STREIT 2/2019
S. 93-95
Resolutionen und Fachstellungnahmen vom 45. FJT in Freiburg i.Brg.
1.
Resolution des 45. FJT zum Abtreibungsrecht
Wir fordern die ersatzlose Streichung der §§ 218 ff StGB.
Schwangere haben ein Recht auf Abtreibung. Der Staat ist verpflichtet, die Wahrnehmung dieses Rechts zu ermöglichen. Hierzu gehören auch die umfassende Information, das Recht auf freiwillige Beratung, die Kostenübernahme und die Gewährleistung einer bedarfsorientierten Infrastruktur.
Als Vorbild kann die seit 1975 geltende französische Regelung im Gesundheitsrecht dienen.
2.
Resolution des 45. FJT zum Schutz vor Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität
Anlässlich des „Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrages“ des BMJV und BMI vom 8. Mai 2019 fordert der FJT die Bundesregierung auf, unverzüglich und mit allen geeigneten Mitteln gegen jede Form der Geschlechtsdiskriminierung aktiv zu werden. Dies umfasst auch die Diskriminierung durch Nicht-Anerkennung der Geschlechtsidentität und durch medizinische oder rechtliche Fremdbestimmung in Fragen der Geschlechtsidentität bis hin zu extrem schädigenden Operationen an Säuglingen und Kleinkindern, welche nicht einer binären Geschlechternorm entsprechen.
Der am 8. Mai 2019 veröffentlichte Referent*innenentwurf des BMJV und des BMI zur Neuregelung des Geschlechtseintrags wird dieser Verpflichtung nicht gerecht. Im Gegenteil bleibt er weit hinter den verfassungs- und menschenrechtlichen Standards zum Schutz von Trans*- und Inter*-Personen vor Diskriminierung zurück. Weder die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zum TSG, zur sog. Dritten Option), noch einschlägige rechtliche Expertise, noch die menschenrechtlichen Vorgaben (UN-Frauenrechtskonvention, UN-Anti-Folter-Konvention, UN-Kinderrechtskonvention, UN-Behindertenrechtskonvention, EMRK) werden beachtet.
Der FJT fordert die beteiligten Ministerien auf, den Referent*innenentwurf vom 8. Mai 2019 zurückzuziehen und unverzüglich unter umfassender, angemessener Beteiligung der Selbstorganisationen von Betroffenen einen verfassungs- und menschenrechtskonformen Entwurf vorzulegen.
3.
Fachstellungnahme des 45. FJT zu Neuregelungen im Sexualstrafrecht
1. Der Feministische Juristinnen*tag begrüßt, dass der Gesetzgeber mit dem 50. Strafrechtsänderungsgesetz zur Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4. November 2016 die „Nein-heißt-Nein“-Lösung gesetzlich verankert hat.
2. Der Feministische Juristinnen*tag fordert, dass die Anwendung der Neuregelungen evaluierend begleitet wird, um insbesondere die Umsetzung in der Praxis zu beobachten.
3. Der Feministische Juristinnen*tag fordert, dass die Bundesregierung die konkrete Ausgestaltung der Tatbestände der §§ 177, 184i, 184j StGB kritisch überprüft. Anhaltspunkte für Unstimmigkeiten finden sich etwa im Abschlussbericht der Reformkommission zum Sexualstrafrecht. Diese sollten nicht ungenutzt verhallen, sondern aufgegriffen und diskutiert werden.
4. Der Feministische Juristinnen*tag fordert, den § 184j StGB (Straftaten aus Gruppen) ersatzlos zu streichen. Die Vorschrift ist verfassungsrechtlich bedenklich und aus rechtstaatlicher Sicht nicht akzeptabel.
5. Der Feministische Juristinnen*tag fordert, dass Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte im neuen Sexualstrafrecht geschult werden, wobei Schulungen auch in Bezug auf andere Rechtsgebiete verpflichtend sein müssen.
6. Der Feministische Juristinnen*tag fordert, dass die Neuregelungen insbesondere bei Frauen hinreichend und niedrigschwellig bekannt gemacht werden und Hürden, die einer Anzeige entgegenstehend, abgebaut werden.
7. Der Feministische Juristinnen*tag fordert, dass das Sexualstrafrecht den Studierenden in den Universitäten als Lehrfach auf freiwilliger Basis angeboten wird, aber kein Prüfungsstoff wird.
4.
Fachstellungnahme des 45. FJT zum „Referentenentwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrages“ des BMJV und BMI vom 8. Mai 2019
Wenn Menschen in ihrer geschlechtlichen Identität nicht anerkannt werden, sondern Medizin und/oder Behörden über diese höchstpersönliche Frage entscheiden, stellt dies eine tiefgreifende Diskriminierung auf Grund des Geschlechts dar. Der am 8. Mai 2019 veröffentlichte Referent*innenentwurf des BMJV und des BMI zur Neuregelung des Geschlechtseintrags beendet diese Diskriminierung nicht, sondern bleibt weit hinter den verfassungs- und völkerrechtlichen Standards zurück. Weder die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zu Reichweite und Bedeutung von Persönlichkeitsrecht, Menschenwürde und Verbot der Geschlechtsdiskriminierung), noch einschlägige rechtliche Expertise noch die menschenrechtlichen Vorgaben (UN-Frauenrechtskonvention, UN-Anti-Folter-Konvention, UN-Kinderrechtskonvention, UN-Menschenrechtskonvention) werden beachtet.
Der Gesetzesentwurf schreibt überkommene biologistische und binäre Stereotype fort und erhebt sie zu Zugangsvoraussetzung zu Grundrechtspositionen.
In einer Fachstellungnahme des 44. FJT wurde bereits beschlossen, dass die Eintragung oder Änderung des Geschlechtseintrags allein auf Grund der Selbstidentifikation möglich sein muss. Dabei bleiben wir. Die Änderung des Geschlechtseintrages darf nicht von Gerichtsverfahren, Gutachten, Zwangsberatungen oder Nachweisen über die körperliche Beschaffenheit abhängig sein, da mit solchen Verfahren stets eine Pathologisierung einhergeht. Weiterhin ist von einer vorgeschriebenen Einbeziehung von Dritten, wie Ehegatt*innen, in das Verfahren abzusehen.
Wir fordern die beteiligten Ministerien auf, unverzüglich einen verfassungskonformen Entwurf vorzulegen, mit dem die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zum TSG, zur sog. Dritten Option) und die menschenrechtlichen Vorgaben beachtet werden und bei dem die Selbstorganisationen der Betroffenen von Geschlechtsdiskriminierung angemessen einbezogen werden. Hierzu gehört eine ausreichende Möglichkeit zur Stellungnahme für Verbände sowie eine ausführliche Begründung grundrechtsrelevanter Regelungen.
Wenn die Anerkennung von Geschlechtsidentitäten und der Schutz vor Geschlechtsdiskriminierung geregelt werden sollen, gehört die Durchsetzung des Verbots geschlechtsnormierender Operationen an Minderjährigen dazu. Die brutalste Form der Durchsetzung einer binären Geschlechterordnung sind die extrem schädigenden geschlechtsnormierenden Operationen an Kleinkindern. Sie zerstören körperliche Integrität, Lebensfreude, sexuelle Selbstbestimmung und reproduktive Möglichkeiten. Diese gegen Grund- und Menschenrechte sowie zivil- und strafrechtliche Normen verstoßende Praxis ist sofort mit allen geeigneten Mitteln wirksam zu unterbinden.
Der FJT fordert die beteiligten Ministerien auf, den Referent*innenentwurf vom 8. Mai 2019 zurückzuziehen und unverzüglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher die Anerkennung von Geschlechtsidentitäten und den Schutz vor Diskriminierungen umfassend und im Einklang mit Grundgesetz und menschenrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik regelt.
5.
Fachstellungnahme des 45. FJT zu barrierefreiem Zugang zu Recht
Die Arbeitsgemeinschaft fordert
die Sensibilisierung von Jurist*innen in ihrem jeweiligen beruflichen Kontext im Umgang mit einer divers zusammengesetzten Gesellschaft, insbesondere mit Menschen mit Behinderungen. Hierbei ist die Situation von Frauen und Mädchen mit Behinderungen bei Gewalt in Nahbeziehungen und sexualisierter Gewalt besonders zu berücksichtigen.
die Öffnung des Regelsystems für von Gewalt betroffenen Frauen und Mädchen mit Behinderungen. Dazu zählt vor allem der Abbau von Hürden bei Polizei, Justiz, Beratung, Schutzeinrichtungen.
eine bessere Ausbildung von Student*innen und Referendar*innen im Hinblick auf Reflektion von Privilegien (z.B. Anti-Bias-Schulungen).
6.
Fachstellungnahme des 45. FJT zum Abstammungsrecht
Das Abstammungsrecht ist reformbedürftig. Die Pluralisierung von Familienmodellen sowie die auch rechtlich erfolgte Anerkennung geschlechtlicher Selbstbestimmung werden vom geltenden Recht nur unzureichend abgebildet. Dies geschieht zum Nachteil der Eltern und der Kinder in den jeweiligen Familien.
Erste Entwürfe für Neuregelungen liegen mit dem Diskussionspapier des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz vom 13. März 2019 vor. Auch ein am 8. Mai veröffentlichter Entwurf zur Reform des Transsexuellengesetzes adressiert das Eltern-Kind-Verhältnis. Die vorgeschlagenen Reformen reichen jedoch nicht weit genug. Hinsichtlich einer Neuregelung des Abstammungsrechts sind drei wesentliche Punkte anzumerken:
1. Soziale Elternschaft
Soziale Elternschaft ist die wesentliche Bedingung für Familie und das Kindeswohl. Der genetischen Beziehung zum Kind sollte bei der Eltern-Kind-Zuordnung daher kein pauschaler Vor- oder Gleichrang zu der sozialen Elternschaft gegeben werden. Die starke Betonung genetischer Zusammenhänge schließt insbesondere Familien jenseits der heteronormativen Kleinfamilie aus. Stattdessen sollten die real gelebten Verantwortungsbeziehungen geschützt werden.
So ist davon abzusehen, wie im Diskussionspapier vorgeschlagen, die Anfechtungssperre der sozial-familiären Beziehung gemäß § 1600 Abs. 3 BGB für die ersten sechs Lebensmonate des Kindes aufzuheben. Dies bedeutet die Möglichkeit des dauerhaften Ausschlusses einer Abstammungsbeziehung zu dem sozialen Elternteil. Die sorgetragende Familie und die Autonomie der Personen, die gemeinsam Elternverantwortung übernehmen, werden so nicht geschützt.
Eine Beschränkung der Regelungen auf medizinisch assistierte Befruchtungen entspricht nicht der Lebenswirklichkeit lesbischer Paare. Auch bei privaten Samenspenden sollte es die Möglichkeit geben, das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung zu wahren und zugleich die real gelebten Verantwortungsbeziehungen abzusichern.
2. Geschlechterinklusives Recht
Die geschlechtliche Selbstbestimmung von Menschen muss in allen Rechtsbereichen unterschiedslos gewahrt werden. Das bedeutet, dass für inter, trans und nicht-binäre Personen adäquate Eintragungsmöglichkeiten in Geburtenregister und Geburtsurkunden ermöglicht werden müssen. Die im Diskussionspapier vorgeschlagene analoge Anwendung der abstammungsrechtlichen Regelungen auf inter Personen widerspricht evident der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: Wenn der Staat an vergeschlechtlichten Eintragungen festhält, muss eine Option für jene jenseits der binären Ordnung geschaffen werden. Die Eintragung von trans Personen mit ihren abgelegten Namen und im ehemaligen Geschlecht stellt eine nicht zu rechtfertigende Verletzung des Offenbarungsverbots dar. Die Begriffe „Mit-Mutter“ oder „Co-Mutter“ eröffnen eine Hierarchie zwischen biologischer und sozialer Mutter und sind daher abzulehnen. All diese Ungleichbehandlungen können durch die Einführung geschlechtsneutraler Begriffe wie „Elter“ oder „Elternteil“ beendet werden.
Das Geschlecht einer Person darf nicht über ihren Zugang zu und ihr Ausleben von Elternschaft entscheiden. So muss sichergestellt werden, dass lesbische Paare, aber auch alleinstehende Frauen gleichen Zugang zu Samenbanken haben wie heterosexuelle. Es muss endlich eine gesetzliche Grundlage geben, die einen solchen Zugang sicherstellt. Insgesamt ist es dringend erforderlich, Zugang zu und Kostenfragen reproduktionsmedizinischer Maßnahmen in einem Fortpflanzungsmedizingesetz zu regeln.
3. Multiple Elternschaft
Für Menschen, die einvernehmlich Verantwortung für Kinder übernehmen, sollte es möglich sein, ihre Sorgerechtsmodelle verbindlich abzusichern. Dies umfasst Fragen der Sorgeausübung, des Umgangs, Unterhalt und Erbrecht.
Begriffliche und systematische Trennung von romantischer (heterosexueller) (Zweier-) Beziehung und Elternverantwortung.