiten der Klägerin führen wird. Dabei muss zu Gunsten der Klägerin auch berücksichtigt werden, dass ihr erheblicher Gewichtsverlust, den die Klägerin im weiteren Verlauf des Jahres 2015 zu verzeichnen hatte, und den sie auf die Überforderungssituation aufgrund der Scheidung zurückführt, sich generell positiv auf die Belastungssituation der unteren Wirbelsäule ausgewirkt haben dürfte.
In der Gesamtbetrachtung reicht das für eine Indizwirkung der festgestellten Ausfallzeiten 2014 und 2015 wegen der Rückenprobleme der Klägerin für zukünftige Ausfallzeiten nicht aus.
c) Auch die Ausfallzeiten wegen der körperlichen Reaktion der Klägerin auf die durch die Scheidung ausgelöste Lebenskrise (54 Kalendertage in 2015) bieten keine Basis für eine Prognose weiterer Ausfallzeiten, da derartige Krankheiten nach allgemeiner Lebenserfahrung überwunden werden und Indizien für eine andere Prognose hier nicht vorliegen.
aa) Dass diese Ausfallzeiten auf eine körperliche Reaktion der Klägerin auf ihre familiäre Belastungssituation zurückzuführen sind, steht für das Gericht aufgrund der ärztlichen Mitteilung vom 25. April 2014 […] mit ausreichender Sicherheit fest. Der Arzt hat bei der Klägerin Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen festgestellt und hat diese ursächlich in Zusammenhang gestellt mit einem traumatischen Ereignis („posttraumatischer Beschwerdekomplex“). Dieser kausale Zusammenhang ergab sich zwar für den Arzt in erster Linie aus dahingehenden Schilderungen der Klägerin, die subjektiv eingefärbt gewesen sein mögen. Es muss aber davon ausgegangen werden, dass der Arzt aufgrund seiner Fachkunde in der Lage ist einzuschätzen, ob derartige Bekundungen eines Patienten nur vorgeschoben sind, oder ob man sie aus medizinischer Sicht für gegeben erachten kann. 
Auch wenn die Klägerin die Scheidung wegen der berichteten häuslichen Gewalt selbst vorangetrieben hat, ist es naheliegend, dass bei der Klägerin aus Anlass der Scheidung im Mai 2015 wegen der heftigen Auswirkungen der Scheidung auf ihren Mann und auf ihr Kind (erneut) Schuldgefühle und ähnliche Zweifel aufgekommen sind, auf die sie körperlich reagiert hat. Im Übrigen versteht das Gericht den Arztbericht dahin, dass die klägerische Lebenskrise nicht ausschließlich durch die Scheidung im Mai 2015 selbst verursacht wurde, die ja aus der Sicht der Klägerin sogar als befreiend angesehen werden könnte, sondern insbesondere auch aus der Sorge um die Folgeprobleme, nämlich die notwendige Neuordnung ihres Lebens unter Einschluss der Neuordnung der Aufsichtspflicht gegenüber ihrem noch im Haushalt lebenden minderjährigen Kind.
bb) Wegen der zeitlichen Nähe der Kündigung zu der Ausfallzeit der Klägerin wegen des posttraumatischen Beschwerdekomplexes kann vorliegend zwar nicht festgestellt werden, dass dieses Leiden zum Zeitpunkt der Kündigung bereits ausgeheilt war. Allerdings kann festgestellt werden, dass weder das Leiden selbst noch die damit vor Ausspruch der Kündigung verbundenen Ausfallzeiten eine ausreichende Indizwirkung für die notwendige Fehlzeitenprognose haben.
Denn die Klägerin hat sich nach der Überzeugung des Gerichts im Sommer und Herbst 2015 in einer Lebenskrise befunden, in der sie vorübergehend ihren Lebensmut verloren hatte. Die vom Arzt beschriebenen Leiden sind für das Gericht als bekannte menschliche Reaktion auf derartige Krisen ohne weiteres nachvollziehbar. Allerdings entspricht es ebenso der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der angesichts solcher Lebenskrisen verlorene Lebensmut mit dem zeitlichen Abstand zu dem auslösenden Ereigniskomplex wiederkehrt, weil sich im Regelfall herausstellt, dass es trotz der erlebten Krise möglich ist, das Leben auch unter den veränderten Bedingungen geordnet und möglicherweise alsbald auch wieder mit Lebensfreude fortzuführen.
Angesichts dieses sozusagen natürlichen Verlaufs von Lebenskrisen mit Verlust des Lebensmuts kann man ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht davon ausgehen, dass diese Lebenskrise zukünftig zu Ausfallzeiten führen wird, die es erforderlich machen, das Arbeitsverhältnis durch Kündigung aufzulösen. Irgendwelche objektiven Umstände aus der Zeit vor Ausspruch der Kündigung, die geeignet wären, den von der Beklagten gewünschten Schluss zu ziehen, die Klägerin werde nicht wieder auf die Beine fallen, sind jedenfalls nicht vorgetragen. Auf die mutmaßliche Dauer der Ausfallzeiten wegen der Lebenskrise kommt es dabei so gut wie nicht an. Denn erst dann, wenn festgestellt werden müsste, dass die Klägerin gar nicht mehr in der Lage ist, einen Ausweg aus der Lebenskrise zu finden, könnte man eine darauf aufbauende Kündigung ins Auge fassen. Weitere Ausführungen dazu können dahinstehen, da sich das Leben der Klägerin glücklicherweise nicht in diese Richtung entwickelt hat.
d) Die danach für eine Zukunftsprognose der Ausfallzeiten noch heranziehbaren übrigen Ausfallzeiten sind so gering, dass eine zur Kündigung ausreichende negative Prognose nicht mehr möglich ist. Davon ist das Arbeitsgericht zutreffend ausgegangen. […]
Lässt man die oben unter b) und c) betrachteten Ausfallzeiten und Krankheitsursachen aus den dort genannten Gründen für die Fehlzeitenprognose außer Acht, sind die Ausfallzeiten der Klägerin insgesamt unauffällig niedrig. Im Jahre 2011 ergeben sich keine Ausfallzeiten, im Jahre 2012 ergeben sich 33 Kalendertage Ausfallzeit, im Jahre 2013 ergeben sich 8 Kalendertage Ausfallzeit, im Jahre 2014 ergeben sich 10 Kalendertage Ausfallzeit und im Jahre 2015 mindestens 11 Kalendertage Ausfallzeit. Zählt man die 5 Ausfalltage im Februar wegen des Rückenleidens ebenfalls dazu, kommt man auf 16 Ausfalltage. Das ergibt über die Jahre 2012 bis 2015 eine durchschnittliche Ausfallzeit pro Jahr im Umfang von etwas unter 17 Kalendertagen. Das ergibt gemessen in Kalendertagen eine Ausfallquote unter 5 Prozent. Würde man die durch die Ausfalltage ausgefallenen Arbeitstage als Rechengröße zu Grunde legen, wäre die Quote sicher etwas höher anzusetzen. Sie könnte aber die von der Beklagten angegebenen Ausfallquote im Betrieb im Umfang von rund 6 Prozent der Arbeitszeit jedenfalls nicht deutlich übersteigen.
Wegen dieses Befundes, der selbst bei fehlender Kenntnis der Krankheitsursachen nicht für eine grobe Prognose zukünftiger unzumutbarer Fehlzeiten ausreichen würde, kann das Gericht offen lassen, ob die zu Grunde liegenden Krankheiten ausgeheilt sind. […]
e) Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich die notwendige Fehlzeitenprognose auch nicht mit einer Krankheitsanfälligkeit der Klägerin begründen.
aa) Wird die negative Zukunftsprognose auf eine Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers gestützt, betrachtet man alle Ausfallzeiten gemeinsam unter Einschluss der ausgeheilten Krankheiten. Hier bedarf es der positiven Feststellung, dass der Arbeitnehmer aufgrund einer konstitutionellen Schwäche oder aus sonstigen feststellbaren Gründen dazu neigt, krank zu werden (BAG 10. November 2005 – 2 AZR 44/05 – AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = NZA 2006, 655). Eine Krankheitsanfälligkeit verlangt die gerichtliche Feststellung, dass sich die Anzahl der Krankheitsereignisse und deren Dauer signifikant über dem zu erwartenden Durchschnitt des Auftritts gleicher oder vergleichbarer Krankheiten bei anderen Beschäftigten bewegt. Das BAG hat in der vorerwähnten Entscheidung dementsprechend darauf abgestellt, ob die Ausfallzeiten, die auf eine Krankheitsanfälligkeit hindeuten, den Schwellenwert von 42 Kalendertagen im Kalenderjahr überschreiten. Blickt man nur auf diese statistischen Daten der klägerischen Ausfallzeiten, könnte man durchaus von einer Krankheitsanfälligkeit sprechen.
bb) Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Negativprognose aufgrund einer Krankheitsanfälligkeit erschöpft sich allerdings nicht in einer statistischen Analyse der Ausfallzeiten. Vielmehr verlangt das Bundesarbeitsgericht zusätzlich so etwas wie eine plausible Erklärung für die Krankheitsanfälligkeit. Allgemein gesprochen kann eine solche Erklärung beispielsweise in einem ungesunden Lebenswandel gesehen werden, im Betreiben verletzungsgeneigter Sportarten, in einer konstitutionellen Schwäche (Anfälligkeit für bestimmte Krankheitsarten) oder – insbesondere bei fortgeschrittenem Lebensalter – im Auftreten körperlicher Verschleißerscheinungen. […]
Ein vergleichbarer gemeinsamer Nenner für die verschiedenen Krankheiten der Klägerin lässt sich vorliegend nach Überzeugung des Gerichts (noch) nicht feststellen. Die Klägerin hatte 2011, 2012 und 2013 Probleme mit ihrem linken Arm (eingeklemmter Nerv, Sehnenscheidenentzündung), 2014 und 2015 hatte sie Rückenprobleme und 2015 hat sie körperlich auf eine Lebenskrise reagiert. Dazu gesellen sich über die Jahre verteilt kürzere Ausfallzeiten wegen Zahnproblemen, wegen Augenleiden, wegen einer Hauterkrankung, wegen Atemwegserkrankungen, wegen Erkrankungen im Magen- und Darmbereich und wegen urologischer Erkrankungen. Einen irgendwie gearteten Zusammenhang zwischen diesen verschiedenen Krankheiten kann das Gericht nicht erkennen. […]
cc) Selbst wenn man – hilfsweise – davon ausgehen wollte, dass sich die Feststellung der Krankheitsanfälligkeit in einer statistischen Analyse der Ausfallzeiten erschöpfen soll, könnte vorliegend keine Krankheitsanfälligkeit festgestellt werden, da es die Beklagte unterlassen hat, die klägerischen Ausfallzeiten für die gesamte Zeit der Zusammenarbeit oder jedenfalls für einen deutlich längeren Zeitraum vorzutragen. Die Klägerin ist seit 2003 bei der Beklagten beschäftigt, Angaben zu den Ausfallzeiten liegen jedoch nur für die Zeit ab August 2011 vor. Wie die mehrfach zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 10. November 2005 zeigt, bedarf es jedoch für die Feststellung der Krankheitsanfälligkeit einer umfassenden Analyse der Ausfallzeiten im gesamten Arbeitsverhältnis, zumindest muss man einen sehr viel größeren Beobachtungszeitraum als vorliegend zu Grunde legen.
Denn wenn man den vorliegenden Betrachtungszeitraum von knapp 5 Jahren ausreichen lassen würde, würde es zwischen den Anforderungen an die erste Grobprognose des Arbeitgebers ohne Kenntnis medizinischer Ursachen der Ausfallzeiten und der Feststellung der Krankheitsanfälligkeit keinen Unterschied mehr geben. Das kann nicht richtig sein, denn dann käme es unter keinen Umständen mehr auf eine medizinische Bewertung der Ausfallzeiten an, was ersichtlich nicht mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in Einklang steht. […]
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision aus § 72 ArbGG sind nicht erfüllt.