STREIT 3/2025

S. 121

AG FamG Hamburg-Bergedorf, § 1671 Abs. 1 BGB, § 49 ff. FamFG

Alleiniges Aufenthaltsbestimmungsrecht und Gesundheitssorge wegen Gewalt gegen die Mutter

Die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts kann im Kindesinteresse schon deshalb erforderlich sein, um den Aufenthalt der Kindesmutter an einem geschützten Ort geheim halten zu können.
(Leitsatz der Redaktion)

Beschluss des AG FamG Hamburg-Bergedorf vom 02.06.2025 – 415c F 56/25

Zum Sachverhalt:
Ihre Ehe wird von beiden Beteiligten als konflikt­reich beschrieben. Die Antragstellerin ist während der Schwangerschaft bereits vom Antragsgegner tätlich angegriffen worden, sie legte im Verfahren Handy-Aufnahmen von Hämatomen vor. Ferner hat ihr Ehemann sie mindestens ein weiteres Mal nach der Geburt des Kindes angegriffen und verletzt. Er soll ihr zuvor das Kind aus dem Arm gerissen und auf ein Sofa geworfen haben. Der Antragstellerin gelang es, aus der Wohnung zu fliehen und mit Hilfe der Mitarbeiterin eines nahegelegenen Supermarktes die Polizei zu verständigen. Die Verletzungen der Antragstellerin wurden dokumentiert.
Nach einem vom Antragsgegner initiierten gemeinsamen Gespräch beim Jugendamt, in dem die Gewaltausübung umfangreich besprochen wurde, trennte sich die Antragstellerin und wurde mit dem gemeinsamen Kind, einem Säugling, Anfang April 2025 in einem Frauenhaus aufgenommen.
Der Antragsgegner bestreitet, Gewalt ausgeübt zu haben und sieht das Problem ausschließlich auf Seiten der übermäßig eifersüchtigen Antragstellerin.

Aus den Gründen:
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 08.04.2025 (… im Wege einstweiliger Anordnung) der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht zur alleinigen Ausübung übertragen. […] die Eltern, die Verfahrensbeiständin und das Jugendamt wurden am […] angehört.
Die Kindeseltern haben angegeben, weiterhin getrennt leben zu wollen, die Kindesmutter hält sich weiterhin an einem geschützten Ort auf. Der Kindesvater hat erklärt, er sei damit einverstanden, dass (das gemeinsame Kind) ihren Lebensmittelpunkt bei der Mutter hat.
Das Kind selbst benötigt laufend weitere Diagnostik und Heilbehandlung wegen einer möglichen Stoffwechselerkrankung/eines Gendefekts. Die Eltern haben sich in einem weiteren Verfahren über die Aufnahme begleiteter Umgänge frühestens ab Juli 2025 geeinigt.

Die Kindesmutter hat beantragt, ihr vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitssorge zur alleinigen Ausübung zu übertragen.
Der Kindesvater hat dem Antrag hinsichtlich der Gesundheitssorge zugestimmt, im Übrigen dem Antrag widersprochen, da eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrecht nicht erforderlich sei.
Jugendamt und Verfahrensbeiständin haben sich für die Übertragung im beantragten Umfang ausgesprochen. […].

Dem Antrag der Mutter, ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitssorge für das gemeinsame Kind zu übertragen, war stattzugeben, §§ 1671 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 BGB, 49 ff. ­FamFG. […]
Demnach ist dem Antrag eines Elternteils auf Übertragung der elterlichen Sorge oder eines Teils der elterlichen Sorge stattzugeben, wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Die Entscheidung ist allein am Kindeswohl auszurichten und hat die Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie den Kindeswillen zu berücksichtigen. Diese Kriterien stehen aber letztlich nicht wie Tatbestandsmerkmale kumulativ nebeneinander. Vielmehr kann jedes von ihnen im Einzelfall mehr oder weniger bedeutsam sein für die Beurteilung, was dem Wohl des Kindes am besten entspricht (allgem. Meinung, vgl. OLG Frankfurt a.  M. Beschl. v. 04.01.2022 – 7 UF 117/21, BeckRS 2022, 1604 Rn. 27-31 m. w. N.).

Nach vorläufigem Sachstand ist weiterhin davon auszugehen, dass der Kindesvater körperliche Gewalt zumindest gegen die Mutter ausgeübt hat. Da sie sich an einem geschützten Ort aufhält, ist die Übertragung auch des Aufenthaltsbestimmungsrechts erforderlich, da anderenfalls die Gefahr bestünde, dass der Kindesvater in Ausübung seines Rechts, sei es durch Nachfragen bei Behörden oder anderen Stellen oder im Rahmen von Mitwirkungshandlungen, den Aufenthalt der Kindesmutter erfährt. Die oben dargestellten Voraussetzungen sind damit erfüllt. Hinsichtlich der Gesundheitssorge war die Übertragung bereits aufgrund der Zustimmung vorzunehmen. Gegen die Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter haben sich im Laufe des Verfahrens keine Bedenken ergeben.
Mitgeteilt von RAin Alina Crome, Hamburg