STREIT 1/2021
S. 16-23
LAG Berlin-Brandenburg, MiLoG, § 2 AEntG, ILO-Übereinkommen Nr. 189
Mindestlohn für 24-Stunden-Betreuung
1. Der oder die Arbeitgeber*in schuldet den gesetzlichen Mindestlohn für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde. Davon wird nicht nur Vollarbeit, sondern auch Bereitschaftszeit erfasst.
2. Dabei obliegt es dem oder der Arbeitgeber*in, die Arbeit im Rahmen des Weisungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO so zu organisieren, dass die gesetzlichen Vorgaben für die Arbeitszeit auch eingehalten werden.
3. Abweichungen von diesen Grundsätzen wegen der Besonderheiten der Tätigkeit der Klägerin in einem Haushalt kommen nicht in Betracht. Das widerspräche dem Übereinkommen Nr. 189 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 16. Juni 2011 über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte.
4. Aufgrund der besonderen Arbeitssituation bei einer 24-Stunden-Betreuung in der Häuslichkeit reicht – anders als sonst – auch schon die Anwesenheit aus, um als Bereitschaftsdienst und damit Arbeitszeit gewertet werden zu können. Die Zurechnung endet dort, wo es der Klägerin als Arbeitnehmerin zumutbar war, sich den Vorgaben der Dauerbetreuung zu entziehen, hier im geschätzten (§ 278 ZPO) Umfang von 3 Stunden täglich.
5. Auf vertragliche Vereinbarungen zur Arbeitszeitbegrenzung darf die Beklagte sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nach § 242 BGB nicht berufen. Das wäre unzulässig, weil widersprüchlich.
(Leitsätze der Redaktion)
Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 17.08.2020 – 21 Sa 1900/19
Aus dem Sachverhalt:
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch über Ansprüche auf Arbeitsentgelt […].
Die […] Klägerin ist bulgarische Staatsangehörige und hat ihren Wohnsitz in Bulgarien. Sie war ab dem 21. Juni 2013 zunächst bei der R. – BG OOD, einem in Bulgarien ansässigen Unternehmen, auf der Grundlage eines in bulgarischer Sprache abgefassten schriftlichen Arbeitsvertrages […] als Sozialassistentin mit 40 Stunden pro Woche […] beschäftigt und wurde nach Deutschland entsandt. Dort war sie als Pflege- und Haushaltskraft in Privathaushalten zunächst in Koblenz und Bonn und ab dem 8. Januar 2014 bei Frau Z., einer über 90-jährigen, betreuungsbedürftigen Dame, in deren Wohnung in einer Seniorenwohnanlage in Berlin tätig. […]
Unter dem 8. April 2015 unterzeichnete die Klägerin mit Wirkung ab dem 15. April 2015 einen ebenfalls in bulgarischer Sprache abgefassten Arbeitsvertrag als Sozialassistentin mit der Beklagten, einer in Bulgarien ansässigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach bulgarischem Recht, und betreute […] weiterhin Frau Z. in deren Wohnung in Berlin, wo sie auch wohnte und ihre Mahlzeiten einnahm. […]
Der Arbeitsvertrag mit der Beklagten sah eine Arbeitszeit von sechs Stunden pro Tag und 30 Stunden pro Woche gegen eine Grundvergütung von zunächst 16,62 BGN pro Stunde vor, was abhängig von Wechselkursschwankungen in etwa 8,50 Euro entspricht. […] Darüber hinaus unterzeichnete die Klägerin am 15. April 2015 eine Vereinbarung mit auszugsweise folgendem Inhalt:
„VEREINBARUNG ZUSTIMMUNG
[…] 1. In bin damit einverstanden, in der Republik Deutschland an einem 6-Stunden-Arbeitstag mit einer täglichen Ruhezeit von 60 Minuten und einer wöchentlichen Ruhezeit von 2 Arbeitstagen – Samstag und Sonntag – zu arbeiten. […]
4. Ich bin mit der Bedingung einverstanden, keine Überstunden/Arbeitsstunden zu machen. ...“ […]
Unter dem 16./29. April 2015 schloss die Beklagte mit Frau Z., vertreten durch deren Sohn, Jörg Z., auf Vermittlung der Deutschen Seniorenbetreuung, einer in Deutschland ansässigen Agentur, mit Wirkung ab dem 16. April 2015 einen Dienstleistungsvertrag. Der Vertrag enthält auszugsweise folgende Regelungen:
„§ 1 Allgemeine Bestimmungen
[…] § 2 Leistungsbeschreibung
Der Leistungsgeber verpflichtet sich, durch seine Mitarbeiter für die oben bestimmte Zeit und nach der konkreten Bedarfserhebung (Grundlage ist der durch den Leistungsnehmer beim Vermittler „Deutsche Seniorenbetreuung“ eingereichte Erhebungs-/Fragebogen, welcher von diesem an den Leistungsgeber weitergeleitet wurde) Dienstleistungen für den Leistungsnehmer im oben genannten Haushalt zu erbringen. Der Leistungsumfang bezieht sich auch auf folgende Tätigkeiten:
Hilfe bei der Ausübung der alltäglichen Aktivitäten
Haushaltstätigkeiten wie Aufräumen, Waschen, Nahrungszubereitung etc.
mit der Betreuung und der Ernährung verbundene Einkäufe
Terminvereinbarung mit Ärzten und Begleitung zu Arztterminen (falls die Sprachkenntnisse hierfür ausreichend sind)
Hilfe beim Verlassen der Wohnräume (Spaziergänge, Termine etc.)
soziale Aufgaben (Gesellschaft leisten, Ansprache, Kommunikation, gemeinsame Interessenverfolgung etc.)
Grundversorgung (Hilfe bei der Hygiene, beim Ankleiden etc.) solange es sich hierbei nicht um den überwiegenden Teil der Leistungserbringung handelt
sowie weitere Tätigkeiten, die nach der Anerkennung, Qualifikation und Erfahrung des Personals für die Sicherung der ordentlichen Betreuung des Auftraggebers notwendig sind.
Ausdrücklich ausgenommen von den Leistungen sind schwere Garten- und Feldarbeiten, medizinische Dienstleistungen und professionelle pflegerische Tätigkeiten der Behandlungspflege, die eine Fachausbildung erfordern, wie z.B. Injektionen oder Verbandswechsel.
§ 3 Unterbringung / Verpflegung / Zutrittsrecht / Freizeitregelung
(1) Der Leistungsnehmer stellt dem Mitarbeiter ein Zimmer zur alleinigen Nutzung zu Verfügung. […]
(2) Der Leistungsnehmer sorgt für angemessene Verpflegung in normal üblicher Qualität und ausreichender Quantität. Die Verpflegungs- und Unterkunftskosten werden nicht gesondert in Rechnung gestellt, sondern wurden bei Verhandlungen und Vereinbarung der Vergütung berücksichtigt und einkalkuliert. […]
(4) Die Freizeit-/Pausenregelung erfolgt nach gegenseitiger Absprache bzw. entsprechend den Vereinbarungen im Fragebogen sowie unter Berücksichtigung der Betreuungssituation vor Ort. […]
§ 5 Vertragsgültigkeit
(1) […] Bezahlt werden die Tage, an denen eine entsendete Betreuungskraft vor Ort im Einsatz ist. […]
§ 7 Kosten/Zahlung/Minderung
(1) Das Entgelt für die zu erbringende Leistung beträgt 52,07 €/Tag brutto. Das Entgelt ist gültig für eine Arbeitsleistung von 30 Std./Wo. Sind Mehrstunden angeordnet, so werden diese mit 12,00 €/Std. berechnet. Tage der An-/Abreise werden mit 50 % des Tagessatzes berechnet. Im Preis ist der ab dem 01.01.2015 flächendeckende Mindestlohn einkalkuliert. Bereitschaftszeiten sind nicht vereinbart. Eine Rufbereitschaft der Betreuungskraft kann wahrgenommen werden. […]“ […]
In dem in § 2 des Vertrages erwähnten Erhebungs-/Fragebogen ist auszugsweise Folgendes angegeben:
„[…] Angedachter Einsatz:- 24 Stunden Betreuung/Pflege […]“ […]
Die Deutsche Seniorenbetreuung wirbt auf ihrer Website mit verschiedenen Modellen für eine „24-Stunden-Pflege zu Hause“, darunter dem sogenannten Entsendemodell, und bietet ihren Kundinnen Beratungs-, Vermittlungs- und begleitende Koordinationsleistungen auf der Basis eines Koordinations-/Vermittlungsvertrages an. Bei dem Entsendemodell werde zwischen dem Privathaushalt und einem oder mehreren Entsendeunternehmen ein Dienstleistungsvertrag geschlossen. Die Unternehmen entsendeten dann ihre Arbeitnehmerinnen für die Erbringung der 24-Stunden-Pflege. Weiter heißt es auf der Website zu den Arbeitszeiten der Betreuungs-/Pflegekräfte unter „Fragen & Antworten zur häuslichen 24-Stunden-Betreuung“ wie folgt:
„Die Bezeichnung 24-Stunden-Pflege bedeutet nicht, dass die Betreuungs-/Pflegekräfte im wörtlichen Sinne 24 Stunden am Stück arbeiten, sondern es existieren für entsendete Arbeitnehmer Regelungen für die Arbeitszeiten (Arbeitszeitgesetz), die unbedingt einzuhalten sind. […] Die Begriffe 24-Stunden-Pflege und 24-Stunden-Betreuung sind reine Marketingbezeichnungen für die Suche und Auffindbarkeit unserer Dienstleistungen im Internet. […]
Wir empfehlen grundsätzlich einen freien Tag pro Woche, der jedoch in Absprache mit der Betreuungskraft auch in zwei halbe Tage bzw. stundenweise aufgeteilt werden kann. Die freie Zeit dient der Erholung und ist wichtig, um Abstand zur Betreuungssituation gewinnen zu können, Kraft zu tanken und einfach mal loslassen zu dürfen.“ […]
Mit Schreiben vom 6. Juli 2016 teilte die Beklagte dem Sohn von Frau Z. auf dessen Nachfrage entsprechend den Ausführungen der Deutschen Seniorenbetreuung auf ihrer Website unter anderem mit, die Klägerin verfüge über einen freien Tag in der Woche, wobei der freie Tag ein ganzer Tag oder auch stundenweise über die ganze Woche verteilt sein könne, je nach Kundenbedarf und gegenseitiger Absprache. Weiter wies sie den Sohn auf die Freizeit- und Pausenregelung in § 3 Absatz 4 des Dienstleistungsvertrages hin und führte dazu aus, alle ihre Mitarbeiter würden vor ihrer Reise nach Deutschland mit dieser Klausel bekannt gemacht. […]
Die Beklagte zahlte der Klägerin im Jahr 2015 für die Monate Mai bis August 2015 und Oktober bis Dezember 2015 monatlich 950,00 Euro netto sowie weitere 30,00 Euro netto für zwei Feiertage im Monat Dezember 2015, also insgesamt 6.680,00 Euro netto. […] Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete Ende September 2016 […]
Am 28. September 2016 wandte sich die Klägerin an das damalige, von dem Verein Arbeit und Leben e.V. und dem Deutschen Gewerkschaftsbund, Bezirk Berlin-Brandenburg, unterhaltene Beratungsbüro für entsandte Beschäftigte, freizügigkeitsberechtigte EU-Bürgerinnen und -Bürger sowie Selbstständige mit unklarem Arbeitsstatus (BEB), jetzt Berliner Beratungszentrum für Migration und Gute Arbeit (BEMA), und machte über das Beratungsbüro gegenüber der Beklagten, dem Sohn von Frau Z. und der Deutschen Seniorenbetreuung mit Schreiben vom 13. Oktober 2016 Vergütung nach dem Mindestlohngesetz für 24 Stunden an sieben Tagen pro Woche in Höhe von insgesamt 43.860,00 Euro brutto für 2015 und 47.736,00 Euro brutto für 2016 abzüglich der erhaltenen Vergütung geltend. […].
Mit der beim Arbeitsgericht Berlin […] eingegangenen […] Klage hat die Klägerin die Beklagte auf Arbeitsentgelt […] in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro brutto pro Stunde für 231 Arbeitstage und 24 Stunden pro Tag abzüglich der erhaltenen 6.680,00 Euro netto nebst Prozesszinsen in Anspruch genommen. […]
Mit Urteil vom 22. August 2019 […] hat das Arbeitsgericht der Klägerin 42.636,00 Euro brutto abzüglich 6.680,00 Euro netto nebst Prozesszinsen seit dem 21. November 2018 zugesprochen und […] im Wesentlichen ausgeführt, […] sie […] könne […] Vergütung in Höhe des Mindestlohns von 8,50 Euro brutto je Zeitstunde für 24 Stunden pro Kalendertag verlangen. […] Gegen dieses […] Urteil richtet sich die […] Berufung der Beklagten[…].
Aus den Gründen:
Die Berufung hat nur zum Teil Erfolg. […]
II. Die Berufung ist […] begründet, soweit das Arbeitsgericht der Klägerin mehr als 38.377,50 Euro brutto abzüglich 6.680,00 Euro netto nebst Prozesszinsen zugesprochen hat. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet. Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts steht der Klägerin der gesetzliche Mindestlohn für die noch streitbefangene Zeit vom 1. Mai 2015 bis zum 31. August 2015 und vom 1. Oktober bis zum 31. Dezember 2015 nicht für 24 Stunden, sondern nur für 21 Stunden pro Kalendertag zu. […]
1. Die Klage ist, soweit sie in die Berufungsinstanz gelangt ist, zulässig.
a) Die deutsche Gerichtsbarkeit ist international zuständig.
aa) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte folgt aus § 15 Satz 1 AEntG (Arbeitnehmer-Entsendegesetz). […]
2. Die Klage ist nur zum Teil begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf den allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn für 21 Stunden pro Kalendertag abzüglich des bereits erhaltenen Nettobetrags zuzüglich Zinsen.
a) Der Anspruch beurteilt sich nach deutschem Recht.
aa) Das ergibt sich aus § 2 Nr. 1 AEntG, der – wie ausgeführt – auch für Ansprüche nach dem Mindestlohngesetz gilt. Nach § 2 Nr. 1 AEntG findet das Mindestlohngesetz auch zwingend Anwendung auf Arbeitsverhältnisse zwischen im Ausland ansässigen Arbeitgeberinnen und ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen (umfassend zur international zwingenden Wirkung des Mindestlohngesetzes Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, 2. Auflage § 20 Rn. 3 ff.). Die Klägerin stand in einem Arbeitsverhältnis mit der in Bulgarien ansässigen Beklagten und wurde im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses in Berlin und damit im Inland beschäftigt. Darauf, ob das Arbeitsverhältnis im Übrigen bulgarischem Recht unterliegt, wofür einiges spricht, kommt es nicht an.
bb) Dieses Ergebnis steht auch mit dem Unionsrecht in Einklang. […]
cc) Der Beurteilung nach deutschem Recht unterliegt dabei nicht nur die Höhe des allgemeinen Mindestlohnes, sondern es unterliegen ihr auch die Voraussetzungen unter denen er zu zahlen ist. Die Formulierung „Mindestentgeltsätze“ in § 2 Nr. 1 AEntG ist insoweit missverständlich. Denn die Entgeltsätze liefen ins Leere, wenn sie nicht entsprechend der ihnen zugrundeliegenden gesetzlichen Regelung zur Anwendung kämen. Im Übrigen spricht Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe c Halbsatz 1 der Entsende-Richtlinie von Rechtsvorschriften zur „Entlohnung“ und erfasst nicht nur die Entlohnungssätze im engeren Sinn, sondern die Vorschriften zur Entlohnung insgesamt. Daher gebietet der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung nationalen Rechts (siehe dazu z.B. EuGH (Gerichtshof der Europäischen Union) 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] Rn. 58 f. sowie BAG 19. Februar 2019 – 9 AZR 423/16 – Rn. 17 ff. jeweils m.w.N.) ein weites Verständnis der deutschen Regelung in § 2 Nr. 1 AEntG.
b) Nach § 1 Absatz 1 MiLoG hat die Klägerin während der noch streitbefangenen Zeiträume Anspruch auf Zahlung des allgemeinen Mindestlohnes für 21 Stunden an jedem Kalendertag.
aa) Maßgeblich dafür, welche Leistung der Klägerin nach dem Mindestlohngesetz zu vergüten ist, sind die folgenden Grundsätze:
(1) Der Mindestlohnanspruch aus § 1 Absatz 1 MiLoG ist ein gesetzlicher Anspruch, der eigenständig neben den arbeits- oder tarifvertraglichen Entgeltanspruch tritt. Das Mindestlohngesetz greift in die Entgeltvereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien und anwendbarer Entgelttarifverträge nur insoweit ein, als sie den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten. § 3 MiLoG führt bei Unterschreiten des gesetzlichen Mindestlohns zu einem Differenzanspruch. Erreicht die von dem oder der Arbeitgeberin tatsächlich gezahlte Vergütung nicht den gesetzlichen Mindestlohn, begründet dies von Gesetzes wegen einen Anspruch auf Differenzvergütung, wenn der oder die Arbeitnehmerin in der Abrechnungsperiode für die geleisteten Arbeitsstunden im Ergebnis nicht mindestens den in § 1 Absatz 2 Satz 1 MiLoG vorgesehenen Bruttolohn erhält (vergleiche BAG 29. Juni 2016 – 5 AZR 716/15 – Rn. 18 f. m.w.N.). Das Mindestlohngesetz regelt damit eigenständig die Rechtsfolge einer Unterschreitung des gesetzlichen Mindestlohns, indem mit § 1 Absatz 1 MiLoG eine Anspruchsgrundlage formuliert wird (vergleiche BAG 29. Juni 2016 – 5 AZR 716/15 – Rn. 20 m.w.N.).
Der oder die Arbeitgeber*in hat den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn erfüllt, wenn die für einen Kalendermonat gezahlte Bruttovergütung den Betrag erreicht, der sich aus der Multiplikation der Anzahl der in diesem Monat tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mit dem gesetzlichen Mindestlohn ergibt (vergleiche BAG 29. Juni 2016 – 5 AZR 716/15 – Rn. 22 m.w.N.).
Der oder die Arbeitgeberin schuldet den gesetzlichen Mindestlohn für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde. Der Mindestlohn ist für alle Stunden, während derer der oder die Arbeitnehmerin die geschuldete Arbeit – früher nach § 611 Absatz 1 BGB nunmehr nach § 611a Absatz 1 BGB – erbringt, zu zahlen (vergleiche BAG 29. Juni 2016- 5 AZR 716/15 – Rn. 24). Davon wird nicht nur Vollarbeit, sondern auch Bereitschaftszeit erfasst. Sie ist nicht nur arbeitsschutzrechtlich Arbeitszeit (§ 2 Absatz 1 Satz 1, § 7 Absatz 1 Nr. 1a ArbZG (Arbeitszeitgesetz)), sondern vergütungspflichtige Arbeit im Sinne von § 611 Absatz 1 BGB beziehungsweise jetzt § 611a Absatz 2 BGB. Denn dazu zählt nicht nur jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient, sondern auch eine von dem oder der Arbeitgeberin veranlasste Untätigkeit, während derer der oder die Arbeitnehmerin am Arbeitsplatz oder einer von dem oder der Arbeitgeberin bestimmten Stelle anwesend sein muss und nicht frei über die Nutzung des Zeitraums bestimmen kann, er oder sie also weder eine Pause (§ 4 ArbZG) noch Freizeit hat. Diese Voraussetzung ist bei der Bereitschaftszeit, die gemeinhin beschrieben wird als Zeit wacher Aufmerksamkeit im Zustand der Entspannung, gegeben. Der oder die Arbeitnehmerin muss sich an einem von dem oder der Arbeitgeber*in bestimmten Ort, in welcher Entfernung vom Arbeitsort auch immer, bereithalten, um im Bedarfsfalle die Arbeit aufzunehmen. Die gesetzliche Vergütungspflicht des Mindestlohngesetzes differenziert dabei nicht nach dem Grad der tatsächlichen Inanspruchnahme (vergleiche BAG 29. Juni 2016 – 5 AZR 716/15 – Rn. 28 f. m.w.N.).
(2) Der oder die Arbeitgeberin ist nach § 611 Absatz 1 BGB und nunmehr § 611a Absatz 2 BGB nur aber auch zur Gewährung der vereinbarten Vergütung für die vereinbarte Arbeitsleistung verpflichtet. Erbringt der oder die Arbeitnehmerin Arbeit, ist der oder die Arbeitgeberin zu deren Vergütung nur verpflichtet, wenn er oder sie die Leistung der Arbeitsstunden veranlasst hat oder sie ihm zumindest zuzurechnen ist. Denn der oder die Arbeitgeberin muss sich Leistung und Vergütung von Arbeitsstunden nicht aufdrängen lassen und der oder die Arbeitnehmer*in kann seinen oder ihren Vergütungsanspruch nicht selbst bestimmen (vergleiche BAG 10. April 2013 – 5 AZR 122/12 – Rn. 13).
Von dem oder der Arbeitgeberin veranlasst oder diesem oder dieser zuzurechnen sind Arbeitsstunden nur, wenn sie von dem oder der Arbeitgeberin angeordnet, gebilligt, geduldet oder jedenfalls zur Erledigung der geschuldeten Arbeit notwendig waren (vergleiche BAG 10. April 2013 – 5 AZR 122/12 – Rn. 14 m.w.N.). Angeordnet sein können Arbeitsstunden entweder ausdrücklich oder konkludent. Konkludent ordnet der oder die Arbeitgeberin Arbeitsstunden an, wenn er oder sie dem oder der Arbeitnehmerin Arbeit in einem Umfang zuweist, der unter Ausschöpfung der persönlichen Leistungsfähigkeit des oder der Arbeitnehmerin nur durch die Leistung einer bestimmten Anzahl von Arbeitsstunden zu bewältigen ist. Dabei begründet allein die Anwesenheit des oder der Arbeitnehmerin im Betrieb oder an einem Arbeitsort außerhalb des Betriebs keine Vermutung dafür, die Arbeitsstunden seien zur Erbringung der geschuldeten Arbeit notwendig gewesen (vergleiche BAG 10. April 2013 – 5 AZR 122/12 – Rn. 17 m.w.N.). Diese Grundsätze gelten auch im Rahmen des Mindestlohngesetzes.
Im Übrigen obliegt es dem oder der Arbeitgeberin, die Arbeit im Rahmen seines oder ihres Weisungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO (Gewerbeordnung) so zu organisieren, dass die gesetzlichen Vorgaben für die Arbeitszeit – hier also das Arbeitszeitgesetz – auch eingehalten werden. Die Arbeit ist so zu gestalten, dass der oder die Arbeitgeberin die Übereinstimmung betrieblicher Abläufe mit dieser Vorgabe selbst überprüfen und erforderlichenfalls korrigierend eingreifen kann. Ein Verzicht auf die Erhebung von Arbeitszeitdaten ist keine zu respektierende Ausübung der Organisations- und Leitungsmacht des oder der Arbeitgeber*in (vergleiche BAG 6. Mai 2003 – 1 ABR 13/02 – Rn. 65).
(3) Abweichungen von diesen Grundsätzen zugunsten der Beklagten als Arbeitgeberin wegen der Besonderheiten der Tätigkeit der Klägerin in einem Haushalt kommen nicht in Betracht. Das widerspräche dem Übereinkommen Nr. 189 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 16. Juni 2011 über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte (BGBl. (Bundesgesetzblatt) II 2013, S. 923 ff., künftig ILO-Übereinkommen Nr. 189), das für die Bundesrepublik Deutschland am 20. September 2014 in Kraft getreten ist (Bekanntmachung vom 5. November 2013, BGBl. II S. 1570). Das ILO-Übereinkommen 189 ist wie alle Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation bei der Auslegung nationalen Rechts zu berücksichtigen (vergleiche BVerfG (Bundesverfassungsgericht) 11. Juli 2017 – 1 BvR 1571/15 u.a. (und andere) – Rn. 206, 209).
Das ILO-Übereinkommen 189 ist anwendbar. Es gilt nach seinem Artikel 2 Nr. 1 für alle Hausangestellten. Das sind nach Artikel 1 Buchstabe b des Übereinkommens alle Personen, die im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses hauswirtschaftliche Tätigkeiten verrichten. Diese Voraussetzungen treffen auf die Klägerin zu. Es ist nicht erforderlich, dass das Arbeitsverhältnis zu jemandem in dem Haushalt besteht, in dem die Person tätig ist.
Nach Artikel 10 Nr. 1 des ILO-Übereinkommens 189 dürfen die besonderen Merkmale der hauswirtschaftlichen Arbeit zwar in Bezug auf die normale Arbeitszeit, die Überstundenvergütung, die täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten und den bezahlten Jahresurlaub berücksichtigt werden. Demgegenüber verbietet es Artikel 10 Nr. 3 des ILO-Übereinkommens Nr. 189, Zeiten, in denen Hausangestellte nicht frei über ihre Zeit verfügen können und sich zur Verfügung des Haushalts halten, um möglichen Aufforderungen Folge zu leisten, insoweit nicht als Arbeitszeit anzusehen, wie dies durch innerstaatliche Rechtsvorschriften festgelegt ist. Will man der Vorschrift nicht lediglich eine Verpflichtung der Mitgliedsstaaten entnehmen, sich an die eigenen Regeln über Hausangestellte zu halten, ist diese Zeit, im Rahmen allgemein geltender Vorschriften, als Arbeitszeit zu behandeln. Die Möglichkeit, die besonderen Merkmale der hauswirtschaftlichen Arbeit im Rahmen von Artikel 10 Nr. 1 des ILO-Übereinkommens Nr. 189 bei der Überstundenvergütung zu berücksichtigen, beschränkt sich deshalb auf die Regeln über Überstundenzuschläge.
Unabhängig davon verlangt Artikel 11 des ILO-Übereinkommens Nr. 189 die Einbeziehung von Hausangestellten in einen bestehenden Mindestlohnschutz. Das lässt insoweit eine abweichende Behandlung zum Nachteil der Hausangestellten nicht zu. Das gilt auch für das Mindestlohngesetz.
bb) Die Beklagte muss sich so behandeln lassen, als habe sie der Klägerin 21 Stunden pro Kalendertag als Arbeit zumindest in Form von Bereitschaftszeit zugewiesen.
(1) Die Beklagte als Arbeitgeberin hat die Klägerin als Arbeitnehmerin einer Situation ausgesetzt, in der diese ständig für die Betreuung von Frau Z. in deren Wohnung zur Verfügung stehen musste, sich also bereithalten musste, in deren Haushalt und für sie arbeitend tätig zu werden. Damit war die Klägerin praktisch genötigt, immer Bereitschaftsdienst zu leisten.
Die Klägerin war für die Beklagte aufgrund des Arbeitsvertrages vom 8. April 2015 tätig, in dem ihre Tätigkeit als Sozialassistentin beschrieben und damit inhaltlich nicht eingeschränkt war. Auf der Basis dieses Vertrages wurde sie von der Beklagten bei Frau Z., einer über 90-jährigen alten Dame, eingesetzt.
Welches Aufgabenspektrum ihr dort oblag, ergibt sich aus dem zwischen der Beklagten und Frau Z. geschlossenen Dienstleistungsvertrag vom 16./29. April 2015. Nach § 2 dieses Vertrages war ein umfassendes Leistungsspektrum vereinbart, das praktisch eine Rundumbetreuung vorsah. Neben Haushaltstätigkeiten wie Aufräumen, Waschen, Nahrungszubereitung etc. und Einkäufen, der Terminvereinbarung mit Ärzten und der Begleitung zu Arztterminen sowie der Grundversorgung wie Hilfe bei der Hygiene und beim Ankleiden etc. sollte die Klägerin Frau Z. bei der Ausübung „der“ und damit aller alltäglichen Aktivitäten sowie beim Verlassen der Wohnräume für Sparziergänge und Termine etc. helfen. Auch sollte sie soziale Aufgaben erfüllen, wozu ausdrücklich „Gesellschaft leisten, Ansprache, Kommunikation, gemeinsame Interessenverfolgung etc.“ gehörte, was nur so verstanden werden kann, dass die Klägerin Frau Z. ständig zur Verfügung stehen sollte. Ergänzend zu diesem ohnehin schon umfassenden Leistungskatalog waren generalklauselartig „weitere Tätigkeiten“ genannt, die „für die Sicherung der ordentlichen Betreuung des Auftraggebers notwendig sind“, was den Tätigkeitsbereich praktisch unbegrenzt erweiterte.
Zudem wurde in § 2 Satz 1 des Dienstleistungsvertrages auf den von Frau Z. ausgefüllten Erhebungs-/Fragebogen verwiesen. In diesem Dokument ist als „Angedachter Einsatz“ ausdrücklich eine „24 Stunden Betreuung/Pflege“ genannt. Dass sich dies auf einen vagen späteren Zeitraum bezog, ist dem Dokument nicht zu entnehmen. Das wird schon daraus deutlich, dass die Notwendigkeit von Nachtwachen darin bejaht ist. Dementsprechend war in § 3 des Vertrages zwischen der Beklagten und Frau Z. auch geregelt, dass die Klägerin bei Frau Z. ein Zimmer erhalten sollte. Zudem war dort auch bestimmt, dass Frau Z. die Klägerin verpflegen sollte. Dies läuft auf einen ständigen Aufenthalt bei Frau Z. hinaus, was die Erfüllung des umfassenden Aufgabenspektrums erst ermöglichte. Auch ein jederzeitiger Einsatz in der Nacht war danach schon im Dienstleistungsvertrag zwischen der Beklagten und Frau Z. angelegt, unabhängig davon, ob die Klägerin die Tür zu ihrem Zimmer nachts schloss oder nicht.
Einschränkungen enthielt das Leistungsspektrum nach § 2 des Dienstleistungsvertrages vom 16./29. April 2015 lediglich hinsichtlich bestimmter Tätigkeiten wie Gartenpflege sowie medizinischer Dienstleistungen und Pflegetätigkeiten. Der zeitliche Bedarf an der Arbeitsleistung und Arbeitsbereitschaft der Klägerin wurde dadurch vor dem Hintergrund des sonstigen Leistungsspektrums aber nicht eingegrenzt.
Entsprechend dieser auf Dauerbetreuung angelegten Erwartung war in § 3 Absatz 4 des Dienstleistungsvertrages zwar eine „Freizeit-/Pausenregelung“ nach Absprache mit Frau Z. vorgesehen, jedoch nur „entsprechend den Vereinbarungen im Fragebogen“, also der angedachten 24-Stunden-Betreuung/Pflege und der notwendigen Nachtwachen, und unter „Berücksichtigung der Betreuungssituation“. Demnach sollte die Betreuung von Frau Z. der Freizeit und Pause der Klägerin vorgehen. Dies drückt sich auch im Schreiben des Beklagten vom 6. Juli 2016 an den Sohn von Frau Z. aus, wenn es dort heißt, der freie Tag könne je nach Kundenbedarf und gegenseitiger Absprache als ganzer Tag oder auch stundenweise verteilt über die Woche gewährt werden.
Da die Klägerin faktisch schon bei bloßer Anwesenheit im Haushalt von Frau Z. Bereitschaftsdienst leistete, reicht aufgrund dieser besonderen Arbeitssituation – anders als sonst – auch schon ihre Anwesenheit aus, um als Bereitschaftsdienst und damit Arbeitszeit gewertet werden zu können.
(2) Dieser Leistungsumfang und die dadurch bestimmte Erwartungshaltung von Frau Z. waren der Beklagten auch bekannt, da sie deren Vertragspartnerin war. Die Beklagte wusste also, welcher Arbeitssituation sie die Klägerin aussetzte. Trotzdem traf sie keine Vorkehrungen und ergriff auch keine organisatorischen Maßnahmen, um die Arbeit der Klägerin so auszugestalten, dass sie zeitlich begrenzt war. Im Gegenteil verpflichtete sich die Beklagte in § 1 Absatz 2 des Vertrages mit Frau Z., die „entsendeten Arbeitnehmer“, also auch die Klägerin, über die Anforderungen zu informieren. Die aus der Arbeitssituation folgende Arbeitszeit jedenfalls in Form von Bereitschaftszeit ist der Beklagten daher zuzurechnen. Dabei ist davon auszugehen, dass die Klägerin die so angelegte Tätigkeit auch erbracht hat. Die insoweit darlegungspflichtige Beklagte (dazu BAG 26. Juni 2019 – 5 AZR 452/18 – Rn. 17) hat nicht vorgetragen, wann die Klägerin dieses von ihr, der Beklagten, veranlasste Aufgabenspektrum nicht ausgefüllt hat.
Die Zurechnung endet jedoch dort, wo es der Klägerin zumutbar war, sich diesen Vorgaben zu entziehen. Das war angesichts der von der Beklagten geschaffenen Situation nur in begrenztem Maße möglich. Jedoch war es nicht völlig ausgeschlossen. Dabei geht es um die Möglichkeit der Klägerin, sich sowohl innerhalb der Wohnung beispielsweise für ein ausgiebiges Bad oder Telefongespräche der jederzeitigen Arbeitsaufnahme zu entziehen oder auch die Wohnung für eine beschränkte Zeit zu verlassen, etwa um sich mit Bekannten oder Freunden zu treffen oder einen Spaziergang zu machen. Die Kammer schätzt (§ 287 ZPO) die erstgenannte Möglichkeit auf eine Stunde täglich und die zweite auf zwei Stunden täglich. Es verbleibt damit bei einer der Beklagten zurechenbaren Erbringung einer Arbeitsleistung jedenfalls in Form von Bereitschaftszeit im Umfang von 21 Stunden kalendertäglich.
(3) Auf die zeitliche Begrenzung in der Zusatzvereinbarung zwischen den Parteien vom 15. April 2015, wonach die Klägerin nur sechs Stunden von Montags bis Freitag arbeiten sollte und keine Überstunden machen durfte, sowie die Regelung in § 7 des Dienstleistungsvertrages zwischen der Beklagten und Frau Z., die möglicherweise als Vereinbarung einer Betreuung durch die Klägerin im Umfang von nur 30 Stunden pro Woche ausgelegt werden kann, sowie den Hinweis auf der Webseite der von der Beklagten bei Anbahnung des Vertrages mit Frau Z. eingeschalteten Vermittlerin, der Deutschen Seniorenbetreuung, auf das Arbeitszeitgesetz kann die Beklagte sich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nach § 242 BGB dagegen nicht berufen. Das wäre unzulässig, weil widersprüchlich.
(a) § 242 verbietet ein rechtsmissbräuchliches widersprüchliches Verhalten. Jedoch ist nicht jedes widersprüchliche Verhalten rechtsmissbräuchlich. Die Rechtsordnung lässt widersprüchliches Verhalten grundsätzlich zu. Widersprüchliches Verhalten ist erst dann rechtsmissbräuchlich, wenn die andere Seite auf ein Verhalten vertrauen durfte und ihre Interessen vorrangig schutzwürdig erscheinen. Der oder die Urheber*in des widersprüchlichen Verhaltens muss erkennen können, dass die Gegenpartei sein oder ihr Verhalten als vertrauensbegründend werten durfte. Auf ein schuldhaftes Verhalten kommt es dabei nicht an. Maßgeblich ist, ob für den anderen Teil ein schützenswerter Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (vergleiche BAG 11. November 2014 – 3 AZR 404/13 – Rn. 31 m.w.N.; ähnlich auch BAG 16. Februar 2012 – 6 AZR 553/10 – Rn. 53).
(b) Hier lassen besondere Umstände die Rechtsausübung – Berufung auf zeitliche Begrenzung der Tätigkeit der Klägerin – als treuwidrig erscheinen. Die Interessen der Klägerin sind vorrangig schutzbedürftig.
Die Beklagte hat veranlasst, dass die Klägerin einer Arbeitssituation ausgesetzt wurde, in der sie sich der praktisch ständigen Arbeitsleistung zumindest in Form von Bereitschaftsdienst kaum entziehen konnte. Die Klägerin war, um ihre Arbeitszeit entsprechend den arbeitsvertraglichen Vorgaben zu begrenzen, auf entsprechende Organisation ihrer Tätigkeit durch die Beklagte als Arbeitgeberin angewiesen. Die Beklagte hat jedoch keinerlei Vorkehrungen getroffen oder organisatorische Maßnahmen ergriffen, um die Arbeitszeit der Klägerin tatsächlich zu begrenzen, obwohl zumindest die Durchsetzung der arbeitsschutzrechtlichen Vorgaben zur Arbeitszeit Aufgabe des oder der Arbeitgeber*in ist und die Beklagte deshalb rechtlich gehalten war, die Arbeit der Klägerin so zu gestalten, dass sie die Übereinstimmung der betrieblichen Abläufe mit diesen Vorgaben selbst überprüfen und erforderlichenfalls korrigierend eingreifen kann. Die Beklagte war also ohnehin verpflichtet, sich darum zu kümmern, wie viel die Klägerin arbeitet. Es hätte deshalb ihr oblegen, sicherzustellen, dass das umfassende Leistungsspektrum – soweit man davon ausgeht, dass dies überhaupt möglich ist – nicht zu überobligationsmäßigen Arbeitszeiten der Klägerin führt. Sie hat weder mit Frau Z. einen konkreten Leistungskatalog mit realistischen Zeitvorgaben und klaren Regelungen, wann die Klägerin zur Verfügung steht und wann nicht, vereinbart, noch ist erkennbar, dass sie der Klägerin irgendwelche konkreten Vorgaben an die Hand gegeben hat, wann sie Frau Z. zur Verfügung stehen soll und wann sie etwaige Betreuungswünsche ohne Weiteres zurückweisen darf und soll. Stattdessen hat sie es über § 3 Absatz 4 ihres Vertrages mit Frau Z. der Klägerin überlassen, durch „gegenseitige Absprache … vor Ort“ die Aufgabe zu übernehmen, ihre arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit einschließlich Bereitschaftsdienst mit dem vereinbarten Leistungsumfang in Übereinstimmung zu bringen. Das konnte die Klägerin praktisch nicht leisten. Indem die Klägerin dies nicht getan hat, hat sie der Beklagten auch keine Arbeitsstunden aufgedrängt.
Nichts anderes gilt hinsichtlich des in der Zusatzvereinbarung vom 15. April 2015 vereinbarten freien Wochenendes. Diese Vorgabe hat die Beklagte, wie ihr Schreiben vom 6. Juli 2016 an den Sohn von Frau Z. zeigt, selbst nicht ernst genommen.
(c) Dieses Ergebnis ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten.
Das Grundrecht auf freie Wahl des Berufes und Arbeitsplatzes aus Artikel 12 Absatz 1 GG (Grundgesetz) schützt auch das Recht, diese Wahl unter angemessenen Bedingungen verwirklichen zu können. Das rechtfertigt sich daraus, dass der Individualarbeitsvertrag vielfach ein unzureichendes Instrument zur Begründung eines sozial angemessenen Arbeitsverhältnisses darstellt (vergleiche BVerfG 6. Oktober 1987 – 1 BvR 1086/82 u.a. – Rn. 102). Der Staat ist dabei verpflichtet, das Individualarbeitsrecht so zu gestalten, dass die Grundrechte der Parteien in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden. Soweit die Privatautonomie ihre regulierende Kraft nicht zu entfalten vermag, weil ein Vertragspartner kraft seines Übergewichts Vertragsbestimmungen einseitig setzen kann, müssen staatliche Regelungen auch ausgleichend eingreifen, um den Grundrechtsschutz zu sichern (vergleiche BVerfG 6. Juni 2018 – 1 BvL 7/41 u.a. – Rn. 42 m.w.N.).
Diese verfassungsrechtlichen Vorgaben kommen auch der Klägerin als bulgarische Staatsangehörige zugute, obwohl Artikel 12 Absatz 1 GG nur für Deutsche gilt. Denn Artikel 18 Absatz 1 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) verbietet innerhalb der Europäischen Union jede Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit, womit die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedsstaates der Europäischen Union gemeint ist. Daher gelten die Deutschen vorbehaltenen Grundrechte auch für andere Unionsbürger*innen, soweit sie im Anwendungsbereich des Unionsrechts tätig werden (BVerfG 19. Juli 2011 – 1 BvR 1916/09 – Rn. 75 ff.). Dies ist vorliegend der Fall. Die Klägerin übt ihre Tätigkeit im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit der Beklagten nach Artikel 56 ff. AEUV in einem Arbeitsverhältnis in Deutschland aus und unterliegt zudem der Entsende-Richtlinie und deren Schutz.
Mit der genannten staatlichen Schutzpflicht wäre es nicht vereinbar, das Zivilrecht und seine Generalklauseln so auszulegen, dass der Arbeitgeber durch eine bloße vertragliche Vereinbarung sich der Pflicht entziehen könnte, Arbeitsleistungen, für die er selbst die Notwendigkeit schafft, nicht zu vergüten.
(d) Gleiches folgt aus Artikel 31 Absatz 1 der GR-Charta (Charta der Grundrechte der Europäischen Union), wenn man – wofür einiges spricht – davon ausgeht, dass bei der vorliegenden Fallgestaltung wegen der Anwendbarkeit der Entsende-Richtlinie ein unionsrechtlicher Bezug im Sinne von Artikel 51 Absatz 1 der GR-Charta gegeben ist. Artikel 31 Absatz 1 der GR-Charta garantiert Arbeitnehmerinnen ein Recht auf gesunde, sichere und würdige Arbeitsbedingungen (vergleiche zu dieser Bestimmung BAG 30. September 2014 – 1 ABR 79/12 – Rn. 29; BAG 10. Juli 2013 – 7 ABR 91/11 – Rn. 47). Das Abdrängen von Arbeitnehmerinnen in unbezahlte Arbeit ist keine würdige Arbeitsbedingung. Im Rahmen der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts ist dies deshalb möglichst zu verhindern.
(e) Ob das Verbot rechtsmissbräuchlich widersprüchlichen Verhaltens nach § 242 BGB verletzt ist, bestimmt sich nach deutschem Recht, unabhängig davon, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien bulgarischem Recht unterliegt. Es kommt deshalb auch nicht darauf an, ob es im bulgarischen Recht eine vergleichbare Rechtsnorm gibt. Ebenso wenig ist von Bedeutung, ob dies bereits aus der Geltung deutschen Rechts für die Überprüfung der Voraussetzungen für die Anwendung des Mindestlohngesetzes folgt. Denn nach Artikel 21 der Rom I-Verordnung kann das angerufene Gericht entgegenstehendes ausländisches Recht unangewendet lassen, soweit seine Anwendung mit der öffentlichen Ordnung („ordre public“) des eigenen Staates offensichtlich nicht übereinstimmt. Die Außerachtlassung der Grundsätze des Rechtsmissbrauchs nach § 242 BGB wäre mit der öffentlichen Ordnung Deutschlands offensichtlich nicht vereinbar. Maßgeblich ist, ob das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts im konkreten Fall zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch steht, dass es nach deutscher Vorstellung untragbar erscheint (BGH (Bundesgerichtshof) 22. Juni 2017 – IX ZB 61/16 – Rn. 14 m.w.N.). Das ist bei Außerachtlassung der Grundsätze des Rechtsmissbrauchs offensichtlich der Fall. Denn diese Grundsätze dienen gerade dazu, untragbare Ergebnisse im eigenen Recht zu vermeiden.
cc) Der Höhe nach beläuft sich der Anspruch der Klägerin bei 215 Kalendertagen in der Zeit von 1. Mai 2015 bis zum 31. August 2015 und vom 1. Oktober 2015 bis zum 31. Dezember 2015 und 21 Stunden pro Kalendertag unter Zugrundelegung des für das Jahr 2015 nach § 1 Absatz 2 Satz 1 MiLoG festgesetzten Mindestlohnes von 8,50 Euro pro Stunde auf 38.377,50 Euro brutto (4.515 Stunden x 8,50 Euro). Auf diese Gesamtforderung lässt sich die Klägerin die gezahlten 6.680,00 Euro netto anrechnen.
Abzüge für Kost und Logis, die der Klägerin zu gewähren sich Frau Z. gegenüber der Beklagten verpflichtet hatte, sind nicht vorzunehmen. Nach § 1 Absatz 1 und § 2 Absatz 1 Satz 1 MiLoG ist der Mindestlohn zu zahlen. Sachbezüge stellen keine Zahlung im Sinne dieser Vorschriften dar (Thüsing/Bayreuther, MiLoG und AEntG 2. Auflage § 1 MiLoG Rn. 127 m.w.N.).
dd) Der Zinsanspruch folgt aus § 291, § 288 Absatz 1 Satz 2, § 247 BGB in Verbindung mit § 253 Absatz 1, § 261 Absatz 1 ZPO.
(1) Auch insoweit ist deutsches Recht anzuwenden. Das ergibt aus dem in Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe c der Rom I-Verordnung niedergelegten allgemeinen Grundsatz, dass das maßgebliche Recht auch die Folgen einer ganz oder teilweisen Nichterfüllung einer Forderung bestimmt. […]