STREIT 1/2015
S. 22-26
Nicht geschenkt, sondern verdient. Mindestlohn und Arbeitszeit. Anmerkung zu den Urteilen des BAG vom 19.11.2014, 5 AZR 1101/12 und LAG Düsseldorf vom 19.08.2014, 8 Sa 764/13
Seit dem 01.01.2015 gilt das Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohnes vom 11.08.2014 (BGBl. I, 1348) – MiLoG – und damit ein bundesweiter gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 € pro Arbeitsstunde. Von Ausnahmen abgesehen (etwa Jugendliche unter 18 Jahren, Auszubildende, Personen, die ein Pflichtpraktikum absolvieren, Langzeitarbeitslose) gilt der Mindestlohn branchenübergreifend für jedes Arbeitsverhältnis, auch für geringfügig Beschäftigte. Branchenbezogen gelten abweichende Regelungen, beispielsweise muss im Friseurhandwerk und in der Gebäudereinigung im Gebiet der „neuen“ Bundesländer oder für Zeitungszusteller_innen der Mindestlohn erst ab 01.01.2017 gezahlt werden.
Andere Branchen sehen einen höheren Mindestlohn als nach dem MiLoG vor. So muss nach der Zweiten Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für die Pflegebranche vom 27.11.2014 (BAnz AT 28.11.2014 V1) – zweite PflegeArbbV – für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Pflegebetrieben, die betreuend oder pflegerisch tätig sind, ab 01.01.2015 ein Mindestentgelt von 9,40 € pro Stunde (West und Berlin) bzw. 8,65 € pro Stunde (Ost) bezahlt werden.
1. Arbeitszeit und Mindestlohn – zu BAG, Urteil vom 19.11.2014, 5 AZR 1101/12
Mit Mindestlohnansprüchen nach der (ersten) PflegeArbbV hatte sich das BAG zu befassen und die Vorinstanz1
 bestätigt: Das Mindestentgelt nach § 2 PflegeArbVV ist nicht nur für Vollarbeit, sondern auch für Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst zu zahlen, mithin für alle Stunden, während derer geschuldete Arbeit erbracht wird bzw. für die – womit das Gericht sich im Streitfall nicht auseinandersetzen musste – Entgeltfortzahlung bei Befreiung von der Arbeitspflicht zu leisten ist. Ausdrücklich stellt das BAG klar, dass es für die Frage, was vergütungspflichtige Arbeitszeit ist, nicht auf die Intensität der Arbeit ankommt. Vollarbeit, Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst2
 sind (mindest)vergütungspflichtig. Ist der Anwendungsbereich der PflegeArbbV eröffnet, weil die Arbeitnehmerin in einem Pflegebetrieb überwiegend pflegerische Tätigkeiten in der Grundpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 bis 3 SGB XI) zu erbringen hat, muss das Mindestentgelt für alle Formen von Arbeit gezahlt werden. Das gilt auch für sogenannte Zusammenhangstätigkeiten3
 wie z.B. im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung, die – wenn sie den Schwerpunkt der Tätigkeit darstellte – vom Geltungsbereich der PflegeArbbV und damit vom Mindestlohn nach dieser Verordnung ausgenommen wäre (vgl. zu den Ausnahmen § 1 Abs. 3 PflegeArbbV: diese Verordnung gilt nicht für Tätigkeiten in den Bereichen Verwaltung, Haustechnik, Küche, hauswirtschaftliche Versorgung, Gebäudereinigung, Empfangs- und Sicherheitsdienst, Garten- und Geländepflege, Wäscherei sowie Logistik).
Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst stellen vergütungspflichtige Arbeit dar. Für diese „Sonderformen der Arbeit“, wie das BAG sie im Urteil vom 19.11.2014 nennt, kann eine gesonderte Vergütungsregelung getroffen und ein geringeres Entgelt als für Vollarbeit vorgesehen werden.4
 Die (erste) PflegeArbbV vom 15.07.2010 (BAnz Ausgabe Nr. 110 vom 27.07.2010, S. 2571), die dem Streitfall zugrunde zu legen war, sah diese Möglichkeit nicht vor. § 2 der (ersten) PflegeArbbV bezifferte lediglich die Höhe des Mindestentgelts.
Der Verordnungsgeber reagierte umgehend auf die Entscheidung des BAG vom 19.11.2014 und änderte die PflegeArbbV. Zunächst wird nun ausdrücklich klargestellt (§ 2 Abs. 2 der zweiten PflegeArbbV), dass das Mindestentgelt auch für Wegezeiten zwischen mehreren aufzusuchenden Patientinnen und Patienten sowie gegebenenfalls zwischen diesen und den Geschäftsräumen des Pflegebetriebs zu zahlen ist. Das scheint nicht selbstverständlich zu sein. Durch die Klarstellung entfällt der „Umweg“, die erforderlichen Wegezeiten als notwendige, mit der eigentlichen Tätigkeit zwingendermaßen im Zusammenhang stehende Tätigkeit5
 begründen zu müssen.
In Umsetzung der Entscheidung des BAG vom 19.11.2014 formulierte der Verordnungsgeber nun in die zweite PflegeArbbV in § 2 Abs. 3 S. 1: „Das nach Absatz 1 maßgebliche Mindestentgelt ist für Zeiten des Bereitschaftsdienstes gemäß nachstehender Grundsätze zu zahlen.“ Es folgt eine Definition des Bereitschaftsdienstes: sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle aufhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung mindestens 75% beträgt.
Davon zu unterscheiden sind Zeiten der Rufbereitschaft. Diese werden ausdrücklich von der zweiten PflegeArbbV ausgenommen (§ 2 Abs. 4 S. 1) und wie folgt definiert: sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufhalten, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen, wobei das Vorliegen von Rufbereitschaft nicht dadurch ausgeschlossen sein soll, dass die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber mit einem Mobiltelefon oder einem vergleichbaren technischen Hilfsmittel ausgestattet ist.
Der Unterschied besteht also darin, dass während Bereitschaftsdienstzeiten der Arbeitgeber den Aufenthaltsort bestimmt, bei Rufbereitschaft muss der Aufenthaltsort nur mitgeteilt werden und Erreichbarkeit sichergestellt sein. Bei Bereitschaftszeiten ist ein Arbeitsanfall von wenigstens 25% zu erwarten, bei Rufbereitschaft hingegen nicht. Bei Bereitschaftsdienst muss die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer im Bedarfsfalle von sich aus tätig werden, bei Rufbereitschaft („auf Abruf“) hingegen nur bei konkreter Aufforderung. Rufbereitschaft, die von der PflegeArbbV und damit vom Mindestentgelt ausgenommen wird, ist auch außerhalb der PflegeArbbV regelmäßig keine vergütungspflichtige Arbeitszeit. Bereitschaftsdienstzeit ist es. Für sie kann, soweit die Mindestlohnregelung das erlaubt, grundsätzlich eine geringere Vergütung vereinbart werden.
Der Verordnungsgeber hat sich in der zweiten PflegeArbbV nicht dafür entschieden, eine geringere Vergütung für Bereitschaftsdienste im Sinne eines festen Mindestbetrags festzulegen. Das ist vor dem Hintergrund, dass Arbeitszeit im Sinne des ArbZG mindestvergütungspflichtig ist und auch Bereitschaftsdienste Arbeitszeit in diesem Sinne sind, nur konsequent. Die zweite PflegeArbbV erlaubt, dass zum Zwecke der Entgeltberechnung die Zeit des Bereitschaftsdienstes einschließlich der geleisteten Arbeit auf der Grundlage einer kollektivrechtlichen oder schriftlichen (!) einzelvertraglichen Regelung mit mindestens 25% als Arbeitszeit bewertet werden kann. Ist der Anteil an Vollarbeit während der Bereitschaftszeit größer als 25%, dann muss der überschießende Arbeitszeitanteil zusätzlich mit dem Mindestlohn vergütet werden. Bei mehr als 8 Bereitschaftsdiensten im Monat muss jeder über den achten Bereitschaftsdienst hinausgehende Bereitschaftsdienst mit zusätzlich mindestens 15% als Arbeitszeit bewertet und folglich vergütet werden.
Sofern weder eine kollektivrechtliche Regelung noch eine schriftliche einzelvertragliche Regelung existiert, die diesen Mindestanforderungen gerecht wird, sind auch weiterhin Bereitschaftszeiten vollumfänglich mit dem Mindestentgelt zu vergüten. Das MiLoG sieht keine entsprechende Regelung vor, die eine geringere Vergütung für Bereitschaftsdienste erlaubte. Jede Arbeitsstunde im Sinne des ArbZG ist mit dem Mindestlohn zu vergüten, egal ob Vollarbeit oder Bereitschaftsdienst. Rufbereitschaft fällt wie gezeigt nicht darunter.
Auch eine einzelvertragliche Regelung ist nicht geeignet, das Entstehen von Mindestlohnansprüchen nach dem MiLoG für Bereitschaftsdienste zu verhindern, und zwar unabhängig davon, ob sie – was in der Praxis kaum vorkommen dürfte – individuell ausgehandelt oder als vorformulierte Bedingung der AGB-rechtlichen Kontrolle unterliegt. § 3 MiLoG erlaubt einen Verzicht auf Ansprüche nach dem MiLoG nur in einem gerichtlichen Vergleich.
2. Arbeitszeit und (Mindest)lohn, unwirksamer Verzicht und unwirksame Inbezugnahme von Tarifverträgen 
(Ausschlussfristen); zu LAG Düsseldorf, Urteil vom 19.08.2014, 8 Sa 764/13
Mit – unwirksamen – formularmäßigen Arbeitsvertragsbedingungen hatte sich das LAG Düsseldorf im Urteil vom 19.08.2014, 8 Sa 764/13, zu befassen. Auch hier ging es zunächst um die Frage, was vergütungspflichtige Arbeitszeit ist:
2.1. Arbeitszeit und sittenwidrige Vergütung
Eine Busbegleiterin6
 für Beförderung von Schulkindern erhielt aufgrund mündlicher Abrede eine Tourenpauschale von 7,50 €, also bei 2 Touren am Tag arbeitstäglich 15,- €. Sie wurde dafür zwei mal täglich (jeweils für die Tour vor Schulbeginn und für die Tour nach Schulende) mit dem Bus von zu Hause abgeholt und auch wieder dorthin zurückgefahren. Das LAG zählte die Leerfahrten des Busses, also von zu Hause bis zum ersten Abholpunkt und nach Verabschieden des letzten Schulkindes aus dem Bus bis zum Haus der Klägerin ebenso wie die Puffer- bzw. Wartezeiten an der Schule zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit. 
Streitig war zwischen den Arbeitsvertragsparteien insbesondere, ob die Leerfahrten tatsächlich zur geschuldeten Arbeitsleistung zählten oder ob es sich um eine unentgeltliche Gefälligkeit des Arbeitgebers handelte. Das Gericht berücksichtigte das Fehlen eines schriftlichen Arbeitsvertrages prozessual als Beweisvereitelung. § 2 Abs. 1 Nr. 5, 7 NachwG verpflichte den Arbeitgeber, über den Inhalt der zu leistenden Tätigkeit und die Dauer der vereinbarten Arbeitszeit einen schriftlichen Nachweis zu erteilen. Das NachwG bezwecke eine erleichterte Beweisführung. Werde diese durch den fehlenden Nachweis der Arbeitsbedingungen zumindest fahrlässig erschwert, sei das prozessual als Beweisvereitelung zu werten und führe selbst bei Unaufklärbarkeit der Frage, ob die Leerfahrten zwingender Bestandteil der Arbeitsleistung sind, zu einer faktischen Umkehr der Beweislast.7
Im Ergebnis errechnete sich für die Klägerin unter Berücksichtigung der Leerfahrten und Pufferzeiten als Arbeitszeit ein Stundenlohn von 3,40 €, der als sittenwidrig einzustufen war, weil im Wirtschaftsgebiet der Arbeitsvertragsparteien mehr als die Hälfte der Arbeitgeber tarifgebunden ist und tarifliche Stundenlöhne gemäß dem Lohntarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer des privaten Omnibusgewerbes des Landes Nordrhein-Westfalen als Vergleichsmaßstab für die übliche Vergütung heranzuziehen waren. Deshalb stand der Klägerin im zu entscheidenden Fall die Differenzvergütung bis zur Höhe des tariflichen Lohnes von 9,76 € pro Stunde zu.
Der Arbeitgeber versuchte vergeblich, die Differenzvergütung mit dem Argument zu verringern, es sei eine Nettolohnabrede vereinbart, auf die eine Pauschale von 25% für etwaige Sozialabgaben aufzuschlagen sei. Das LAG folgte dem nicht, ließ aber die Revision zu. 
War schon nicht erkennbar, wie ein etwaiger Aufschlag konkret zu bemessen sei, sprach auch im Übrigen nichts dafür, dass der Arbeitgeber etwa anfallende Sozialabgaben in voller Höhe hätte übernehmen wollen oder sollen, vielmehr gingen die Arbeitsvertragsparteien davon aus, dass die Vergütung wegen der gesetzlichen Vorgaben und der persönlichen Verhältnisse der Klägerin steuer- und sozialversicherungsfrei bliebe. Das LAG stellte zudem darauf ab, dass die Abgabenfreiheit mit Nachteilen für die Klägerin im Hinblick auf ihre sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche verknüpft ist.
2.2. unwirksamer Verzicht
Der Arbeitgeber, der entsprechende Nachzahlungen zu Recht befürchtete, legte in dem vom LAG Düsseldorf entschiedenen Fall der Arbeitnehmerin ein Schriftstück vor, wonach Einigkeit über die ordnungsgemäße Abrechnung des Arbeitsverhältnisses bestehe und sämtliche beiderseitigen Forderungen abgegolten seien. Die Arbeitnehmerin unterzeichnete diese Erklärung, erklärte später die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und forderte mit der Klage auch Differenzvergütung für die vor Unterzeichnung dieses Schriftstücks entstandenen Zahlungsansprüche.
In erster Instanz blieb sie damit insoweit erfolglos. Das Arbeitsgericht hatte keine Bedenken gegen die Verzichtsvereinbarung, wollte diese lediglich so verstanden wissen, dass der Verzicht keine künftigen Ansprüche erfasst. Das LAG hingegen unterzog die Vereinbarung einer Überprüfung nach §§ 305 ff. BGB und erklärte sie gemäß § 307 Abs. 1 BGB für unwirksam. Die Verzichtsvereinbarung, obwohl formal für beide Seiten geltend, gehe faktisch ausschließlich zu Lasten der klagenden Arbeitnehmerin, weil diese ohne jegliche Kompensation auf ergänzende, nicht unerhebliche Lohnansprüche für die Vergangenheit verzichte. Das benachteilige sie unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 S. 1 BGB. Auf die erklärte Anfechtung kam es aus diesem Grund nicht an.
Im Streitfall hatte der Arbeitgeber mit wohl allen betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern entsprechende Verzichtsvereinbarungen getroffen, unstreitig jedenfalls mit einer Vielzahl der bei ihm angestellten Kleinbusfahrer_innen und Busbegleitungen, so dass hier der AGB-Charakter der vorformulierten Vereinbarung außer Frage stand.
Häufig werden jedoch Verzichtsklauseln in scheinbar individuelle, konkrete Vereinbarungen aufgenommen, etwa in Aufhebungsverträge. Auch das hindert die Annahme als Allgemeine Geschäftsbedingung und damit die Prüfung einer unangemessenen Benachteiligung nicht zwingend. Gibt der Arbeitgeber solche Verzichtsklauseln etwa in einem von ihm vorformulierten Aufhebungsvertrag vor, unterliegen sie regelmäßig der AGB-Kontrolle. Unlängst hat das BAG entschieden,8
 dass ein Klageverzicht in einem vom Arbeitgeber vorformulierten Aufhebungsvertrag als Nebenabrede einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB unterliegt. Bei jedem Vertragstext, der vom Arbeitgeber vorgelegt wird, sollte deshalb stets geprüft werden, ob die getroffenen Vereinbarungen nicht unwirksam oder unangemessen benachteiligend i.S.d. §§ 305 ff. BGB sind.
2.3. Ausschlussfristen, unwirksame Bezugnahme auf Tarifvertrag
Nicht selten scheitert die erfolgreiche Durchsetzung berechtigter Forderungen an Ausschlussfristen. Die meisten (idR Mantel-)Tarifverträge enthalten Ausschlussfristen, innerhalb derer Ansprüche (zumeist schriftlich) geltend gemacht werden müssen, ansonsten verfallen sie. Nicht unüblich sind sog. zweistufige Ausschlussfristen, wonach in der ersten Stufe der Anspruch zunächst innerhalb der Frist geltend gemacht werden und innerhalb einer sich daran anschließenden zweiten Frist sodann eingeklagt werden muss, um nicht unterzugehen. Allerdings wahrt die Erhebung einer Bestandsschutz- oder Entfristungsklage die davon abhängigen Entgeltansprüche ebenfalls.9
 Ausschlussfristen begründen – anders als Verjährung, die nur auf Einrede beachtlich ist und lediglich die Durchsetzung des Anspruchs hindert, diesen aber nicht untergehen lässt – eine rechtsvernichtende Einwendung und sind auch im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren, also im Parteienprozess, von Amts wegen zu beachten.
Ausschlussfristen können auch in Formulararbeitsverträgen vereinbart werden, allerdings darf die Geltendmachungsfrist jeweils drei Monate nicht unterschreiten, ansonsten die Vereinbarung nach § 307 BGB unwirksam ist.10
 Unangemessen benachteiligend und damit unwirksam sind – unabhängig von der Länge der Frist – regelmäßig auch einseitige Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen, die also nur Ansprüche der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer begrenzen sollen.11
Enthält der Arbeitsvertrag selbst keine Ausschlussfrist, nimmt aber Bezug auf eine tarifliche Regelung, so stellt sich die Frage, ob diese Inbezugnahme wirksam ist mit der Folge, dass die tarifliche Ausschlussfrist gilt und die nicht rechtzeitig geltend gemachten Ansprüche verfallen sind.
In dem Fall, den das LAG Düsseldorf zu entscheiden hatte, hingen von der Beantwortung dieser Frage Vergütungsansprüche in Höhe von knapp 4.000 € ab. Im Streitfall, in dem es zunächst keinen schriftlichen Arbeitsvertrag gab, unterzeichnete die Arbeitnehmerin einen „Hinweis“ des Arbeitgebers, wonach das Arbeitsverhältnis „im übrigen“ den für den Arbeitgeber geltenden Tarifverträgen für die gewerblichen Arbeitnehmer des privaten Omnibusgewerbes des Landes Nordrhein-Westfalen in ihrer jeweils letzten Fassung unterliege. Der Tarifvertrag sieht eine Ausschlussfrist von 3 Monaten nach Fälligkeit vor, welche die Klägerin im Streitfall für den Großteil der Ansprüche nicht gewahrt hat. In der ersten Instanz wurde ihr das zum Verhängnis. Das Arbeitsgericht ist ohne weiteres davon ausgegangen, dass infolge der Inbezugnahme der Tarifverträge „im übrigen“ die für die Klägerin nachteilige Ausschlussfrist gelten sollte und deshalb die nicht rechtzeitig geforderten Zahlungsansprüche untergegangen seien.
Das LAG hingegen sah auch die Vereinbarung zur Anwendbarkeit einschlägiger Tarifverträge „im übrigen“ als eine von Arbeitgeberseite standardmäßig verwendete Abrede an und unterzog diese als Allgemeine Geschäftsbedingung einer Wirksamkeitskontrolle nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, der sie nicht standhielt.
Die isolierte Vereinbarung einer Tarifvertragsgeltung „im übrigen“ sah das LAG als intransparent an, weil sie offenlässt, welche Tarifbestimmungen im Einzelnen gelten sollen. Der Arbeitnehmerin war es insbesondere wegen des Fehlens eines schriftlichen Nachweises/Arbeitsvertrages erschwert, wenn nicht gar unmöglich, einzuschätzen, welche sonstigen Abreden neben der Tarifgeltung maßgeblich sein sollen.
Damit nicht genug. Die Teilinbezugnahmeklausel stellt nach der Entscheidung des LAG Düsseldorf auch einen Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Nr. 1 BGB dar. Die unangemessene Benachteiligung liege darin, dass die Arbeitnehmerin mit der Anwendbarkeit nachteiliger tariflicher Bestimmungen wie der Geltung der Ausschlussfrist belastet sei, ohne dass ihr tarifvertragliche Vorteile wie Sonderzahlungen, verlängerter Urlaub etc. zustünden. Für Tarifverträge gelte, dass Begünstigungen bei einzelnen Regelungen häufig um den Preis von Benachteiligungen durch andere Vorschriften erwirkt werden. Erst die Gesamtheit der Regelungen eines Tarifvertrages begründet grundsätzlich die Vermutung eines angemessenen Ausgleichs divergierender Interessen. Beschränkt sich die Inbezugnahme auf einzelne Vorschriften eines Tarifvertrages, entfalle zugleich die durch § 310 Abs. 4 S. 1 BGB erzeugte Privilegierung.12
Durch die mit der Teilinbezugnahme eines Tarifvertrages („im übrigen“) verbundene unangemessene Benachteiligung soll nach LAG Düsseldorf die tarifvertragliche Ausschlussfrist nicht gelten. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung dieser Frage hat das LAG die Revision zugelassen.13
3. Ausblick
Mit der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns werden künftig arbeitsgerichtliche Entscheidungen zu sittenwidriger Vergütung vermutlich seltener werden: Sittenwidrigkeit der Vergütung erfordert ein auffälliges Missverhältnis zwischen objektivem Wert der Arbeitsleistung und der zugesagten bzw. gewährten Gegenleistung sowie auf subjektiver Seite eine verwerfliche Gesinnung. Ausgangspunkt der Bestimmung des objektiven Werts sind die Tariflöhne des jeweiligen Wirtschaftszweiges, wenn sie in dem betreffenden Wirtschaftsgebiet üblicherweise gezahlt werden, wovon ohne weiteres ausgegangen werden kann, wenn mehr als 50% der Arbeitgeber eines Wirtschaftsgebietes tarifgebunden sind oder wenn die organisierten Arbeitgeber mehr als 50% der Arbeitnehmer eines Wirtschaftsgebietes beschäftigen.14
 Ist das nicht der Fall, entspricht also der Tariflohn nicht der üblichen Vergütung, ist von dem allgemeinen Lohnniveau im Wirtschaftsgebiet auszugehen. Mit Einführung des gesetzlichen Mindestlohnes nach dem MiLoG liegt das allgemeine Lohnniveau (abgesehen von den eingangs erwähnten Ausnahmen und Übergangsbestimmungen) bei mindestens 8,50 € (brutto) pro Stunde.
Ein auffälliges Missverhältnis kann angenommen werden, wenn die tatsächliche Vergütung nicht einmal zwei Drittel des branchenüblichen Lohnes ausmacht. Die Feststellung sittenwidriger Vergütungen wird sich künftig vermutlich auf Frauen in höheren Entgeltbereichen konzentrieren, bei denen nach wie vor die Zahlung von lediglich 2/3 des branchenüblichen Entgeltes wegen des Gender–pay-gaps anzutreffen sein wird.15
 Praktisch dürften deshalb Differenzvergütungsklagen wegen sittenwidriger Vergütung im Niedriglohnbereich der Vergangenheit angehören und durch das Einklagen des Mindestlohnes ersetzt werden.
Spannend bleiben die Fragen, welche Einzeltätigkeiten zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit gehören und welche Zahlungen auf den Mindestlohn angerechnet werden dürfen. Hier ist das Arbeitsgericht Berlin Umgehungsversuchen der Arbeitgeber entgegengetreten und entschied, dass Urlaubsgeld und jährliche Sonderzahlungen nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden können.16
Bei den Ausschlussfristen wird künftig zu beachten sein, dass sie zwar in Arbeitsverträgen für zulässig erachtet worden sind, wenn sie mindestens 3 Monate betragen, für die Einforderung des Mindestlohns nach MiLoG kann eine solche Frist jedoch gerade nicht gelten, denn das Gesetz bestimmt ausdrücklich: Vereinbarungen, die den Anspruch auf Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, sind insoweit unwirksam. Nur durch gerichtlichen Vergleich soll ein Verzicht möglich sein. Im Übrigen sind Verzicht und Verwirkung des Anspruchs auf Mindestlohn ausgeschlossen (§ 3 MiLoG).
Wenn das Gesetz anordnet, dass Vereinbarungen, die die Durchsetzung des Anspruchs auf den Mindestlohn beschränken oder ausschließen, insoweit unwirksam sind, gilt das für jede Ausschlussfrist, die kürzer als die gesetzliche Verjährungsfrist ist. Ob im Wege einer geltungserhaltenden Reduktion („insoweit unwirksam“), die uns sonst bei der Überprüfung von AGB-Klauseln fremd ist, eine Ausschlussfrist die über den Mindestlohn hinausgehenden Entgeltansprüche erfassen und insoweit Teilwirksamkeit beanspruchen kann, dürfte fraglich sein. Mit der einschränkenden Regelung im MiLoG zur unwirksamen Beschränkung von Mindestlohnansprüchen sollte das Ende der ohnehin problematischen Ausschlussfristen jedenfalls für Vergütungsansprüche einen Anfang genommen haben.
- LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.11.2012, 4 Sa 48/12, STREIT, 1/2013, S. 16 ff.; zur früheren Rechtslage sittenwidriger Vergütungen von Pflegekräften z.B. LAG München Urteil vom 03.12.2009, 4 Sa 602/09, STREIT 3/2010, S. 121ff. ↩
- Die Unterscheidung ist heute praktisch nicht mehr relevant. Beides ist Arbeitszeit im Sinne des ArbZG. Für Arbeitsbereitschaft („Zeit wacher Aufmerksamkeit im Zustand der Entspannung“ bei Aufenthalt am Arbeitsplatz) galt das bereits seit Inkrafttreten des ArbZG in 1994. Bereitschaftsdienst (Aufenthalt im Betrieb, nicht hingegen zwingend am Arbeitsplatz und es kann auch anderen, privaten, Beschäftigungen nachgegangen werden, ohne dass Pause oder Freizeit vorliegt) gilt erst seit 01.01.2004 als Arbeitszeit, nachdem das ArbZG infolge der Arbeitszeitrichtlinie 93/104/EG und der Rechtsprechung des EuGH geändert wurde. Zu den europarechtlichen Tiefen der Problematik: Wank, Facetten der Arbeitszeit, RdA 2014, 285 ff. ↩
- Im Einzelfall kann es durchaus schwierig sein, eine Zusammenhangstätigkeit darzustellen, d.h. den Nachweis zu erbringen, wann eine untrennbare, für die eigentliche Arbeit erforderliche Zusammenhangstätigkeit vorliegt. Dazu z.B. BAG, Urteil vom 25.09.2013, 4 AZR 98/12 (Reinigungsarbeiten in einer Bettenzentrale eines Krankenhauses), STREIT 1/2014, S. 17ff. ↩
- BAG, Urteil vom 19.11.2014, 5 AZR 1101/12; BAG, Urteil vom 20.04.2011, 5 AZR 200/10. ↩
- Wege- bzw. Transportzeiten hat das BAG auch in der Entscheidung vom 25.09.2013, 4 AZR 98/12 (Reinigungsarbeiten in einer Bettenzentrale eines Krankenhauses), STREIT, 1/2014, S. 17ff., als der tariflichen Mindestvergütung unterliegende Zusammenhangstätigkeit bestätigt. ↩
- siehe auch zur prekären Lage von Schulhelferinnen BAG, Urteil vom 22.03.2000, STREIT 4/2003, S. 146 ff. ↩
- LAG Düsseldorf, Urteil vom 19.08.2014, 8 Sa 764/13, unter B. I. 1.aaa (3) der Gründe. ↩
- BAG, Urteil vom 12.03.2015, 6 AZR 82/14: Ein Klageverzicht in einem vom Arbeitgeber vorformulierten Aufhebungsvertrag unterliegt als Nebenabrede einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB. Wird ein solcher formularmäßiger Klageverzicht in einem Aufhebungsvertrag erklärt, der zur Vermeidung einer vom Arbeitgeber angedrohten außerordentlichen Kündigung geschlossen wird, benachteiligt dieser Verzicht den Arbeitnehmer unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1., Abs. 2 Nr. 1 BGB, wenn ein verständiger Arbeitgeber die angedrohte Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. ↩
- Z.B. BAG Urteil vom 19.09.2012, 5 AZR 627/11, NZA 2013,102 f. ↩
- Allgemeine Ansicht, vgl. nur Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 14. Aufl., §§ 194-218 BGB, Rn. 46; BAG, Urteil vom 28.09.2005, 5 AZR 52/05, vom 25.05.2005, 5 AZR 572/04, vom 12.03.2008, 10 AZR 152/07 ↩
- BAG, Urteil vom 21.06.2011, 9 AZR 203/10; LAG Düsseldorf, Urteil vom 19.08.2014, 8 Sa 764/13. ↩
- LAG Düsseldorf, Urteil vom 19.08.2014, 8 Sa 764/13 mit Hinweis auf BAG, Urteil vom 06.05.2009, 10 AZR 390/08. ↩
- Das Revisionsverfahren ist anhängig zum Aktenzeichen 5 AZR 814/14. ↩
- BAG, Urteil vom 16.05.2012, 5 AZR 268/11; BAG Urteil vom 22.04.2009, 5 AZR 436/08, STREIT 3/2009, S. 115 ff. (Lohnwucher bei Hilfsgärtnerin). ↩
- Vgl. zur sittenwidrigen Vergütung einer Managementassistentin LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.02.2007, 15 Sa 1363/06, STREIT 4/2007, S. 168 ff. ↩
- ArbG Berlin, Urteil vom 05.03.2015, 54 Ca 14420/14 ↩