STREIT 3/2017
S. 142-143
Buchbesprechung: 100 Jahre Frauenwahlrecht
Isabel Rohner und Rebecca Beerheide (Hg.): 100 Jahre Frauenwahlrecht. Ziel erreicht! … und weiter? 
Ulrike Helmer Verlag, Königstein/Ts. 2017
„Die Farben passen mega schön zusammen … ich kann zweimal abstimmen, ich hab auch mega viel Auswahl.“ Online-Werbung für die Briefwahlunterlagen, vorgetragen mit der säuselnden Stimme einer YouTube-Influencerin, als ob es der neueste Lipgloss wäre. Mit einem Augenzwinkern schickte drei Wochen vor der Bundestagswahl die 24-jährige Poetryslammerin und SWR-Radiomoderatorin Sophie Assmann ein Handyvideo durchs Internet. Die TV-Comedian Carolin Kebekus legte nach: in ihrem Clip mimt sie eine schick gestylte Obertussi, die von der Off-Stimme des angeblichen Bundeswahlleiters durch die Hürden des Wahlvorgangs geführt wird. 
Es geht auch ernsthafter: In einem deutschlandweiten Bündnis zur Bundestagswahl hatten sich 17 führende Frauenorganisationen zusammengefunden – vom Deutschen Juristinnenbund über den LandFrauenverband und bis hin zum Verband deutscher Unternehmerinnen – und die bei ihnen organisierten 12,5 Millionen Frauen zur Teilnahme an der Bundestagswahl aufgefordert. Dazu hatten sie allen Parteien einen umfangreichen Forderungskatalog, genannt „Berliner Erklärung“, vorgelegt. Konkreter geht´s nicht. 
Drei Initiativen, die eine Botschaft eint: Frauen, nehmt eurer Wahlrecht in Anspruch, das so hart erkämpfte.
2018 ist der 100. Jahrestag des Frauenwahlrechts in Deutschland. Das klingt zunächst mal reichlich verstaubt. Ist es aber ganz und gar nicht, wie die Journalistin Rebecca Beerheide und die Literaturwissenschaftlerin Isabel Rohner in ihrem Buch „100 Jahre Frauenwahlrecht – Ziel erreicht! … und weiter?“ aufzeigen. Bereits im Jahr der Bundestagswahl 2017, also noch vor dem Jubiläum, haben sie eine vielstimmige Bilanz vorgelegt, welch tiefgreifende Wirkung die Durchsetzung des aktiven und passiven Wahlrechts für die Lebenssituation von Mädchen und Frauen ergeben hat. 
Allein seit 1949 wurden über 100 Gesetze mit frauenrechtlichem Bezug geändert, rechnet die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) vor. Das war nur möglich, weil Frauen wie Rita Süssmuth (CDU), Manuela Schwesig (SPD), Claudia Roth (Die Grünen) und etliche andere Frauen in das hohe Haus gewählt wurden. Im Buch mit seinen kurz gehaltenen Artikeln und Interviews berichten sie über die mühsam errungenen Erfolge in einer auch heute noch männlich dominierten Politikkultur.
Allerdings, in der soeben zu Ende gegangenen Legislaturperiode waren nur 37,1 Prozent der Bundestagsabgeordneten weiblich. Frauen nutzen ihr passives Wahlrecht zu wenig, Tendenz fallend, beklagt Claudia Möhring (Die Linken). Die Onlineplattform „Mandatsrechner.de“ errechnete am Tag nach dem Wahlsonntag für den 19. Deutschen Bundestag einen Frauenanteil von nur noch 31 Prozent. In den Länderparlamenten wie auch in Gemeinderäten sieht es mit der Beteiligung von Frauen, die ihre demokratischen Rechte nutzen, noch schwächer aus. Was helfen könnte, schreiben unter anderem Anke Gimbal und Ramona Pisal als Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, wäre ein Gesetz zur Geschlechterparität: „Ohne paritätisch besetzte Parlamente und Gesetze, die Gleichberechtigung gewährleisten, gibt es keine gleichberechtigte Gesellschaft.“ 50:50, das steht uns doch zu, auch wenn es genauso schwierig zu erkämpfen sein dürfte wie einst das Frauenwahlrecht.
Radikale Suffragetten in England um Emmeline und Christabel Pankhurst hatten, weil ihnen kein Gehör geschenkt wurde, Fenster eingeschmissen, Briefkästen explodieren lassen und sich todesmutig vor galoppierende Pferde geworfen. Ihre Kämpfe wurden von den seinerzeit männlich dominierten Medien schlichtweg totgeschwiegen. Dass Clara Zetkin für das Frauenwahlrecht gekämpft hat, wissen wir. Weniger bekannt ist, dass sogar eigens ein „Deutscher Reichsverband für Frauenstimmrecht“ gegründet wurde. Die Herausgeberinnen lassen mehrere Expertinnen wie die Historikerin Nikola Müller oder die Demokratieforscherin Ulrike Guérot über die geschichtlichen Details schreiben. So entsteht ein vielschichtiges Bild, weil es jede in einen anderen aktuellen Zusammenhang stellt. Kerstin Wolff, Mitgeschäftsführerin des Archivs der deutschen Frauenbewegung in Kassel, gibt bereits einen Ausblick auf eine Ausstellung zusammen mit dem Historischen Museum Frankfurt für den Spätsommer 2018: „Das Frauenwahlrecht war ein zentraler Schritt auf dem Weg des deutschen Staates zu einer vollständigen Demokratie“. Gleichzeitig zieht sie Schlüsse auf das aktuelle politische Geschehen, mit dem Erstarken rechter Gruppierungen und der rechtspopulistischen AfD.
„Frauenrechte erscheinen einigen plötzlich wieder verhandelbar“, warnen die Herausgeberinnen, Isabel Rohner und Rebecca Beerheide. Zwei Tage nach der historisch verpassten Chance, mit Hillary Clinton die erste Frau ins Amt des US-amerikanischen Präsidenten zu wählen, hatten die beiden, die sich über den Journalistinnenbund* kennen, das Buchprojekt spontan entwickelt und eine Vielzahl von Frauen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Öffentlichkeit dafür gewinnen können. 
Es liegt in den Händen der Frauen, so Rebecca Beerheide über die Erkenntnisse von Wahlforscherinnen und Wahlforschern: „Frauen setzen auf Bewährtes und experimentieren mit ihrer Wahlstimme kaum. Sie geben seltener ihre Stimme bei Parteien an den links- wie rechtsextremen Rändern ab.“ Ob nun aufgefordert mit den digitalen Medien oder klassisch mit diesem Buch – eines ist klar: Wählen gehen, jedes Mal. Hundert Jahre nach der Durchsetzung des Wahlrechts, schreibt Ulrike Guérot, geht es darum „das Erbe der Suffragetten bewusst und mutig nicht nur zu verteidigen, sondern auch fortzuführen!“