STREIT 1/2015

S. 19-21

OVG Berlin-Brandenburg, §§ 13, 14, 15 LDG, §§ 174, 176 StGB

Entfernung eines Lehrers aus dem Beamtenverhältnis wegen sexuellen Missbrauchs

Durch den an Schülerinnen verübten sexuellen Missbrauch verletzt ein Lehrer den Kernbereich seiner dienstlichen Pflichten und erweist sich damit in der Regel als nicht geeignet für den Lehrerberuf.
Schüler, Eltern, Dienstherr und Öffentlichkeit müssen sich unbedingt darauf verlassen können, dass sexuelle Übergriffe von Lehrern auf Schüler und Schülerinnen unterbleiben.
(Leitsätze der Redaktion)

Urteil des OVG Berlin-Brandenburg vom 11.03.2014, OVG 81 D 1.12

Aus den Gründen
1. Der am ... 195... in L. geborene Beklagte legte 1971 die Reifeprüfung ab. Von 1971 bis 1975 studierte er an der Pädagogischen Hochschule H., (…). Anschließend war er als Lehrer für Polytechnik zunächst in L., seit 1978 an verschiedenen Schulen in R. tätig. Im (...) Dezember 1998 wurde er unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum Lehrer (Besoldungsgruppe A 12) ernannt. Das Gesamturteil in den dienstlichen Beurteilungen von August 1996 und Juni 1998 lautete jeweils: „Eignung und Leistungen entsprechen den Anforderungen“. Zum 1. August 2007 wurde der Beklagte – wie von ihm im Juni 2007 beantragt – von der Grund- und Oberschule R. an die V.-Grundschule in S. umgesetzt.
Der Beklagte ist geschieden. Er ist Vater zweier in den Jahren 1978 und 1984 geborener Söhne. Seit Januar 2008 werden 50 Prozent seiner monatlichen Dienstbezüge (Besoldungsgruppe A 12) einbehalten. Seine wirtschaftlichen Verhältnisse sind – soweit ersichtlich – geordnet. Der Beklagte ist disziplinarrechtlich nicht vorbelastet. Ein im Jahre 2003 gegen ihn geführtes Strafverfahren vor dem Amtsgericht S. endete mit einem Freispruch.

Am ... September 2007 wurde das Staatliche Schulamt F. durch die Leiterin der ... Grundschule S. davon unterrichtet, dass der Beklagte, der an dieser Schule mit 22 LWS in den fünften und sechsten Klassen unterrichte, zur Zeit durch die Polizei wegen des Verdachts vernommen werde, eine Schülerin dieser Schule am Vortag missbraucht zu haben. Nach Anhörung am ... 2007, bei der der anwaltlich vertretene Beklagte erklärte, er werde sich nicht äußern, untersagte ihm die Leiterin des Staatlichen Schulamts mit Bescheid vom ... 2007 „aufgrund des Vorfalls am ... 2007“ mit sofortiger Wirkung und unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die Führung der Dienstgeschäfte sowie das Betreten der ... Grundschule und der V.-Grundschule S.
Mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft F... vom ... Oktober 2007 (...) wurde der Beklagte des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen (§ 174 StGB) in drei Fällen, nämlich in zwei Fällen im Zeitraum vom ... Dezember 2005 bis zum ... Januar 2006 in R., sowie in einem weiteren Fall am ... September 2007 in S., angeklagt. Daraufhin leitete die Leiterin des Staatlichen Schulamts mit Verfügung vom ... November 2007 nach § 18 Abs. 1 LBG gegen den Beklagten ein Disziplinarverfahren ein. (…) Mit Bescheid vom ... Dezember 2007 enthob die Leiterin des Staatlichen Schulamts den Beklagten vorläufig des Dienstes und ordnete die Einbehaltung von 50 Prozent seiner monatlichen Dienstbezüge an.
Durch Urteil des Amtsgerichts S. vom 11. ­April 2008 wurde der Beklagte – nach umfangreicher Beweisaufnahme – wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in drei Fällen, davon in einem Fall tateinheitlich mit sexuellem Missbrauch von Kindern, zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegen dieses Urteil legte der Beklagte Berufung ein. Nach im Berufungsverfahren erzielter Verständigung und Geständnis des Beklagten hob das Landgericht F. mit rechtskräftigem Urteil vom 23. März 2009 das erstinstanzliche Urteil im Rechtsfolgenausspruch auf und verurteilte den Beklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen sowie wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Landgericht traf hierzu die folgenden tatsächlichen Feststellungen, wobei der Beklagte als Angeklagter bezeichnet ist:
„(…) Am ... 2005 begab sich die damals fünfzehnjährige S. in die Kellerräume der Grund- und Oberschule (ehemals Gesamtschule) in R., um mit ihrer Klassenlehrerin Frau H., der Ehefrau des Angeklagten, zu der sie ein besonders enges Vertrauensverhältnis hatte, etwas zu besprechen. Dabei traf sie zufällig auf den Angeklagten, der sich ebenfalls in dem im Kellerbereich befindlichen Unterrichtsraum für W. aufhielt. Im Verlaufe eines Gespräches fragte der Angeklagte die S., ob sie von ihm angefasst werden wolle. Da S., deren Alter dem Angeklagten bekannt war, nicht antwortete, zog er sie zu sich heran, umarmte sie und schob seine Hände unter ihre Oberbekleidung, so dass seine Hände ihre Haut berührten und streichelte ihr über den Rücken. Anschließend fasste er an das mit einer Hose bedeckte Gesäß und streichelte dieses. Auch ließ er seine Hände eine Zeit lang auf ihrem Gesäß ruhen. Sodann erklärte S., dass sie gehen werde. Der Angeklagte fragte noch, ob sie ihn am nächsten Tag erneut aufsuchen werde. S. verließ den Raum und kam der Bitte des Angeklagten nicht nach. Völlig erschrocken und verwirrt berichtete sie ihrer Freundin K. von dieser Begebenheit.
2. Am Vormittag des ... 2006 beziehungsweise des ... 2006 traf S. im Keller der Grund- und Oberschule R. erneut auf den Angeklagten. Beide hielten sich wiederum allein im W.-Raum auf. Der Angeklagte nahm S. bei den Händen, zog sie an sich heran und küsste sie zunächst flüchtig auf die Wange und sodann auf den Mund. Dabei schob er seine Hände vorn unter ihre Oberbekleidung und streichelte ihren Bauch und ihren Oberkörper, so auch ihre von einem BH bedeckten Brüste. Dabei ließ er seine Hände auf den Brüsten ruhen. S. drückte nunmehr die Arme des Angeklagten nach unten, um sich von diesen Berührungen zu befreien und verließ den Raum.
Infolge der genannten Handlungen des Angeklagten litt S. psychisch. Sie trug auffällig weite, ihre Weiblichkeit verdeckende Bekleidung und ritzte sich auch.
In der nachfolgenden Zeit wurde der Angeklagte mit einem anderen Lehrauftrag beauftragt, bis er im August 2007 seine Lehrtätigkeit an der e... Grundschule in S. aufnahm und dort neben W. auch M. und P. unterrichtete.
3. Am Vormittag des ... 2007 forderte der Angeklagte zwischen 2 Schulstunden die am ... 1995 geborene S. auf, ihn in der großen Pause in dem W.-Raum der ... Grundschule aufzusuchen. Daraufhin begab sich die damals 11jährige S., deren Alter dem Angeklagten bekannt war, in der Hofpause zum W.-Raum, wo sie auf den Angeklagten traf und sich gemeinsam mit ihm in den W.-Raum begab. Dort reichten sie sich zur Begrüßung die Hände und klopften sich gegenseitig auf den Rücken. Nunmehr fasste der Angeklagte die S. mit beiden Händen im Hüftbereich an und fragte, ob „das hier in Ordnung sei“, woraufhin S. dies bejahte. Anschließend fasste der Angeklagte mit seinen Händen unter den Pullover der S. und berührte deren nackten Oberkörper. Sodann schob er seine Hände, die Haut der S. berührend, bis kurz unter den Brustansatz. S., der diese Situation sehr unangenehm war, rief „ih“, woraufhin der Angeklagte von ihr abließ. Daraufhin verließ sie den Raum. Der Aufforderung des Angeklagten, niemandem von diesem Geschehen zu berichten, folgte S. nicht, sondern begab sich unverzüglich zu ihren Schulfreundinnen, so unter anderem der A. und berichtete über das Geschehen. Nach der darauffolgenden Schulstunde informierte sie im Schulsekretariat die Sekretärin der Schule Frau K. und die Schulleiterin Frau P. über den Vorfall. (…)“

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. (…) Der Beklagte hat durch das strafrechtlich abgeurteilte Verhalten ein Dienstvergehen begangen, das seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erfordert. (…) Der dem Beklagten vorgeworfene Sachverhalt ist erwiesen. Der Senat ist insoweit nach § 58 Abs. 1 Satz 1 LDG an die tatsächlichen Feststellungen in dem rechtskräftigen Urteil des Landgerichts F. vom 23. März 2009 gebunden. (…) Durch die in tatsächlicher Hinsicht festgestellten drei Missbrauchshandlungen, die er jeweils am Dienstort, nämlich in den Räumen der Schule, an der er tätig war, zur Unterrichtszeit und gegenüber Schülerinnen begangen hat, deren Lehrer er zum jeweiligen Zeitpunkt war, hat der Beklagte vorsätzlich und schuldhaft gegen seine allgemeine Dienstpflicht nach § 19 Satz 3 LBG a.F. verstoßen, mit seinem Verhalten innerhalb des Dienstes der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Beruf erfordert.
Das Dienstvergehen des Beklagten erfordert unter Berücksichtigung aller be- und entlastenden Umstände des Einzelfalls die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. (…) Die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis setzt voraus, dass der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat (§ 13 Abs. 2 Satz 1 LDG). Ein endgültiger Verlust des Vertrauens ist anzunehmen, wenn aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung auf der Grundlage aller im Einzelfall bedeutsamen be- und entlastenden Gesichtspunkte der Schluss gezogen werden muss, der Beamte werde auch künftig in erheblicher Weise gegen Dienstpflichten verstoßen oder die durch sein Fehlverhalten herbeigeführte Schädigung des Ansehens des Berufsbeamtentums sei bei einer Fortsetzung des Beamtenverhältnisses nicht wiedergutzumachen. Unter diesen Voraussetzungen muss das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums beendet werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. März 2012 - 2 A 11.10 -, juris Rn. 74).
Unter Berücksichtigung dieses Maßstabes ist der Beklagte aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Durch den innerdienstlich begangenen sexuellen Missbrauch (§ 174 Abs. 1 Nr. 1, § 176 Abs. 1 StGB) ihm als Lehrer anvertrauter Schülerinnen hat der Beklagte in außerordentlich schwerer Weise im Kernbereich seiner dienstlichen Pflichten versagt. Mit einem solchen Verhalten beeinträchtigt ein Lehrer nicht nur das Ansehen des Berufsbeamtentums, sondern zeigt damit in der Regel seine Nichteignung für den Lehrerberuf. Ein Lehrer ist nach dem umfassenden Bildungsauftrag der Schule nicht nur zur Vermittlung von Wissen, sondern auch zur Erziehung der Kinder verpflichtet. Er muss insbesondere die geistige und sittliche Entwicklung der ihm anvertrauten Kinder fördern und schützen (BVerwG, Urteil vom 19. August 2010 - BVerwG 2 C 5.10 -, juris Rn. 17). Schüler, Eltern, Dienstherr und Öffentlichkeit müssen sich unbedingt darauf verlassen können, dass sexuelle Übergriffe von Lehrern auf Schüler unterbleiben.
Deshalb ist bei sexuellem Missbrauch von anvertrauten Schülerinnen und Schülern unter 16 Jahren durch Lehrer gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 1, § 176 Abs. 1 StGB die Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Dienst indiziert, wenn es in der Gesamtheit an hinreichend gewichtigen entlastenden Gesichtspunkten fehlt (vgl. für den Fall eines außerdienstlich erfolgten sexuellen Missbrauchs eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB BVerwG, Urteil vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 83.08 - BVerwGE 136, 173 Rn. 18, und Beschluss vom 23. Juni 2010 - BVerwG 2 B 44.09 -, juris Rn. 5 ff.). Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (BVerwG, Beschluss vom 1. März 2012 - 2 B 140.11 -, juris Rn. 9 m.w.N.). Dies ist hier nicht der Fall.
Dabei ist zunächst zu Lasten des Beklagten zu berücksichtigen, dass er nicht nur in einem Einzelfall, sondern in drei Fällen eine Schülerin sexuell missbraucht hat. (…) Der Umstand, dass er bei den von ihm begangenen Straftaten seine Autoritäts- und Vertrauensstellung als Lehrer ausnutzte, begründet bereits die Schwere des Dienstvergehens, ist also nicht zusätzlich zu Lasten des Beklagten zu berücksichtigen. (…) Der Umstand, dass es schwerere Formen der Tatbegehung geben könnte, verringert indessen nicht die objektive Schwere der begangenen Taten.

Milderungsgründe, die es rechtfertigen könnten, von der durch die Schwere der Tat indizierten disziplinarischen Höchstmaßnahme abzusehen, liegen nicht vor.
Schließlich rechtfertigen es – auch im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK – weder die lange Dauer des Disziplinarverfahrens noch das lange Zurückliegen des Dienstvergehens, von der Entfernung aus dem Dienst abzusehen, wenn – wie hier – diese Maßnahme disziplinarrechtlich geboten ist. (…) Es liegen keine Umstände vor, die geeignet wären, die Schwere des Dienstvergehens erheblich herabzusetzen, oder die sonst die Prognose rechtfertigen könnten, das erforderliche Vertrauen sei wiederherstellbar. Unter diesen Voraussetzungen ist das Beamtenverhältnis im Interesse der Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und der Integrität des Berufsbeamtentums zu beenden.
Der Umstand, dass der Beklagte im sachgleichen Strafverfahren zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, steht der Verhängung der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme nicht entgegen. Das in Art. 103 Abs. 3 GG verankerte Verbot der Doppelbestrafung gilt wegen der unterschiedlichen Zielrichtung der Maßnahmen nicht im Verhältnis von Disziplinarrecht und Strafrecht. Das Maßnahmeverbot nach § 14 Abs. 1 LDG erstreckt sich nicht auf die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.