STREIT 4/2022

S. 168-169

BGH, § 1578 BGB, § 10 EStG

Anlage des Altersvorsorgeunterhalts in eine private Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht

Die Unterhaltsberechtigte ist, insbesondere im Rahmen des steuerlichen Realsplittings, nicht gehalten, den Altersvorsorgeunterhalt in einer zum Sonderausgabenabzug berechtigenden zertifizierten Rentenversicherung (hier sog. Rürup-Rente) anzulegen.
(Leitsatz der Redaktion)

Beschluss des BGH vom 22.9.2021 − XII ZB 544/20

Sachverhalt:
Die Beteiligten sind geschiedene Ehegatten. Sie streiten über den Ausgleich von Steuernachteilen nach Durchführung des begrenzten steuerlichen Realsplittings.
Die 1989 geschlossene Ehe der Beteiligten ist seit dem 16. November 2011 rechtskräftig geschieden. In einer der Scheidung vorausgegangenen Scheidungsfolgenvereinbarung vom 3. Mai 2011 hatte sich der Antragsgegner (im Folgenden: Ehemann) zur Zahlung monatlichen nachehelichen Elementarunterhalts (1.600 EUR), Altersvorsorgeunterhalts (500 EUR) und Krankheitsvorsorgeunterhalts verpflichtet. Die Antragstellerin (im Folgenden: Ehefrau) zahlt die auf die Altersvorsorge entfallenden Unterhaltsbeträge seit Dezember 2011 in eine private Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht ein, welche ab dem 1. Dezember 2024 eine monatliche Rente von 303,14 EUR oder wahlweise eine Kapitalabfindung von 82.514 EUR vorsieht.
Nach Abschluss der Scheidungsfolgenvereinbarung erteilte die Ehefrau dem Ehemann die Zustimmung zur Durchführung des begrenzten Realsplittings. Für die Folgejahre bis einschließlich des Veranlagungszeitraums 2016 ersetzte der Ehemann der Ehefrau, die selbst nur über geringe Einkünfte unterhalb des einkommensteuerlichen Grundfreibetrags verfügt, jeweils auf entsprechende Aufforderung die gegen sie festgesetzten Einkommensteuerbeträge.
Im vorliegenden Verfahren begehrt die Ehefrau den Ausgleich des ihr für das Jahr 2017 entstandenen Steuernachteils von 466 EUR. Der Ehemann begehrt mit seinem Widerantrag die Rückzahlung des von ihm für das Jahr 2016 geleisteten Erstattungsbetrags von 572 EUR. Er beruft sich darauf, dass die Ehefrau durch eine steuerlich günstigere Anlage des gezahlten Altersvorsorgeunterhalts ihre Einkommensteuerpflicht vollständig habe vermeiden können.
Das Amtsgericht hat dem Antrag stattgegeben und den Widerantrag abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt dieser seinen Abweisungs- und Widerantrag weiter.

Aus den Gründen:
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Das Oberlandesgericht hat seine in FamRZ 2021, 355 (= BeckRS 2020, 42075) veröffentlichte Entscheidung damit begründet, der Antragsgegner sei gemäß § 242 BGB im Rahmen des zwischen den Beteiligten bestehenden Unterhaltsrechtsverhältnisses zum Ausgleich des für das Jahr 2017 nachgewiesenen Steuernachteils verpflichtet. […]
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats besteht eine Verpflichtung zur Zustimmung des unterhaltsberechtigten Ehegatten zum begrenzten Realsplitting grundsätzlich nur, wenn der Unterhaltsverpflichtete die finanziellen Nachteile ausgleicht, die dem Berechtigten aus der Zustimmung erwachsen (BGH FamRZ 2010,717 Rn. 10 = FPR 2011, 102 und FamRZ 1998, 953, 954 m. w. N. = NJW-RR 1998, 1153).
Der Anspruch des Berechtigten auf Nachteilsausgleich ist ein Anspruch eigener Art, der weder von der Bedürftigkeit des Unterhaltsberechtigten noch von der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen abhängt (FamRZ 1985, 1232, 1233; NJW 1986, 254; vgl. BFH FamRZ 2008, 888 zur steuerlichen Behandlung des Nachteilsausgleichs). Die auf das Realsplitting bezogenen Verpflichtungen beider Seiten sind Ausprägungen des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) im Rahmen des zwischen ihnen bestehenden gesetzlichen Unterhaltsrechtsverhältnisses BGH ­FamRZ 1985, 1232, 1233 = NJW 1986, 254).
Der Unterhaltsberechtigte ist durch den Nachteilsausgleich so zu stellen, dass ihm der gezahlte Unterhalt ungeschmälert verbleibt. Daher sind vom Unterhaltspflichtigen grundsätzlich sämtliche Nachteile auszugleichen, die durch die Durchführung des Realsplittings verursacht worden sind (BGH FamRZ 2010, 717 Rn. 10 m. w. N = FPR 2011, 102). […]

a) Ob es dem Unterhaltsberechtigten in diesem Rahmen obliegt, die sich aus dem Realsplitting ergebende Steuerschuld zu vermindern, indem er den ihm gewährten Altersvorsorgeunterhalt in Form einer zum Sonderausgabenabzug berechtigenden zertifizierten Rentenversicherung (hier sog. Rürup-Rente nach § 2 AltZertG) anlegt, wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur unterschiedlich beurteilt. […]
bb) Nach zutreffender Auffassung besteht grundsätzlich keine Obliegenheit des Unterhaltsberechtigten zum Abschluss einer zum Sonderausgabenabzug berechtigenden zertifizierten Rentenversicherung.
(1) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist der Altersvorsorgeunterhalt gemäß § 1578 Abs. 3 BGB ein zweckgebundener, in der Entscheidung besonders auszuweisender Bestandteil des nach­ehelichen Unterhalts, den der Berechtigte für eine entsprechende Versicherung zu verwenden hat. […] Dem Unterhaltsberechtigten steht es dabei frei, den Altersvorsorgeunterhalt nach § 1578 Abs. 3 BGB als freiwillige Leistung in die gesetzliche Rentenver­sicherung einzuzahlen oder ihn ganz oder teilweise für eine private Altersvorsorge, insbesondere eine private Rentenversicherung, zu verwenden (BGH FamRZ 2007, 117, 119 m. w. N = NJW 2007, 104; vgl. Rubenbauer/Dose FamRZ 2020, 1974, 1977).
Wenn der Unterhaltsberechtigte – wie im vorliegenden Fall – eine private Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht abschließt, hält sich dies im Rahmen der Zweckbindung. Der Zweck des Altersvorsorgeunterhalts besteht darin, dass die aus dem angesparten Kapital fließenden Renteneinkünfte zur Deckung des Bedarfs im Alter zur Verfügung stehen. Durch eine optionale Kapitalleistung wird dieser Zweck nicht beeinträchtigt. Das gilt jedenfalls dann, wenn die vertragliche Fälligkeit der Kapitalleistung der erstmaligen Fälligkeit der Rentenleistung entspricht und ein vorzeitiger Bezug der vertraglichen Versicherungsleistung nicht möglich ist. […]
Eine private Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht lässt sich sodann im Fall der Ausübung des Kapitalwahlrechts bei der künftigen Unterhaltsbemessung vereinfacht in der Weise berücksichtigen, dass der optional mögliche Rentenbezug nach Treu und Glauben als unterhaltsrechtliches Einkommen des Unterhaltsberechtigten zu berücksichtigen ist. […]

(2) Durch die Anlage des Altersvorsorgeunterhalts in einer gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 lit. b S. 2 EStG aufgrund der Kapitalisierbarkeit des Rentenanspruchs nicht zum Sonderausgabenabzug berechtigenden Rentenversicherung verstößt der Unterhaltsberechtigte auch nicht gegen weitere Obliegenheiten, insbesondere nicht gegen seine Obliegenheit, die ihm durch das Realsplitting entstehende Steuerbelastung möglichst gering zu halten.
Ist das Interesse des Unterhaltspflichtigen an einer zweckentsprechenden Verwendung des Altersvorsorgeunterhalts gewahrt, kann der Unterhaltsberechtigte die Anlage- und Leistungsform grundsätzlich frei wählen. So kann es etwa in seinem schützenswerten Interesse liegen, eine bereits von ihm unterhaltene zusätzliche Altersvorsorge aufzustocken. Durch die Gestaltung der konkreten Leistungsform kann aber vor allem auch individuellen Bedürfnissen des Unterhaltsberechtigten Rechnung getragen werden. Dementsprechend bleibt es grundsätzlich der Entscheidung des Unterhaltsberechtigten vorbehalten, welches geeignete Altersvorsorgeprodukt seinen Bedürfnissen am besten gerecht wird. […]
Dem steht kein überwiegendes Interesse des Unterhaltspflichtigen an der Erzielung von Steuerersparnissen gegenüber. Denn aufgrund der Durchführung des Realsplittings erzielt der Unterhaltspflichtige regelmäßig einen steuerlichen Vorteil, der den Betrag des Nachteils auf Seiten des Unterhaltsberechtigten ohnehin übersteigt. […]
cc) Im Ergebnis rechtfertigen die berechtigten Interessen des Unterhaltspflichtigen eine Einschränkung der Wahlfreiheit des Unterhaltsberechtigten zwischen mehreren geeigneten Formen der zusätzlichen Altersvorsorge grundsätzlich nicht. Die insgesamt bei Abschluss einer zertifizierten Rentenversicherung nur geringe und zum großen Teil auch nur vorübergehende Steuerentlastung vermag eine derart weitgehende Einschränkung der Dispositionsfreiheit des Unterhaltsberechtigten nicht zu begründen. Im Regelfall muss der Unterhaltspflichtige die vom Unterhaltsberechtigten getroffene Wahl vielmehr respektieren. […]
c) Nach den genannten Maßstäben hat der Ehemann die der Ehefrau entstandenen Steuernachteile in vollem Umfang auszugleichen. […]
Besondere Einzelfallumstände, die ausnahmsweise eine Obliegenheit zum Abschluss einer zertifizierten Rentenversicherung begründen könnten, liegen nicht vor. Die Ehefrau hat vielmehr mit der bei ihr bestehenden Erkrankung einen nachvollziehbaren Grund dafür angegeben, dass sie mit Eintritt der Fälligkeit der vertraglichen Versicherungsleistung ein besonderes Interesse an einem Kapitalwahlrecht hat. […]