STREIT 2/2019
S. 91-93
Bericht vom 45. FJT 2019 in Freiburg i.Brg.
Dieses Jahr fand der 45. Feministische Juristinnen*tag (FJT) vom 10. bis 12. Mai 2019 an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg statt. Diese einzigartige Veranstaltung in der eigenen Universität beherbergen zu dürfen, war etwas ganz Besonderes. Unsere Hörsäle haben an diesem Wochenende vermutlich so viel feministischen Input wie noch nie bekommen.
Wir als Orgagruppe aus über 25 Freiburger Jurastudentinnen stimmten uns schon am Donnerstagabend mit dem Hissen eines FJT-Banners direkt an einem der Haupteingänge der Universität auf das feministische Wochenende ein. So lange haben wir diesem Wochenende entgegengesehen, jetzt stand es kurz bevor.
Am Freitagnachmittag startete der FJT für alle, die sich bereits in der Stadt befanden oder rechtzeitig anreisen konnten, mit dem Rahmenprogramm. Die FJT-Teilnehmerinnen* konnten wie jedes Jahr von der Einführung in den FJT für Neueinsteigerinnen*, diesmal mit Alice Bertram von der Freien Universität Berlin und Sibylla Flügge von der Frankfurt University of Applied Sciences, oder verschiedenen Stadtführungen profitieren.
Im Anschluss fand eine Einführungs-AG zu kontroversen feministischen Debatten im FJT statt, die von Ulrike Lembke von der Humboldt-Universität Berlin, Doris Liebscher von der Humboldt Law Clinic Grund- und Menschenrechte und Rechtsanwältin Friederike Boll geleitet wurde. Die drei Referentinnen* stellten Diskursmuster vor, die innerhalb des FJT (immer wieder) auftreten: Theorie vs. Praxis, radikale Kritik vs. Reform, Partikularismus vs. Intersektionalität, Queerfeminismus vs. Differenzfeminismus, Dominanz vs. Selbstbestimmung, Pragmatismus vs. Barrierearmut, Junge vs. Alte, achtsame vs. konfliktoffene Streitkultur und gingen anhand dieser Konfliktlinien auf die Geschichte des FJT ein. So vermittelten die drei „teilnehmenden Beobachterinnen* aus der Zwischengeneration“ in kurzer Zeit einen guten Überblick über grundlegende Kontroversen in der feministischen Rechtskritik.
Die offizielle Eröffnung begann schließlich um 19 Uhr. Helene Middelhauve und Katja Brögeler aus dem Orgateam begrüßten die über 350 Frauen* im Namen des Orgateams, welches sich zusammen mit dem Inhaltsteam vorstellte. Lucy Chebout leitete dann die Rednerin des Abends, Professorin Dr. Anna-Katharina Mangold ein, die sie als „deutsche Ruth Bader Ginsburg“ beschrieb. „Notorious AKM“ ging der Frage nach, wie Recht die demokratische Inklusion von Frauen fördern kann. Sie ging darin auch auf die Zweischneidigkeit des Anti-Diskriminierungsrechts ein. In seiner Zwangsseite nötige dieses Individuen dazu, sich in Gruppen einzuordnen, während es in seiner emanzipatorischen Ausprägung ausgeschlossenen Gruppen ermögliche, sich auf ihre Rechte zu beziehen.
Bei einem Gläschen Sekt oder einem Bier nach dem Ende des Vortrags konnten sich alle auf Einladung der STREIT zusammen in den FJT einstimmen.
Am Samstag startete um 9 Uhr die erste AG-Schiene. In AG 1.1 ging es mit Rechtsanwältin Katrin Niedenthal sowie Lucie Veith vom Verein für Intersexuelle Menschen um die „Dritte Option“. Das Thema war besonders aktuell, da erst zwei Tage zuvor ein „Referentenentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrages“ von Justiz- und Innenministerium veröffentlicht worden war. Aus der AG gingen eine Fachstellungnahme und eine Resolution hervor, die spezifisch zum „Referentenentwurf“ kritisch Stellung nahmen und den zuständigen Ministerien im Anschluss an den FJT zugeleitet wurden. In AG 1.2 beschäftigten sich die Doktorandin Theresa Tschenker und Johanna Wenckebach von der IG Metall Berlin-Brandenburg mit der Frage, wie im Arbeitsrecht Kollektivität und Individualisierung strukturiert werden und ob Kollektive diskriminierungsfrei agieren können. Dafür untersuchten sie die Beispiele des Entgelttransparenzgesetzes und der Arbeitskämpfe in der Alten- und Krankenpflege. Garonne Bezjak von der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der EU befasste sich in AG 1.3 mit den Neuregelungen im Sexualstrafrecht seit dem 50. Strafrechtsänderungsgesetz, wie unter anderem der Einführung der sogenannten „Nein-heißt-Nein“-Lösung. Es wurde gemeinsam überlegt, ob der Schutz von Frauen* dadurch tatsächlich verbessert werden konnte. Rechtsanwältin Ina Feige behandelte in AG 1.4 das Thema häusliche Gewalt und die Problematik der effizienten rechtlichen Vertretung der davon Betroffenen in der Umgangsfrage mit dem Kind. In AG 1.5 ging es mit Julia Zinsmeister von der Technischen Hochschule Köln um die Sterilisation von Frauen mit Behinderungen. Dabei befasste sich die AG zum einen mit der in § 1905 BGB noch immer geregelten zwangsweisen Sterilisation einwilligungsunfähiger Frauen mit Behinderung, zu dessen Streichung der UN Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen Deutschland aufgefordert hat. Zum anderen wurden die scheinbar freiwilligen Eingriffe diskutiert, von denen bundesweit 17 % der Frauen mit Behinderungen betroffen sind, und es wurde gefragt, wo Ursachen für diese exzessive Verhütungspraxis liegen und wo feministische Forderungen ansetzen können. In AG 1.6 sprach Bundesverfassungsrichterin Gabriele Britz über Autonomie im Recht und stellte ihre Konzeption des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vor. DanaSophia Valentiner von der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg, die zum Recht auf sexuelle Selbstbestimmung promoviert und dabei das Konzept von Britz aufgegriffen hat, eröffnete die gemeinsame Diskussion mit einem Kommentar.
Nach der Kaffeepause fanden von 11 bis 13 Uhr drei Foren statt. Aqilah Sandhu von der Universität Augsburg, Bundesanwältin beim BGH Eva Schübel und Richterin am BGH Christiane Schmaltz diskutierten, moderiert von Richterin Marjam Samadzade, über das Kopftuch der Richterin aus der Perspektive der Justizpraxis. Im Forum „‚Bye, bye Frauen’ – Keine Option statt Dritte Option?“ wurde von Rechtsanwältin Friederike Boll, Sarah Elsuni von der Frankfurt University of Applied Sciences (FRA-UAS) und Margit Göttert, der Frauenbeauftragten an der FRA-UAS, die Frage diskutiert, ob im Personenstandsgesetz auf jeglichen Geschlechtseintrag verzichtet werden sollte und welche Konsequenzen das für die gesetzlich geforderte Frauenförderung und die Anwendbarkeit entsprechender Instrumente, wie etwa Quoten, hätte. Rechtsanwältin und Notarin Laura Adamietz führte in das Thema ein und Zita Küng von EQuality moderierte das Forum. Im dritten Forum, das Anna Hochreuter moderierte, ging es mit Rechtsanwältin Sylvia Cleff Le Divellec, Sarah Diel und Maria Wersig von der Fachhochschule Dortmund um Abtreibungsgesetzgebung in einer rechtsvergleichenden Perspektive. Neben der rechtlichen Entwicklung in Deutschland stand insbesondere die in Frankreich, Polen und Südafrika im Fokus.
Nach dem Mittagsimbiss mit Laugengebäck und Quiche begann um 14.30 Uhr die zweite AG-Schiene mit sechs parallelen Arbeitsgruppen. In AG 2.1 befassten sich Almut Peukert von der Universität Hamburg und Theresa Richarz von der Universität Hildesheim mit der rechtlichen Anerkennung und Diskriminierung in LGBTIQ-Familien. Kirsten Achtelik vom Gen-ethischen Netzwerk behandelte in ihrer Arbeitsgruppe § 218 StGB und den Umgang mit der „Lebensschutz“-Bewegung. Das Spannungsfeld zwischen den emanzipatorischen und systemerhaltenden Potenzialen des feministischen Konzepts „Selbstbestimmung“ wurde in Bezug auf Abtreibung und Pränataldiagnostik beleuchtet. Mit Familienrecht und islamischer Rechtsordnung in rechtsvergleichender Perspektive setzte sich Dörthe Engelcke vom MPI für ausländisches und internationales Privatrecht in AG 2.3 auseinander. In der AG von Ulrike Spangenberg vom Institut für gleichstellungsorientierte Prozesse und Strategien ging es – über Ehegattensplitting und die Lohnsteuerklasse V hinaus – um diskriminierende Regelungen im Steuerrecht in Bezug auf Genderaspekte. Die AG befasste sich dazu mit einer entsprechenden Empfehlung des EU-Parlaments und konnte, wie versprochen, auch nicht nur Steuerexpertinnen begeistern. Rechtsanwältin Ronska Grimm stellte in AG 2.5, in der es um barrierefreien Zugang zum Recht ging, erste Ergebnisse des bff-Projekts „Suse – sicher und selbstbestimmt. Im Recht.“ vor. Das Projekt analysiert die bestehenden Hürden im Strafverfahren sowie im Betreuungs und Gewaltschutzrecht. Daran anknüpfend wurde erörtert, wie in der anwaltlichen und juristischen Praxis die Situation für Frauen mit Behinderung konkret verbessert werden kann. In AG 2.6. wurde mit Rechtsanwältin Armaghan Naghipour das Thema Flucht und Migration aufgegriffen. Es ging darum, wie in der Rechtspraxis geschlechtsspezifische Gewalt als Fluchtgrund konkret angewendet wird und welchen praktischen und rechtlichen Hindernissen geflüchtete Frauen* dabei im Asylverfahren begegnen. Auch hier wurde praxisnah diskutiert, wie geflüchtete Frauen* vor einer Mehrfachdiskriminierung geschützt werden können.
Die Kaffeepause schließlich bot Stärkung, bevor es um 16.30 Uhr mit dem Zwischenplenum weiterging. Darin wurde insbesondere über zwei Resolutionen diskutiert, die am Ende beide eine Mehrheit fanden. Die Resolution aus dem Forum „Rechtsvergleich zum Abtreibungsrecht“ forderte dabei unter anderem eine Orientierung an der französischen Regelung des Rechts auf Abtreibung. Die zweite Resolution war aus der AG zur „Dritten Option“ hervorgegangen und setzte sich für den Schutz vor Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität ein.
Nach dem Zwischenplenum fand erstmalig ein get-together von STREIT-Abonnentinnen mit Redakteurinnen der STREIT statt, das trotz des langen Tages gut besucht war und der Redaktion interessante Anregungen mitgegeben hat – die Redaktion wird dieses Format für künftige FJT beibehalten.
Samstagabend stieg die Party und es konnte ausgelassen gefeiert werden. Highlight der Party waren wohl die DJanes und die Air-Brush-Tattoomaschine.
Am Sonntagmorgen starteten wir um 10 Uhr mit einer Fishbowl zum parlamentarischen Rechtsruck, einem Workshop zu Anwältinnen im Migrationsrecht, einem weiteren zu Genderaspekten in der juristischen Ausbildung sowie einem Cryptoworkshop für Juristinnen*. Gleichzeitig fand auch die Vorführung des Films „Das hat mich sehr verändert“ von 1976 über die Entstehung der Neuen Frauenbewegung statt, der Diskussionen und Beratungen aus dem Frankfurter Frauenzentrum zeigte. Darüber hinaus gab es einen „Open Space“ zum Anmeldeverfahren. So hatten wir im Vorfeld zum FJT viele unterschiedliche Rückmeldungen zu den Änderungen des Anmeldeverfahrens erhalten, weshalb wir uns entschieden hatten, das ganze Wochenende über Tafeln aufzustellen, auf denen Kritikpunkte und Ideen aushingen und die Möglichkeit bestand, weitere hinzuzufügen. Der „Open Space“ zu diesem Thema stellte die verschiedenen Vorschläge und Rückmeldungen zur Diskussion und trug Ergebnisse zusammen, welche anschließend im Abschlussplenum präsentiert wurden. Das Abschlussplenum haben wir aufgrund eines medizinischen Notfalls früher abgebrochen – mittlerweile wurde uns rückgemeldet, dass die betroffene Person wohlauf ist.
Und so mögen die feministischen Kräfte, die Power und der Support, die an diesem Wochenende freigesetzt wurden, bis zum nächsten Jahr halten.
Laura Jäckel und Vera Fischer vom FJT Orgateam 2019