STREIT 1/2018
S. 20-21
Reform des Unterhaltsvorschussgesetzes: Was haben Alleinerziehende (bisher) davon?
Zum ersten Juli des vergangenen Jahres wurden endlich zwei lebensferne Regelungen aus dem Unterhaltsvorschussgesetz gestrichen: Die Begrenzung des Anspruchs bis zum 12. Lebensjahr des Kindes und die maximale Bezugsdauer von 72 Monaten. Darauf haben Einelternfamilien lange gewartet. Die Reform war zuletzt noch einmal um ein halbes Jahr verschoben worden, damit sich die Kommunen auf die Flut der zu erwartenden Neuanträge vorbereiten konnten. Der VAMV wollte von Alleinerziehenden wissen, ob das Warten sich für sie gelohnt hat. (…) Zu Beginn des Jahres 2018 lässt sich anhand von 38 Rückmeldungen aus dem gesamten Bundesgebiet ein gemischtes Bild erkennen. Die Befragung lässt keine Rückschlüsse zu, in welchen Kommunen Alleinerziehende besonders lange auf ihren Bescheid warten oder wie hoch insgesamt der Anteil an Alleinerziehenden ist, die nach der Reform weniger Geld haben werden. Die Ergebnisse zeigen aber exemplarisch, auf welche Probleme Einelternfamilien stoßen, die nun erstmals oder wieder Anspruch auf Unterhaltsvorschuss haben. (…)
Monatelanges Warten auf den Bescheid
21 Alleinerziehende, die sich ab September 2017 bei uns meldeten, waren noch ohne Bewilligung und ausgezahltes Geld (…). In der zweiten Dezemberhälfte fragten wir noch einmal nach. Da hatten immerhin sechs von zehn betroffenen Alleinerziehenden, die auf unsere Nachfrage reagierten, noch keinen Bescheid (…). 
Zusätzlich belastend ist oft die Ungewissheit, wie lange die Antragsbearbeitung noch dauern könnte. Manchen Alleinerziehenden wurde auf telefonische Nachfragen bis zu ein Jahr Bearbeitungszeit für ihren Antrag in Aussicht gestellt. Es gibt aber auch Unterhaltsvorschussstellen, die zu einem möglichen Bearbeitungstermin grundsätzlich keine Angaben machen. Manchmal scheint sogar praktisch niemand für Nachfragen erreichbar zu sein. (…)
Wenn Bescheid und Nachzahlung endlich da sind, wird es ernst: Wie wirkt sich der erweiterte Unterhaltsvorschuss auf das Budget der berechtigten Einelternfamilien aus? 
Bei auskömmlichem Verdienst mehr Geld
„Der Vater meines Sohnes zahlt seit über zwei Jahren gar nicht mehr. Da ich als Sozialpädagogin mit einem bestandsgeschütztem Vertrag so viel verdiene, dass ich keine Ansprüche bei anderen Leistungsträgern mehr habe, ist für mich der Ausbau des Unterhaltsvorschusses ein echtes Geschenk.“ (Alleinerziehende mit einem Kind, 16 Jahre)
Über zusätzliches Geld kann sich freuen, wer so viel verdient, um ohne staatliche Hilfe den Lebensunterhalt für sich und seine Kinder bestreiten zu können. Bei sechs Alleinerziehenden, die sich an unserer Umfrage beteiligt haben, ist das der Fall. 
Weniger Geld bei kleinen Einkommen
„In der Konsequenz habe ich monatlich 70 Euro weniger zur Verfügung. Für meine Tochter und mich ist das viel Geld. Ich weiß nicht, wie ich dieses finanzielle Loch stopfen soll.“ (Alleinerziehende mit einem Kind, 11 Jahre)
Von 17 Alleinerziehenden mit Bescheid, die sich bei uns meldeten, haben jedoch elf nach der Unterhaltsvorschussreform sogar weniger Geld für ihre Kinder zur Verfügung. Der Grund: Alleinerziehende mit kleinen Einkommen haben durch den Unterhaltsvorschuss ihren Anspruch auf Kinderzuschlag und häufig auch den Wohngeldanspruch komplett verloren. Der Unterhaltsvorschuss wird auf den Kinderzuschlag voll angerechnet, was zu einem Wegfall der Leistung führt. Beim Wohngeld zählt er zum anspruchsrelevanten Einkommen. Entfallen beide Sozialleistungen, ist automatisch auch das Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) für die betroffenen Kinder gestrichen. Beantragt werden können im Rahmen des BuT zum Beispiel Zuschüsse für das Mittagessen in Schule, Kita oder Kindertagespflege bis zu einem geringen Elternbeitrag oder pauschale Zuschüsse zu Schulbedarf, Vereinssport oder Musikunterricht. Außerdem können unter bestimmten Bedingungen die Kosten für Lernförderung übernommen werden oder Klassenfahrten, Schul- bzw. Kitaausflüge für die anspruchsberechtigten Kinder bezahlt werden. Für Schulkinder können dafür bis zu mehrere hundert Euro und mehr im Jahr zusammenkommen. Ein Verlust, den der Unterhaltsvorschuss nicht ausgleichen kann. 
Exemplarisch dafür ist die Aufstellung einer Alleinerziehenden mit zwei Kindern (10. Klasse und 6. Klasse). Der Mutter, die den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder mit drei unterschiedlichen Arbeitsstellen verdient, fehlen trotz zusätzlichem Unterhaltsvorschuss nun für beide Kinder 184 Euro im Monat. Dazu kommen die Kosten für Schulausflüge und Klassenreisen, die zukünftig selbst bezahlt werden müssen.
Einkommen bisher in €
Arbeitsstelle 1 + Kindergeld: 1403,00
Arbeitsstelle 2: 89,44
Arbeitsstelle 3: 126,00
Kinderzuschlag: 340,00
Wohngeld: 255,00
BuT für Teilhabe (Hobbies): 20,00
BuT für Schulbedarf (ca. je Monat): 15,00
BuT für Lernförderung: 90,00
Gesamteinkommen: 2338,44
Einkommen nach UVG-Reform
Arbeitsstelle 1 + Kindergeld: 1403,00
Arbeitsstelle 2: 89,44
Arbeitsstelle 3: 126,00
Unterhaltsvorschuss 1. Kind: 268,00
Unterhaltsvorschuss 2. Kind: 268,00
Gesamteinkommen + Wegfall Anspruch auf Finanzierung von Schulausflügen und Klassenreisen (BuT): 2.154,44
Der VAMV befürchtet, dass solcherart Verschlechterungen durch die Unterhaltsvorschussreform eine ganze Reihe von Einelternfamilien betreffen werden. Sollten Alleinerziehende sich also informieren, ob ein Antrag auf Unterhaltsvorschuss tatsächlich zu einer Verbesserung in der Haushaltskasse führt, um gegebenenfalls keinen Antrag zu stellen? Obwohl sinnvoll, gibt es eine solche Wahloption nicht, denn die Bundesregierung vertritt die Rechtsauffassung, dass Unterhaltsvorschuss vorrangig gegenüber Kinderzuschlag zu beantragen ist.
Dringender Nachbesserungsbedarf
Wenn sie die Alleinerziehenden wirklich im Blick haben wollen, müssen Kommunen und Bundesregierung beim Unterhaltsvorschuss also dringend nachbessern. Nachdem die Kommunen zusätzliche Zeit erhalten hatten, um sich personell und organisatorisch auf die Neuanträge einzustellen, ist es für den VAMV nicht akzeptabel, dass immer noch Alleinerziehende auf den Unterhaltsvorschuss warten. Personaldefizite müssen endlich behoben und die Bearbeitung der Neuanträge zügig vorangebracht werden. 
Von einer zukünftigen Bundesregierung fordert der VAMV, dass Einkommen des Kindes, wie der Unterhaltsvorschuss, nicht mehr auf den Kinderzuschlag angerechnet wird. Das mahnt der VAMV seit der Einführung des Kinderzuschlags im Jahr 2005 an, nun kann dieses Problem nicht länger ignoriert werden. Auch gilt es für Politik und Verwaltung, die Förderregelungen beim Wohngeld, wie beispielsweise die Einkommensgrenzen für den Anspruch, regelmäßig zu überprüfen und dabei insbesondere die Situation von Einelternfamilien im Blick zu haben. Kurzfristig sollte eine Wahloption zwischen Kinderzuschlag und Unterhaltsvorschuss eingeführt werden, damit Alleinerziehende mit kleinen Einkommen nicht plötzlich weniger im Portemonnaie haben als bisher. 
Darüber hinaus sieht der VAMV grundlegenden Reformbedarf beim Unterhaltsvorschuss: Analog zum Unterhalt ist nur das halbe Kindergeld auf den Unterhaltsvorschuss anzurechnen, dieser ist derzeit systematisch zu niedrig. Dass Kinder den Anspruch auf Unterhaltsvorschuss verlieren, wenn ihr alleinerziehender Elternteil heiratet, ist weiter reformbedürftig. Denn das Kind hat keine durchsetzbaren Unterhaltsansprüche gegenüber dem Stiefelternteil. Einschränkungen des Anspruchs für Kinder ab 12 Jahren sollten korrigiert werden, nach denen mit dem Unterhaltsvorschuss eine Hilfebedürftigkeit nach dem SGB II vermieden bzw. der alleinerziehende Elternteil mindestens 600 Euro brutto verdienen muss. Es bleibt viel zu tun, damit der Ausbau des Unterhaltsvorschusses seine volle Wirkung entfalten kann!
Berlin im Januar 2018, Julia Preidel