STREIT 1/2022

S. 32-34

AG München, §§ 1592, 1600d Abs. 4 BGB, Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 3 GG

§ 1592 BGB benachteiligt die Ehefrau der Mutter wegen des Geschlechts

1) Das Recht der Ehefrau der Mutter auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GG ist verletzt. Sie wird als die Frau, die mit der Mutter im Zeitpunkt der Geburt des im Wege der qualifizierten Samenspende im Sinne von § 1600d Abs. 4 BGB gezeugten Kindes verheiratet ist, ohne rechtfertigenden Grund aufgrund ihres Geschlechts gegenüber einem Mann in einer entsprechenden Situation benachteiligt.
2) Rechtliche Elternschaft ist in unserer Rechtsordnung nicht kategorisch auf eine Frau als Mutter und einen Mann als Vater begrenzt, denn Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG spricht nicht von Mutter und Vater, sondern von geschlechtlich nicht spezifizierten Eltern.
3) Die Beschränkung der elterlichen Verantwortung auf einen Elternteil ungeachtet aller Bemühungen des Ehepaares, die rechtlichen Rahmenbedingungen gemeinsamer Elternschaft soweit wie möglich nachzubilden, verletzt die Rechte des Kindes auf Gleichbehandlung.
(Leitsätze der Redaktion)

AG München, Vorlagebeschluss vom 11. November 2021, Az. 542 F 6701/21

Aus den Gründen:
Das Verfahren muss nach Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eingeholt werden. […]

4.1 Das Recht der [Ehefrau der Mutter] auf Gleichbehandlung aus Art. 3 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 GG ist verletzt. Sie wird als die Frau, die mit der Mutter im Zeitpunkt der Geburt des im Wege der qualifizierten Samenspende im Sinne von § 1600d Abs. 4 BGB gezeugten Kindes verheiratet ist, ohne rechtfertigenden Grund aufgrund ihres Geschlechts gegenüber einem Mann in einer entsprechenden Situation benachteiligt. Wäre die [Ehefrau der Mutter] ein Mann, wäre sie automatisch der rechtliche Vater des [Kindes]. Nur aufgrund ihres Geschlechts muss sie den Weg der Adoption beschreiten, wenn sie Elternteil des [Kindes] werden will. Für diese Ungleichbehandlung gibt es keinen rechtfertigenden Grund.
a) Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfG, Beschluss vom 07.10.1980 – 1 BvL 50, 89/79, 1 BvR 240/79, […] st. Rspr.).
Art. 3 Abs. 1 GG verwehrt dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung. Differenzierungen bedürfen jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen. Hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den die Ungleichbehandlung tragenden Sachgrund ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die von gelockerten auf das Willkürverbot beschränkten Bindungen bis hin zu strengen Verhältnismäßigkeitserfordernissen reichen können. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich aus den jeweils betroffenen Freiheitsrechten ergeben. Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für den Einzelnen verfügbar sind oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (BVerfG, Beschluss vom 26.3.2019 – 1 BvR 673/17, BVerfGE 151, 101 […]).

b) Hier gilt der strenge Rechtfertigungsmaßstab für unmittelbare Diskriminierungen wegen des Geschlechts. Das Geschlecht ist nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 GG grundsätzlich kein geeigneter Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung (BeckOK GG/Kischel, 48. Ed. 15.08.2021, GG Art. 3 Rn. 184 m. w. N.). An das Geschlecht anknüpfende differenzierende Regelungen sind mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG nur vereinbar, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind. Fehlt es an zwingenden Gründen für eine Ungleichbehandlung, lässt sich diese nur noch im Wege einer Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht legitimieren (BVerfG, Beschluss vom 25.10.2005, 2 BvR 524/01, BVerfGE 114, 357 […]). […] Eine mit der Mutter des Kindes verheiratete Frau ist von den einem Mann eröffneten Möglichkeiten, ohne Adoption Elternteil des Kindes zu werden, allein aufgrund ihres Geschlechtes ausgeschlossen.

c) Diese Ungleichbehandlung ist nicht zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur bei Männern und Frauen auftreten können, zwingend erforderlich. Zwar versteht es sich von selbst, dass nur ein Mann der Vater eines Kindes sein kann und zumindest nach dem derzeitigen und absehbaren Stand der Reproduktionsmedizin ein Kind nur von einer Frau und einem Mann, nicht aber von zwei Frauen oder zwei Männern genetisch abstammen kann. Rechtliche Elternschaft ist aber in unserer Rechtsordnung nicht kategorisch auf eine Frau als Mutter und einen Mann als Vater begrenzt, denn Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG spricht nicht von Mutter und Vater, sondern geschlechtlich nicht spezifizierten Eltern (BVerfG, Urteil vom 19.02.2013 – 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09, BVerfGE 133, 59 […]). […] Der Gesetzgeber kann […] typisierend den mit der Mutter verheirateten Mann grundsätzlich und auch dann, wenn es nach den tatsächlichen Umständen des konkreten Einzelfalles tatsächlich völlig ausgeschlossen ist, dass das Kind von ihm abstammt, als Vater des Kindes vermuten. […] Weicht der Gesetzgeber aber von der allgemeinen Typisierung in bestimmten Fällen ab, muss dies konsequent und widerspruchsfrei geschehen. Daran fehlt es in einer einzigen besonderen, hier aber einschlägigen Fallkonstellation der qualifizierten Samenspende im Sinne von § 1600d Abs. 4 BGB […].
Seit 01.07.2018 hat der Gesetzgeber für Kinder, die durch eine ärztlich unterstützte künstliche Befruchtung in einer Einrichtung der medizinischen Versorgung im Sinne von § 1a Nr. 9 TPG unter heterologer Verwendung von Samen gezeugt wurden, der vom Spender einer Entnahmeeinrichtung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SaRegG zur Verfügung gestellt wurde, [die] rechtliche Vaterschaft von der leiblichen Vaterschaft vollständig entkoppelt. Die leibliche Vaterschaft ist in diesen Fällen weder Bedingung noch Anknüpfungspunkt für die rechtliche Vaterschaft, sondern im Gegenteil ein unüberwindliches Hindernis: Der leibliche Vater eines so gezeugten Kindes kann nicht als rechtlicher Vater festgestellt werden.

Im Zusammenspiel bedeuten §§ 1591, 1592 Nr. [1], 1600d Abs. 4 BGB, dass der mit der Mutter verheiratete Mann anstelle des Mannes, von dem das Kind abstammt, Vater eines durch qualifizierte Samenspende im Sinne von § 1600d Abs. 4 BGB gezeugten Kindes wird. Anders als in den übrigen von § 1592 Nr. [1] BGB erfassten Fällen lässt sich diese Zuordnung eines Kindes zu einem Vater nicht auf eine regelmäßig zutreffende Vermutung biologischer Abstammung stützen. Sie ist stattdessen durch die positive Prognose einer sozialen Elternschaft des Ehemannes der Mutter begründbar […]. Diese Prognose ist aber nicht vom Geschlecht des zweiten Elternteils abhängig. Für die Schutzbedürftigkeit des zum Wohle des Kindes gewährten Elternrechts gegenüber dem Staat macht es keinen Unterschied, ob die Eltern gleichen oder verschiedenen Geschlechts sind (BVerfG, Urteil vom 19.02.2013 – 1 BvL 1/11,1 BvR 3247/09, BVerfGE 133, 59 […]). Die mit der Geburtsmutter verheiratete Frau eines durch qualifizierte Samenspende nach § 1600d Abs. 4 BGB gezeugten Kindes kann ebenso für das Kind ihrer Ehepartnerin Verantwortung übernehmen, wie ein Mann es könnte.

d) Andere Gründe, die eine Anknüpfung am Geschlecht der mit der Mutter verheirateten Person rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich. Weder das Kindeswohl, noch Rechte Dritter sind unterschiedlich davon betroffen, ob das Kind einem Mann oder einer Frau als Elternteil zugeordnet wird. Es dient dem Kindeswohl am besten, wenn ihm von Anfang an zwei Elternteile zugeordnet werden, weil sich seine Rechtsstellung dadurch erheblich verbessert (KG, Beschluss vom 24.03.2021 – 3 UF 1122/20, NJOZ 2021, 840 Rn. 78; insoweit zutreffend auch, allerdings für eine analoge Anwendung von § 1592 Nr. 1 BGB: Löhnig, NJW 2019, 122, 124). Weder die Rechtsposition des biologischen Vaters, der nach § 1600d Abs. 4 BGB von der rechtlichen Vaterschaft ausgeschlossen ist, noch sonstige schützenswerten Interessen Dritter werden durch die automatische Elternschaft der mit der Mutter im Zeitpunkt der Geburt verheirateten Frau beeinträchtigt […].

e) Ob das Abstammungsrecht darüber hinaus möglicherweise auch gleichgeschlechtliche männliche Eltern ungerechtfertigt benachteiligt, mag einer gesetzgeberischen Klärung bedürfen (so BGH, Beschluss vom 10.10.2018 – XII ZB 231/18, […]), kann aber die hierzu beurteilende Ungleichbehandlung nicht rechtfertigen.

4.2 Verletzt ist ebenfalls das Recht des [Kindes] aus Art. 3 Abs. 1 GG auf Gleichbehandlung mit durch qualifizierte Samenspende im Sinne von § 1600d Abs. 4 BGB gezeugten Kindern, deren Mutter im Zeitpunkt der Geburt nicht mit einer Frau, sondern mit einem Mann verheiratet ist. Hierin liegt zwar keine unmittelbare Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts, weil das Geschlecht des betroffenen Kindes für die Zuordnung des Elternteils irrelevant ist. Es gilt dennoch ein strenger Prüfungsmaßstab, weil der Verweis auf das Adoptionsverfahren an Stelle der automatischen Zuordnung der rechtlichen Elternschaft für die Persönlichkeitsentfaltung wesentliche Grundrechte des Kindes berührt, nämlich das Recht auf Gewährleistung elterlicher Pflege (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und auf geschütztes Zusammenleben des Kindes mit seiner Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und deren Stabilisierungsfunktion für das Kind […]. Zumindest bis zum erfolgreichen Abschluss eines möglicherweise zeitaufwendigen, als belastend und bedrängend empfundenen Adoptionsverfahrens hat die mit der Mutter des Kindes verheiratete Frau sorgerechtliche Befugnisse nur nach § 1687b BGB und nicht die rechtliche Stellung eines Elternteils. Dagegen wird der mit der Mutter verheiratete Mann Vater des Kindes nach § 1592 Nr. 1 BGB und erhält mit der Mutter gleichberechtigt die gemeinsame elterliche Sorge, die er im Einvernehmen mit ihr zum Wohl des Kindes auszuüben hat.
Nicht nur kann durch die Beschränkung der elterlichen Verantwortung auf einen Elternteil ungeachtet aller Bemühungen des Ehepaares, die rechtlichen Rahmenbedingungen gemeinsamer Elternschaft soweit wie möglich nachzubilden, das Zusammenleben des Kindes mit seiner Familie beeinträchtigt werden. Verstirbt die Mutter noch vor erfolgreichem Abschluss eines Adoptionsverfahrens, ist das Kind einer mit einer Frau verheirateten Geburtsmutter sogar ganz ohne rechtlichen Elternteil. Das Kind kann zudem schon allein aufgrund der rechtlichen Umstände den Eindruck gewinnen, dass seine Familie weniger wertvoll sei als die Familie verschiedengeschlechtlicher Ehepaare, so dass deren stabilisierende Wirkung für ihn beeinträchtigt wird […].