STREIT 3/2024
S. 142
Asha Hedayati: Die stille Gewalt – Wie der Staat Frauen alleinlässt
Rowohlt Taschenbuch-Verlag, Hamburg 2023
Stille Gewalt – geht von der ganzen Gesellschaft aus. Das ist eine der wichtigsten Feststellungen von Asha Hedayati in ihrem Buch „Die stille Gewalt – Wie der Staat Frauen alleinlässt“, das im September 2023 im Rowohlt-Verlag erschien.
Gewalt, insbesondere Partnerschaftsgewalt, das sind nicht nur körperlich wirkende Schläge und Tritte, Haarezerren, Schubsen und Würgen. Gewalt zeigt sich auch durch finanzielle Abhängigkeit, psychische Manipulation, letztlich aber vor allem durch das Gefangensein der Partner*innen im patriarchalen System.
Asha Hedayati schlüsselt in ihrer rund 200-seitigen Analyse all diese Formen von Gewalt gegen Frauen auf. Es sind leider keine neuen Erkenntnisse, die Hedayati berichtet. Der Kampf gegen diese Gewalt währt schon lange. Das Besondere an dem Buch ist aber, dass die Autorin einen umfassenden und scharfen Blick auf die patriarchalen Strukturen wirft. Sie stellt Zusammenhänge her und deckt damit gut verständlich auf, wie Frauen durch die Institutionen, in Gerichtsverfahren, durch Steuererklärungen und Eingriffe in ihre reproduktive Freiheit in Abhängigkeiten gehalten werden. Sie bringt die strukturelle Dimension an einigen Fallbeispielen auf den Punkt und ordnet das Festhalten an diesen Strukturen als politische Entscheidung ein.
Die Autorin beschreibt aus ihrer alltäglichen Praxis Fälle, in denen sie weniger als Rechtsanwältin, denn als Unterstützerin der betroffenen Frauen bei Gericht wirken muss. Die Rezensentin kann aus der eigenen Arbeit die Erfahrung bestätigen, dass es oftmals in den Verfahren nicht um juristische Finessen geht. Vielmehr muss sich die betroffene Frau ganz praktisch dem System stellen, in dem die Institutionen die Machtstrukturen aufrechterhalten und damit selbst strukturell Gewalt ausüben. Frauen werden in dem Moment, in dem sie es schaffen, sich aus einer gewaltvollen Partnerschaft zu lösen, vielfach von Jugendämtern oder Gerichten zu weiteren Kontakten mit dem Täter gezwungen. Ihnen wird ausgerechnet dann keine Hilfe angeboten, sondern ein „Auswahlverschulden“ oder „Bindungsintoleranz“ vorgeworfen. Sie werden letztlich nicht nur allein gelassen, sondern bewusst gefährdet und weiterer, institutioneller Gewalt ausgesetzt.
Das Buch sollte als Pflichtlektüre zum Vorbereitungsdienst von Juristinnen und insbesondere Familienrichterinnen gehören. Erst mit Kenntnis und Berücksichtigung sämtlicher Strukturen von Gewalt kann eine Veränderung erreicht werden.
Asha Hedayati stellt dabei außerdem Verbindungen zur UN-Menschenrechtskonvention und der Istanbul-Konvention her. Das gesetzliche Regelwerk zum Schutz von Frauen vor Gewalt liegt damit längst vor. Allein die Umsetzung wird zu Recht als unzureichend kritisiert.
An manchen Stellen ist das Buch möglicherweise schwer lesbar und sucht eine zu breite Basis, zum Bei- spiel wenn die Autorin rechtsvergleichend Fälle aus Spanien, Frankreich und den USA beschreibt. Es ist allerdings ein großer Gewinn, dass Hedayati maßgebende Autorinnen zitiert und ihre Aussagen mit zahlreichen Studien und Zitaten belegt. Eine Stärke des Buches ist daher auch das umfangreiche Verzeichnis von Anmerkungen, dessen Gerichtsentscheidungen, Aufsätze und Literatur zur Weiterverbreitung und -nutzung empfohlen werden können.
Das Buch ist wichtig und gemeinsam mit dem ebenso lesenswerten Buch „Gegen Frauenhass“ von Christina Clemm, die den Fokus zusätzlich auch auf strafrechtliche Verfahren richtet, notwendig, um endlich nicht nur den Finger in die Wunde zu legen, sondern die Wunde zu schließen – durch Erkenntnis dessen, was in unserer Gesellschaft schief läuft. Hier zeigt die Autorin Lösungswege auf, indem sie zu entsprechenden Handlungsstrategien in ihrem Schlusswort ganz konkrete Forderungen nach effektiver Präventionsarbeit und Täterprogrammen erhebt. Diese sind sicherlich seit langem überfällig.
Stille Gewalt produziert einen enormen menschlichen, transgenerationalen und wirtschaftlichen Schaden für die ganze Gesellschaft. Es ist an der Zeit, dass die Gesellschaft sich wehrt und nicht mehr sisyphosartig den vom patriarchalen System verursachten Schaden auffängt und weglächelt. Um es mit Asha Hedayati zu sagen: es ist an der Zeit, wütender zu werden.
Theda Giencke