STREIT 1/2022

S. 24-27

24-Stunden-Pflege braucht ein Gesetz. Zugleich eine Anmerkung zu BAG, Urteil vom 24. Juni 2021 – 5 AZR 505/20

Die Entscheidung des 5. Senats des Bundesarbeitsgerichts zur 24-Stunden-Pflege hat ein sehr großes Medien-Echo erfahren.1 Die Entscheidung ist dabei von großer Klarheit, wenn in konsequenter Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung erneut betont wird, dass von Arbeitgeberseite die Zahlung des Mindestlohns auch für entsendete ArbeitnehmerInnen nicht nur für deren geleistete Vollarbeit, sondern auch für Zeiten der Bereitschaft geschuldet ist.2
Diese Entscheidung ist in jeder Hinsicht bemerkenswert: Sie offenbart einmal mehr die Notwendigkeit der nach wie vor rechtspolitisch zu stellenden Forderung nach einer gesetzlichen Regelung von Pflegesettings, die, wie auch hier, als Live-In-Arrangement vereinbart sind und der Rund-um-Betreuung einer Person in ihrem Privathaushalt dienen. Voraussetzung für die Formulierung eines Regelungsauftrages des Gesetzgebers sind dabei zwei Aspekte, die von der vorliegenden Entscheidung gestützt werden: Zum einen sind solche Pflegearrangements einer gesetzlichen Regelung zugänglich; sowohl die beteiligten Akteure, als auch die Vertragsbeziehungen und die vertragstypischen Pflichten sind typisierbar. Dies dürfte Voraussetzung dafür sein, sie wie andere zivilrechtliche Verträge zu qualifizieren und einheitlich bestimmten Regelungen zu unterwerfen (dazu unter 1.). Zum anderen besteht ein Regelungsbedürfnis, da der Weg über die Gerichte aufgrund der bestehenden Regelungen nicht (ausreichend) geeignet ist, Rechtssicherheit zu schaffen (dazu unter 2.).

1. Eine „typische“ Entscheidung

Typisch sind zunächst die drei Hauptakteure, die an dem der BAG-Entscheidung zugrunde liegenden Pflegearrangement, welches als „Entsendemodell“3 ausgestaltet war, beteiligt waren: 1) Eine bulgarische Staatsangehörige (die Klägerin) war bei einem 2) in Bulgarien ansässigen Unternehmen (der Beklagten) als Arbeitnehmerin beschäftigt und wurde als solche in Privathaushalte nach Deutschland zu den dort 3) Betreuungsbedürftigen entsendet. Während eines Einsatzes lebte sie bei einer über 90-jährigen betreuungsbedürftigen Person in deren Wohnung innerhalb einer Seniorenwohnanlage.

Typisch sind auch die Vertragsbeziehungen, die zwischen den Akteuren bestanden: Die Klägerin war mit der Beklagten durch einen bulgarischen Arbeitsvertrag verbunden. Vereinbart war darin ein Arbeitsumfang von sechs Stunden am Tag / 30 Stunden pro Woche zu einer monatlich zu zahlender Vergütung. In einer zusätzlichen „Erklärung“ vereinbarten die Arbeitsvertragsparteien, dass der Einsatzort die Bundesrepublik und für die vereinbarte Arbeitszeit ein Monatsgehalt von 950 € netto zu zahlen sei. Außerdem erklärte sich die Klägerin damit einverstanden, keine Überstunden zu leisten. Die Betreute (bzw. für sie handelnd ihr Sohn) war mit der Beklagten durch einen „Dienstleistungsvertrag“ verbunden, in dem Erstere sich ausdrücklich verpflichtete, keine „Weisungen zur Art und Weise der zu erledigenden Aufgaben des entsandten Mitarbeiters auszuüben“. Die Beklagte verpflichtete sich wiederum, der Betreuten gegenüber „durch seinen Mitarbeiter“ nach Bedarf Dienstleistungen zu erbringen, u.a. Haushaltstätigkeiten, Leistungen zur Grundversorgung, etc. Außerdem wurde Bezug genommen auf einen Fragebogen zum Umfang des Betreuungsbedarfs, den eine deutsche Agentur im Vorfeld mit der Betreuten ausgefüllt hatte. Darin hieß es u.a.: „Angedachter Einsatz: 24 Stunden Betreuung.“ Sowie: „Die Bezeichnung 24-Stunden-Pflege bedeutet nicht, dass die Betreuungs-/Pflegekräfte im wörtlichen Sinne 24 Stunden am Stück arbeiten, sondern es existieren für entsendete Arbeitnehmer Regelungen für die Arbeitszeiten (Arbeitszeitgesetz), die unbedingt einzuhalten sind.“

Typisch an den in der Entscheidung z.T. detailliert wiedergegebenen Vertragsinhalten ist ebenfalls, dass sie sich innerhalb der geltenden Vorschriften der Arbeitnehmerentsendung verhalten, die von den Beteiligten zur rechtlichen Ausgestaltung gewählt worden sind. Die nach § 2 Nr. 3 AEntG geltenden Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes sollen ebenso Beachtung finden, wie der Umstand, dass den Betreuten der Klägerin gegenüber kein arbeitgeberseitiges Weisungsrecht zusteht, da dies die Beklagte als Arbeitgeberin innehat. Für die vereinbarte Arbeitszeit von 30 Wochenstunden ist wohl auch die vereinbarte Vergütung noch im Rahmen des gesetzlich Vorgeschriebenen: Nachdem auch für die (im Ausland ansässige) Beklagte gem. § 2 Nr. 1 AEntG das Mindestlohngesetz galt, hatte die Klägerin einen Anspruch auf (damals) 8,50 € brutto pro Arbeitsstunde.

Absolut untypisch war nun lediglich, dass die Klägerin Urlaubsentgelts- und Mindestlohnzahlungen für von ihr über die schriftlich vereinbarte Arbeitszeit hinaus tatsächlich geleistete Arbeitsstunden geltend machte.4 Sie habe, so ihr Vortrag, nicht lediglich sechs Stunden pro Tag, sondern tatsächlich Rund-um-die-Uhr gearbeitet. Ihr stünde deshalb auch der gesetzliche Mindestlohn für 24 Arbeitsstunden pro Tag zu.

Typisch an dem Pflegearrangement war ebenfalls das, was nicht schriftlich vereinbart aber dennoch abgesprochen war: Nach dem Vortrag der Klägerin habe ein Mitarbeiter bzw. „Chef“ der Beklagten ihr mündlich erläutert, dass es sich bei ihren Live-In-Einsätzen um 24-Stunden-Betreuungen handeln würde und sie für die Betreuten „Tag und Nacht“ umfänglich zu sorgen habe. Der Sohn der Betreuten habe ihr zu Beginn ihres Einsatzes erklärt, welche Tätigkeiten sie wie auszuführen habe und dass sie Rund-um-die-Uhr da zu sein habe. Freizeit sei nicht möglich, da eine Rundumbetreuung von Nöten sei. Diesen Absprachen entsprechend – und nochmals typisch für den Einsatz einer 24-Stunden-Betreuung im Live-In-Modell – gestaltete sich dann auch der tatsächliche Ablauf: Die Wünsche und Bedürfnisse der Betreuten waren bestimmend für den Arbeitsalltag der Klägerin. Sie war zeitlich und örtlich verfügbar, wie es das Betreuungsbedürfnis erforderte. Es gab eine grundsätzliche Ausrichtung der Tätigkeit an diesem Bedürfnis, welche Inhalt, Umfang und Lage der Arbeitszeit sowie den Arbeitsort bestimmten.

Die Schilderungen der Klägerin decken sich mit den Schilderungen nahezu aller Betreuungskräfte, die in Live-In-Pflegesettings tätig waren und darüber in gerichtlichen Verfahren vorgetragen haben. Die Rechtsprechung gelangte bisher – und gelangt es nunmehr mit der Entscheidung des BAG wieder – z.B. im Hinblick auf die Weisungsunterworfenheit der Betreuerinnen zum immer gleichen Ergebnis der Beschreibung der gelebten Wirklichkeit: Es sind typischerweise einseitige Vorgaben, namentlich die Wünsche und Bedürfnisse der zu Betreuenden, die inhaltlich und zeitlich die Ausgestaltung der Betreuung vor Ort bestimmen.5 Das Verbleiben des Weisungsrechts bei der Beklagten – wie es die Vorschriften der Arbeitnehmerentsendung eigentlich Vorschreiben und entsprechend vertraglich vereinbart wurde – entsprechen nicht dem Tatsächlichen.6 Das ist bei Live-In-Pflegesettings ebenso erwartbar wie bekannt: Lebt eine Betreuerin mit der betreuungsbedürftigen Person in einem Haushalt und gibt es keinen weiteren Akteur, der Betreuungselemente übernimmt, sind die Betreuungskräfte rund um die Uhr im Einsatz, Tag und Nacht. Die Einhaltung der vereinbarten Arbeitszeit, die sich im Rahmen der vom ArbZG vorgeschriebenen Höchstarbeitszeit bewegt, ist tatsächlich nicht gewährleistet.
Auch das BAG hielt es „nach Aktenlage“ für nicht „fernliegend“, dass die Klägerin mehr als die vereinbarte Arbeitszeit habe leisten müssen. Nach Ansicht des Gerichts sprach auch deshalb „einiges dafür, dass die vertraglichen Vereinbarungen zur Arbeitszeit lediglich der kostengünstigen Gestaltung“ des Entsendemodells geschuldet waren.7
Mit einem Blick auf die Argumentation der Beklagten zeigt sich außerdem, dass die Probleme, die sich aus der Diskrepanz zwischen tatsächlicher Vertragsdurchführung und vertraglicher Vereinbarung ergeben, ebenfalls ganz typisch sind: Denn nach den Entsendevorschriften ist es der zu betreuenden Person eigentlich nicht gestattet, Weisungen zu erteilen. Auch das Ableisten von Überstunden ist arbeitsvertraglich nicht „gestattet“. Weder Weisungserteilungen durch die Betreuten noch Arbeitszeitüberschreitungen lassen sich aber vermeiden. Denn wenn im Alltag (auch im Vertragsdurchführungsalltag) außer dieser Person lediglich die Betreuerin anwesend ist, ist es völlig lebensfremd anzunehmen, dass hier keine Weisungen erteilt würden. Darüber hinaus ist es ebenso vollkommen lebensfremd anzunehmen, dass in einem Live-In-Pflegearrangement eine 30-Stunden-Woche eingehalten würde. Der Verweis der Beklagten darauf, dass sie keine 24-Stunden-Pflege anbiete, sondern die Verwendung dieses Begriffes lediglich zu Werbezwecken bzw. der leichteren Auffindung ihres Angebotes im Internet diene, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass allen Beteiligten – und hier nach Angaben der Klägerin wohl auch ihr durch das Gespräch mit dem „Chef“ der Beklagten –, klar war, dass hier eine Rundumbetreuung gewünscht ist, damit immer jemand da ist und es „Oma gut geht“8 . Es ist also wiederum typisch für ein Live-In-Pflegearrangement, und zwar unabhängig davon, ob es im Selbstständigen-, Entsende-, oder Überlassungsmodell9 ausgestaltet ist, dass sich die tatsächliche gelebte Praxis eklatant von dem unterscheidet, was die Beteiligten vertraglich vereinbart haben.

Auf der Grundlage, eine bestimmte Praxis als „üblich“ oder „typisch“ anzunehmen oder das Gegenteil als „lebensfremd“ zu qualifizieren, bildet sich – und das ist auch gut so – indes noch keine richterliche Überzeugung i.S.d. § 286 Abs. 1 ZPO. Bei der Entscheidung über einen Einzelfall in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren tragen solche „Allgemeinplätze“ nicht. Sowohl LAG als auch BAG haben das Augenmerk auf das Spannungsfeld von vertraglicher Vereinbarung und tatsächlicher Durchführung gelegt. Letztere war und ist immer bei der Bewertung eines Vertrages – und so auch bei der Vergütung von Arbeitszeit – entscheidend. Dies gilt auch, wenn es wie hier typischerweise so ist, dass im Arbeitsvertrag Arbeitszeiten nach dem ArbZG vereinbart werden, gleichzeitig dem Vertragspartner des Dienstleistungsvertrages aber versprochen wird, dass eine Pflege „rund um die Uhr“ stattfindet. Einen Anspruch gegenüber der Beklagten kann die Klägerin daraus jedoch nur dann ableiten, wenn diese Abweichung von der Beklagten „bewusst und gewollt“ ist. Ob dies so ist, ist unter Berücksichtigung des gesamten Parteivortrags zu prüfen und kann nur dann angenommen werden, wenn dazu alle Parteien gehört worden sind und das Gericht sich auf Grundlage deren Vortrags eine entsprechende Überzeugung verschafft hat. Zu Recht verweist das BAG die Sache deshalb zur erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht.10
Dabei hat das BAG dem LAG anheimgestellt, nicht nur den zwischen den Prozessbeteiligten geschlossenen Arbeitsvertrag, sondern sämtliche anderen Vereinbarungen des Pflegesettings zu berücksichtigen: Die Vereinbarung der Betreuten mit der Beklagten und die darin in Bezug genommene Bedarfserhebung, die klar auf den angedachten Ansatz der 24-Stunden-Betreuung verweist. Ebenso die Angaben des Sohnes der Betreuten und seine Aussagen zur tatsächlich geleisteten Arbeits- und Freizeit. Das Gericht umspannt damit das komplette Pflegesetting mit all seinen Akteuren. Klargestellt ist damit, dass ein Pflegesetting mit einer aus dem Ausland kommenden Betreuerin in einer Live-In-Situation als Ganzes gesehen werden muss. Das ist überaus begrüßenswert. Es bleibt abzuwarten, ob das LAG nach erneuter Erforschung und anschließender Bewertung der Tatsachengrundlage zu einem gleichen Ergebnis kommt.

Die Typisierbarkeit von tatsächlichen Beziehungen ist m.E. Voraussetzung dafür, Pflegearrangements klar bestehenden Regelungen zuzuordnen oder noch zu schaffenden zu unterwerfen, wie es im Zivilrecht seit langem gehandhabt wird. Je nach Typisierung der vertragstypischen Pflichten und – soweit Regelungen bereits vorhanden – Qualifizierung werden Verträge den Vorschriften des Werk-, Dienst-, Reisevertrags- oder Maklerrechts unterworfen. Es scheint, dass einzig im Bereich der 24-Stunden-Pflegearrangements in häuslicher Betreuung das Gegenteil gelten soll: Die zu erkennende Typik im Tatsächlichen findet hinsichtlich ihrer Einheitlichkeit keine Entsprechung in der rechtlichen Ausgestaltung. Vielmehr werden je nach Überzeugung der Beteiligten die am vorteilhaftesten erscheinenden Vorschriften und die schriftlichen Vereinbarung entsprechend z.B. den Vorschriften der Arbeitnehmerentsendung oder einer selbstständigen Tätigkeit der ausländischen Betreuerin angepasst. Die dahinterstehende Praxis lässt sich indes nicht anpassen. Sie bleibt – wie oben in Ansätzen beschrieben – „typisch“.

2. Was folgt?

Dass Live-In Pflegekräften in der häuslichen 24-Stunden-Betreuung im Nachgang zu dieser Entscheidung nun ohne Weiteres durch die sie entsendenden/überlassenden Agenturen oder direkt durch die zu betreuenden Personen11 Lohnnachzahlungen in Höhe mehrerer Tausend Euro erhalten, ist ebenso nicht bekannt wie unwahrscheinlich. Auch wenn sich, so ist jedenfalls zu hoffen, nunmehr weitere Betreuungskräfte motiviert fühlen, den ihnen zustehenden Lohn für tatsächlich geleistete Arbeitsstunden einzuklagen, wird es aller Voraussicht nach bei Einzelfallentscheidungen bleiben.
Das Urteil des BAG offenbart, dass die zivilprozessualen Anforderungen für eine erfolgreiche Rechtsdurchsetzung in Fällen wie der der Klägerin zwar im Einzelfall erfüllt sein können. Es zeigt aber zugleich, dass die bestehenden prozessualen Anforderungen z.B. hinsichtlich der Darlegung tatsächlich geleisteter Arbeitsstunden für Fälle der häuslichen Pflege hoch sind. Was im privaten Haushalt tatsächlich und in welchem Umfang geleistet wird, ist nicht einfach vorzutragen. Der arbeitsgerichtliche Prozess ist nur bedingt geeignet, für diese Fälle formelle Wahrheit und materielle Wahrheit in Einklang zu bringen.
Eine Rechtsverfolgung wie die der Klägerin kann auch allenfalls nur im Nachhinein zu mehr Lohngerechtigkeit bzw. Einhalten der auch für entsendete Arbeitnehmerinnen geltende Vorschriften des MiLoG führen und verhelfen, entsprechend dessen Gesetzeszwecks Niedrigentlohnung und Lohnunterbietungswettbewerb in diesem Bereich einzudämmen. Die den Betreuungskräften täglich widerfahrenen Verletzungen ihrer Rechte aus dem ArbZG, und dem von diesem bezweckten Schutz ihrer Gesundheit, kann nicht mehr geheilt werden.

Sinnvolle Schritte dahin, dauerhaft arbeitszeitentsprechende Entlohnung sowie die bessere Einhaltung vorgeschriebener Arbeitshöchstzeiten in Live-In-Pflegearrangements zu gewährleisten, beschreiben die AutorInnen des NBI-Positionspapieres „Gute Arbeit für Live-In-Care, Gestaltungsoptionen für Praxis und Politik“12 : Beispielhaft sei hier nur die stärkere Einbindung von Agenturen bei der Kontrolle der Arbeitszeiten oder die Schwerpunktsetzung eines „Pflege-Mixes“ genannt. Durch Einbindung weiterer Akteure zur häuslichen Betreuung können Betreuerinnen in der 24-Stunden-Pflege entlastet werden.
Wirkliche Rechtsklarheit wird indes nur geschaffen werden können, wenn der Gesetzgeber Live-In-Pflegearrangements als solche qualifiziert und sie entweder bestehenden Regelungen eindeutig zuordnet oder neue schafft.

Dabei trifft die immer breiter werdende Auffassung zu, solche Pflegesettings bei Beteiligung der Akteure Betreuungskraft, Betreute und Agentur, ausgehend von bestehenden Regelungen als Arbeitnehmer­überlassung zu qualifizieren. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der bereits beschriebenen Weisungs- als auch hinsichtlich der Eingliederungsstruktur der Betreuungskräfte in den privaten Haushalt. Damit ist jedoch nicht allzuviel zum Schutze der Betreuerinnen gewonnen. Denn zum einen fehlt es der gerichtlichen Praxis hinsichtlich dieser Einordnung immer noch an Einheitlichkeit.13 Zum anderen sind die Arbeitnehmerüberlassungsvorschriften allenfalls das „am ehesten passende“ und führen außerdem keineswegs zwingend dazu, den Betreuten eine (wünschenswerte) Arbeitgeberstellung zuzuordnen.14 Ein Blick in den Gesetzeszweck des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes offenbart außerdem dessen nur bedingte Eignung: Die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und die gewollte Gleichstellung überlassener Arbeitskräfte mit der Stammbelegschaft ebenso wie die zeitliche Befristung einer Arbeitnehmerüberlassung sind für Pflegearrangements nicht zweckdienlich. Hingegen sind der mit dem AÜG bezweckte Schutz der überlassenen Arbeitskräfte ebenso wie die in § 1 Abs. 1 S. 1, 2 AÜG normierte öffentlich-rechtliche Erlaubnispflicht für die überlassenden Unternehmen Elemente, die bei einer Regulierung von Pflegearrangements sinnvoll sind. Die Problematik der Einhaltung der Mindestlohn- und Arbeitszeitgesetze bleibt indes auch mit den Regelungen des AÜG bestehen.
Nicht zuletzt ist dies ein Aspekt, der eine erstmalige gesetzliche Regelung von Live-In-Pflegearrangements dringend erforderlich macht: Eine offene politische Anerkennung überhaupt des Bestehens von Live-In Pflegearrangements in ihrer nicht mehr überschaubaren Zahl ist notwendig. Gleiches gilt für eine offene gesellschaftliche Diskussion über diese Praxis.
Es bedarf einer klaren Wertentscheidung hinsichtlich der Geltung unserer Arbeitsschutzvorschriften für alle in der Bundesrepublik tätigen Betreuungskräfte – das dürfte am ehesten im Zuge eines parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens zu erreichen sein. Die tatsächlichen Umstände der häuslichen Betreuung müssten dabei benannt und geprüft werden. Jede Reform oder Besprechung zum Thema „Pflege“ muss die 24-Stunden Betreuung als mit anderen Betreuungsformen gleichwertig hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Betreuung „unserer Alten“ und Kranken anerkennen. Endlich. Denn es geht um nichts weniger als die grundsätzliche Frage, wie die Pflege von betreuungsbedürftigen Personen organisiert sein soll.

  1. Z.B. „Häusliche Pflege wird teuer“, Süddeutsche Zeitung, 24. Juni 2021; „Die 24 Stunden Pflege gerät ins Wanken“, Tagesschau vom 24. Juni 2021; „Schockurteil für Pflegebedürftige“, BILD vom 5. Juli 2021.
  2. Vgl. dazu früher etwa BAG, Urteil vom 29. Juni 2016 – 5 AZR 716/15 –, BAGE 155, 318 = AP MiloG § 1 Nr. 2.
  3. Pflegearrangements wie das hier besprochene werden seltener auch nach dem Selbstständigen-, Arbeitnehmerüberlassungs- oder (äußerst selten) nach dem Arbeitgebermodell angeboten.
  4. Siehe Hinweis bei Hamann in jurisPR-ArbR 43/2021, a.a.O. darauf, dass die Klagemöglichkeit bereits seit dem Inkrafttreten der RL 96/71/EG im Jahr 1996 unionsrechtlich vorgesehen ist und durch § 15 AEntG i.d.F.v. 26. Februar 1996 in nationales Recht umgesetzt wurde, davon bisher jedoch kein Gebrauch gemacht worden ist.
  5. Vgl. BSG, Urteil vom 28. September 2011 – B 12 R 17/09 R -, juris; BFH, Urteil vom 11. November 2015 – V R 3/15 -, BFH/NV 2016, 795; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 7. März 2014 – I Ws 179/13 -, juris; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 18. Februar 2015 – L 7 R 225/11 -, juris; LSG Nord­rhein-Westfalen, Urteil vom 10. Juni 2009 – L 16 R 53/08 -, juris; LSG Hessen, Urt.eil vom 18. Dezember 2008 – L 8 KR 173/05 -, juris; zu einer umfassenderen Analyse der Rechtsprechung vgl. Kap. 2, C, III. bei Bucher, Rechtliche Ausgestaltung der 24-h-Betreuung durch ausländische Pflegekräfte, Nomos 2018.
  6. Ungeachtet dieser einheitlichen Bewertungen der tatsächlichen Verhältnisse kommen die Gerichte jedoch zu unterschiedlichen rechtlichen Bewertungen der Tätigkeit der Betreuungskraft als z.B. die einer Selbstständigen oder entsandten Arbeitnehmerin.
  7. BAG, AP MiLoG § 1 Nr. 16 Rn. 48, beck-online.
  8. Vgl. dazu den treffenden Titel bei Emunds, Damit es Oma gutgeht, Pflege-Ausbeutung in den eigenen vier Wänden, Frankfurt am Main 2016.
  9. So die von mir gewählte Bezeichnung für die unterschiedlichen rechtlichen Ausgestaltungen.
  10. Siehe die Entscheidung der Vorinstanz: LAG Berlin-Brandenburg vom 17.08.2020 – 21 Sa 1900/19, in STREIT 2021, 16-23.
  11. Sofern sie bisher als vermeintlich Selbstständige oder direkte Arbeitnehmerinnen der Betreuten tätig waren.
  12. S. Policy Paper mit diesem Titel von Emunds, Kocher, Habel, Pflug, Tschenker, von Deetzen in NBI-Positionen 2021/2, abrufbar unter https://nbi.sankt-georgen.de/assets/documents/cillas--und_nbi-position-2021_2-live-in-care.pdf.
  13. Vgl. den unterschiedlichen Ausgang der in Fn. 5 genannten Entscheidungen.
  14. Auf eine Darstellung der Probleme und Folgen einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung und §§ 9, 10 AÜG soll hier verzichtet werden.