STREIT 4/2022
S. 147-154
Beweislastverteilung bei Klage nach dem Entgelttransparenzgesetz – Anmerkung zu BAG v. 21.1.2021 – 8 AZR 488/19
Leitsatz des BAG-Urteils abgedruckt in diesem Heft S. 154.
Kurze Skizzierung des Sachverhalts
Die Klägerin war als Abteilungsleiterin bei einer Versicherung beschäftigt. Seit April 2013 wurde sie außertariflich vergütet. Sie erhielt zuletzt ein Grundentgelt von 5.385,40 € brutto zzgl. einer übertariflichen Zulage von 500 € brutto. Auf Antrag der Klägerin auf Auskunft nach § 11 EntgTranspG1
im Juli 2018 teilte die Beklagte der Klägerin zunächst nur den Median der männlichen Abteilungsleiter mit, die seit 2012 eine Führungsaufgabe übernommen hatten. Dieser Median lag nur unwesentlich höher als die der Klägerin gezahlte Vergütung. Die Klägerin beanstandete diese Auskunft und verlangte, alle Abteilungsleiter in den Vergleich einzubeziehen. Daraufhin erhielt sie die Auskunft, dass der Median der männlichen Abteilungsleiter 6.292 € brutto monatlich zuzüglich einer Zulage von 600 € brutto monatlich betrage.
Die Klägerin hat die Zahlung der Vergütungsdifferenz zwischen August 2018 und Februar 2019, sowie die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr ab diesem Zeitpunkt dasselbe Entgelt zu zahlen wie den männlichen Abteilungsleitern, beantragt.
Die Vorinstanz, das LAG Niedersachsen, hat die Klage abgewiesen. Das im Vergleich mit den anderen Abteilungsleitern geringere Entgelt der Klägerin begründe kein Indiz für eine Entgeltdiskriminierung wegen des Geschlechts. Damit sei eine Beweislastumkehr gemäß § 22 AGG nicht geboten.
Der 8. Senat folgt dieser Argumentation nicht. Der Umstand, dass der Klägerin für gleiche bzw. gleichwertige Arbeit ein geringeres Vergleichsentgelt (Median-Entgelt) als den männlichen Vergleichspersonen gezahlt wird, begründet die – vom Arbeitgeber – widerlegbare Vermutung, dass eine Benachteiligung wegen des Geschlechts erfolgt. § 22 AGG findet insoweit Anwendung. Im Folgenden werden einige zentrale Punkte der Entscheidungsbegründung referiert und in den Kontext einer europarechtskonformen Auslegung des Entgelttransparenzgesetzes eingeordnet.
1. Europarechtliche Dimension des Anspruchs auf gleiches Entgelt für gleiche und gleichwertige Arbeit
Die Entscheidung bekräftigt die europarechtliche Dimension des Anspruchs auf gleiches Entgelt für gleiche und gleichwertige Arbeit, der erst mit Verabschiedung des Entgelttransparenzgesetzes eindeutig und klar im nationalen Recht verankert ist.
a) Bisherige Rechtsgrundlagen für den Anspruch auf Entgeltgleichheit
Schon die Norm des Primärrechts, Art. 157 AEUV, die den Grundsatz der Entgeltgleichheit beinhaltet, gilt unmittelbar und zwingend in den Mitgliedstaaten. Die entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie 2006/54/EG sind Art. 2 Abs. 1 e) und Art. 4; auch sie werden von der unmittelbaren Anwendbarkeit mit erfasst.2
Richtlinienbestimmungen der EU sind verbindlich, bestimmt und eindeutig in nationales Recht umzusetzen. Die vollständige Wirksamkeit der Richtlinie entsprechend ihrer Zielsetzung ist zu erreichen. Die Umsetzung muss in der Weise erfolgen, dass die Begünstigten in die Lage versetzt werden, von ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und sie ggf. vor den nationalen Gerichten geltend zu machen (Grundsatz der Rechtssicherheit).3
Der Grundsatz des gleichen Entgelts war im deutschen Recht zunächst in § 612 Abs. 3 BGB in Umsetzung der Vorgängerrichtlinie 75/117 EWG verankert. Mit Inkrafttreten des AGG 2006 wurde § 612 Abs. 3 BGB aufgehoben. Jedoch enthält das AGG keine klare und eindeutige Grundlage für Ansprüche auf gleiches Entgelt. Nur über eine Verweisungskette (§ 7 Abs. 1 i. V. m. §§ 2 Abs. 1 Nr. 2, 8 Abs. 2 AGG) ist der Anspruch verankert.4
Dieses Umsetzungsdefizit ist von der Literatur und jüngst vom 8. Senat5
als intransparent und unklar, d. h. als nicht europarechtskonforme Umsetzung, kritisiert worden. In der Gesetzesbegründung zum Entgelttransparenzgesetz greift der Gesetzgeber diese Kritik auf; er stellt klar, dass die zwingend erforderliche Umsetzung von Art. 2 Abs. 1 e), Art. 4 der Richtlinie 2006/54/EG in das deutsche Recht nunmehr mit dem Entgelttransparenzgesetz erfolgt. Aufgrund seiner besonderen Bedeutung will der Gesetzgeber das Entgeltgleichheitsgebot in einem eigenen Gesetz ausdrücklich und transparent regeln. Das Entgelttransparenzgesetz soll dazu beitragen, unmittelbare und vor allem mittelbare Entgeltdiskriminierung effektiv zu beseitigen und zu verhindern.6
Folgerichtig hat der 8. Senat im Juni 2020 den Arbeitnehmerbegriff in § 5 Abs. 2 Nr. 1 richtlinienkonform weit dahin ausgelegt, dass er auch arbeitnehmerähnliche Personen umfasst. Beschäftigte i. S. d. § 10 Abs. 1 Satz 1 sind nach dieser Ansicht alle Personen, die in den personellen Geltungsbereich von Art. 2 Abs. 1 e) der Richtlinie 2006/54 fallen. Obwohl, anders als in § 6 AGG arbeitnehmerähnliche Personen nicht ausdrücklich in den Anwendungsbereich des Entgelttransparenzgesetzes einbezogen sind, rechtfertigt der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts diese erweiternde europarechtskonforme Auslegung. Arbeitnehmerähnliche Personen haben folglich Anspruch auf Auskunft gemäß §§ 10, 11.
b) Anspruchsgrundlage und Rechtsfolge nach Entgelttransparenzgesetz
Nach der Gesetzesbegründung ist der Entgeltbegriff in § 5 Abs. 1 EntgTranspG entsprechend der Auslegung des Begriffs in Art. 2 Abs. 1 e) der Richtlinie weit auszulegen.7
Das Recht auf gleiches Entgelt für gleiche und gleichwertige Arbeit aus Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie ist in §§ 3 Abs. 1, 7 verankert. Nach § 3 Abs. 1 ist eine unmittelbare und mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen bei gleicher und gleichwertige Arbeit verboten. Die Begriffe „unmittelbare“ und „mittelbare“ Benachteiligung orientieren sich an § 3 Abs. 1, 2 AGG.8
Den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kommt bei mittelbarer Entgeltbenachteiligung besondere Bedeutung zu. Mit dem Verbot der Benachteiligung korrespondiert ein Gebot zur Entgeltgleichheit in § 7. §§ 3 Abs. 1, 7 bilden also heute die Rechtsgrundlage für den Anspruch. Indem das Entgelttransparenzgesetz Art. 157 AEUV, sowie die Richtlinienbestimmungen der Richtlinie 2006/54 EG zur Entgeltgleichheit umsetzt, ist es unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH europarechtskonform, d.h. im Lichte von Ziel und Zweck der Richtlinie anzuwenden und auszulegen. Dies bekräftigt die Begründung des Gesetzes, die v. a. zu den Begrifflichkeiten (Entgelt, gleiche und gleichwertige Arbeit) intensiv auf die Rechtsprechung des EuGH Bezug nimmt.
Auch bei der Rechtsfolge des Anspruchs orientiert sich das BAG an der Rechtsprechung des EuGH. Es handelt sich nicht um einen Schadensersatzanspruch im Sinne von § 15 Abs. 2 AGG.9
Wenn eine europarechtswidrige Diskriminierung im Entgelt festgestellt worden ist, hat die betroffene Arbeitnehmerin Anspruch auf das Entgelt, das der Arbeitgeber den Angehörigen der bevorzugten Gruppe zahlt.10
Der 8. Senat bestätigt vorliegend, dass dieser europarechtliche Grundsatz der „Anpassung nach oben“ anzuwenden ist, wenn der Arbeitgeber die vermutete Diskriminierung nicht widerlegen kann.11
2. Bedeutung und Umfang des Auskunftsanspruchs gemäß §§ 10 ff. EntgTranspG
In der Entscheidung hebt der 8. Senat erneut die Bedeutung des Auskunftsanspruchs für die Durchsetzung des Anspruchs auf gleiches Entgelt für gleiche und gleichwertige Arbeit hervor. Aufgrund der Beweislastverteilung ist der Auskunftsanspruch essenziell. Denn in Orientierung an der Rechtsprechung des EuGH trifft die Beweislast für das Vorliegen einer Diskriminierung im Entgelt aufgrund des Geschlechts grundsätzlich eine Klägerin, die Klage auf Beseitigung dieser Diskriminierung erhebt.12 Sie muss beweisen, dass
der Arbeitgeber ihr ein niedrigeres Entgelt zahlt als den männlichen Vergleichskollegen
sie gleiche bzw. gleichwertige Arbeit verrichtet.
Die EU-Kommission hat bereits in einer Empfehlung 2014 darauf hingewiesen, dass die Durchsetzung der Entgeltgleichheit u.a. an undurchsichtigen Vergütungsstrukturen und fehlenden Informationen über die Entgelte der Vergleichspersonen scheitert.13
Um die bestehenden Informationsdefizite abzubauen, ist es nach Ansicht des Gesetzgebers deshalb geboten, die Betroffenen mittels eines individuellen Auskunftsanspruchs in die Lage zu versetzen, ihre Darlegungs- und Beweislast im Rahmen einer Entgeltgleichheitsklage nachzukommen. Der Auskunftsanspruch soll einen angemessenen Ausgleich schaffen zwischen den Anforderungen des Unionsrechts an die Beweislast und der gerichtlichen Durchsetzbarkeit der Entgeltgleichheit. Mit dem Anspruch auf Auskunft korrespondieren entsprechende Auskunftspflichten des Arbeitgebers. Auskunftsanspruch und die zu erteilende Auskunft sind auf die Durchsetzung des Entgeltgleichheitsanspruchs gerichtet. Sie dienen dem Zweck, die Durchsetzung des Anspruchs zu erleichtern.14
Der individuelle Auskunftsanspruch gilt in allen Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten (§ 12 Abs. 1). Die Nutzung der in einem Auskunftsverlangen erlangten Informationen ist – zum Schutz der Daten der Vergleichspersonen – auf die Geltendmachung von Ansprüchen in einem gerichtlichen Verfahren nach dem Entgelttransparenzgesetz beschränkt (§ 8 Abs. 2, § 12 Abs. 3).15
Die Beschäftigten können Auskunft über den Median des monatlichen Bruttoentgelts der Vergleichspersonen, sowie über bis zu zwei gesonderte Entgeltbestandteile erlangen. Mit der Einschränkung soll der Aufwand verringert werden, der sich durch die Notwendigkeit der Berechnung der jeweiligen Mediane ergibt.16
Die Auskunftspflicht bezieht sich nur auf Entgeltregelungen in demselben Betrieb und bei demselben Arbeitgeber (§ 12 Abs. 2 Nr. 1). Arbeitgeberübergreifende wie branchenübergreifende Vergleiche sind damit ausgeschlossen; nach Ansicht des Gesetzgebers ist der Arbeitgeber die Instanz, die die Entgeltunterschiede beseitigen kann.17
Der Gesetzgeber begründet diese Einschränkung mit dem Grundsatz des EU-Rechts – Entgeltbedingungen müssen „auf ein und dieselbe Quelle“ zurückzuführen sein. Es bestehen Zweifel, ob diese Position europarechtskonform ist. Denn der EuGH hat in derselben Rechtssache erklärt, dass der Grundsatz des gleichen Entgelts nicht auf ein und denselben Arbeitgeber beschränkt ist. Damit müssen auch arbeitgeberübergreifende Vergleiche möglich sein, wenn die Entgeltbedingungen in einem Gesetz bzw. Tarifvertrag festgelegt sind, die für mehrere Arbeitgeber gelten.18
Das Entgelttransparenzgesetz bleibt in dieser Regelung hinter dem Europarecht zurück.
Beschäftigte müssen – in zumutbarer Weise – eine möglichst konkrete Vergleichstätigkeit benennen (§ 10 Abs. 1 Satz 2). Auch für dieses Kriterium ist zu berücksichtigen, dass die Beschäftigten im Einzelfall nicht über die erforderlichen Informationen zur Ermittlung einer gleichen und insbesondere gleichwertigen Tätigkeit verfügen. Deshalb dürfen hieran keine strengen Anforderungen gestellt werden. Aus dem Verlangen muss nur erkennbar sein, welche Vergleichstätigkeiten gemeint sind. Es soll eine willkürliche Auswahl von Vergleichstätigkeiten ausgeschlossen werden.19
Bei tarifgebundenen bzw. Tarif anwendenden Arbeitgebern oder im Falle einer gesetzlichen Entgeltregelung ist das Vergleichsentgelt der Beschäftigten des anderen Geschlechts anzugeben, die in die gleiche Entgelt- oder Besoldungsgruppe eingruppiert sind (§ 11 Abs. 3 Satz 2 Nummer 2).
Der Arbeitgeber kann die Auskunft im Übrigen nicht deshalb verweigern, weil die Vergleichstätigkeiten nach seiner Ansicht nicht gleichwertig sind. In dem Fall ist eine Auskunft für die von ihm ermittelte Vergleichstätigkeit zu geben (§ 15 Abs. 1 Satz 4). Zudem muss der Arbeitgeber nachvollziehbar begründen, warum er die angefragte Vergleichstätigkeit für nicht gleich oder gleichwertig erachtet; dabei muss er die in § 4 genannten Kriterien zugrunde legen, damit seine Kriterien transparent werden (§ 15 Abs. 4 Satz 3).20
Der Arbeitgeber kann den Auskunftsanspruch demnach nicht vereiteln, indem er die Gleichwertigkeit der Arbeit der Vergleichsgruppe einfach bestreitet. Im vorliegenden Fall musste der 8. Senat zu dieser Frage nicht Stellung nehmen, weil die Klägerin und die Vergleichspersonen als Abteilungsleiter unstreitig „gleiche Arbeit“ verrichteten.21
Ist jedoch die Frage der Gleichwertigkeit der Vergleichstätigkeiten zwischen Klägerin und Arbeitgeber umstritten, können sich hieraus erhebliche Probleme für die Durchsetzung des Anspruchs auf Entgeltgleichheit ergeben (dazu unter 5. a).
Die Auskunftspflicht des Arbeitgebers erstreckt sich auf zwei Auskünfte: zum ersten auf die Angabe zu den Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung, zum zweiten auf die Angabe des Vergleichsentgelts (§ 11 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2, 3). Im Falle einer gesetzlichen oder tarifvertraglichen Entgeltregelung genügt die Nennung der jeweiligen Regelung (§ 11 Abs. 2 Satz 2). Um den Anliegen der Auskunft begehrenden Beschäftigten zu genügen, muss diese Vereinfachung eng ausgelegt werden. Daher kann sich der Arbeitgeber darauf nicht bei außertariflich vergüteten Angestellten berufen. Hier muss er umfassend Auskunft zu Verfahren und Kriterien der Entgeltfestsetzung geben. Gleiches gilt für nicht tarifvertraglich festgelegte Entgeltbestandteile, etwa Zulagen und Prämien.22
Obgleich der Sachverhalt hierfür keinen Anlass bot, hat der 8. Senat zur Bekräftigung seiner Ansicht zur Beweislastverteilung (dazu unter 4.) ausdrücklich auf die Beweislastverlagerung zulasten des Arbeitgebers bei Unterlassen der Erfüllung der Auskunftspflicht hingewiesen (§ 15 Abs. 5 Satz 1). Nach dieser Bestimmung muss die Beschäftigte nur darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass der Arbeitgeber die Erfüllung der Auskunftspflicht unterlassen hat. Ein solches Verhalten ruft Zweifel an der Rechtstreue des Arbeitgebers in Bezug auf die Entgeltgleichheit hervor und gilt deshalb als Indiz für eine Benachteiligung wegen des Geschlechts. Dies gilt jedenfalls bei offensichtlich unvollständigen oder falschen Auskünften in Bezug auf das Bruttoentgelt und/oder die Entgeltbestandteile. In dem Fall obliegt es dem Arbeitgeber mittels Vollbeweis nachzuweisen, dass die streitige Entgeltregelung (Entgeltbedingungen und -bestandteile) auf objektiven Faktoren beruht, die nichts mit einer Diskriminierung wegen des Geschlechts zu tun haben.23
3. Ermittlung der Vergleichsvergütung
a) Kriterien für die Bildung der Vergleichsgruppe
Vorliegend belegt die aktuelle Auskunft des Arbeitgebers, dass die Klägerin ein deutlich niedrigeres Grundentgelt und eine niedrigere Zulage als die männlichen Abteilungsleiter erhielt. Das BAG stellt zunächst klar, dass die Angabe der Vergleichsentgelte nur der männlichen Arbeitgeber, die seit 2012 eine Führungsaufgabe übernommen hatten, mit den Vorgaben des § 4 Abs. 1, Abs. 2 nicht vereinbar ist. Es kommt für die Feststellung von gleicher oder gleichwertiger Arbeit allein auf die tatsächlichen Anforderungen an. Diese sind unabhängig von den Personen und deren Leistungen. Die Dauer der Wahrnehmung einer Führungsaufgabe kann zwar eine Differenzierung im Entgelt rechtfertigen. Vorliegend war dieser Aspekt für die Beurteilung der Arbeit als „gleiche Arbeit“ nicht relevant.24 Bei der Bildung der Vergleichsgruppe und ihrer Ermittlung gleicher/gleichwertiger Arbeit ist demnach ausschließlich auf die tätigkeitsbezogenen Kriterien des § 4 Abs. 1, Abs. 2 abzustellen. Personenbezogene Merkmale wie Qualifikation und Berufserfahrung sind in die Feststellung gleichwertiger Arbeit einzubeziehen. Führen diese Faktoren dazu, dass die Vergleichspersonen sich nicht in einer „vergleichbaren Lage“ befinden, so liegt schon keine gleiche bzw. gleichwertige Arbeit vor.25 Der Arbeitgeber hat indes nicht vorgetragen, dass die Berufserfahrung der schon vor 2012 beschäftigten männlichen Abteilungsleiter eine „ungleiche“ bzw. „ungleichwertige“ Arbeit in Bezug auf die Tätigkeit der Klägerin begründet. Aufgrund dessen gab es keinen sachlichen Grund, die Vergleichsgruppe zu beschränken.
b) Eignung des Vergleichsmaßstabs „Median-Entgelt“
Nach § 11 Abs. 3 ist das Vergleichsentgelt als auf vollzeitäquivalenter hochgerechneter statistischer Median des durchschnittlichen monatlichen Bruttoentgelts sowie der erfragten Entgeltbestandteile, jeweils bezogen auf ein Kalenderjahr, anzugeben. Da es im vorliegenden Fall um außertarifliche Bezahlung ging, war das Vergleichsentgelt der männlichen Beschäftigten, die ebenfalls als Abteilungsleiter (gleiche Arbeit) beschäftigt waren, anzugeben (§ 11 Abs. 3 Nr. 2). Die Angabe des Vergleichsentgelts muss sich in Orientierung am Auskunftsanspruch auf die Grundvergütung und bis zu zwei erfragte Entgeltbestandteile beziehen (s. o.).
Der 8. Senat betont die Geeignetheit des Median-Entgelts als Vergleichsmaßstab bzw. als Indiz für eine geschlechtsbezogene Benachteiligung. Der Gesetzgeber hat sich ausdrücklich für den Maßstab „Median“ und nicht für das „arithmetische Mittel“ entschieden. Der statistische Median ist der Grenzwert, der sich bei einer Reihung der Einkommen ergibt. Die Hälfte der Einkommen liegt unter, die andere Hälfte über diesem Wert. Der statistische Median hat gerade bei einer ungleichen Verteilung von Einkommen den Vorteil, dass er erhebliche Abweichungen nach oben und unten ignoriert („Robustheit gegenüber Ausreißern“). Personen mit einem sehr hohen Einkommen und Personen mit einem sehr niedrigeren Einkommen haben damit keinen Einfluss auf den Vergleichswert. Insofern ermöglicht der statistische Median bei einer ungleichen Verteilung einen realistischeren Blick auf das Durchschnittseinkommen. Der Median-Wert ist als Vergleichsmaßstab EU-weit anerkannt. U. a. wird er EU-weit bei der Bemessung des Armutsrisikos als Maßstab verwendet.26
Im Übrigen kann sich der Auskunftsanspruch der Klägerin nach den ausdrücklichen gesetzlichen Vorgaben nur auf den Median beziehen.
4. Verteilung der Beweislast im Rahmen des Entgelttransparenzgesetzes
Die Aussagen des 8. Senats zur Verteilung der Beweislast in einem Rechtsstreit nach dem Entgelt Transparenzgesetz bilden den Kern der Entscheidung:
Für die Verteilung der Darlegung und Beweislast ist § 22 AGG maßgebend, der in Übereinstimmung mit Art. 19 der EU-Richtlinie 54/2006/EG Union rechtskonform auszulegen ist.
Hat die Klägerin bewiesen, dass ihr ein niedrigeres Entgelt gezahlt wird als den zum Vergleich herangezogenen Kollegen und sie gleiche bzw. gleichwertige Arbeit verrichtet, gilt die Vermutung einer Benachteiligung gemäß § 22 AGG.
Dann muss der Arbeitgeber beweisen (Vollbeweis), dass kein Verstoß gegen die Entgeltgleichheit vorliegt, sondern ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben.27
a) Anwendbarkeit des § 22 AGG
Das Entgelttransparenzgesetz enthält – abgesehen von § 15 Abs. 5 – keine ausdrücklichen Regelungen zur Darlegungs- und Beweislast. Es verweist jedoch in § 2 Abs. 3 Satz 1 ausdrücklich auf das AGG, das danach „unberührt“ bleibt. Nach Ansicht des 8. Senats gilt mithin § 22 AGG bei einer Zahlungsklage auf Zahlung gleichheitswidrig vorenthaltener Vergütung gemäß §§ 3 Abs. 1, 7. Der Senat begründet diese Auffassung zum einen mit dem ausdrücklichen gesetzlichen Verweis auf die Geltung des AGG. Das Entgelttransparenzgesetz geht dem AGG nur dann als lex specialis vor, wenn es eine abschließende Regelung trifft. Außerdem verweist das BAG auf die notwendige Umsetzung von Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG, der eine Beweisverteilung zulasten des Arbeitgebers vorsieht, wenn die klagende Partei Indizien für das Vorliegen einer unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung im Entgelt vorlegt. Da das Entgelttransparenzgesetz diese Richtlinie in Bezug auf den Grundsatz der Entgeltgleichheit umsetzt, muss auch Art. 19 Abs. 1 im Entgelttransparenzgesetz seinen Niederschlag finden; ansonsten bleibt das Entgelttransparenzgesetz hinter den europarechtlichen Vorgaben zurück.28 Der 8. Senat sieht dies durch die Anwendung des § 22 AGG auf Klagen nach dem Entgelttransparenzgesetz verwirklicht; damit folgt er der Verpflichtung zur europarechtskonformen Auslegung eines in Umsetzung einer Richtlinie ergangenen Gesetzes. Gerichte müssen sich bei der Auslegung soweit wie möglich an Wortlaut und Zweck der Richtlinie orientieren.29
b) Vermutungswirkung des Umstandes „niedrigeres Entgelt bei gleicher bzw. gleichwertiger Arbeit“
Die Auskunft ist ein Hilfsinstrument, um dem Grundsatz der Entgeltgleichheit zur Durchsetzung zu verhelfen. Ergibt die Auskunft, dass der Arbeitgeber der männlichen Vergleichsgruppe ein höheres Median-Entgelt für gleiche bzw. gleichwertige Arbeit zahlt, hat die Klägerin nach Ansicht des Senats Darlegungs- und Beweislast für eine Benachteiligung im Entgelt erbracht. Diesen Umstand wertet der 8. Senat – anders als die Vorinstanz – als Indiz für eine verbotene Diskriminierung wegen des Geschlechts. In der Begründung folgt er konsequent einer europarechtskonformen Auslegung des Art. 19 EU-Richtlinie 54/2006/EG, der durch § 22 AGG umgesetzt wird. Da § 22 AGG auch bei Entgeltklagen nach dem Entgelttransparenzgesetz gilt, kann der 8. Senat die Rechtsprechung zu Systematik und Zweck des § 22 AGG in diesem Zusammenhang aufnehmen: Grundsätzlich ist im Anwendungsbereich des AGG (§ 2 AGG) eine Ungleichbehandlung nur verboten, wenn zwischen der Benachteiligung und einem Merkmal des § 1 AGG ein Kausalzusammenhang besteht (§ 7 AGG: Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes benachteiligt werden). Die Beweislastumkehr des § 22 bezieht sich nur auf diesen Kausalzusammenhang: Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG genügt es, wenn die Indiztatsache – hier: geringere Vergütung bei gleicher und gleichwertiger Arbeit – die Kausalität zwischen Benachteiligung und einem Merkmal des § 1 AGG (hier: Geschlecht) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erwarten lässt. Hierfür ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund i. S. v. § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist; er muss nicht gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund oder Hauptmotiv des Verhaltens sein. Der Kausalzusammenhang ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen Grund i. S. v. § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit genügt.30
In Auseinandersetzung mit der Begründung des LAG erörtert der 8. Senat diese Systematik des § 22 AGG ausführlich. Nach seiner Ansicht ergibt sich aus der Auskunft des Arbeitgebers, dass die männlichen Abteilungsleiter ein höheres Median-Entgelt erhalten, die Vermutung, dass das Geschlecht (mit) ursächlich für das niedrigere Entgelt der Klägerin ist. Das mitgeteilte höhere Median-Entgelt ist indes „nur“ ein Indiz für eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts. Die Auskunft „höheres Median-Entgelt“ enthält eben nicht die Bewertung „Entgeltdiskriminierung wegen Geschlecht“. Damit wird lediglich die Vermutungswirkung nach § 22 AGG ausgelöst, jedoch nicht der Nachweis für eine verbotene Diskriminierung wegen des Geschlechts erbracht. Die Vermutungswirkung führt dazu, dass es Sache des Arbeitgebers ist, zu widerlegen, dass eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts vorliegt. Eine unmittelbare Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts kann nicht durch ein rechtmäßiges Ziel gerechtfertigt werden – anders als eine mittelbare Benachteiligung (§ 3 Abs. 3, § 3 Abs. 2 AGG). Ausnahmen hiervon sind nur möglich, wenn sie in Rechtsvorschriften festgelegt sind (zum Beispiel § 8 AGG).31
Im Falle einer unmittelbaren Entgeltdiskriminierung muss der Sachvortrag ausschließen, dass zwischen dem geringeren Entgelt und dem Geschlecht ein Kausalzusammenhang besteht. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben. Die juristische Beurteilung, dass eine mit dem Entgelttransparenzgesetz bzw. AGG unvereinbare Diskriminierung wegen des Geschlechts vorliegt, vollzieht sich somit erst im Rahmen der Auseinandersetzung mit den Argumenten des Arbeitgebers zur Widerlegung der Vermutung.32
Damit wird der Weg eröffnet, die vermutete Korrelation durch den Vortrag von zulässigen Entgeltdifferenzierungskriterien, wie etwa geringere Qualifikation, fehlende Berufserfahrung oder leichtere Arbeitsbedingungen, zu widerlegen.
5. Hinweise des 8. Senats zu den Anforderungen an eine diskriminierungsfreie Entgeltdifferenzierung
Da das Landesarbeitsgericht die Vermutungswirkung der Auskunft des Arbeitgebers verneint hatte, setzte es sich nicht mit eventuellen Argumenten des Arbeitgebers zur Entkräftung der Vermutung auseinander. Das BAG konnte deshalb nicht abschließend entscheiden, sondern hat die Sache zurückverwiesen, damit über den Sachvortrag des Arbeitgebers zur Widerlegung der Vermutung entschieden werden kann. Dazu gibt der 8. Senat einige Hinweise.
a) Ermittlung „gleichwertiger Arbeit“ und diskriminierungsfreie Entgeltsysteme
Er betont zunächst, dass das „Gebot der praktischen Wirksamkeit“ des Unionsrechts – hier des Grundsatzes der Entgeltgleichheit – eine wirksame Kontrolle und Nachprüfung durch die Gerichte erfordert, welche wiederum nur möglich ist, wenn die Entgeltfestsetzung transparent ist. Dazu muss ein Entgeltsystem die Kriterien des § 4 Abs. 4 berücksichtigen. Der Gesetzgeber problematisiert zugleich die Benachteiligungspotenziale in Arbeitsbewertungsverfahren, die die Grundlage der Entgeltsysteme bilden. Dies betrifft das zentrale Problem der Vergleichbarkeit grundverschiedener Tätigkeiten, mithin die Frage der Gleichwertigkeit von Arbeit gem. § 4 Abs. 2. Diese bestimmt sich nach Art der Arbeit, Ausbildungsanforderungen sowie Arbeitsbedingungen; der Gesetzgeber benennt weitere Unterkategorien (Qualifikation, Fertigkeiten, Verantwortung, physische und psychische Belastungen). Arbeitsbewertungsverfahren wie auch darauf beruhende Entgelttarifverträge beruhen heute auf geschlechtsneutral formulierten Kriterien. Gleichwohl können sie in Systematik und Anwendung bzw. Auslegung der Differenzierungskriterien Frauen mittelbar diskriminieren. Darauf weist der Gesetzgeber beispielhaft anhand des Kriteriums Verantwortung hin; denn „Verantwortung für Menschen“ im Rahmen sozialer Tätigkeiten wird häufig bei der Arbeitsbewertung nicht berücksichtigt.33
Soziale Arbeit, Erziehung, Pflege oder hauswirtschaftliche Berufe werden als „semi-professionell“ bzw. „hausarbeitsnah“ abgewertet.34
Der geringe soziale Status der „Frauenberufe“ führt dazu, dass Qualifikationen, fachliche Anforderungen und (psychische) Belastungen gering bewertet werden. Dies ist eine Ursache für den konstanten „Gender Pay Gap“ und seiner nicht durch Faktoren, wie Erwerbsunterbrechungen, zu erklärenden Entgeltunterschiede zwischen Frauen und Männern.35
Es ist zu begrüßen, dass Kriterien zur Erfassung von „gleichwertiger Arbeit“ und Anforderungen an diskriminierungsfreie Entgeltsysteme nun erstmalig gesetzlich normiert sind; positiv ist auch, dass der Gesetzgeber sich zur Konkretion an der Rechtsprechung des EuGH orientiert. Gleichwohl bleibt es bei schwierigen Rechtsfragen wie auch praktischen Problemen, v. a. bei der Ermittlung „gleichwertiger Arbeit“ der Vergleichsgruppe, welche eine Klägerin im Rahmen der Auskunftsklage beweisen muss. Die Beweiserleichterung des § 22 AGG findet keine Anwendung; dies ergibt sich aus den klaren Aussagen des 8. Senats zur Beweislastverteilung für Klagen nach dem Entgelttransparenzgesetz.36
Bei unterschiedlichen Tätigkeiten muss demnach die Klägerin beweisen, dass ihre Tätigkeit in Bezug auf Art der Arbeit, Anforderungen und Belastungen gegenüber der Vergleichstätigkeit gleichwertig ist. Dazu ist ggf. nachzuweisen, dass das Entgeltsystem bzw. die individuelle Entlohnung Anforderungen nicht erfasst (z. B. soziale Kompetenz) oder mittelbar diskriminierend auslegt. Damit ist es für eine Klägerin schwierig, den Beweis der Gleichwertigkeit zu führen. Im Einzelfall wird dies nicht ohne arbeitswissenschaftliche Beratung gelingen, mithin eine hohe Hürde für die Durchsetzung von Ansprüchen nach dem Entgelttransparenzgesetz.
Vorliegend bot der Sachverhalt dem 8. Senat keinen Anlass zu weiteren Ausführungen, denn es lag unstreitig „gleiche Arbeit“ vor. Der Nachweis der Gleichwertigkeit wird Gegenstand anderer Klagen werden (müssen).
b) Anforderungen an Anwendung und Auslegung des Kriteriums „Berufserfahrung“
Das BAG betont, dass es nicht genügt, geschlechtsneutrale Differenzierungskriterien aufzustellen. Die Kriterien müssen in der betrieblichen Praxis auch geschlechtsneutral ausgelegt und auf alle Beschäftigten geschlechtsneutral angewendet werden. Vorliegend hatte der Arbeitgeber die Entgeltdifferenz mit der sehr unterschiedlichen Dauer der Tätigkeit in der Funktion der Abteilungsleitung begründet. In Orientierung an der Rechtsprechung des EuGH hält der 8. Senat „Berufserfahrung“ für ein objektives Kriterium, dass nichts mit einer Benachteiligung wegen des Geschlechts zu tun hat und deshalb ein höheres Entgelt diskriminierungsfrei begründen kann.37 Denn ein Mehr an „Berufserfahrung“ führt in der Regel zu einer besseren Befähigung, die Beschäftigung auszuüben; einen tatsächlichen Zusammenhang zur konkret ausgeübten Arbeit muss der Arbeitgeber nicht nachweisen.38 Diese pauschale Bewertung hat der EuGH zuletzt relativiert. Wenn der Arbeitnehmer Indizien gegen den Zusammenhang vorträgt, muss der Arbeitgeber beweisen, dass die erworbene Berufserfahrung tatsächlich mit einer besseren Arbeitsleistung auf dem betreffenden Arbeitsplatz einhergeht. Plausibel wird diese Auffassung damit begründet, dass je nach Tätigkeit ab einer bestimmten Schwelle „ein Mehr“ an Berufserfahrung u. U. keine weitere Steigerung der Arbeitsqualität mit sich bringt.39 Bei Klagen nach dem Entgelttransparenzgesetz muss diese Differenzierung des EuGH berücksichtigt werden. Trägt die Klägerin vorliegend Anhaltspunkte vor, die geeignet sind, ernsthafte Zweifel an der besseren Qualität der Tätigkeit einer Abteilungsleitung durch mehr Berufserfahrung zu begründen, liegt die Beweislast für die bessere Leistung durch Berufserfahrung beim Arbeitgeber. Darüber wird vor dem LAG zu entscheiden sein.
6. Fazit
Der Grundsatz der „praktischen Wirksamkeit“ des Europarechts erfordert, dass das Entgelttransparenzgesetz, das Art. 2 und Art. 4 der EU-Richtlinie 2006/54/EG in deutsches Recht umsetzt, von den Arbeitsgerichten auf Wirksamkeit – Durchsetzung des Grundsatzes der Entgeltgleichheit – kontrolliert wird. Dies setzt voraus, dass Betroffene ihre Rechte einklagen. In der Gesetzesbegründung wird zu Recht darauf verwiesen, dass Frauen davon absehen, ihr Recht wahrzunehmen, weil sie befürchten, dass sich Anfragen und Entgeltgleichheitsklagen nachteilig auf das bestehende Arbeitsverhältnis auswirken. Trotz Maßregelverbot in § 9 können diese Hemmnisse durch einen Rechtsanspruch nicht beseitigt werden.40
Daher ist es für die Wirksamkeit des Entgeltgleichheitsgrundsatzes von erheblicher Bedeutung, dass der 8. Senat die europarechtlichen Spielräume nutzt und das Entgelttransparenzgesetz europarechtskonform auslegt. Diese konsequente Linie ist zu begrüßen.41
Indem das BAG § 22 AGG auf Klagen nach dem Entgelttransparenzgesetz anwendet, erleichtert es den Betroffenen die Rechtsdurchsetzung.
Diesbezüglich liegt das BAG auf einer Linie mit einem Vorschlag der EU-Kommission für eine Richtlinie zur Lohntransparenz.42 In Art. 16 des Vorschlags ist eine Verlagerung der Beweislast vorgesehen. Die Mitgliedstaaten müssen gewährleisten, dass es der beklagten Partei obliegt zu beweisen, dass keine unmittelbare oder mittelbare Entgeltdiskriminierung vorliegt, wenn Arbeitnehmer Vermutungstatsachen glaubhaft machen. Inhaltlich stimmt diese Regelung mit Art. 19 EU-Richtlinie 2006/54/EG bzw. § 22 AGG, konkretisiert auf Entgeltgleichheit, überein. Der 8. Senat hat mithin in dieser Entscheidung den Regelungsgehalt einer künftigen europarechtlichen Richtlinienbestimmung für Klagen nach dem Entgelttransparenzgesetz angewendet. Das Entgelttransparenzgesetz wird um eine ausdrückliche Beweislastregelung ergänzt werden müssen, falls der Vorschlag der Kommission geltendes Recht wird.
- Paragraphen ohne weitere Angabe sind solche des Entgelttransparenzgesetzes. ↩
- BAG 21.1.2021 – 8 AZR 488/19 Rn. 18 m. w. N. aus der st. Rsp. des EuGH, der das BAG folgt. ↩
- Art. 288 Abs. 3 AEUV: st. Rsp. des EuGH 19.11.1991 – C- 6/90; C-7/90 (Francovich u.a.). ↩
- BT-Drs. 16/1780 S. 35; BAG 11.12.2007 – 3 AZR 249/06 Rn. 45; Däubler/Beck-Zimmer AGG, Einl. EntgTranspG Rn. 8. ↩
- BAG v. 25.6.2020 – 8 AZR 145/19 Rn. 48 ff. ↩
- BT-Drs. 18/11133, S. 28, 45, 56. ↩
- BT-Drs. 18/11133, S. 54. ↩
- BT-Drs. 18/11133, S. 49. ↩
- Zum Anspruch auf Schadenersatz bei Lohndiskriminierung vgl. Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz vom 28.10.2015 – 4 Sa 12/14 mit Anm. Feldhoff JurisPR-ArbR 33/2016 Anm. 2. ↩
- St. Rsp. des EuGH: EuGH v. 27.6.1990 – C-33,89 (Kowalksa); ErfK-Schlachter § 7 AGG Rn. 8. ↩
- BAG 21.1.2021 – 8 AZR 488/19 Rn. 75 m. w. N. aus der Rsp. des EuGH; BAG 16.7.2019 – 1 AZR 842/16 Rn. 21; 22.10.2015 – 8 AZR 168/14 Rn. 64. Die Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG findet keine Anwendung. ↩
- BAG 21.1.2021 – 8 AZR 488/19 Rn. 28 mit Hinweis auf EuGH v. 26.6.2001 – C-381/99 (Brunnhofer), Rn. 58; EuGH v. 28.2.2013 – C-427/11 (Kenny u.a.), Rn. 19. ↩
- Empfehlung der Kommission vom September 2014 zur Stärkung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Frauen und Männer durch Transparenz (2014/123/EU), Erwägungsgrund 8. ↩
- BT-Drs. 18/11133, S. 57; BAG v. 25.6.2020 – 8 AZR 145/19, Rn. 93; BAG 21.1.2021 – 8 AZR 488/19 Rn. 44. ↩
- BAG 21.1.2021 – 8 AZR 488/19 Rn. 46 f. ↩
- BT-Drs. 18/11133, S. 58, ErfK-Schlachter § 10 Rn. 2; krit. Däubler/Beck-Hinrichs § 10 Rn. 6 mit Hinweis auf das Unionsrecht, das eine Entgeltgleichheit hinsichtlich aller Entgeltbestandteile verlange. ↩
- BT-Drs. 18/11133, S. 61 mit Hinweis auf EuGH 17.9.2002 – C 320/00 (LRn. 18). ↩
- So ausdrücklich GA Geelhoed in der Rechtssache Lawrence; jetzt auch der Vorschlag für eine Richtlinie „zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Lohntransparenz und Durchsetzungsmechanismen“, COM (2021) 93 final vom 4.3.2021, Art. 4, Erwägungsgrund 17. ↩
- BT-Drs. 18/11133, S. 58; BAG v. 25.6.2020 – 8 AZR 145/19, Rn. 34; ErfK-Schlachter § 10 Rn. 3. ↩
- BAG v. 25.6.2020 – 8 AZR 145/19, Rn. 34; ErfK-Schlachter § 10 Rn. 3, § 15 Rn. 7; Däubler/Beck-Hinrichs § 15 Rn. 5. ↩
- BAG 21.1.2021 – 8 AZR 488/19 Rn. 38. ↩
- BT-Drs. 18/11133, S. 59; ErfK-Schlachter § 11 Rn. 2. ↩
- BT-Drs. 18/11133, S. 66; ErfK-Schlachter § 15 Rn. 10. ↩
- BAG 21.1.2021 – 8 AZR 488/19 Rn. 49. ↩
- EuGH v. 26.6.2001 – C-381/99 (Brunnhofer), Rn. 43. ↩
- Vgl. EU-Parlament, Armut in der Europäischen Union, 2016, S. 4 f.; Auch der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung orientiert sich an diesem Maßstab. Als armutsgefährdet gelten Personen, deren bedarfsgewichtetes Nettoeinkommen weniger als 60 % des Medians des Äquivalenzeinkommens der Bevölkerung eines Landes beträgt. ↩
- BAG 21.1.2021 – 8 AZR 488/19 Rn. 24, 28, 31, 62. ↩
- BAG 21.1.2021 – 8 AZR 488/19 Rn. 25 f. mit Hinweis auf die Gesetzesbegründung: BT-Drs. 18/11133, S. 48; Stein NZA 2022, 328. ↩
- ErfK-Schlachter Vorb. AEUV Rn. 39; Däubler/Beck-Däubler AGG Einl. Rn. 84. ↩
- St. Rsp. BAG v. 18. 9. 2014 – 8 AZR 753/13, nachf. LAG Hamm 11.6.2015 – 11 Sa 194/15 mit Anm. Feldhoff jurisPR-ArbR; BAG 26.7.2017 – 8 AZR 73/16 m. w. N.; Däubler/Beck-Beck AGG § 22 Rn. 33. ↩
- EuGH 7.2.2018 – C 142/17, C-143/17 (Maturi u.a.) Rn. 38; BAG 19.12.2019 – 8 AZR 2/19 Rn. 36; ErfK-Schlachter § 3 AGG Rn. 2. ↩
- BAG 21.1.2021 – 8 AZR 488/19 Rn. 56 ff.; Gatz NJW 2021, 3563; ErfK-Schlachter § 22 AGG Rn. 2; a. A. Annuß NZA 2021, 1538, der die Indizwirkung der geringeren Vergleichsvergütung am Maßstab des Medians bestreitet. ↩
- BT-Drs. 18/11133, S. 50 ff. ↩
- Heite, Soziale Arbeit – Post Wohlfahrtsstaat – Geschlecht. Zum Zusammenhang von Professionalität und Politik. In: Böllert/Oelkers Familienpolitik in Familienhand? 2010, S. 25 ff.; Feldhoff/Hartwig ASD und Gender. In: Merchel (Hg.) Handbuch ASD 2019. S. 172 ff.; Bereswill, Hat Soziale Arbeit ein Geschlecht 2016, S. 33 ff. ↩
- Vgl. aktuelle Studien: Klammer/Klenner/Lillemeier Comparable Worth, WSI-Study 014, Juni 2018; Koebe u. a. Systemrelevant, aber dennoch kaum anerkannt: Entlohnung unverzichtbarer Berufe in der Corona-Krise unterdurchschnittlich, DIW aktuell Nr. 48, Juni 2021. ↩
- BAG 21.1.2021 – 8 AZR 488/19 Rn. 28. ↩
- BAG 21.1.2021 – 8 AZR 488/19 Rn. 69. ↩
- EuGH 17.10.1989 – C 109/88 (Danfoss), Rn. 24. ↩
- EuGH 3.10.2006 – C 17/05 (Cadman), Rn. 34 ff. ↩
- BT-Drs. 18/11133, S. 57. ↩
- Stein NZA 2022, 328. ↩
- Vorschlag für eine Richtlinie „zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Lohntransparenz und Durchsetzungsmechanismen“, COM (2021) 93 final vom 4.3.2021. Im April 2022 hat das EU-Parlament die Aufnahme von Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten über den Vorschlag beschlossen. ↩