STREIT 1/2024
S. 35-38
KG Berlin, §§ 138, 134, 242 BGB
Sittenwidrigkeit des ganzen Ehevertrages bei umfassendem Ausschluss von Rechten
Wenn eine formal wirksame Vereinbarung der Ehegatten über den Versorgungsausgleich der Inhalts- und Ausübungskontrolle nach § 8 Abs. 1 VersAusglG nicht standhält, ist der Versorgungsausgleich vom Familiengericht von Amts wegen entsprechend den gesetzlichen Regelungen durchzuführen. 
(amtlicher Leitsatz, auszugsweise)
Beschluss des KG Berlin vom 28.08.2023, 16 UF 21/23
Aus den Gründen:
I. Der Antragsteller, ein aus M in der südlichen Ukraine stammender deutscher Staatsangehöriger, wendet sich gegen den Ausspruch zum Versorgungsausgleich in dem vom Familiengericht am 3. Februar 2023 verkündeten Scheidungsverbundbeschluss, mit dem die Ehe der Beteiligten auf seinen Antrag geschieden und der Versorgungsausgleich entgegen seinem Antrag, diesen nicht zu regeln, den gesetzlichen Bestimmungen entsprechend durchgeführt wurde. 
Zur Begründung dafür, weshalb der Versorgungsausgleich nach den gesetzlichen Bestimmungen zu regeln sei, hat das Familiengericht darauf verwiesen, dass der vom Ehemann und der Antragsgegnerin, der Ehefrau – einer aus M stammenden, belarusischen Staatsangehörigen, die den Ehemann 2009 über ein russischsprachiges Internetportal kennengelernt und mit ihm nach mehreren, in Osteuropa verbrachten Urlauben im August 2010 in Berlin die Ehe eingegangen ist – am X 2012 […] abgeschlossene Ehevertrag unwirksam sei. […]
Deshalb seien die Hälfte der vom Ehemann in der Ehezeit – der Zeit vom X 2010 bis zum X 2020 – erworbenen Versorgungsanrechte, nämlich ein Anrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung mit einem Ausgleichswert von 10,2974 Entgeltpunkten bzw. einem korrespondierenden Kapitalwert von 77.668 € und ein Anrecht der betrieblichen Altersversorgung mit einem Kapitalwert von 6.282,74 €, auf die Ehefrau zu übertragen, wohingegen von der Ehefrau die Hälfte des von ihr im gleichen Zeitraum erworbenen Anrechts – ein Anrecht in der gesetzlichen Rentenversicherung mit einem Ausgleichswert von 1,0591 Entgeltpunkten und einem korrespondierenden Kapitalwert von 7.988,25 € – im Wege der internen Teilung auf das Versorgungskonto des Ehemannes zu übertragen. 
Hiergegen wendet sich der Ehemann. Er meint, der etwa 1½ Jahre nach Eheschließung am X 2012 abgeschlossene Ehevertrag sei wirksam mit der Folge, dass ein Versorgungsausgleich nicht durchgeführt werden dürfe, sondern jedem Ehegatten die jeweils erworbene, eigene Altersvorsorge uneingeschränkt erhalten bleiben müsse. […]
II. 1. Die Beschwerde ist zulässig: […]
2. In der Sache selbst erweist sich das Rechtsmittel des Ehemannes dagegen als nicht begründet. Denn auch unter Berücksichtigung seines Beschwerdevortrags gibt es gegen die Entscheidung des Familiengerichts in der Folgesache Versorgungsausgleich nichts zu erinnern: 
a) Aufgrund der belarussischen Staatsangehörigkeit der Ehefrau liegt ein Sachverhalt mit Auslandsbezug vor (Art. 3 EGBGB). Dennoch richtet sich die streitgegenständliche Regelung des Versorgungsausgleichs nach deutschem materiellem Recht: […]
b) Nach dem danach anwendbaren internen deutschen Sachrecht können die Ehegatten jedoch Vereinbarungen über den Versorgungsausgleich abschließen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 VersAusglG). An die Vereinbarungen der Ehegatten ist das Familiengericht gebunden (§ 6 Abs. 2 VersAusglG), soweit die getroffene Vereinbarung den in § 7 VersAusglG aufgestellten formalen Wirksamkeitsvoraussetzungen entspricht sowie weiter, wenn die Vereinbarung die gesetzlich vorgeschriebene Inhalts- und Ausübungskontrolle nach den §§ 138, 134 BGB bzw. nach § 242 BGB besteht (§ 8 Abs. 1 VersAusglG). Sollte die Vereinbarung diesem „Test“ nicht standhalten und sie entweder in formaler Hinsicht Mängel aufweisen oder inhaltlich unzureichend sein, besteht keine Bindung des Familiengerichts mit der Folge, dass der Versorgungsausgleich von Amts wegen den gesetzlichen Regelungen entsprechend durchzuführen ist.
Danach gilt im Einzelnen: 
(aa) Das Familiengericht hat in der angefochtenen Entscheidung überzeugend ausgeführt, dass der von den beteiligten Ehegatten am X 2012 zur Urkunde des Notars, B, zu dessen UR-Nr. X/2012 abgeschlossene, notariell beurkundete Ehevertrag den gesetzlichen Anforderungen an die Form der Vereinbarung (Art. 11 Abs. 1 EGBGB, §§ 7 Abs. 3 VersAusglG, 1410 BGB) entspricht. Von den Beteiligten wird hiergegen auch nichts erinnert mit der Folge, dass die Abrede formell wirksam ist (§§ 6, 7 VersAusglG). 
(bb) Im Rahmen der materiellen (inhaltlichen) Wirksamkeitskontrolle nach § 8 Abs. 1 VersAusglG ist zu prüfen, ob die Vereinbarung im Zeitpunkt ihres Zustandekommens offenkundig zu einer derartig einseitigen Lastenverteilung im Scheidungsfall führt, dass sie als sittenwidrig anzusehen und ihr deshalb nach § 138 Abs. 1 BGB die Anerkennung durch die Rechtsordnung zu versagen ist. Voraussetzung dafür, um zu einem solchen „Sittenwidrigkeitsurteil“ zu gelangen und die Vereinbarung „beiseiteschieben“ zu können, ist eine umfassende Gesamtwürdigung aller Umstände: 
Es ist zunächst zu prüfen, ob bzw. ggf. in welchem Umfang durch die Vereinbarung Regelungen aus dem Kernbereich des gesetzlichen Scheidungsfolgenrechts abbedungen werden und, falls das zu bejahen sein sollte, ob derartige Nachteile durch Vorteile an anderer Stelle wieder kompensiert werden (unter (i), (ii), (iii)). 
Sodann hat auf der Grundlage der individuellen Verhältnisse im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses eine umfassende Gesamtabwägung zu erfolgen (unter (iv), (v)), die sich in objektiver Hinsicht auf die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Ehegatten, auf den beabsichtigten oder bereits verwirklichten Zuschnitt ihrer Ehe, auf die Auswirkungen der Vereinbarung auf sie sowie ggf. auf ihre gemeinsamen Kinder erstrecken muss und bei der zusätzlich – nachdem die Ehefrau nicht über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügt – auch die ausländerrechtliche Situation zu berücksichtigen ist. In subjektiver Hinsicht sind im Rahmen dieser Gesamtabwägung die Zwecke zu berücksichtigen, die die Ehegatten mit der Abrede verfolgt haben und die beiderseitigen Gründe, die sie dazu bestimmt haben, die in Rede stehende Vereinbarung abzuschließen (vgl. BVerfG, Urteil vom 6. Februar 2001 – 1 BvR 12/92, BVerfGE 103, 89 = FamRZ 2001, 343 [Rz. 31f f.]; BVerfG, Beschluss vom 29. März 2001 – 1 BvR 1766/92, FamRZ 2001, 985 [Rz. 6ff.] sowie Frank, in Eschenbruch/Schürmann/Menne, Unterhaltsprozess [7. Aufl. 2021], Kap. 1 Rn. 1850f.; Grüneberg/Siede, BGB [82. Aufl. 2023], § 8 VersAusglG Rn. 4, § 1408 Rn. 8f.).
Dies vorausgeschickt, gilt:
(i) Mit dem Ehevertrag vom X Januar 2012 haben die Beteiligten im Wesentlichen einen sogenannten „Globalverzicht“ hinsichtlich mehr oder weniger sämtlicher gesetzlicher Scheidungsfolgen verabredet (vgl. Schwonberg in Rahm/Künkel, Handbuch des Familien- und Familienverfahrensrechts [2016], Abschnitt I B 17, Rn. 173, 326):
Der Versorgungsausgleich ist vollständig ausgeschlossen worden (§ 2 des Ehevertrages).
Der gesetzliche Güterstand wurde zugunsten einer vereinbarten Gütertrennung abbedungen (§ 3 Abs. 1, Satz 1 des Ehevertrages). 
Zusätzlich haben die Ehegatten vereinbart (§ 3 Abs. 1 Satz 2 des Ehevertrages), dass ein Zugewinn nicht angefallen sei und dass deshalb auch kein gesonderter Zugewinnausgleich aus Anlass des Abschlusses des Ehevertrages (§ 1378 Abs. 3 Satz 1 BGB) erfolgen soll: Bei der Würdigung dieser Klausel ist zu berücksichtigen, dass die Ehe der Beteiligten bei Abschluss des Ehevertrages am X 2012 grob schon etwa 18 Monate Bestand hatte, weil die Ehe bereits am X 2010 geschlossen worden war. In diesem Zeitraum muss nach allem, was aus der Akte ersichtlich ist, ein Zugewinn zugunsten der Ehefrau entstanden sein (Art. 15 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB a.F., §§ 1373, 1378 Abs. 1, 3 Satz 1 BGB) […]. Da die Ehefrau, wie sich aus ihrem Versicherungsverlauf in der gesetzlichen Rentenversicherung ergibt, in der Zeit bis zum X 2012 keine Einkünfte aus unselbständiger Erwerbstätigkeit – und, wie sich aus der Akte ergibt, auch nicht aus anderen Einnahmequellen – erzielt hat, spricht alles dafür, dass am X 2012 zugunsten der Ehefrau ein Anspruch auf Zugewinnausgleich bestand (§ 1378 Abs. 1 BGB), auf den sie – auch wenn die genaue Höhe nicht bekannt ist – nach § 3 Abs. 1 Satz 2 des Ehevertrages vollständig verzichtet hat, ohne dass der Ehevertrag hierfür einen wie auch immer gearteten Ausgleich vorgesehen hätte. 
Der nacheheliche Unterhaltsanspruch wurde weitestgehend ausgeschlossen (§ 4 Nr. 1, Nr. 2 des Ehevertrages): Grundsätzlich haben die Ehegatten einen vollständigen Verzicht auf jeglichen nachehelichen Unterhalt vereinbart, der lediglich dann nicht gelten sollte, wenn „einer von uns seine Berufstätigkeit wegen eines gemeinsamen Kindes ganz oder teilweise aufgeben muss“; in diesem Fall sollte sich der Unterhaltsanspruch nach § 1570 BGB bestimmen. Weiter sollte der Unterhaltsausschluss auch dann nicht gelten, wenn binnen Jahresfrist Scheidungsantrag gestellt wird (§ 1408 Abs. 2 Satz 2 BGB a.F.).
(ii) Damit haben die Ehegatten im Wesentlichen den Kernbereich des nachehelichen Unterhaltsrechts und den Versorgungsausgleich auf der zweiten Rangstufe abbedungen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 2004 – XII ZR 265/02, BGHZ 158, 81 = FamRZ 2004, 601 [Rz. 35, 38, 41, 42]). Denn der Versorgungsausgleich gilt als vorweggenommener Altersunterhalt und der Unterhalt wegen Alters nach § 1571 BGB rangiert in der „Rangordnung“ des Kernbereichs des Ehegattenunterhaltsrechts an zweiter Stelle (vgl. Frank, in Eschenbruch/Schürmann/Menne, Unterhaltsprozess [7. Aufl. 2021], Kap. 1 Rn. 1853; Grüneberg/Siede, BGB [82. Aufl. 2023], § 1408 Rn. 10). Vereinbarungen über den Versorgungsausgleich müssen deshalb nach denselben, strengen Kriterien geprüft werden wie ein vollständiger oder teilweiser Unterhaltsverzicht (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 2004, a.a.O. [Rz. 38, 42]).
(iii) Eine – wie auch immer geartete – Kompensation für diese, von der Ehefrau dem Ehevertrag zufolge hingenommenen Rechtsnachteile ist nicht erfolgt; der Ehevertrag sieht hierzu nichts vor. Der Einwand des Ehemannes, die Ehefrau habe mit dem Abschluss des Ehevertrages den Vorteil erlangt, dass er weiter mit ihr verheiratet geblieben ist und dass er ihr kostenfrei Unterkunft in der von ihm erworbenen Eigentumswohnung gewährt habe, verfängt ganz offensichtlich nicht: Die Fortsetzung der Ehe scheidet von vornherein als korrespondierender Vorteil zum Abschluss des Ehevertrages aus, weil die Fortsetzung der Ehe für beide Ehegatten mit Rechten, aber auch mit Pflichten verbunden ist (vgl. nur Grüneberg/Siede, BGB [82. Aufl. 2023], § 1408 Rn. 9). Der Hinweis auf eine kostenfreie Wohnraumgewährung geht fehl, weil der Ehemann hierzu bereits von Gesetzes wegen, im Rahmen der ihm obliegenden Pflicht, Familienunterhalt leisten zu müssen, gehalten war (Art. 3 Abs. 1 HUP, §§ 1360, 1360a BGB). Denn während der Ehe war fast ausschließlich er erwerbstätig; die gelegentliche Erwerbstätigkeit der Ehefrau fällt nicht nennenswert ins Gewicht.
(iv) Die nunmehr vorzunehmende Gesamtwürdigung auf objektiver Ebene ergibt bei der Zusammenschau aller maßgeblichen Umstände klar und deutlich, dass die von den Ehegatten am X 2012 notariell beurkundete Vereinbarung schon im Zeitpunkt des Zustandekommens – von Anfang an – objektiv auf eine einseitige Benachteiligung der Ehefrau ausgerichtet war (vgl. Grüneberg/Siede, BGB [82. Aufl. 2023], § 1408 Rn. 9; Frank, in Eschenbruch/Schürmann/Menne, Unterhaltsprozess (7. Aufl. 2021), Kap. 1 Rn. 1850): 
Zwischen den Ehegatten bestand ein ganz klares, eindeutiges Gefälle in wirtschaftlicher Hinsicht: […]
Von einer „Doppelverdienerehe“, die dem Vortrag des Ehemannes zufolge vorgelegen haben soll bzw. die angestrebt gewesen sein soll, kann keine Rede sein. […] Die Aufnahme einer regulären Erwerbstätigkeit war der Ehefrau praktisch nicht möglich, weil der Ehemann erwartet hat, dass sie ihn auf seinen regelmäßigen, mehrmonatigen bzw. bisweilen sogar über ein Jahr hinweg andauernden Montageeinsätze in ganz Europa begleitet. Damit wurde ihr zugleich im weiten Umfang die Möglichkeit genommen, die erforderlichen Sprachkurse zu besuchen, um im Inland eine ihrer Qualifikation angemessene Berufstätigkeit ausüben zu können. Entsprechendes gilt für die Kurse oder Fortbildungen, um sie in die Lage zu versetzen, dass ihre belarussische Ausbildung im Inland anerkannt werden kann, damit sie eventuell ihren erlernten Beruf als Lehrerin auch im Inland ausüben konnte. […] Im Ergebnis sprechen alle im Zeitpunkt des Ehevertragsabschlusses vorliegenden Indizien und Hinweise ganz klar für das Vorliegen einer „Alleinverdienerehe“, bestenfalls für das Modell einer „Hinzuverdienerehe“. Bis zur Scheidung der Ehe hat sich hieran im Übrigen auch nichts geändert. […]
Da die Ehefrau keine deutsche Staatsangehörige ist, hätte sie, wenn die Ehe im Zeitpunkt des Abschlusses des Ehevertrages geschieden worden wäre, über keinerlei Aufenthaltstitel mehr verfügt. Das Familiengericht verweist insoweit völlig zu Recht und zutreffend auf § 31 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes in der seinerzeit, bis September 2013 geltenden Fassung: Da die Ehe im Januar 2012 noch keine drei Jahre bestand, wäre die Aufenthaltserlaubnis der Ehefrau im Scheidungsfall bestenfalls um ein Jahr verlängert worden (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG a.F.). 
In der Zusammenschau mit dem enormen Gefälle in wirtschaftlicher Hinsicht liegt es auf der Hand, dass die Ehefrau vom Ehemann in jeglicher Hinsicht völlig abhängig war – dies unabhängig von (bzw. zusätzlich zu) dem Umstand, dass sie in Weißrussland alles aufgegeben hat, um nach Deutschland zum Ehemann kommen zu können. Bei dieser Sachlage hält aber der Ehevertrag einer Wirksamkeitskontrolle anhand von § 138 Abs. 1 BGB nicht stand (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 2006 – XII ZB 250/03, FamRZ 2006, 1097 [Rz. 13, 14f.]).
Aus der vorgelegten Notarurkunde geht nicht hervor, dass der Ehefrau der Vertragstext (ggf. nebst der erforderlichen Übersetzung in die russische Sprache) vor der Unterzeichnung im Beurkundungstermin vorab ausgehändigt worden wäre, so dass sie den Ehevertrag in Ruhe hätte prüfen können. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass sie die Möglichkeit gehabt hätte, sich vor der Unterschriftsleistung unabhängigen Rechtsrat zu verschaffen und sie über ihre Rechte aufgeklärt gewesen wäre und gewusst hätte, auf was sie verzichtet bzw. wie dieser Verzicht „einzuordnen“ ist. Schließlich ist auch nichts dafür ersichtlich, dass der Ehefrau die Bedeutung und die Reichweite eines – international in dieser Form kaum verbreiteten – Rechtsinstituts wie des Versorgungsausgleichs erläutert worden wäre: Der kurze Hinweis durch den Notar im Beurkundungstermin (§ 2 Abs. 2 des Ehevertrages) reicht hierfür nicht aus, zumal die Ehefrau praktisch den gesamten Beurkundungstermin hindurch nur geweint hat und sich offensichtlich in einer psychischen Ausnahmesituation befand. […]
Von einem wirklich freien Willensentschluss der Ehefrau, den Ehevertrag abzuschließen, kann objektiv – auch wenn das „Niveau“ einer widerrechtlichen Drohung nach § 123 Abs. 1, 2. Alt. BGB noch nicht erreicht gewesen sein dürfte – keine Rede sein: Das ergibt sich aus der persönlichen Schilderung der Ehefrau über den Verlauf des Notartermins vom X 2012, bei dem sie sich – ihrer Erklärung zufolge – gefühlt hat, „als ob ich eine Sklavin bin und muss machen, was sagt ‚der Besitzer‘“ (persönliche Schilderung der Ehefrau, eingefügt in ihren Schriftsatz vom 23. Februar 2021, dort S. 5; HA I/75). […]
(v) Bei Berücksichtigung auch der subjektiven Seite, nämlich der Zwecke, die der Ehemann mit der Abrede verfolgt hat, ist klar, dass die Vereinbarung gegen die guten Sitten verstößt: 
Der Ehemann hat erklärt, mit dem Vertragsabschluss habe er das Ziel verfolgt, sich mit seinen Ersparnissen eine Eigentumswohnung finanzieren zu wollen, ohne befürchten zu müssen, dass diese im Fall einer Ehescheidung „in den Zugewinn“ fällt: Dazu ist zu bemerken, dass die Finanzierung für eine Eigentumswohnung sicher auch ohne Ehevertrag zu bekommen ist. […] 
Der Ehemann trägt vor, die Ehefrau sei entschlossen gewesen, die Beziehung zu ihm nur in Deutschland fortzuführen, weil sie in Belarus keine Perspektive mehr für sich gesehen habe und für sich den höheren deutschen Lebensstandard angestrebt habe […]: Unterstellt, dass das zutreffend sein sollte, würde das den Ehemann dennoch nicht dazu berechtigen, die Ehefrau zum Abschluss eines einseitig benachteiligenden Ehevertrages zu drängen, der im praktischen Ergebnis dazu führt, dass sie auf den gebotenen Ausgleich für die von ihr getragenen ehebedingten Nachteile – u.a. der Verzicht auf eine eigene berufliche Karriere, um den Ehemann auf dessen Montageeinsätzen zu begleiten – vollständig verzichtet (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Februar 2013 – XII ZB 90/11, FamRZ 2013, 770 [Rz. 22 – für eine Anpassung im Rahmen der Ausübungskontrolle nach § 242 BGB]).
(vi) Im Ergebnis ist klar, dass der Ehevertrag bereits bei Abschluss, im X 2012, objektiv zu einer grob einseitigen Lastenverteilung zum Nachteil der Ehefrau geführt hat, bei der praktisch sämtliche gesetzlichen Scheidungsfolgen – mit Ausnahme des nachehelichen Betreuungsunterhalts, falls aus der Ehe betreuungsbedürftige Kinder hervorgegangen wären, was nicht der Fall ist – abbedungen wurden. Die Vertragsparität war eindeutig zu Lasten der Ehefrau verschoben: Denn sie stammte aus dem Ausland und hatte bei Vertragsabschluss im Inland weder „Fuß gefasst“ noch verfügte sie über eine wie auch immer geartete, eigenständige wirtschaftliche Absicherung. Sie beherrschte die Sprache nicht und es lagen keinerlei Anzeichen für eine alsbaldige Änderung dieser Situation vor. In wirtschaftlicher Hinsicht war die Ehefrau völlig vom Ehemann abhängig. Im Zeitpunkt des Ehevertragsabschlusses verfügte sie auch nicht über ein eigenständiges Aufenthaltsrecht im Inland, sondern wäre im Scheidungsfall gezwungen gewesen, Deutschland nach Ablauf bestimmter Fristen zu verlassen. 
(vii) Diese in jeder Hinsicht ungleiche Verhandlungssituation hat der Ehemann ausgenutzt: […]
Das ist sittenwidrig, weil der Ehemann damit u.a. die Zwangslage der Ehefrau ausgenutzt hat (§ 138 Abs. 2 BGB). Sittenwidrig ist das aber auch deshalb, weil zwischen den Ehegatten ein deutliches Einkommensgefälle bestand, die Ehefrau in keiner Weise wirtschaftlich abgesichert war und für sie auch keine realistische Aussicht bestand, in absehbarer Zeit in ihrem erlernten Beruf als Lehrerin im Inland erwerbstätig werden zu können. Da sie auch über keine anderweitige Altersabsicherung verfügte, ist die grob einseitige, kompensationslose Lastenverteilung zu ihren Ungunsten mit dem Gebot der ehelichen Solidarität schlechterdings unvereinbar (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Mai 2006 – XII ZB 250/03, FamRZ 2006, 1097 [Rz. 13ff.]; KG, Beschluss vom 16. Januar 2017 – 25 UF 30/16, FamRZ 2017, 791 [LS 1 bei juris]). […]
Mitgeteilt von Dr. Menne, Richter am KG Berlin