STREIT 3/2020

S. 114-116

Anwaltliche Praxis im Familienrecht aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 26.5.2020 – 1 BvL 5/18

Diese Entscheidung verändert die anwaltliche (Beratungs-)Tätigkeit zwar nicht grundlegend, soll aber Anlass sein, die besonderen Anforderungen und Gefahren für Versorgungsausgleichverfahren zu verdeutlichen.
In der Entscheidung wurde es als verfassungsgemäß erachtet, bei betrieblichen Anrechten aus Direktzusage und Unterstützungskasse die externe Teilung über die Wertgrenze des § 14 Abs. 2 Nr. 2 VersAusglG hinaus in den Grenzen des § 17 VersAusglG zu erlauben (BVerfG, Urteil vom 26. Mai 2020 – 1 BvL 5/18 –, Rn. 102, juris).
Das Bundesverfassungsgericht führt aus, dass sich die Regelungen der externen Teilung benachteiligend für Inhaber von Versorgungsanrechten, deren Anrechte sich innerhalb der Wertgrenze des § 17 VersAusglG halten, gegenüber Inhabern von Versorgungsanrechten, deren Versorgungsanrechte die Wertgrenze des § 17 VersAusglG überschreiten, auswirken, was jedoch bei „verfassungskonformer Anwendung“ gerechtfertigt sei (BVerfG, Urteil vom 26. Mai 2020 – 1 BvL 5/18 –, Rn. 93 und 104 und 107 juris).
Dabei spielt das Interesse der ausgleichsberechtigten Person, ihr eigenes Anrecht ebenfalls beim Quellversorgungsträger zu erhalten, gegenüber den für die externe Teilung sprechenden Interessen keine entscheidende Rolle; dies war auch nicht der Grund für die Vorlage des OLG Hamm an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, a.a.O. Rn. 66, juris).
Gleichzeitig weist jedoch das Bundesverfassungsgericht darauf hin, dass die Nachteile der externen Teilung grundsätzlich mehr geschiedene Frauen als Männer treffen und verweist auf BTDrucks 16/10144, S. 44, wonach ungefähr 80 % aller ausgleichsberechtigten Personen Frauen seien, die den Nachteil von Transferverlusten bei externer Teilung tragen und dass „solche faktischen Benachteiligungen“ nur gerechtfertigt werden können, wenn dafür hinreichend gewichtige Gründe bestehen (BVerfG, a.a.O. Rn. 69, juris). Die gegenläufigen Interessen von Arbeitgebern an der externen Teilung, dafür lediglich einen aufwandsneutralen Kapitalbetrag zahlen zu müssen, sind zwar im Grundsatz anzuerkennen, jedoch dürfen die Nachteile der externen Teilung nicht um jeden Preis auf die ausgleichsberechtigte Person verlagert werden und es sind – wegen der oben erwähnten faktischen Benachteiligung von Frauen einer solchen Verlagerung „enge Grenzen gesetzt“ (BVerfG, a.a.O. Rn. 73, juris).
Es geht also in der Praxis um diese „verfassungskonforme Anwendung“, wobei es nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Aufgabe der Gerichte ist, bei Durchführung des Versorgungsausgleichs den als Kapitalbetrag zu zahlenden Ausgleichswert so festzusetzen, dass neben den Interessen des Arbeitgebers auch die Grundrechte insbesondere der ausgleichsberechtigten Person gewahrt sind, indem übermäßige Transferverluste verhindert werden (BVerfG, a.a.O. Rn. 89, juris und es komme dabei „auf die Rechtsanwendung durch die Gerichte an“ Rn. 96, juris). Die Transferverluste müssen sich in den durch Art. 14 Abs. 1 GG gesetzten Grenzen halten.

Dies ist also der Kernpunkt für die künftige Praxis. Dass dies Aufgabe der Gerichte ist, bedeutet allerdings nicht, dass man sich als Anwältin nun bequem zurücklehnen kann. Denn wenn die Gerichte dieser Aufgabe nicht oder unrichtig nachkommen, trifft die Haftung uns Anwältinnen. Auch werden bei richtiger Beratung der eigenen Mandantin und entsprechendem Vortrag im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens Verzögerungen des Scheidungsverfahrens vermieden.
Folgendes ist dafür wichtig:

  • Bereits bei der Erstberatung für eine Ehescheidung ist es ratsam, bei der Mandantin nicht nur deren Versorgungen abzufragen, sondern auch die des Ehemannes bzw. jedenfalls dessen derzeitigen und vielleicht auch vorangegangene Arbeitgeber.

  • Bei der Prüfung und Versendung des Fragebogens V 1, der vom Ehemann ausgefüllt vom Gericht übersandt wird, die Mandantin bitten, ihr Augenmerk insbesondere auch auf die Angabe der Arbeitgeber des Ehemannes zu richten.

  • Insbesondere die Auskünfte des Versorgungsträgers von betrieblichen Altersversorgungen kritisch ansehen und ggf. bei Gericht einen Antrag nach § 220 Abs. 4 FamFG stellen, dass der Versorgungsträger der betrieblichen Altersversorgung eine nachvollziehbare Berechnung des mitgeteilten Wertes für das Anrecht vorlegt.

  • Wenn die Mandantin schon das Rentenalter erreicht hat, das Gericht darauf hinweisen, dass nach § 14 Abs. 5 VersAusglG die externe Teilung unzulässig ist.

  • Die Mandantin rechtzeitig darauf hinweisen, dass sie sich im Falle, dass vom Versorgungsträger externe Teilung verlangt wird, überlegt, welche Zielversorgung sie wählt, so dass dies dem Familiengericht rechtzeitig mitgeteilt werden kann. In diesem Zusammenhang ihr anraten, ggf. eine Rentenberaterin in dieser Frage hinzuzuziehen.

Die Frage der Zielversorgung war schon bislang ein wichtiger Punkt. Denn wird keine Zielversorgung gewählt, so wird gemäß § 15 Abs. 5 S. 2 VersAusglG das Kapital zur Begründung eines Anrechts für die Berechtigte in die Versorgungsausgleichskasse transferiert, was wegen der dort wesentlich geringeren Rendite nicht empfehlenswert ist.
Gerade die Auswirkungen der externen Teilung für die Ausgleichsberechtigten in der Zielversorgung sind aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sehr in den Vordergrund gerückt. Das Bundesverfassungsgericht spricht in seiner Entscheidung explizit von „der praktischen Durchführung der externen Teilung“ und führt aus, dass „zur Wahrung der verfassungsrechtlichen Anforderungen, dass aus dem vom Arbeitgeber vorgeschlagenen Ausgleichswert bei dem von der ausgleichsberechtigten Person gegebenenfalls gewählten Zielversorgungsträger oder bei der gemäß § 15 Abs. 5 Satz 2 VersAusglG aufnahmeverpflichteten Versorgungsausgleichskasse oder – sofern die Anrechtsbegründung dort möglich ist – bei der gesetzlichen Rentenversicherung eine verfassungsrechtlich ausreichende Versorgung begründet werden kann.“ Es weist wiederum darauf hin, dass das Familiengericht dies aufklären müsse (BVerfG, a.a.O. Rn. 90, juris).
Dies gibt Anlass zu folgender Anregung:

  • Zusammen mit der Information, welche Zielversorgung gewählt wurde, das Gericht um Prüfung bitten, ob dort eine ausreichende Versorgung für die Ausgleichsberechtigte begründet werden kann und falls dies nicht der Fall sein sollte, den Ausgleichswert anderweitig festzusetzen, um den Transferverlust zu vermeiden (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 91, juris) und vorab darüber Mitteilung zu machen.

  • Die Mandantin darauf hinweisen, dass sie vorsorglich selbst es prüfen (lassen) sollte und ggf. eine Rentenberaterin hinzuziehen sollte (s.o.)

Das Bundesverfassungsgericht weist unter Bezugnahme auf § 14 Abs. 4 VersAusglG darauf hin, dass das Familiengericht über die Bestimmung des Ausgleichswerts das Maß der zu erwartenden Transferverluste steuern kann. Es nimmt dafür auf die Vorstellung des Gesetzgebers in BTDrucks 16/10144, S. 50 Bezug, wonach die Familiengerichte die vom Versorgungsträger nach § 5 Abs. 1 VersAusglG vorzunehmende Berechnung des Ehezeitanteils und dessen nach § 5 Abs. 3 VersAusglG zu unterbreitenden Vorschlag des Ausgleichswerts prüfen und in eigener Verantwortung den Ausgleichswert festsetzen sollen (BVerfG a.a.O. Rn. 82 und 89, juris). Aus der Praxis ist jedoch bekannt, dass das kaum jemals von Gerichtsseite geschieht und in aller Regel die Mitteilungen des Versorgungsträgers übernommen werden und sich eher Unwillen beim Gericht regt, wenn von Anwältinnen diese Werte in Frage gestellt werden.
Dafür, wie die Berechnung im Einzelnen vorzunehmen ist, weist das Bundesverfassungsgericht auf die unterschiedlichen Berechnungswege aus der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte hin: OLG Hamm, Beschluss vom 6. Februar 2012 – 12 UF 207/10 –, juris; OLG Nürnberg, Beschluss vom 31. Januar 2014 – 11 UF 1498/13 -, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 24. November 2014 – 11 UF 342/13 -, juris (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 82, juris). Es empfiehlt sich, diese Entscheidungen parat zu haben, um damit argumentieren zu können. Welche Berechnungsweise sich in der Rechtsprechung der Instanzgerichte durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.

Ein besonderes Augenmerk sollte dabei darauf gerichtet werden, welchen Rechnungszinssatz der Versorgungsträger verwendet hat. Auch dieser ist gesetzlich nicht vorgegeben, worauf das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hinweist (vgl. BVerfG a.a.O. Rn. 84, juris). Es stellt dabei klar, dass entgegen der Formulierung die Wahl des Rechnungszinses nicht den Versorgungsträgern überlassen ist, sondern diese nur einen Vorschlag machen, der für das Gericht jedoch nicht bindend ist. Es betont unter Bezugnahme auf § 222 Abs. 3 FamFG und BTDrucks16/10144, S. 50; OLG Nürnberg, Beschluss vom 31. Januar 2014 – 11 UF 1498/13 –, Rn. 46, juris, dass die Gerichte „eine eigene rechtliche Entscheidung“ treffen und gegebenenfalls den vom Versorgungsträger zugrunde gelegten Zinssatz korrigieren müssen, um übermäßige Transferverluste zu vermeiden (vgl. ­BVerfG a.a.O. Rn. 87, juris).
Oftmals wird der Rechnungszins in den Auskünften der Versorgungsträger gerade nicht angegeben und man sollte als Anwältin unbedingt über das Gericht den Versorgungsträger auffordern, ihn mitzuteilen, und am besten von dem Antrag nach § 220 Abs. 4 FamFG auf Vorlage einer nachvollziehbaren Berechnung Gebrauch machen (s.o.). Die Praxis lehrt, dass sich bislang die Versorgungsträger außerordentlich gegen diese Verpflichtung wehren und man fragt sich natürlich warum. Auch den Instanzgerichten ist dabei vorzuhalten, dass sie sich nur mit Erläuterungen der Versorgungsträger begnügen, ohne sich eine solche Berechnung vorlegen zu lassen. Es ist an uns Anwältinnen, uns „unbeliebt“ zu machen und dieses Instrument regelmäßig gerade bei betrieblichen Altersversorgungen zu nutzen.
Das Familiengericht wird schon deswegen eine Vorabinformation über den zu ändernden Ausgleichswert geben müssen, um dem Arbeitgeber die Gelegenheit zu geben, doch noch die interne Teilung zu wählen. Es bleibt abzuwarten, ob die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts dazu führt, dass sich die Versorgungsträger betrieblicher Altersversorgungen doch zunehmend dafür entscheiden werden, die interne Teilung zu wählen.
Auch an dieser Stelle sollte man als Anwältin diese Vorabmitteilung der eigenen Mandantin schicken mit dem Hinweis, vorsorglich auch diesen Wert rentenrechtlich überprüfen zu lassen.

Ist nun all das in erster Instanz übersehen worden und unterblieben, ist das Anlass, der eigenen Mandantin zu einer Beschwerde wegen des Versorgungsausgleichs zu raten, die ja kostengünstig auf das fragliche Anrecht beschränkt werden kann, wenn die Entscheidung sonst keine Fehler aufweist. Auch hier sind wir als Anwältinnen in der besonderen Verantwortung, die Entscheidung zu prüfen und rechtzeitig zu einem Rechtsmittel zu raten. In diesem Zusammenhang wird darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 07. September 2011 – XII ZB 546/10 –, juris) das Kapital zwischen Rechtskraft der Ehescheidung und Zahlung zu verzinsen ist.

Zum Abschluss noch ein Wort zu Vereinbarungen zwecks externer Teilung und ganz allgemein zu Verrechnungsvereinbarungen. § 14 Abs. 2 Ziff. 1 ­VersAusglG lässt Vereinbarungen der Beteiligten mit dem Versorgungsträger zu, dass ein Anrecht extern geteilt wird. Es stellen sich dabei jedoch alle die Probleme, die vorstehend geschildert wurden. Vielleicht ist das der Grund, dass, soweit ersichtlich, davon kaum Gebrauch gemacht wird. Sollten wir als Anwältinnen aufgefordert sein, an einer solchen Vereinbarung mitzuwirken, sollten wir daran denken, vorher auf alle diese Unwägbarkeiten hinzuweisen. Auch ist der Gedanke, einen Haftungsausschluss im Hinblick auf Bewertungsfragen zu vereinbaren, naheliegend.
Die allgemeine Grundlage für Vereinbarungen nur zwischen den Beteiligten, also ohne Beteiligung eines betroffenen Versorgungsträgers, sind die §§ 6–8 VersAusglG. Es gelten die Formvorschriften des § 8 VersAusglG. Je nach Inhalt wird das Gericht anlässlich der Scheidung trotzdem durch Beschluss die Vereinbarung umsetzen müssen. Auch hier sind die Gerichte nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen der Inhalts- und Ausübungskontrolle gefordert, die in der Entscheidung benannten verfassungsrechtlichen Grenzen anzuwenden.
Die Gefahren einer Vereinbarung über den Ausgleichswert zeigt eine Entscheidung des Saarländischen Oberlandesgerichts Saarbrücken (Beschluss vom 11. Mai 2011 – 6 UF 32/11 –, juris), die aufgrund der Beschwerde des Versorgungsträgers der betrieblichen Altersversorgung erfolgte, der die externe Teilung des Anrechts verlangte, nachdem er nachträglich erfahren hatte, dass die Ehegatten die Herabsetzung des Ausgleichswerts vereinbart hatten.
„Verrechnungsabreden“ werden in § 6 ­VersAusglG nicht ausdrücklich genannt. Sie sind aber grundsätzlich zulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2019 – XII ZB 537/17 –, Rn. 17, juris). Wenn man sich auf erteilte Auskünfte über Kapitalwerte oder korrespondierende Kapitalwerte einfach nur verlässt und sie nominal gleichsetzt, obwohl es sich um Anrechte aus unterschiedlichen Versorgungstypen handelt, kann vor solchen Vereinbarungen nur gewarnt werden – was die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sehr deutlich macht. Einer Verpflichtung, einer Verrechnungsabrede zuzustimmen, hat der Bundesgerichtshof in seiner vorstehend zitierten Entscheidung eine Absage erteilt. Darauf kann man sich ohne weiteres berufen, falls das Gericht und/oder der Ausgleichspflichtige im Falle einer externen Teilung auf den Abschluss einer Verrechnungsabrede drängen sollten.
Insofern – ja, die Entscheidung gibt „Steine statt Brot“, sie macht viel Arbeit – aber wenn sie gut beraten sind, können unsere Mandantinnen durch sie auch gewinnen!