STREIT 1/2015

S. 17-18

AG Schleiden, § 823 I i.V.m. § 1004 BGB

Kein Widerrufs- und Unterlassungs­anspruch einer (kirchlichen) Einrichtung bei nicht nachweislich unwahrer Behauptung des sexuellen Missbrauchs im Rahmen eines institutionellen Opfer-Entschädigungsprogramms

1. Ein Widerrufs- und Unterlassungsanspruch analog § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1004 BGB durch unerlaubten Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb kommt nur in Betracht, wenn die Behauptung des sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlung nachweislich falsch ist.
2. Bei Nichterweislichkeit der Richtig- oder Unrichtigkeit der aufgestellten Behauptung besteht auch kein (eingeschränkter) Widerrufs- und Unterlassungsanspruch, wenn die Äußerung ausschließlich im Rahmen eines (kirchlichen) Opfer-Entschädigungsprogramms erfolgte.
(Leitsätze der Redaktion)

Urteil des AG Schleiden vom 10.12.2014, 10 C 171/13

Aus dem Sachverhalt:
Mit der Klage begehrt die Klägerin den Widerruf und das Unterlassen von unwahren Tatsachenbehauptungen.
Die Klägerin unterhält in x als y eine Einrichtung, die auf dem Gebiet der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe tätig ist. Auf dieser Grundlage begleitet die Klägerin über 220 Kinder, Jugendliche und Familien mit ambulanten, teilstationären und stationären Angeboten.
Der Beklagte war in der Zeit vom … bis zum … im … untergebracht, das sich zu diesem Zeitpunkt in anderer Trägerschaft befand.
Am 06.04.2013 erstellte der Beklagte ein Schreiben mit der Überschrift „Heimunterkunft …“.
In diesem Schreiben behauptet der Beklagte, von der zur Zeit seiner Heimunterbringung dort tätigen Schwester A und einem ebenfalls in der Einrichtung lebendem Mann mehrfach tätlich angegriffen und sexuell missbraucht worden zu sein; er beschreibt ein Gewaltverhalten, verübt durch Faustschläge, Prügel und Tritte in den Rücken sowie sexuelle Übergriffe durch Streicheln, Küssen und manuelle Befriedigung. (…) Das Schreiben versandte der Beklagte an das Erzbistum …, mit dem Ziel persönlicher Rehabilitation und möglicher Entschädigungsleistung. (…)
Das Erzbistum … leitete das Schreiben des Beklagten an die Klägerin weiter mit der Bitte um Stellungnahme. Die Klägerin ihrerseits fordert nunmehr vom Beklagten den Widerruf der im Schreiben vom 06.04.2013 aufgestellten Behauptungen und das Unterlassen entsprechender Behauptungen in Zukunft. (…)

Aus den Gründen:
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet. (…) Es ist bereits fraglich, ob die Klägerin durch die Behauptung des Beklagten, (…), in ihrem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb betroffen ist. Fraglich ist dies schon mit Blick auf den zwischenzeitlichen Zeitablauf und den erfolgten Trägerwechsel. (…)
Ein Widerrufs- und Unterlassungsanspruch analog § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 1004 BGB durch unerlaubten Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb kommt ungeachtet dessen nur in Betracht, wenn die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klägerin substantiiert vorträgt, und ggf. nachweist, dass die von dem Beklagten aufgestellte Behauptung, zur Zeit seines Heimaufenthalts von S. und einem Betreuer R sexuell missbraucht und körperlich misshandelt worden zu sein, nachweislich falsch ist. Den Beklagten trifft insoweit eine sekundäre Darlegungslast dahingehend, dass er seinerseits Belegtatsachen für seine Behauptung angeben muss.
Der Beklagte schildert detailliert unter Angabe einer Vielzahl von konkreten Ereignissen von übergriffigem Verhalten von S. und dem Betreuer. Substantiierter Vortrag der Klägerin liegt hingegen nicht vor, wobei das Gericht nicht verkennt, dass die Klägerin – soweit konkrete Äußerungen der Beschuldigten nicht mehr zu erhalten sind – auf den Vortrag von Indizien beschränkt ist. Naheliegend wäre es gewesen, den klägerischen Vortrag auf gegenteilige Angaben der Beschuldigten zu stützen; dies ist vorliegend nicht geschehen.
Falsche Angaben des Beklagten zum Zeitpunkt seiner Heimunterbringung indizieren nicht schon die Unrichtigkeit seiner im Übrigen aufgestellten Behauptung des sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlung. Insoweit ist von Bedeutung, dass dem Beklagten offensichtlich keine aktuellen Unterlagen bezüglich seines Heimaufenthaltes vorliegen, sondern er seine zeitlichen Angaben ausschließlich aus persönlicher Erinnerung heraus getätigt hat (,,soweit ich mich erinnern kann, kam ich … (9 Jahre alt) bis … ins Kinderheim …) Die Unterbringung erfolgte in den 60er Jahren und ist mithin mehr als 40 Jahre zurückliegend. Unter Berücksichtigung der psychischen Ausnahmesituation eines untergebrachten Kindes und unter Berücksichtigung dieses lang zurückliegenden Zeitraums überrascht es nicht, dass es hinsichtlich der zeitlichen Einordnung zu Abweichungen gegenüber dem tatsächlichen Geschehen gekommen ist. Das zeitliche Erinnerungsvermögen von Kindern erweist sich oft mit Blick auf die tatsächliche korrekte Einordnung als unzulänglich, insbesondere dann, wenn die Erfahrung des Kindes mit traumatischen (und aus Selbstschutz oftmals verdrängten) Erlebnissen verbunden ist.
Der Umstand, dass körperliche Übergriffe und sexuelle Missbrauchshandlungen nicht in einem so-genannten Strafbuch verzeichnet worden sind, ist ebenfalls kein Indiz für Unrichtigkeit der Behauptungen des Beklagten. Es ist nicht anzunehmen, dass körperliche Übergriffe auf Kinder, ohne dass diese hierzu Anlass gegeben hätten, in diesem ,,Strafbuch“ notiert worden wären, zielte die Auflage, ein solches zu führen, doch offensichtlich darauf ab, im Nachhinein bei Fehlverhalten der Kinder/Jugendlichen auch körperliche Züchtigungsmaßnahmen seitens der Heimleitung rechtfertigen zu können. Bei sexuellen Missbrauchshandlungen liegt es mit Blick auf die Strafbarkeit dieses Handelns in der Natur der Sache, dass sie gerade nicht verschriftlicht und zur Kenntnis Dritter gebracht werden, sondern sich vielmehr bewusst unter Ausschluss von Zeugen vollziehen.
Die Klägerin ist damit weder dem detaillierten Vortrag des Beklagten in hinreichender Form entgegengetreten, noch hat sie ausreichende Indizien vorgetragen, aus denen man – bei Wahrunterstellung – hätte schließen können, dass die Behauptung des Beklagten nachweisbar falsch ist.
Ein (eingeschränkter) Widerrufs- und Unterlassungsanspruch besteht aus Sicht des Gerichts ebenfalls nicht. Dieser käme unter Umständen dann in Betracht, wenn von einer Nichterweislichkeit der Richtig- oder Unrichtigkeit der aufgestellten Behauptungen auszugehen wäre. In diesem Zusammenhang, aber ist entscheidend zu berücksichtigen, dass der Beklagte seine Äußerung ausschließlich im Rahmen eines (kirchlichen) Opfer-Entschädigungsprogramms im Vertrauen auf deren vertrauliche Behandlung, und gerade nicht gegenüber beliebigen Dritten mit der Intention der Rufschädigung bzw. Beeinträchtigung des Betriebs der Klägerin tätigte. lm Rahmen eines solchen Entschädigungsprogramms muss es dem Betroffenen möglich sein, aus seiner Sicht stattgehabte Übergriffe zu schildern, die er mangels Beweismittel vielleicht auch heute gar nicht mehr beweisen kann, ohne zugleich auf Unterlassung und Widerruf verklagt zu werden.

Anmerkung
Auf die Gefahr, mit einer Widerrufs- und Unterlassungsklage durch die beschuldigten Täter/Täterinnen oder wie hier, den Träger einer Einrichtung, belastet zu werden, wird im Zusammenhang mit den Aufrufen, von sexuellem Missbrauch Betroffene sollten sich an Missbrauchsbeauftragte, Kommissionen und Entschädigungsfonds wenden, nie hingewiesen. Im Gegensatz zu Strafverfahren oder Klagen ist die rechtliche Einordnung von Behauptungen im Rahmen einer Antragstellung bei einem Entschädigungsfonds oder bei Mitteilungen gegenüber Aufarbeitungskommissionen zu sexuellem Missbrauch unklar und die Antragstellenden bzw. Berichtenden müssen damit rechnen, verklagt zu werden. Hier wäre dringend Rechtssicherheit erforderlich. Dazu leistet das Urteil des AG Schleiden einen Beitrag.

Der Beklagte hatte sich im vorliegenden Fall wegen Entschädigungsleistungen an ein katholisches Bistum gewandt und geltend gemacht, er sei im Zuge einer Heimunterbringung in einem katholischen Kinderheim in den späten 60er Jahren körperlichen und sexuellen Übergriffen ausgesetzt gewesen. Das Bistum leitete die Angaben an den heutigen Träger der Einrichtung weiter, dieser wiederum verklagte den Antragsteller auf Widerruf und Unterlassen seiner Behauptungen. Nach interner Überprüfung sei man zu dem Schluss gekommen, der Beklagte habe die Unwahrheit behauptet. Obgleich die Behauptungen nur im Rahmen der Anspruchsstellung erfolgten, wurde hier der Anspruchsteller mit einer zivilrechtlichen Klage überzogen und sein Mut, „das Schweigen zu brechen“ bestraft.
Die Klage wurde erstinstanzlich abgewiesen, insbesondere wurde klargestellt, dass Äußerungen im Rahmen eines institutionellen Entschädigungsprogrammes im Vertrauen auf deren vertrauliche Behandlung erfolgen und daher kein Widerrufs- und Unterlassungsanspruch besteht.
Das Urteil setzt sich auch damit auseinander, dass es bereits aufgrund des langen Zeitablaufs und zwischenzeitlichen Trägerwechsels fraglich sei, ob die Klägerin überhaupt in ihrem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb betroffen ist. Der Widerrufs- und Unterlassungsanspruch erfordere für die beweisbelastete Klägerin eine substantiierte Darlegung, dass die vom Beklagten aufgestellten Behauptungen falsch seien. Sehr erfreulich ist, dass hier festgestellt wurde, dass nachweislich falsche Angaben des Beklagten zur genauen Unterbringungszeit aufgrund des langen Zeitablaufs kein Indiz dafür seien, dass auch die Behauptungen zu den Übergriffen falsch seien.
RAin Martina Lörsch, Bonn