STREIT 1/2019
S. 32-33
OLG Frankfurt a. M., § 117 Abs. 2 ZPO; § 76 Abs. 1 FamFG
Akteneinsicht der Gegenseite im Verfahrenskostenhilfeverfahren
1.) Stellt der Gegner im laufenden Verfahren der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe einen „Antrag“ auf Zuleitung der Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen, wird dies – in Ermangelung anderer Anhaltspunkte – im familiengerichtlichen Verfahren unter Beteiligung der Ehegatten regelmäßig als Anregung an das Gericht aufzufassen sein, nach § 117 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 ZPO zu verfahren.
2.) Bewilligt das Familiengericht – auf eine solche Anregung oder von Amts wegen – nach § 117 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 ZPO die Einsichtnahme in die genannten Unterlagen, kommt gegen diese Entscheidung ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung als statthafter Rechtsbehelf nicht in Betracht. Soweit die Entscheidung des Familiengerichts überhaupt anfechtbar ist – was vorliegend offen bleibt –, kommt dagegen nur die sofortige Beschwerde zu einem Familiensenat des Oberlandesgerichts nach § 127 Abs. 2 S. 2, §§ 567 ff. ZPO als Rechtsmittel in Betracht (entgegen Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 09.06.2016, Az. 10 VA 3/16). […]
(Amtliche Leitsätze)
3.) Im Rahmen des § 117 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 ZPO genügt zur Überlassung der Verfahrenskostenhilfe-Unterlagen an die/den Gegner/in die bloße rechtliche Existenz eines für diesen bestehenden Auskunftsanspruchs nach den Vorschriften des BGB.
(Leitsatz der Redaktion)
Hinweisbeschluss des OLG Frankfurt a. M. vom 01.02.2017 – 20 VA 1/17
Aus den Gründen:
[…] Begehrt ein Beteiligter eines solchen familiengerichtlichen Hauptsacheverfahrens Einsichtnahme in die genannten Unterlagen wird dies im laufenden Verfahren der Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe regelmäßig – und auch vorliegend – als Anregung an das Gericht auszulegen sein, nach § 117 Abs. 2 S. 2 Hs. 2, S. 3, S. 4 ZPO, § 76 Abs. 1 FamFG zu verfahren.
Nach § 117 Abs. 2 S. 2 ZPO kann das Gericht die Erklärung und die Belege dem Gegner nur mit Zustimmung des Antragstellers des Verfahrenskostenhilfeverfahrens zugänglich machen, es sei denn, der Gegner hat gegen den Antragsteller einen Anspruch auf Auskunft über dessen Einkünfte und Vermögen. Derartige materiell-rechtliche Auskunftsansprüche der Ehegatten als Beteiligte gegeneinander bestehen regelmäßig aus § 1379 Abs. 1, § 1580 S. 1, S. 2 i. V. m. § 1605 Abs. 1 BGB, wobei im Rahmen des § 117 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 ZPO nach wohl überwiegender Ansicht allein die rechtliche Existenz eines solchen Anspruchs genügt (so z. B. OLG Koblenz, Beschluss vom 04.11.2010, 7 WF 872/10, Rn. 10; Hanseatisches OLG Bremen, Beschluss vom 12.10.2011, Az. 5 WF 100/11, Rn. 8; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. August 2014, Az. 2 WF 167/14, Rn. 12, jeweils zitiert nach juris; Wache in Münchener Kommentar zur ZPO, 2. Aufl. § 117 ZPO, Rn. 28; Viefhues in Münchener Kommentar zum FamFG, § 77 FamFG, Rn. 10; jeweils m. w. N.), um nicht die Klärung der Durchsetzbarkeit solcher Ansprüche im Einzelfall in das Verfahrenskostenhilfeverfahren zu verlagern. […]
Das Gericht prüft demnach – auch ohne Anregung des Gegners – von Amts wegen, ob die Zugänglichmachung der Erklärung an den Gegner der zügigen und zutreffenden Ermittlung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers des Verfahrenskostenhilfeverfahrens dient. Es hat dem Antragsteller vor Übersendung der Unterlagen an den Gegner Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben (§ 117 Abs. 2 S. 3 ZPO) und schließlich den Antragsteller über die erfolgte Übermittlung seiner Erklärung zu unterrichten (§ 117 Abs. S. 3 ZPO). Die Zugänglichmachung der Erklärung und der Belege an den Gegner ist dem Gesetzeswortlaut nach also als rein tatsächliches Handeln des Gerichts ausgestaltet. Eine förmliche Bewilligungsentscheidung sieht das Gesetz seinem Wortlaut nach ebenso wenig vor wie einen auf Übermittlung der Erklärung gerichteten Antrag des Gegners als Voraussetzung eines solchen Vorgehens. […]
Sieht das Gericht die Voraussetzungen für die Übersendung der Erklärung und Belege gemäß § 117 Abs. 2 S. 2 Hs. 2 ZPO nach Anhörung des Antragstellers als gegeben an, hat es nach dem Gesetzeswortlaut die Befugnis, die Unterlagen – wie oben dargelegt – unmittelbar an den Gegner zu übersenden (vgl. auch: Viefhues, a. a. O.). Eine Bewilligungsentscheidung ist – wie dargelegt – nicht vorgesehen und damit gegen eine solche auch kein Rechtsmittel oder Rechtsbehelf. […]
Vorliegend hat das Familiengericht den als unmittelbare Reaktion auf die Zuleitung des Verfahrenskostenhilfeantrags des Beteiligten zu 1), welche durch das Familiengericht am 20.04.2016 erfolgt ist (vgl. den Abvermerk Bl. 15 der Akten zu 14 F 937/15 S), gestellten „Antrag“ vom 22.04.2016 der Beteiligten zu 2) auf Einsichtnahme in die Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Beteiligten zu 1) zutreffend als Anregung aufgefasst, nach § 117 Abs. 2 S. 2 ZPO zu verfahren. Es hat in dem angefochtenen Beschluss vom 05.08.2016, ohne die Norm explizit zu bezeichnen, die Voraussetzungen des § 117 Abs. 2 S. 2 FamFG geprüft und deren Vorliegen bejaht. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass die durch den Direktor des Amtsgerichts als zuständigem Familienrichter ausdrücklich von dem Amtsgericht-Familiengericht in Beschlussform erlassene und mit einer Rechtsmittelbelehrung, wonach die sofortige Beschwerde stattfindet, versehene Entscheidung eine solche nach § 299 Abs. 2 ZPO darstellen könnte.
Dies vorausgeschickt wird der gegen die Bewilligung der Übersendung der Erklärung und Belege an den Gegner durch das Gericht in einem laufenden Verfahrenskostenhilfeverfahren betreffend einen Scheidungsantrag gerichtete Rechtsbehelf in der Sache regelmäßig keinen Erfolg haben (so auch in der Sache: Schleswig-Holsteinisches OLG, a. a. O., Rn 21). Wenn materiell-rechtliche Auskunftsansprüche existieren, wird es zum Zwecke der Prüfung eines Verfahrenskostenhilfegesuchs regelmäßig ordnungsgemäßem gerichtlichen Ermessen im Sinne von § 117 Abs. 2 S 2 FamFG entsprechen und nicht zu beanstanden sein, wenn die Erklärung und Belege dem Gegner ohne Zustimmung des Antragstellers zur Ermöglichung einer Richtigkeitsprüfung zugänglich gemacht werden (vgl. u. a. OLG Koblenz, a. a. O., Rn. 10; OLG Karlsruhe, a. a. O., Rn. 13). Im Ergebnis kann sich die Prüfung des Gerichts damit mit Ausnahme offensichtlicher Missbrauchsfälle (vgl. OLG Karlsruhe, a. a. O.) regelmäßig auf das Existieren materiell-rechtlicher Auskunftsansprüche beschränken, welche im Scheidungsverfahren – wie aufgezeigt – ohne Weiteres zu bejahen ist. […]