STREIT 3/2020
S. 117-118
Zum Urteil des BVerfG zum Versorgungsausgleich vom 26.5.2020
Stimme 1: Rechtsanwältin Ute Stöcklein, Berlin
Ich bin weder mit dem BVerfG-Urteil noch mit dessen positiver Würdigung froh. Das Urteil gibt allenfalls „Steine statt Brot“ für die Frauen, aber viel Arbeit für die Anwältinnen und für die Familiengerichte. Einen „Sieg für die Geschlechtergerechtigkeit“ sehe ich nicht, und auch nicht die Lösung der differenzierten Berechnungsfragen über „angepasste Berechnungsprogramme zum Versorgungsausgleich“.
Nun soll im Scheidungsverfahren, einem familienrechtlichen Massengeschäft, in jedem Einzelfall das Familiengericht im gegebenen Fall zusätzlich erst aufklären, ob für die ausgleichsberechtigte Frau bei dem Zielversorgungsträger eine „verfassungsrechtlich ausreichende Versorgung“ begründet wird, und dann den vom Quellversorgungsträger an den Zielversorgungsträger als Kapitalbetrag zu zahlenden Ausgleichswert so festsetzen, dass „übermäßige Transferverluste“ verhindert werden.
Das wird in einer Vielzahl der Fälle nicht geschehen, in einer weiteren Vielzahl erst in zweiter Instanz. Zu den Verfahrenskosten werden in vielen Fällen weitere erhebliche Sachverständigenkosten dazukommen. Auch eine außergerichtliche Beratung durch eine Rentenberaterin – sofern eine solche überhaupt ortsnah zu finden ist – wird weitere Kosten für die Berechtigte auslösen.
Unberücksichtigt lässt das Urteil des BVerfG einen weiteren Nachteil. Bei der externen Teilung nach § 17 VersAusglG, die wohl meist in die Versorgungsausgleichskasse erfolgt (denn nach § 222 Abs. 2 FamFG muss der gewählte Zielversorgungsträger zu der gewählten Teilung sein Einverständnis erklären, was andere Versorgungsträger oft nicht tun), erlangt die Ausgleichsberechtigte mit dem Ausgleichsbetrag nur eine reine Altersversorgung. Der Wegfall einer Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung wird nicht, wie im Fall der internen Teilung, rentenerhöhend berücksichtigt.
Die Hoffnung, dass mit den gängigen familienrechtlichen Berechnungsprogrammen – insbesondere von Gutdeutsch – eine Lösung der Probleme im Fall der externen Teilung nach § 17 VersAusglG leicht gefunden werden könnte, teile ich ebenfalls nicht. Bislang liefern diese Programme insbesondere Berechnungen aufgrund der von den Versorgungsträgern in ihrer Auskunft vorgegebenen Daten und Beträge. Es wäre erforderlich, dass das Berechnungsprogramm zusätzlich bei jeder externen Teilung nach § 17 VersAusglG das für die Berechtigte zu erwartende Anrecht und die entsprechende 10 %-Grenze beziffert.
Spannend und noch ungeklärt bleibt schließlich, ob rechtskräftige Altentscheidungen gem. § 17 VersAusglG, die den Anforderungen des BVerfG-Urteils nicht entsprechen, (rückwirkend) abgeändert werden können. Nach aktueller Rechtslage ist ein Abänderungsverfahren gem. §§ 225 ff. FamFG für Fälle der Regelversorgungen gem. § 32 VersAusglG, nicht für Fälle der betrieblichen Altersversorgung aber möglich.
Stimme 2: Richterin Sabine Heinke, Bremen
Als ordnungsgemäß fürsorgliche Familienrichterin empfehle ich in geeigneten Fällen den Beteiligten eine Verrechnungsvereinbarung, vor allem dann, wenn das extern auszugleichende Anrecht, wie meist, nicht riesig ist. Teilweise ist auch eine Verrechnung des korrespondierenden Kapitalwertes mit anderen Auseinandersetzungsgegenständen, z.B. der gemeinsamen Immobilie, naheliegend. Das vermeidet viel Ärger und führt zu ausgewogenen Ergebnissen.
In Fällen, in denen beide Beteiligte anwaltlich vertreten sind, frage ich an, ob eine Verrechnungsvereinbarung geschlossen werden soll und stelle die zahlenmäßigen Möglichkeiten anhand der Ausgleichsbilanz dar. Ist nur eine beteiligte Person anwaltlich vertreten, bespreche ich die Folgen der externen Teilung und die Möglichkeiten, diese zu vermeiden, in einem Termin, schreibe es zum Überlegen für Beide ins Protokoll und gebe die Gelegenheit, darüber nachzudenken und sich beraten zu lassen, ggf. eine notarielle Vereinbarung zu schließen. Anschließend gibt es einen neuen Termin, wenn die Beteiligten zu einem Ergebnis gekommen sind. Schriftliche Hinweise an nicht anwaltlich vertretene Beteiligte sind m.E. oft wenig zielführend, man muss ihnen das Problem im Gespräch nahebringen.
Externe Versorgungsausgleiche führe ich infolgedessen nur äußerst selten durch.
Eine Umfrage bei den zehn Kolleginnen an meinem Gericht ergab – vor der Entscheidung des BVerfG –, dass sie üblicherweise solche aus ihrer Sicht weitreichenden Hinweise nicht geben. Ich könnte mir vorstellen, dass dies häufiger der Fall wäre, wenn die Berechnungsprogramme nicht nur alle Verästelungen möglichen externen Ausgleichs vorgäben, sondern schlicht in Fällen, in denen vom Versorgungsträger der externe Ausgleich gefordert wird, die Möglichkeit eröffnen, der/dem Anwenderin den Vergleich zwischen externem Ausgleich und Verrechnungslösung zu ermöglichen. Entsprechende Programmierung sollte möglich sein.
Stimme 3: Rechtsanwältin Martha-Lina Bode, Bochum
... das Recht steht im Schaufenster – aber wer hat die Möglichkeit es „zu kaufen“.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts führt noch einmal sehr deutlich vor Augen, dass zwischen der Rechtslage an sich und ihrer Durchsetzung Welten liegen können.
Die wissenschaftliche Debatte um Fragen der mittelbaren Diskriminierung von Frauen wird vielleicht durch die Entscheidung vom 26.5.2020 gewinnen. Die praktische Durchsetzung der Rechte der geschiedenen Ehefrau im Falle der Notwendigkeit der externen Teilung von Anwartschaften aus der betrieblichen Altersversorgung wird jedoch durch die Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit des § 17 VersAusglG nur wenig gefördert werden.
Die Familiengerichte werden sich in der Praxis schwertun, wie gewünscht, die Problematik beim einzelnen Ausgleich der betrieblichen Altersversorgung mit Aufwand zu lösen. Auch wenn sie eigentlich in der ihnen vom Verfassungsgericht aufgegebenen Pflicht stehen, verbessern sich dadurch weder die zeitlichen Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen, noch die individuellen Belastbarkeiten der Familienrichter/innen und ihre realen Rechtskenntnisse.
Vermutlich wird sich daher wenig ändern, es wird in der Breite zunächst bei der verfassungswidrigen Situation zu Ungunsten der geschiedenen Ehefrauen im Falle der externen Teilung bleiben.
Dies hat zur Folge, dass auf die familienrechtlich tätigen Kolleginnen, die sich für die Interessen ihrer Mandantinnen engagieren, eine Menge Arbeit zukommt. Die Ausführungen der in der familienrechtlichen Praxis tätigen Rechtsanwältinnen Harriet Hoffmann-Baasen und Zümrüt Turan-Schnieders illustrieren dies eindrücklich.
Die betroffenen geschiedenen Ehefrauen mit einem Anspruch auf externe Teilung der betrieblichen Altersversorgung werden ihre Ansprüche – ihr Recht! – nur verfolgen und erreichen können, wenn sie ein Bewusstsein von ihrer Rechtsposition haben, also die Energie, sich zu informieren, die Entscheidungskraft, sich um diese Rechtsposition auch kümmern zu wollen/zu können und am Ende das Geld, sich eine kompetente Anwältin zu leisten.
Diese Lage hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26.05.2020 geschaffen.
Damit wird diese Entscheidung zu einem Bestandteil einer bereits seit längerem zu beobachtenden Entwicklung. Auf der einen Seite haben wir erfreuliche Tendenzen im Bereich der Normsetzungen und Rechtsprechungen, um die rechtliche Lage von Frauen zu verbessern. Auf der anderen Seite geschieht dies in einer Art und Weise, die das Recht unübersichtlicher und damit die Durchsetzung schwieriger macht.
Wir bewegen uns somit zwar sehr, sehr langsam, aber eben doch auf die Situation zu, die es bereits in weiten Teilen der Welt zu beklagen gilt. Es gibt Rechte für Frauen auf dem Papier aber nicht in der Realität. Die formale und die reale rechtliche Lage drohen so auch hier immer weiter auseinanderzuklaffen.
Die augenblickliche Corona-Krise verdeutlicht dies in der allgemeinen anwaltlichen Praxis noch einmal augenfällig: Selbst bei einer offensichtlich rechtswidrigen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sind es z. B. gerade Frauen, die nichts unternehmen. Sie brauchen ihre Kraft für die Bewältigung der ganz alltäglichen Existenzsicherung für sich und ihre Familie.
Es wird gelegentlich vergessen, dass es bereits Anstrengung und Energie kostet, sich der eigenen Rechte bewusst zu werden und zu sein, also eine Vorstellung davon zu haben, dass das, was mir in Machtausübung anderer geschieht, nicht hingenommen werden muss. Dies gilt insbesondere an den Stellen, an denen Verhältnisse gestaltet oder neu geordnet werden, wie bei einer Scheidung: den Betroffenen muss klar werden, dass es für Frauen richtig ist (und ihnen auch zusteht), die eigenen Interessen und Bedürfnisse zu formulieren und auch verwirklichen zu wollen.
In der Mehrzahl wird das Fehlen der Rechtsdurchsetzung oder die Schwierigkeiten damit insbesondere die Frauen treffen, denen es – gerade auch durch die Scheidung hervorgerufen – wirtschaftlich schlecht geht, die ihre Rechte nicht kennen und für die es dann auch im Falle einer Scheidung schon eine große Überwindung bedeutet, sich anwaltlich vertreten zu lassen. Dabei müssen sie Glück haben, sie, die nicht selten auf Verfahrenskostenhilfe im Scheidungsverfahren angewiesen sein dürften, wenn sich ihre anwaltliche Vertretung gut auskennt und in ihrer Sache engagiert. Damit sollten sich Frauen nicht zufrieden geben müssen.
Recht muss sich bewähren, wenn es schwierig ist und knirscht; ein Schönwetterrecht, wenn alles passt, alle nett sind, sich alle freundlich und gesetzeskonform verhalten, erfüllt nicht seinen Zweck. Bei der Rechtsdurchsetzung müssen Hürden abgebaut und nicht noch weitere hinzugefügt werden.
Das Recht – und hier die Anwendung des § 17 VersAusglG – erweist sich erst dann als tauglich, wenn die geschiedene Ehefrau eines Stahlarbeiters mit geringer Schulbildung beim Familiengericht in der Vorstadt und vertreten durch die Anwältin „an der Ecke“ am Ende den ihr verfassungsrechtlich zustehenden Teil der betrieblichen Altersversorgung ganz selbstverständlich auch tatsächlich erhält.
Hinweis
Die Redaktion weist auch auf den Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die GRÜNEN zur Streichung des § 17 VersAusglG vom 25.9.19 – BT Dr. 19/13552 – hin sowie auf die Stellungnahme von Rechtsanwältin Lucy Chebout zu der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts:
Verfassungsblog.de, Lucy Chebout, Verfassungsrecht ist zumutbar – auch den Familiengerichten, 12. Juni 2020.