STREIT 1/2023
S. 43-44
Buchbesprechung: Doris Liebscher: „Rasse im Recht – Recht gegen Rassismus. Genealogie einer ambivalenten Kategorie“
Suhrkamp, Berlin 2021
Wie der Titel schon nahelegt zeichnet Doris Liebscher mit Rasse im Recht – Recht gegen Rassismus. Genealogie einer ambivalenten Kategorie zum einen den Begriff der Rasse im Recht und die Geschichte rassistischen Rechts nach, zum anderen beleuchtet sie aber auch Möglichkeiten eines antirassistischen Rechts. Das Buch endet mit dem Satz: „Erinnern heißt verändern“ (S. 489). In diesem Sinne greift es in den (rechts-)wissenschaftlichen Diskurs um den Begriff der Rasse und das Antidiskriminierungsrecht ein und schöpft seine Kraft aus der Bezugnahme auf gesellschaftliche Kämpfe und Anstrengungen.
Die rassismuskritische Rechtswissenschaft knüpft nach Liebscher an die Rassismusforschung an, die „Rassismus als soziales Verhältnis“ untersucht und als historisch gewachsen anerkennt (S. 26). Sie lernt aus der feministischen Rechtswissenschaft, die sich fragt „welches Wissen über Geschlecht als natürliche und/oder soziale Kategorie im Recht zirkuliert, welche Rolle der Rechtsdiskurs bei der Herstellung von Geschlecht und der Zuweisung sowie Rechtfertigung vergeschlechtlichter Positionen einerseits und für den Abbau damit einhergehender Diskriminierungen andererseits spielt“ (S. 30). Sie knüpft weiter an die in den USA entstandene Critical Race Theory an, die eine Antwort auf die Critical Legal Studies bildet und die „Bedeutung von rassialisierter Differenz im Zusammenspiel von Recht und Herrschaft“ ergänzt. Sie diskutiert Rassismus dabei „nicht als Ausnahme oder individuellen Rassehass, sondern als gesellschaftlichen Regelfall und soziale Struktur“ (S. 33).
Im Sinne einer Genealogie und aus dem Verständnis, dass „Akteure des Rechts […] auf außerrechtliches Wissen zurück[greifen], wenn sie juristisch einordnen“ (S. 52) und deswegen auch eine juristische Analyse gesellschaftswissenschaftlich informiert sein sollte, untersucht Rasse im Recht, welche rassistischen Konzepte in der Rechtswissenschaft vorherrschen. Das Buch greift dabei auf die Geschichte des Rassismus bis zu seinen historischen Ursprüngen in der christlichen Reconquista und der Kolonialisierung zurück, umreißt den biowissenschaftlichen Rassediskurs bis 1945 und geht im nachkriegsdeutschen Kontext auf beide deutschen Staaten ein. Es vollzieht die Historie explizit rassistischen Rechts von der Sklaverei in den USA über den deutschen Kolonialismus bis hin zum Nationalsozialismus nach und zeigt damit die „Gleichzeitigkeit von globaler Universalität und regionalen Besonderheiten von Rassismus und Rassekonzeptionen“ auf (S. 205). Es wird deutlich, wie Recht dabei „rassistische Diskriminierung und Gewalt […] begründen und aufrechterhalten“ kann (S. 150).
Kern des Buches ist die Frage, wie mit dem Begriff der Rasse im Recht, insbesondere im Antidiskriminierungsrecht, umzugehen ist: ob er sozialkonstruktivistisch und machtkritisch umzudeuten und als sozial konstruiert zu verstehen und zu nutzen ist, oder ob er im Sinne eines postkategorialen Ansatzes durch Formulierungen wie „rassistische Diskriminierung“ zu ersetzen ist und so den Fokus weg von der diskriminierten Person und ihr vermeintlich immanenten Eigenschaften hin zu einem Blick auf die Auswirkungen rassistischer Handlungen lenken könnte.
Liebscher entwickelt ihr Verständnis von Antidiskriminierungsrecht als Recht gegen Rassismus aus der Analyse von internationalem, supranationalem und nationalem Antidiskriminierungsrecht. Sie zeigt auf, wie das Recht gegen Rassismus seine Ursprünge in Entscheidungen des US-Supreme Court und dem US-amerikanischen Verfassungsrecht nahm, welche als erste Diskriminierungsverbote mit Bezug auf race formulierten. Die dem US-amerikanischen Recht immanenten Rassismen entwickelten sich aus der Sklaverei und vollzogen die Trennung entlang einer color line. So bildete sich auch das Recht gegen Rassismus entlang der color line und birgt damit die Gefahr der Essentialisierung der betroffenen Menschen. Am Beispiel der Diskriminierung jüdischer Menschen zeigt sich das Dilemma der Adressierung von race, wenn Diskriminierungen jenseits der color line stattfinden oder race auf physische Merkmale reduziert und von seiner sozialen Bedeutung getrennt wird. Hier werden die Grenzen eines kategorialen Antidiskriminierungsrechts sichtbar.
Die Untersuchung zeigt, inwiefern sich freiheits- und gleichheitsrechtliche Verständnisse im Antidiskriminierungsrecht niederschlagen und welche Auswirkungen verschiedene Interpretationen von Gleichheit bei der Analyse von Diskriminierungen haben. Liebscher stellt fest, dass den „unterschiedlichen rechtlichen Instrumenten gegen Rassismus und den verschiedenen Gleichheitsverständnissen [gemeinsam ist], dass sie den Schutz vor Diskriminierung über sogenannte Merkmale, Gründe oder Kategorien herleiten“ (S. 223).
Liebscher zeigt, wie sich das Recht gegen Rassismus in beiden deutschen Staaten, DDR und BRD, entwickelt hat, und dass auch hier auf die internationalen Verträge UN-Rassismus-Konvention und ICERD Bezug genommen wurde. Es gab in beiden deutschen Staaten trotz (oder gerade wegen) des nur kurz zurück liegenden Rassismus des Nationalsozialismus nur wenige Versuche, ein Verbot des Rassismus (oder der Diskriminierung anknüpfend an das Merkmal der Rasse) zu definieren. Dabei fiel und fällt es der deutschen Rechtswissenschaft sehr schwer, den Begriff der Rasse zu füllen oder den Begriff Rassismus zu definieren ohne biologistische Kategorien zu benutzen. Die Analyse von Kommentarliteratur und Urteilen zeigt, dass der deutschen Rechtswissenschaft viele Fälle rassistischer Diskriminierung entgehen, weil sie keine passende Sprache dafür hat. Durch direkte Anknüpfung an diskriminierungsrelevante Merkmale läuft sie Gefahr, diese in den Mittelpunkt zu stellen und so die kategorialen Ungleichheiten zu verkennen. Deutlich wird dies am dem Beispiel des Racial Profiling. Im Ergebnis kommen die angesprochenen Urteile zu dem Schluss, dass ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG vorliegt, und verweisen darauf, dass die Hautfarbe der Kontrollierten mitentscheidend bei der Auswahl der „verdachtsunabhängigen Kontrolle“ gewesen ist. Die Maßnahme der Polizei wird verglichen mit anderen „Datenerhebungs- und Datennutzungsbefugnissen als Eingriff mit geringer Intensität“ (S. 438) bewertet. Dies verkennt, dass Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG ein asymmetrisches Diskriminierungsverbot ist und es gerade doch einen Unterschied macht, wer kontrolliert wird. Durch die Kontrolle werden bei Außenstehenden stigmatisierende Stereotype des*der „Fremden“, die sich potenziell weniger gesetzestreu verhalten, (re-)aktiviert und Betroffene so nicht als gleichberechtigter Teil der Gesellschaft wahrgenommen und als solcher staatlich geschützt. Verkannt wird auch, „dass Racial Profiling gerade nicht zufällig und symmetrisch an phänotypische Merkmale anknüpft, sondern an ganz bestimmte, rassialisierte Merkmale“ (S. 49).
Der von Liebscher entwickelte postkategoriale Ansatz an das Antidiskriminierungsgesetz soll der Essentialisierung entgegenwirken. „Personenbezogene und mit sozialer Bedeutung versehene Eigenschaften (Merkmale im deskriptiven Sinne) führen erst im Wechselspiel mit sozialen Stereotypisierungen und ihnen innewohnenden Abwertungen zu diskriminierungsanfälligen Statuspositionen, die als rechtliche Diskriminierungskategorien (Merkmale im normativen Sinne) geschützt werden. Die Ineinssetzung von Merkmal mit Eigenschaft naturalisiert soziale Ungleichheit, sie verdeckt, dass es nicht um etwas geht, was Menschen haben oder sind, sondern um soziale Signifikanten. […] Als Merkmal erscheint Rasse nicht als Ergebnis von Rassialisierung, an die Stigmatisierung und Benachteiligung anknüpfen, sondern als Eigenschaft einer Person“ (S. 228 f.).
Die rassismuskritische Rechtswissenschaft steckt im deutschsprachigen Raum noch in den Kinderschuhen – Rasse im Recht – Recht gegen Rassismus. Genealogie einer ambivalenten Kategorie von Doris Liebscher lässt sie um mindestens eine Schuhgröße wachsen.
Das Buch hält, was es im Titel verspricht. Im Sinne einer Genealogie vollzieht es ausführlich die Entwicklung der Rassekonzeption und (anti-)rassistischen Rechts nach und bezieht ebenso ausführlich rassismuskritische Arbeit und Forschung mit ein. Es vollzieht so einen für die kritische Rechtswissenschaft wichtigen Schritt. Rasse im Recht – Recht gegen Rassismus geht mit einem umfassenden Blick an das Thema heran, analysiert dabei sehr detailliert und nimmt bei der Analyse auf nahezu alle wichtigen Rassismustheoretiker*innen und großen Diskurse in der Rassismustheorie Bezug.
Die Arbeit leistet daher nicht nur einen Beitrag zur rassismuskritischen Rechtswissenschaft, sondern umfasst durch den Rückgriff auf Rassismusforschung und feministische Rechtswissenschaft sowie die Weiterentwicklung des Antidiskriminierungsrechts auch andere (wichtige) Themengebiete. Rasse im Recht – Recht gegen Rassismus ist also allen zu empfehlen, die sich mit rassismuskritischer Rechtswissenschaft beschäftigen oder beschäftigen wollen – Rechtswissenschaftlerinnen wie Nicht-Rechtswissenschaftlerinnen.