STREIT 1/2022
S. 34
AG München, Art. 19 Abs. 1 EGBGB
Mit-Mutterschaft nach britischem Recht
Im Hinblick auf die Abstammung gilt das sogenannte Günstigkeitsprinzip. Das heißt, es ist die Rechtsordnung anzuwenden, welche dem Kind am schnellsten einen zweiten rechtlichen Elternteil verschafft.
(Leitsatz der Redaktion)
AG München, Beschluss vom 29. Juni 2021, Az. 528 F 12176/20
Tenor:
Es wird festgestellt, dass zwischen dem am … in … geborenen [Kind] und der [Ehefrau der Mutter] ein Eltern-Kind-Verhältnis besteht.
Zum Sachverhalt:
Das Verfahren betraf die Feststellung des Bestehens eines Eltern-Kind-Verhältnisses gem. § 169 Nr. 1 FamFG. Das Kind war in eine Ehe zweier Frauen hineingeboren worden. Die Ehefrau der Mutter war sowohl deutsche als auch britische Staatsangehörige. Um Auskunft zum materiellen Abstammungsrecht in Großbritannien zu bekommen, wandte sich die Familienrichterin an das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen (EJN) – eine kostengünstige und zeitsparende Alternative zu aufwendigen Sachverständigengutachten oder internationalen Amtshilfeersuchen.
Aus den Gründen:
[…] Nach Art. 19 Abs. 1 Satz 1 EGBGB unterliegt die Abstammung eines Kindes dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat (Aufenthaltsstatut). Sie kann gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EGBGB im Verhältnis zu jedem Elternteil auch nach dem Recht des Staates bestimmt werden, dem dieser Elternteil angehört (Personalstatut), oder, wenn die Mutter verheiratet ist, gemäß Art. 19 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 EGBGB nach dem Recht, dem die allgemeinen Wirkungen ihrer Ehe bei der Geburt nach Art. 14 Abs. 1 EGBGB unterliegen (Ehewirkungsstatut). Das Personalstatut und das Ehewirkungsstatut sind dem Aufenthaltsstatut grundsätzlich gleichwertige Zusatzanknüpfungen. […]
Das deutsche Recht sieht die vorliegende Konstellation der mit Mit-Mutterschaft – auch während bestehender Ehe – nicht vor. Gemäß § 1591 BGB ist Mutter eines Kindes ausschließlich die Frau, die es geboren hat. […]. § 1592 BGB regelt hingegen ausschließlich die Vaterschaft. […]
Nach englischem Recht ist die [Ehefrau der Mutter] qua Geburt der zweite rechtliche Elternteil [des Kindes]. Section 42 des Human Fertilsation and Embryology Act 2008 regelt die Elternschaft für die Ehefrau der Mutter. Danach ist die Mit-Mutter im vorliegenden Fall als zweiter Elternteil anzusehen, da sie im Zeitpunkt der Kinderwunschbehandlung mit der Mutter verheiratet und mit der Kinderwunschbehandlung einverstanden war. Das Gericht hat im Hinblick auf die Frage der Auslegung ausländischen Rechts über das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen (EJN) Kontakt mit einem britischen Verbindungsrichter aufgenommen. Der Honourable Mr Justice MacDonald, Deputy Head of International Familiy Justice for England and Wales, Family Division Liasion Judge for the Nothern Curcuit, hat die seitens des Gerichts vorgenommene rechtliche Würdigung bestätigt.
Die Anwendbarkeit des englischen Rechts ist vorliegend auch nicht gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EGBGB ausgeschlossen. Im Hinblick auf die Abstammung gilt das sogenannte Günstigkeitsprinzip. Zur Anwendung berufen ist das Recht, das für das Kindeswohl günstiger ist (Palandt, 79. Aufl., § 19 EGBGB Rn. 26). Das heißt, es ist die Rechtsordnung anzuwenden, welche dem Kind am schnellsten einen zweiten rechtlichen Elternteil verschafft.
Die Anwendung englischen Rechts scheitert auch nicht wegen Verstoßes gegen den sogenannten ordre public. […]