STREIT 4/2023
S. 185-188
BGH, § 823 Abs. 1 BGB, § 1004 Abs. 1 BGB analog – öffentlich-rechtlicher Unterlassungsanspruch
AStA darf kritisch über „Pick-Up-Artist“ berichten
1. Unterlassungsansprüche von Studierenden gegen ihre verfasste Studierendenschaft wegen Berichterstattung in deren Mitgliederzeitschrift (AStA-Zeitung) oder wegen sonstiger Verlautbarungen unterfallen dem öffentlichen Recht.
2. Die Studierendenschaft nimmt insoweit eine öffentliche Aufgabe wahr; auf die Ausübung eigener Kommunikationsfreiheiten kann sie sich nicht berufen. Ein sog. allgemein-politisches Mandat steht ihr nicht zu. Soweit die Studierendenschaft Meinungen Dritter zur Diskussion stellt, ist ihr äußerste Zurückhaltung sowie eine am Neutralitätsgebot orientierte Berücksichtigung der verschiedenen Sichtweisen abzuverlangen.
3. Zur Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen einerseits und der Wahrnehmung der sozialen Belange der Studierenden durch die Studierendenschaft andererseits (hier: Berichterstattung über sog. „Pick-Up-Artists“).
BGH, Urteil vom 08.11.2022, VI ZR 65/21
Aus dem Sachverhalt:
Der Kläger nimmt die beklagte Studierendenschaft auf Unterlassung einer identifizierenden Wort- und Bildberichterstattung in zwei Artikeln in deren Mitgliederzeitschrift („AStA-Zeitung“) in Anspruch.
Der Kläger war zum Zeitpunkt der angegriffenen Veröffentlichung Student der Universität F. in Hessen. […] Nebenberuflich gab der Kläger ferner Seminare für die Agentur „Casanova Coaching“, auf deren Internetseite er mit Vornamen genannt und mit Foto abgebildet ist. Im April 2014 trat der Kläger in einem ca. fünfminütigen Kurzbeitrag der ARD-Sendung „DasDing.tv“ mit dem Titel „Aufreißen und klar machen? Pick-Up Artist B. [Vorname des Klägers] geht auf Frauenjagd“ auf. In dem Beitrag erläuterte der Kläger die sog. Pick-Up-Szene […].
Die Beklagte ist die verfasste Studierendenschaft der Universität F. Im August 2015 veröffentlichte sie in der Sommerausgabe ihrer Mitgliederzeitschrift, der „AStA-Zeitung“ (Auflage: 40.000; jedem immatrikulierten Studenten wird ein Exemplar kostenlos zugestellt) die streitgegenständlichen Artikel „‘Pick-Up-Artists‘: Ein fragwürdiges Phänomen von ‚Verführung‘“ (Artikel 1) und „‘Pick-Up-Artists‘ und Casanovas – eine künstlerische Technik der Liebe?“ (Artikel 2). […] Die unmittelbar den Kläger betreffenden Passagen lauten:
Artikel 1:
„(…) Ein zweiter öffentlich auftretender und bekennender Pick-Up-Artist ist B(…) E., zugehörig zur Dating-Agentur ‚Casanova-Coaching‘ von P(…), Mitbegründer der deutschen Pick-Up-Artist-Szene, und Studierender der (…) Uni. In einem von der ARD produzierten Videoclip, erschienen im Jahr 2014, spaziert der (…) Studierende über die (…) und spricht Frauen an. Anstelle eines ‚Hallos‘ oder einer sonstigen Anrede, äußert er Sätze wie ‚Man muss ehrlich und direkt und einfach ein Mann sein‘ oder ‚Ich habe dich gerade gesehen und du bist super hübsch. Und für solch ein Kompliment musst du dir doch einfach Zeit nehmen.‘ Die angesprochenen Frauen lachen meist, gucken weg, gehen weiter oder lassen sich Ausreden einfallen, um darauf nicht weiter eingehen zu müssen. B(…)s ‚Daygame‘, wie die Anmache am Tag in der Szene bezeichnet wird, scheint einfach, verschleiert aber die Bedrängung und Grenzüberschreitung, die dahinter steht. Auf seiner ‚Casanova Coaching‘ Seite spricht er von dem Mut, Frauen anzusprechen, von eigenen Erfahrungen und von der Verwandlung der Frau vom hässlichen Entlein am Tag zum schönen Schwan in der Nacht. Das ‚Nightgame‘ dürfte nach dieser Aussage bei B(…) E. wohl ganz anders aussehen. Das Problem hinter der banal erscheinenden Anmache von B(…) E. ist, dass nicht verstanden wird, welchen Inhalt diese ‚banale Anmache‘ hat. Der Sexismus, der dabei offen ausgedrückt wird, wird verkannt. So trat B(…) E. als Referent auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Mainz auf und hielt einen Vortrag über Kommunikationsstrategien. Dies zeigt die allgemeine Verharmlosung der Pick-Up-Artist-Szene in der Gesellschaft, wie auch in Institutionen […]. Die angebotenen Seminare von z.B. M(…), B(…) E. oder P(…) zeigen ihre Wirkung, wie aktuelle Geschehnisse zeigen. Im April und im Mai gab es an der (…) Uni Vorfälle, bei denen ein Mann, der an Pick-Up-Seminaren teilnimmt, Studentinnen abfing und ansprach. (…)“
Artikel 2:
„[…] Die Pick-Up-Szene und somit auch B(…) als ein Teil von ihr ist jedoch selbstverständlich frauenfeindlich. Etwas anderes zu behaupten ist nicht nur naiv, sondern viel mehr Ausdruck eines reaktionären und sexistischen Gesellschaftsverständnisses, welches leider noch viel zu oft geltende Normalität für sich beanspruchen darf und kann. […] Die ‚Pick-Up-Szene‘ im Allgemeinen und B(…)s Arbeitgeber, die Agentur Casanova Coaching im Besonderen, sind nicht lediglich für ‚Flirt Coachings‘ zuständig, wie es in der FR heißt. Ziel der Szene ist es, in kürzester Zeit mit so vielen Frauen wie möglich zu schlafen, bzw. sie zu letzterem auf mehr oder weniger subtile Weise zu zwingen. […] B(…)s Coaching in der Agentur Casanova in F(…) tritt in harmlos erscheinendem Gewand auf. Laut B(…) ginge es bei dem ‚Pick-Up-Coaching‘ darum, ‚man selbst zu sein‘ und ‚in sich selbst zu investieren‘. […] Wenn eine Frau meint, Mündigkeit und eigene Entscheidungskraft sei Ausdruck ihrer selbst, so weiß B(…) sofort, dass dies nur eine ‚Masche‘ ist. Sagt eine Frau nein zu seinen ‚Flirtversuchen‘, so ist dies für ihn erst recht Anreiz, sie weiter zu belästigen. […] Von Gewalt in der Szene distanziere sich B(…). Mit ‚ein bisschen Humor‘ könne er auch erfolgreich sein. Das Ziel, möglichst viele Frauen ins Bett zu kriegen, teilt B(…). Er selbst glaubt bloß, er besäße einen ‚Werkzeugkasten‘ (Casanova Coaching), der physische Gewalt an Frauen* nicht benötige. Selbst wenn dem so wäre, dann ist und bleibt die Art und Weise der Überredung, der Belästigung, der Einengung – all das was die ‚Pick-Up-Artists‘ verharmlosend ‚Techniken‘ nennen – schlechterdings auch Gewalt. […]“
‚Pick-Up-Artists‘ wie B(…) versprechen Männern mit den richtigen ‚Skills‘ hundertprozentigen ‚Erfolg‘ bei Frauen. Sie glauben daran, dass sich Flirten und Koketterie professionell technisieren ließe und durch die Anwendung der Techniken Frauen ‚nicht anders können‘ als sich von ihnen ‚verführen‘ zu lassen. Durch diesen Glauben an die immer gleiche Wirksamkeit der redundanten Flirttechniken – B(…) findet jede Frau die er in genanntem Video anspricht ‚so verdammt hübsch‘ und will mit allen ‚einen Kakao trinken gehen‘ – stellen sich die Männer als dominante, wissende Akteure dar, während Frauen zu austauschbaren Waren objektiviert werden. (…)
Daher bauen B(…)s Anmachen und die seiner Kollegen fundamental auf einer Machtasymmetrie auf: Frauen sind ‚Objekte‘, deren mögliches ‚Nein‘ ohnehin nicht akzeptiert wird, da es in der Technik der Pickup-Artists nicht vorgesehen ist, weil Männer* die aktiven Subjekte sein sollen. (…)
Unbeachtet bleibt, und das ist trotz der widerlichen Tragik dieser Szene interessant, dass durch die Betonung des Coachens, Lernens, Weiterbildens und Bearbeitens von Maskulinität und Männlichkeit sich letztere noch in ihrer zwanghaft heterosexuellen Typologie als eine Geschlechtlichkeit herausstellt, die nicht qua Geburt gegeben ist, sondern erlernt werden muss. Schließlich können, so P(…) (Leiter Casanova Coaching), B(…) & Co alle Männer* die zuvor schüchtern, zurückhaltend und emphatisch waren – in den Pick-Up-Artist Augen also unmännlich – lernen, ‚richtige Männer‘ zu sein.
In diesem Sinne ist B(…) als Teil der ‚Pick-Up-Szene‘ Ausdruck eines antifeministischen Roll-Backs, an dem sogenannte Maskulinisten, die selbsternannten Gender-Gegner […], aber auch der allgemeine konservative Normalzustand, beteiligt sind. (…)“
[…] Nunmehr geht der Kläger gegen die Beklagte selbst vor. Das vom Kläger angerufene Landgericht hat den Zivilrechtsweg für eröffnet gehalten und die Beklagte antragsgemäß zur Unterlassung verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Unterlassungsbegehren weiter.
Aus den Gründen:
I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung […] im Wesentlichen wie folgt ausgeführt:
Ein Anspruch auf Unterlassung einer identifizierenden Wortberichterstattung aus § 823 Abs. 1 i.V.m. § 1004 Abs. 1 (analog) i.V.m. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG bestehe nicht. […] Die identifizierende Berichterstattung sei nämlich rechtmäßig gewesen. Zwar habe die Beklagte durch die Verbreitung der Artikel in das vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers umfasste Recht eingegriffen, in gewählter Anonymität zu bleiben und die eigene Person nicht in der Öffentlichkeit dargestellt zu sehen. Betroffen sei zugleich die Sozialsphäre des Klägers. Der Eingriff sei jedoch nicht rechtswidrig. […] Auf dieser Grundlage überwiege die Meinungsfreiheit zumindest der Verfasser der Artikel. Beide Artikel knüpften an wahre Tatsachen über die Sozialsphäre des Klägers an. Es bestehe ein hohes öffentliches Interesse an einer Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Pick-Up-Artist-Szene. […]
II. Diese Erwägungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.
1. Die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs ist durch den Senat nicht zu prüfen […].
2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist allerdings nicht der […] privatrechtliche Unterlassungsanspruch einschlägig.
a) Die Berichterstattung, deren Unterlassung der Kläger begehrt, ist in Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben erfolgt. […]. Die Herausgabe eines periodisch erscheinenden Druckwerks dient der Erfüllung der der Beklagten durch § 77 Abs. 2 des Landeshochschulgesetzes Hessen in der Fassung vom 14.12.2009 (im Folgenden HessHG a.F.) / § 84 Abs. 2 des Landeshochschulgesetzes Hessen in der Fassung vom 14.12.2021 (im Folgenden: HessHG n.F.) zugewiesenen Aufgaben (vgl. VGH Kassel, NVwZ-RR 1991, 639, 640, juris Rn. 32). Anhaltspunkte für einen privatrechtlichen Charakter der Aufgabenwahrnehmung fehlen. Die angegriffene Veröffentlichung ist damit Teil des staatlichen Informationshandelns und unterfällt als solches dem öffentlichen Recht (vgl. Ehlers/Schneider in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Feb. 2022, § 40 Rn. 432 ff.). […]
b) Insbesondere hat die Beklagte nicht selbst in Ausübung grundrechtlicher Freiheit gehandelt. Die beklagte Studierendenschaft ist nach § 76 Abs. 1 Satz 2 HessHG a.F./§ 83 Abs. 1 Satz 2 HessHG n.F. eine rechtsfähige Körperschaft des öffentlichen Rechts und als solche Glied der Hochschule. Sie ist daher grundsätzlich nicht Trägerin von materiellen Grundrechten, da die öffentliche Gewalt im Allgemeinen nicht zugleich Adressatin und Trägerin von Grundrechten sein kann (vgl. VerfGH Berlin, NVwZ 2001, 426). Dabei bedarf hier keiner Entscheidung, ob ausnahmsweise etwas anderes gilt, wenn sich eine Studierendenschaft als Glied ihrer Hochschule gegenüber dem Staat auf die der Hochschule und ihren Fakultäten zustehende Freiheit von Forschung und Lehre (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) beruft […]
c) Die Sachlage ist mithin auch nicht der beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk vergleichbar […]. Anders als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten in Bezug auf ihr Programm sind Studierendenvertretungen in Bezug auf Inhalt und Gestaltung ihrer Mitgliederzeitschriften gerade nicht aufgrund verfassungsrechtlicher Gewährleistung (Art. 5 Abs. 1 GG) aus jeder Staatsverwaltung herausgelöst und dieser geradezu gegenübergestellt. Sie sind vielmehr Teil davon. […]
3. Das Klagebegehren ist jedoch auch auf der Grundlage des stattdessen zu prüfenden (§ 17 Abs. 2 Satz 1 GVG) öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruchs im Ergebnis nicht begründet.
a) Der allgemein anerkannte öffentlich-rechtliche Anspruch auf Unterlassung einer Äußerung setzt voraus, dass ein rechtswidriger hoheitlicher Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen oder sonstige subjektive Rechte des Betroffenen erfolgt ist und die konkrete Gefahr der Wiederholung droht. […] Für rechtmäßiges, staatliches Informationshandeln gilt zunächst das Erfordernis einer gesetzlichen oder verfassungsunmittelbaren Grundlage. Wo die Grenzen der zulässigen Äußerung zu ziehen sind, hängt weiter von den Umständen des Einzelfalls ab. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass amtliche Äußerungen sich an den allgemeinen Grundsätzen für rechtsstaatliches Verhalten in der Ausprägung des Willkürverbots und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu orientieren haben. […]
b) Gemessen daran ist die angegriffene Textberichterstattung nicht zu beanstanden.
aa) Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die angegriffenen Artikel in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers eingreifen. […] [D]ie in den Artikeln enthaltenen wertenden Aussagen, die vom Kläger gelehrten Dating-Strategien und -Techniken seien sexistisch (Artikel 1) bzw. frauenfeindlich und in ihrer belästigenden Art „auch Gewalt“ (Artikel 2), sind ohne weiteres geeignet, den sozialen Geltungsanspruch und die berufliche Ehre des Klägers als Student der Universität und als Referent für Kommunikationsstrategien zu beeinträchtigen und sich abträglich auf das Ansehen des Klägers in der Öffentlichkeit auszuwirken. Bezugspunkt der Kritik ist dabei die berufliche Tätigkeit des Klägers, die der Sozialsphäre zuzurechnen ist (vgl. Senatsurteil vom 2. Juli 2019 – VI ZR 494/17, AfP 2019, 434 Rn. 36 m.w.N.).
bb) Dieser Eingriff ist aber nicht rechtswidrig. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht verbietet dem unmittelbar an die Grundrechte gebundenen Staat zwar, sich ohne rechtfertigenden Grund herabsetzend über seine Bürger zu äußern (vgl. BVerfG, NJW 2011, 511 Rn. 21). Indes liegt ein solch rechtfertigender Grund hier vor.
(1) Allerdings kann sich die Beklagte zur Rechtfertigung der streitgegenständlichen Artikel nicht auf ihre Aufgabe berufen, die politische Bildung und das staatsbürgerliche Verantwortungsbewusstsein der Studierenden zu fördern (§ 77 Abs. 2 Nr. 5 HessHG a.F./§ 84 Abs. 2 Nr. 5 HessHG n.F.). […] Unzulässig ist es daher, wenn in einem Mitteilungsblatt der Studierendenschaft Artikel einseitig zugunsten oder zulasten einer bestimmten Richtung veröffentlicht werden. […]
(bb) Nach diesen Grundsätzen sind die angegriffenen Artikel nicht von § 77 Abs. 2 Nr. 5 HessHG a.F./§ 84 Abs. 2 Nr. 5 HessHG n.F. gedeckt […], handelt es sich doch um kein spezifisch hochschulpolitisches, sondern um ein allgemeingesellschaftliches Thema. […]
(2) Die beanstandeten Äußerungen halten sich nach den Umständen des Falles aber noch im Rahmen der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage des § 77 Abs. 2 Nr. 3 HessHG a.F./§ 84 Abs. 2 Nr. 3 HessHG n.F.
(aa) Nach dieser Vorschrift ist der Studierendenschaft aufgegeben, die wirtschaftlichen und sozialen Belange der Studierenden wahrzunehmen, soweit sie nicht dem Studierendenwerk oder anderen Trägern übertragen sind. […] Dabei ist der Studierendenschaft auch ein „Brückenschlag“ zu allgemeinpolitischen und gesellschaftlichen Fragestellungen erlaubt, solange dabei der Zusammenhang zu studien- und hochschulpolitischen Belangen deutlich erkennbar bleibt. […]
(bb) Auf dieser Grundlage ist der notwendige Zusammenhang zwischen den hochschulspezifischen sozialen Belangen der Studierenden der Universität F. und den allgemeingesellschaftlichen Aussagen der angegriffenen Beiträge zu bejahen. Die Artikel befassen sich kritisch mit der Historie, einzelnen Vertretern – darunter dem Kläger, der im ersten Artikel zudem als Student der Universität F. vorgestellt wird – und den Praktiken der Szene der „Pick-Up-Artists“. […] Dass es sich insoweit nicht um einen konstruierten „Brückenschlag“ zwischen den spezifisch hochschulbezogenen sozialen Belangen der Studierenden der Universität F. und dem Phänomen der „Pick-Up-Szene“ handelt, ergibt sich zwanglos aus dem Umstand, dass es nach den Feststellungen des Berufungsgerichts im Zeitpunkt der Veröffentlichung mehrfach zu übergriffigem Verhalten an der Universität F. gekommen ist, weshalb der Senat der Universität sich veranlasst gesehen hat, sich am 24. Februar 2016 in einer Stellungnahme gegen den auch auf ihrem Gelände praktizierten „organisierten Sexismus durch sog. Pick-Up-Artists“ auszusprechen.
(3) Der in der Wortberichterstattung liegende Eingriff in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers ist nach den Umständen des Streitfalles auch verhältnismäßig.
Die angegriffenen Berichte dienen dem ohne Weiteres legitimen Zweck, auf das auch auf dem Campus der Universität F. virulent gewordene Phänomen der „Pick-Up-Artists“ aufmerksam zu machen und dieses durch Erläuterung wesentlicher Hintergründe einzuordnen. Nach der Anlage der Artikel war es in diesem Zusammenhang naheliegend, einzelne Protagonisten der Szene und ihre Vorgehensweise näher vorzustellen, um die Darstellung nicht im Theoretischen verharren zu lassen. In diesem Zusammenhang muss es der Kläger hinnehmen, auch selbst – mit seinem Vornamen und teilweise dem Anfangsbuchstaben seines Nachnamens – namentlich genannt zu werden. Durch die Veröffentlichung der Artikel wird sein Verhalten zwar in identifizierender Weise öffentlich bekannt gemacht und seine Person in den Augen der Adressaten negativ qualifiziert, wobei die erzielte allgemeine soziale Missbilligung durchaus hoch sein dürfte. Dem grundrechtlich geschützten Interesse des Klägers, die eigene Person nicht in der Öffentlichkeit dargestellt zu sehen, an seiner sozialen Geltung und seiner beruflichen Ehre steht aber das erhebliche öffentliche Interesse an einer Information der Studierenden über die Auswirkungen des „Pick-Up-Phänomens“ gegenüber. Die zwischen diesen gegenläufigen Interessen vorzunehmende Abwägung führt im Ergebnis zu einem Überwiegen des öffentlichen Interesses an einer identifizierenden Berichterstattung.
Als Student der Universität F. bestand ein besonderer Bezug der Person des Klägers zu dem Leserkreis der AStA-Zeitung der Beklagten. Auch hat der – durch sein ehrenamtliches Engagement in verschiedenen Vereinen überdies lokal in gewisser Weise bekannte – Kläger seine Tätigkeit als „Pick-Up-Artist“ bzw. als „Motivations- und Datingcoach“ zuvor selbst einem breiten Publikum bekannt gegeben und demonstriert. Insbesondere hat der Kläger im April 2014 an einem mehrminütigen Beitrag der ARD-Sendung „DasDing.tv“ mit der Überschrift „Aufreißen und klarmachen? Pick-Up Artist B(…) geht auf Frauenjagd“ mitgewirkt, in dem er die Pick-Up-Szene erläutert und ein Interview gegeben hat. Der Beitrag war bis Januar 2017 in der ARD Mediathek und darüber hinaus bei Youtube abrufbar. Durch diese Selbstöffnung hat sich der Kläger zum Gegenstand des Informationsinteresses auch der Hochschulöffentlichkeit gemacht. Darüber hinaus muss der Kläger für den Bereich seiner Sozialsphäre, in dem seine nebenberufliche Tätigkeit für die Agentur „Casanova Coaching“, sein zugehöriger Auftritt auf der Homepage der Agentur und seine Mitwirkung in dem erwähnten Fernsehbeitrag zu verorten sind, eine – auch kritische – öffentliche Auseinandersetzung mit seinem Wirken weitergehend hinnehmen, als dies bei Beiträgen über sein rein privates Flirtverhalten der Fall wäre (vgl. BVerfGE 152, 216 Rn. 128).
Das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Erörterung des Phänomens der „Pick-Up-Szene“ wird dabei noch durch den Umstand verstärkt, dass sich sowohl der Senat der Universität in der erwähnten Stellungnahme als nach den weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts auch die Stadt F. mit dem Thema befasst haben. So haben der Oberbürgermeister sowie die Frauendezernentin der Stadt F. in einem Brief an Hoteliers u.a. darum gebeten, Seminaranfragen der „Vaterfirma“ der „Pick-Up-Artists“ abzulehnen. […]
Die angegriffenen Artikel nehmen ihren Ausgangspunkt in einem nicht zuletzt vom Kläger selbst geschaffenen Tatsachenkern. Sie knüpfen an u.a. vom Kläger in seinem öffentlichen Fernsehauftritt selbst verwendete Formulierungen und dort einem breiten Fernsehpublikum vorgeführte „Pick-Up-Techniken“ an. Dabei wahren die Artikel zumindest in Bezug auf den Kläger auch in ihren wertenden Teilen noch das Sachlichkeits- und Mäßigungsgebot. Auch wenn die Berichterstattung eine für den Kläger nicht unerhebliche Belastung darstellen mag, ist zu berücksichtigen, dass die Berichterstattung und die in ihr liegende Belastung zu einem wesentlichen Teil auf der früheren öffentlichen Eigendarstellung des Klägers beruhen. Die Einschätzung des Berufungsgerichts, dass mit den Artikeln in Bezug auf den Kläger keine Stigmatisierung, Ausgrenzung oder Prangerwirkung einhergegangen ist, ist daher letztlich nicht zu beanstanden. Die angegriffenen Veröffentlichungen sind insoweit auch verhältnismäßig im engeren Sinne. […]
c) Hinsichtlich der Bildberichterstattung hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei die für einen Unterlassungsanspruch erforderliche Wiederholungsgefahr verneint. […]