STREIT 1/2022

S. 46

Buchbesprechung: Gabriele Kawamura-Reindl, Linda Weber: Straffällige Frauen. Erklärungsansätze, Lebenslagen und Hilfeangebote

Beltz Juventa, Weinheim und Basel 2021

Auf eine zutiefst praktische Art setzen sich Gabriele Kawamura-Reindl und Linda Weber mit der Straffälligkeit von Frauen auseinander. Wo bei Gerlinda Smaus die Entwicklung eines eigenen theoretischen Zugangs zum Thema Kriminalität (und Kriminalisierung) zu beobachten ist, greifen die Autorinnen – etwas eklektisch – eine Vielzahl von ‚Erklärungsansätzen zur Frauenkriminalität‘ auf (Kapitel 1), darunter biologische, sozialpsychologische, sozialstrukturelle, aber auch Mehr-Faktoren-Ansätze und sog. frauenspezifische. Erst im zweiten Kapitel wird das Phänomen beschrieben, das im ersten Kapitel ‚erklärt‘ wurde, nämlich Umfang und Struktur von Frauenkriminalität in Deutschland. Dort finden sich dann auch Ausführungen zu den Selektionsprozessen, die Handlungen nicht nur vom Dunkel- ins Hellfeld, sondern, folgt man einem Labeling-Ansatz, überhaupt in den Fokus des Strafrechts befördern.
Seine Stärken hat das Buch, wo es um weibliche Gefangene (Kapitel 3), freiheitsentziehende Sanktionen (Kapitel 4) und Hilfsangebote speziell für Frauen und Mädchen im Kontext des strafrechtlichen Sanktionssystem geht (Kapitel 5). Im Zentrum stehen einerseits Beratungs- und Behandlungsangebote in den Strafvollzugseinrichtungen, darunter Suchtberatung, Sexualberatung, Übergangsangebote; kritisiert wird das Fehlen von Bildungs- und Arbeitsangeboten. Die Autorinnen konstatieren dazu: „Aus pädagogischer Perspektive wären mehr individuelle Behandlungskonzepte notwendig, die die persönlichen, sozialen, familialen, biographischen, kulturellen und auch geschlechtsspezifischen Hintergründe der Jugendlichen berücksichtigen“ (Seite 111). Das ist ein bekannter Befund, der oft mit der Tatsache erklärt wird, dass zu wenig Frauen straffällig und inhaftiert werden, um die Angebote angemessen auszudifferenzieren, meist ist der Frauenstrafvollzug nämlich „ein Anhängsel des ‚Regel-Männervollzugs‘“ (Seite 123). Eine Ausnahme bildet vielleicht die Tatsache, dass differenziertere Angebote im Mutter-Kind-Vollzug vorgehalten werden, wo Frauen als Mütter (noch nicht schulpflichtiger Kinder) adressiert werden können.
Rechtspolitisch erheben die Autorinnen die Forderung nach eigenständigen Haftanstalten, angepassten Sicherheitsstandards, spezifischen Bildungsmaßnahmen oder eine familien- und alleinerziehenden-freundliche Ausgestaltung der Haft. Besonders lobenswert ist schließlich, dass die Autorinnen auf den hohen Anteil von Frauen mit Gewalt- und Missbrauchserfahrungen vor allem im Maßregelvollzug verweisen und auch daraus Forderung nach spezifischen Angeboten ableiten, die geschlechtstypische Lebenslagen reflektieren. Diese Forderungen werden im letzten Kapitel auch auf den Bereich ambulanter Hilfen ausgedehnt.
Auch wenn das Buch in erster Linie als ein Lehrbuch fungieren wird, enthält es doch auch einen guten Überblick für alle Berufsgruppen, die mit Frauen und Mädchen arbeiten, die strafrechtlichen Reaktionen ausgesetzt – und von Inhaftierung bedroht oder betroffen – sind.