STREIT 2/2022
S. 83-84
OLG Frankfurt a.M., § 1603 BGB
Pflicht des Vaters zum Vermögenseinsatz für den Mindestunterhalt
1. Bei ansonsten eingeschränkter Leistungsfähigkeit für den Mindestunterhalt minderjähriger Kinder hat der Unterhaltspflichtige den Stamm seines Vermögens bis auf einen Schonbetrag in Höhe von rund 2.000 bis 3.000 EUR für den Unterhalt zu verwerten.
2. Steht Vermögen nicht sofort in bar zur Verfügung, ist es zumutbar, für einen überschaubaren Zeitraum den Unterhalt fremd zu finanzieren.
3. Schulden sind nur zu berücksichtigen, wenn sich der Unterhaltspflichtige zuvor vergeblich um eine Verringerung der Raten bemüht hat.
(Leitsätze des Gerichts)
Beschluss des OLG Frankfurt a. M. vom 19.5.2021 – 4 UF 41/21
Aus dem Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Kindesunterhalt.
Die Antragstellerin begehrt in Prozessstandschaft für ihre beiden am XX.XX.2007 geborenen Töchter A und B vom Antragsgegner, deren Vater, die Zahlung des gesetzlichen Mindestunterhalts. Die Beteiligten sind seit 2001 miteinander verheiratet und lebten gemeinsam mit ihren Kindern zunächst in einer im Alleineigentum des Antragsgegners stehenden Immobilie in Stadt1.
Zum 1.1.2020 trennten sich die Eheleute, die Antragstellerin zog gemeinsam mit den Kindern um nach Stadt2. Nach der Trennung zahlte die Antragstellerin an den Antragsgegner ein ihr ehezeitlich gewährtes Darlehen über 14.500 € zurück. Auch der Antragsgegner verließ 2020 die Ehewohnung und lebt seitdem im Haus seiner Eltern in Stadt3. Die Stadt1er Immobilie veräußerte er im Juli 2020 für 650.000 €. Von dem Kaufpreis tilgte er ein Darlehen bei seinem Stiefvater über 45.000 €. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob er auch ein weiteres Darlehen bei seiner Mutter über 430.000 € zurückgezahlt hat. […]
Bis zum 7.6.2020 erzielte er ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen aus entgeltlicher Beschäftigung von 2.680 €, ab dem 8.6.2020 bezog er 2.158,80 € an Krankengeld.
Erstinstanzlich hatte die Antragstellerin zuletzt beantragt, den Antragsgegner zur Zahlung des Mindestkindesunterhalts der 3. Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle abzüglich hälftigen Kindergeldes für ein Kind für beide Kinder zu verpflichten, weiter zur Zahlung rückständigen Kindesunterhalts i. H. v. jeweils 380 € für beide Kinder für den Zeitraum Juni bis September 2020.
Der Antragsgegner begehrt die Zurückweisung des Antrags und trägt zur Begründung vor, er sei allenfalls in Höhe von 300 € für beide Kinder leistungsfähig. Für die Finanzierung der Stadt1er Immobilie habe er bei seiner Mutter im Jahre 2005 ein Darlehen über 430.000 € aufgenommen; vereinbarungsgemäß habe er darauf bis zur Veräußerung des Hauses monatlich 1.000 € für die Zinsen und 350 € an Tilgungsleistungen zurückgezahlt und bis zum Dezember 2020 einschließlich noch Zinsen in vorgenannter Höhe. Das Darlehen habe er aus dem Verkaufserlös abgelöst. Ferner müsse er für die Einlagerung seiner Möbel bei einem gewerblichen Anbieter monatlich 648 € aufwenden und an seine Eltern für seinen Aufenthalt in ihrem Haus einen monatlichen Kostenbeitrag von „ca. 700 €“ zahlen.
Der Antragsgegner vertritt ferner die Ansicht, er müsse den ihm verbleibenden Verkaufserlös nicht für den Kindesunterhalt einsetzen; auch seien seine monatlichen Zahlungen auf die Sparbücher der Kinder auf den Unterhalt anzurechnen. […]
Aus den Gründen:
Das Familiengericht hat den Antragsgegner zu Recht und mit zutreffender Begründung zur Zahlung des Mindestunterhalts für seine beiden Töchter ab dem 1.10.2020 und rückständigen Unterhalts nebst Zinsen für die vier davorliegenden Monate verpflichtet. […]
Dazu hat der Senat mit Beschluss vom 26.3.2021 folgenden Hinweis erteilt:
„Zunächst dürfte das Familiengericht zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, eine Vermögensverwertungspflicht des Antragsgegners zur Finanzierung des Mindestunterhalts für seine Kinder bejaht haben, § 1603 Abs. 2 BGB. Ein Anspruch auf Zurückbehaltung eines Schonbetrags aus dem Immobilienerlös zur Tilgung von Altschulden, geschweige denn zur Finanzierung eines den Bedürfnissen des Unterhaltspflichtigen angemessenen neuen Hausgrundstücks besteht nicht, weil es sich dabei um eine Vermögensbildung zu Lasten der unterhaltspflichtigen Kinder handeln würde (vgl. OLG Brandenburg FamRZ 2013, 1139; BeckOK BGB/Reinken BGB § 1603 Rn. 84 m. w. N.).
Hinsichtlich des rückständigen Unterhalts für den Monat Juni 2020 (vor Erlangung des Erlöses aus dem Grundstücksverkauf) folgt der Senat im Ergebnis der Begründung des erstinstanzlichen Gerichts, die vom Antragsgegner vorgenommenen Abzüge von seinem Einkommen seien nicht berechtigt: Hinsichtlich der bei einem Nettoeinkommen von 2.680 € bzw. 2.158,80 € (Krankengeld) ohnehin unverhältnismäßig hohen Lagerkosten für die Möbel von 648 € monatlich gilt, dass diese bei ansonsten zu bejahender Unfähigkeit zur Leistung des Mindestunterhalts nicht berücksichtigungsfähig sind. Die Darlehensrückzahlung an die Mutter des Antragsgegners mit einer monatlichen Rate von 1.000 € führt ebenfalls nicht zur Reduzierung des maßgeblichen Einkommens, da den Antragsgegner die Pflicht trifft, zur Gewährleistung des Mindestunterhalts die Ratenhöhe zu reduzieren oder eine Aussetzung der Ratenzahlungen zu erreichen (OLG Hamm FamRZ 1997, 1223; Dieter Pauling/Joachim Maier, in Schulz/Hauß, Familienrecht, 3. A., § 1603 BGB, Rn. 33). Dies gilt vor allem im Hinblick auf die nachrangige Unterhaltshaftung der Darlehensgeberin selbst als Großmutter der beiden unterhaltsberechtigten Kinder. […] Dabei ist auch von Belang, dass dem Antragsgegner infolge seines Aufenthalts im Haus seiner Mutter keine Wohnkosten entstehen, ggf. also sein Selbstbehalt angemessen zu reduzieren wäre.“
Darauf hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 29.4.2021 zwar reagiert, dabei allerdings keine Ausführungen zu der ihm obliegenden Pflicht zur Verwertung des Vermögensstamms gemacht. Der Senat hält daher an seiner Auffassung fest, dass es dem Antragsgegner unterhaltsrechtlich nicht zu gestatten ist, einen Betrag von (mindestens) 175.000 € auf eine unbestimmte „mittlere Frist“ zu Lasten seiner unterhaltspflichtigen Kinder für sich zurückzubehalten, um damit den Erwerb einer neuen Immobilie zu finanzieren. Dies gilt auch unter dem von ihm angesprochenen Gesichtspunkt, mit dem Immobilienerwerb seine Altersvorsorge zu betreiben. Zwar können angemessene Aufwendungen für die Altersvorsorge unterhaltsrechtlich als Abzugsposition zu berücksichtigen sein, bei laufenden Einkünften immerhin bis zu einer Höhe von 24 % des Bruttoerwerbseinkommens (vgl. Wendl/Dose/Gerhardt, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. A., § 1, Rn. 1033 ff.); für die Pflicht zur Verwertung des Vermögensstamms im Mangelfall dagegen gilt, dass nur kleinere Vermögen(steile) geschont werden können, damit dem Unterhaltspflichtigen eine Reserve für Notfälle oder als Altersvorsorge bleibt (vgl. BGH FamRZ 2013, 1554 Rn. 26 ff. zur selbstgenutzten Immobilie). Je größer das Vermögen allerdings ist, umso eher kommt – wie hier – eine Obliegenheit zur Verwertung in Betracht. Bei größeren Vermögen kann dem Pflichtigen nur ein entsprechender Sockelbetrag als Schonvermögen verbleiben, der in der Rspr. in der Vergangenheit mit Werten von 2-3.000 € angenommen wurde (vgl. u. a. BGH FamRZ 1998, 367). Aber selbst wenn nach dem Rechtsgedanken des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII die Höhe des dem Pflichtigen zu belassenden „Notgroschens“ nach den sozialhilferechtlichen Sätzen nach der VO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII (derzeit 5.000 €) als Untergrenze bemessen würde, wäre diese Betrag vorliegend mit einem dem Antragsgegner zur Verfügung stehenden Vermögen von 175.000 € weit überschritten (vgl. Johannsen/Henrich/Althammer/Hammermann BGB § 1577 Rn. 76). […]
Soweit der Antragsgegner weiter ausführt, die vom Senat angedachte Zwischenfinanzierung über vier Monate hätte er im Juli 2020 „keinesfalls erreichen“ können, ist ihm darin nicht zu folgen, denn bei einer nach notarieller Beurkundung des Kaufvertrags in sicherer Aussicht stehenden Zahlung von insgesamt 650.000 € wäre die Aufnahme eines Überbrückungskredits (ggf. auch nur die Ausschöpfung eines bereits vorhandenen Dispositionsrahmens) zur Finanzierung der rückständigen Kindesunterhaltszahlungen für vier Monate, also über einen Gesamtbetrag von gerade einmal 760 € (zur Berechnung s. u.), nicht nur ohne weiteres möglich, sondern dem Antragsgegner ausnahmsweise auch zuzumuten gewesen. […]
Hinsichtlich des Schuldenabtrags des Antragsgegners – vor allem bezogen auf den Monat Juni 2020 – gilt, dass minderjährige Kinder zwar grundsätzlich auch an dem wirtschaftlich geminderten Lebensstandard der Eltern nach der Trennung teilnehmen, wenn der Unterhaltsverpflichtete Schulden zu tilgen hat und nur über entsprechend geringere Einkünfte verfügen kann. Der Bedarf richtet sich also nach dem Wechsel der elterlichen Lebensstellung. Daraus folgt aber nicht, dass der Unterhaltspflichtige seinerseits von seinen Kindern beanspruchen könnte, seinen früheren Lebensstandard trotz der Unterhaltspflicht uneingeschränkt zu erhalten. Er muss sich vielmehr darauf einstellen, dem Kindesunterhalt künftig den Vorrang einzuräumen (juris PK-BGB/Viefhues § 1603 BGB Rn. 240.1). […]
Andere Gründe, die dem Anspruch der Kinder auf Zahlung des Mindestunterhalts abzgl. des hälftigen Kindergelds (§ 1612 a BGB), um den es im Rechtsmittelverfahren ausschließlich geht, entgegenstehen würden, sind nicht erkennbar. Insbesondere ändert sich auch durch den ALG I-Bezug des Antragsgegners – ungeachtet der Frage nach dem Umfang und auch dem Nachweis seiner im Rahmen der gesteigerten Erwerbsobliegenheit geschuldeten Erwerbsbemühungen – nichts an seiner Zahlungspflicht, die sich ja nicht an der Höhe seines Einkommens orientiert, sondern auf seiner Obliegenheit zur Verwertung des ihm zur Verfügung stehenden Vermögens beruht. […]